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Heiko Schützler
Freie Fahrt für freie Bürger

Beginn des Stadtautobahnbaus in West-Berlin

Berlin, 1. April 1956: Mit Donnergetöse kündigt sich Großes an. Schwere Rammen stoßen Stahlträger in den Boden. Zwischen Halenseestraße und Hohenzollerndamm beginnen die Arbeiten am ersten, 2,2 km langen Abschnitt einer neuen Schnellstraße entlang des S-Bahn- Ringes. Sie ist als so genannter Stadtring mit 45 km Länge Teil des für ganz Berlin geplanten übergeordneten Schnellstraßennetzes.
     Grundlagen für die Trassenwahl sind statistisch ermittelte Verkehrsbelastungszahlen der dreißiger Jahre, außerdem die seit 1951 in West-Berlin alle vier Jahre durchgeführten Verkehrszählungen und der Flächennutzungsplan. Ziel des Tangentenrasters ist es, die durch die historisch gewachsene innerstädtische Radialstraßenführung entstehenden Verkehrsballungen zu beseitigen, ohne städtebaulich zusammengehörende Gebiete zu durchschneiden. Weil die Verkehrsintensität in Richtung Stadtgrenze abnimmt, kann in den äußeren Bezirken das Radialsystem weitergeführt werden.

