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Heiko Schützler
Abriss Berliner Kopfbahnhöfe

Zwischen 1868 und 1880 entstehen in Berlin berühmt gewordene Fernbahnhöfe, und Görlitzer, Lehrter, Potsdamer, Stettiner und Anhalter Bahnhof prägen fortan das Gesicht der Eisenbahnmetropole. Bis auf den Potsdamer Bahnhof überstehen sie den Zweiten Weltkrieg einigermaßen. Erst die Spaltung Deutschlands wird ihnen zum Verhängnis.
     Der im Laufe des Spätsommers 1945 eingeschränkt wieder einsetzende Eisenbahnverkehr wird durch die Zonengrenzen auf geringer Höhe gehalten. Außer dem schlechten Zustand des rollenden Materials und der Gleise erschweren nun Verwaltungsakte den Reiseverkehr: Personen ab dem 16. Lebensjahr benötigen fortan einen Interzonenpass.
     Massiv betreibt die ostdeutsche Seite seit Gründung der beiden deutschen Staaten in und um Berlin die Trennung von Ost- und Westverkehr. Der Rangierbahnhof Lichtenberg wird für den Personenverkehr umgebaut und die Komplettierung des seit 1902 bestehenden Güteraußenrings in Angriff genommen. Der Abschnitt zwischen Biesenhorst und Karow, von sowjetischer Seite demontiert, wird nach der Blockade umgehend neu errichtet.

Ebenso schließt man die Lücke zwischen Karow und Oranienburg und baut parallel zur alten Linienführung ein neues Stück zwischen Großbeeren und Schönefeld, das nicht mehr Westberliner Stadtgebiet berührt. Dadurch kann im Frühjahr 1951 bereits der Betrieb auf dem Lehrter und dem Görlitzer Bahnhof eingestellt werden.
     Ab Mai 1952 fährt auch kein Zug mehr vom Anhalter und vom Stettiner Bahnhof. 1956 ist mit der Verbindung zwischen Golm und Saarmund, die den Verschiebebahnhof Seddin entlastet, der Güteraußenring komplett. Das hohe Bautempo geht zu Lasten der Qualität: Zahlreiche Langsamfahrstellen verlängern die Reisezeiten erheblich. Der Fernverkehr von der DDR nach Ost-Berlin wird über den Ring zum Schlesischen Bahnhof, jetzt Ostbahnhof, sowie nach Lichtenberg und Schöneweide geführt. Die Interzonenzüge aus der Bundesrepublik nach West-Berlin fahren über die Stadtbahn zum Zoologischen Garten.
     Die DDR plant 1959 auf dem Güteraußenring vier Fernbahnhöfe: Nord in Blankenburg, Ost in Karlshorst, Süd in Großbeeren und West in Finkenkrug. Der Fernverkehr soll damit die Innenstadt überhaupt nicht mehr berühren. Bundesbahn und Westberliner Senat wollen dagegen die Ost-West-Verbindung aufrechterhalten und plädieren zunächst für den Wiederaufbau von Anhalter und Stettiner Bahnhof. Einig sind sich beide Seiten nur, was das Schicksal der übrigen Fernbahnhöfe betrifft: Sie sollen abgerissen werden.
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     In den fünfziger Jahren wächst in den Westberliner Planungen die Bedeutung des Individualverkehrs. Abschnittsweise entsteht das Stadtautobahnnetz. Auch diese Entwicklung begünstigt das Ende der Fernbahnhöfe.

Görlitzer Bahnhof

1866 bis 1868 nach Entwürfen von August Orth (1828-1901) in Renaissanceformen errichtet, hat er den Krieg beschädigt, aber benutzbar überstanden. Wie