Ende des Jahres 1956 wird der Tunnel unter dem Kurfürstendamm betoniert und der Bau der 84 m langen und 20 m breiten Auguste-Viktoria- Brücke (ab 1958: Schwarzbacher Brücke) in Angriff genommen. Weil man mehr Versorgungsleitungen als erwartet vorfindet, verzögern sich die Arbeiten auf der südlichen Hälfte des Kurfürstendamms zwischen Halenseestraße und Bahnhof Halensee um eine Woche.
     Ein knappes Jahr später, im März 1957, erstellt man den Tunnel an der Halenseestraße und stößt dabei auf Schwierigkeiten. An dieser Stelle dehnt sich ein ehemaliger Kolk des Halensees aus. Etwa 20 m tief müssen die Pfeiler in den Boden getrieben werden, bis fester Grund erreicht ist. An dieser Stelle wird die künftige Straße aus Richtung Kurfürstendamm die Avus und den Messedamm erreichen.
     Am 3. April 1958 fällt der Startschuss zum Bau der längsten Straßenbrücke Deutschlands, wie es in der Presse heißt. Am rechten Spreeufer wird zwischen Charlottenburger Schleuse und den Siemenswerken der erste von insgesamt dreizehn Stützpfeilern für die Nordwestbogenbrücke (seit dem 20. Dezember 1963 Rudolf-Wissel- Brücke) betoniert. Das 926 m lange und 29 m breite Bauwerk wird in 16 m Höhe das Spree- Urstromtal vom Fürstenbrunner Weg bis zum Siemensdamm überspannen. 15 Millionen Mark soll das kosten.
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Von diesem Pfeiler aus, der auf 153 bis zu 11 m tief im Boden steckenden Pressbetonpfählen reicht, wird die Brücke nach beiden Seiten frei schwebend vorgebaut. Wegen ihrer Größe und den daraus entstehenden Anforderungen an den Bau wird die Brücke bis zu ihrer Fertigstellung im Rohbau am 25. August 1960 zur Sehenswürdigkeit für Ingenieure und Architekten aus aller Welt. Ab 1962 befahrbar, stellt sich Ende der sechziger Jahre heraus, dass man zu optimistisch mit der neuartigen Bauweise umgegangen ist: Zahlreiche Risse im Spannbeton machen umfangreiche Sanierungsarbeiten erforderlich.
     Im Oktober 1958 kann der 4,4 km lange Abschnitt von der Avus bis zur Nordwestbogenbrücke in Angriff genommen werden. Die Reichsbahnverwaltung in Ost-Berlin musste erst zustimmen, da ihr Gleisbereich zwischen Witzleben und Westend von den Fahrbahnen umgeben sein wird. Die 26 m breite und 55 m lange Ostpreußenbrücke im Zuge der Neuen Kantstraße muss wegen der Autobahn an beiden Seiten verlängert werden und wird daher völlig neu errichtet. In der Rognitzstraße ist ein 12 m unter dem Straßenpflaster befindlicher Abwasserkanal neu zu verlegen, weil dort das Widerlager der neuen Brücke Platz finden soll. Das Haus Neue Kantstraße Nr. 17 kommt so dicht mit der Fahrbahn in Berührung, dass sich eine Unterfangung erforderlich macht.
     Am 26. November 1958, sechs Monate vorfristig, wird der erste Abschnitt des
Autobahn- Stadtringes zwischen Halensee und Hohenzollerndamm feierlich eröffnet. 210 m führen als Tunnel unter dem Kurfürstendamm entlang. Zu diesem Zeitpunkt sind 34 Millionen Mark verbaut. Besonders erfreut nehmen die Berliner zur Kenntnis, dass es keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt, was in der Folgezeit allerdings häufig zu Unfällen führen wird.
     Für die Fachwelt gilt der Autobahnring, besonders die Nordwestbogenbrücke, als wahr gewordener Teil einer Vision: 1946 war von einem Team um Hans Scharoun ein radikaler Plan vorgestellt worden, der vorsah, das Stadtgebiet bis auf einige wenige historisch bedeutsame Gebäude abzuräumen und stattdessen durchgrünte Siedlungen inmitten eines Autobahnnetzes anzulegen. (vgl. BMS 12/00)
     Ab März 1959 entsteht das 1,1 km lange Teilstück zwischen Hohenzollerndamm und Schmargendorf mit einer 287 m langen Brücke über das S- und Fernbahngelände. Zwei 6 m hohe Pfeiler tragen das 27,8 m breite Bauwerk. Am 28. September 1960 wird die Strecke in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt und des Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm für den Verkehr freigegeben. Ab Dezember ist die Stadtautobahn zwischen Mecklenburgischer Straße und Jakob-Kaiser- Platz auf 7,5 km Länge in Betrieb. Als Bundesautobahn, Stadtring Berlin, ist sie über die Avus mit dem übrigen Autobahnnetz verbunden.
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Die Stadtautobahn wird auf ganzer Länge dreispurig errichtet, weil sich so laut Institut für Straßen- und Verkehrswesen der Technischen Universität Berlin das Optimum für den Verkehrsfluss ergibt. Eine größere Spurenanzahl vermindert durch die höhere Zahl der Verflechtungsvorgänge an Ein- und Ausfahrten die Leistungsfähigkeit pro Fahrspur.
     Im Unterschied zu herkömmlichen Autobahnen erhält die Berliner Stadtautobahn öffentliche Beleuchtung, Bordschwellen und Kanalisation. Zweimal drei Fahrspuren zu je 3,50 m plus zwei Randstreifen von je 2 m und ein ebenso breiter Mittelstreifen ergeben eine Gesamtbreite von 27 m. Die Ein- und Ausfahrten auf 4 bis 5 Prozent geneigten Rampen haben zwei Spuren von je 3 m und zwei Randstreifen von je 1 m und sind damit 8 m breit. Der Belag weist vier Schichten auf: 18 cm Bodenvermörtelung mit Zement, ebenfalls 18 cm bituminös gebundener Sand, 8 cm Asphaltbinder und 4 cm Asphalt. Bei den Ein- und Ausfahrten tritt Asphaltfeinbeton an die Stelle des Asphalts. Unter den Brücken der Stadtstraßen beträgt die Durchfahrtshöhe 4,60 m, unter den Eisenbahnbrücken 5,575 m.
     Auf beiden Seiten des Mittelstreifens und auf Teilstrecken der Randstreifen werden Leitplanken angelegt. Auf Brücken und hohen Dammstrecken begrenzt ein Stahlrohrgeländer auf Betonsockel die Außenseite.
Zehn Meter hohe Lichtmasten mit zwei Auslegern sind im Abstand von 30 m aufgestellt. Im Tunnel zwischen Rathenauplatz und Halensee gibt es zwei durchgehende seitliche Lichtbänder je Fahrbahn.
     Nach 1961 wird der Autobahnbau im West-Berlin fortgeführt. Seit dem Mauerfall existieren wieder gesamtstädtische Konzeptionen.

Quellen:
     Stadtautobahn Berlin, hrsg. v. Senator für Bauund Wohnungswesen, Dezember 1962
     Stadtautobahnbau Berlin, hrsg. v. Senator für Bau- und Wohnungswesen, September 1964

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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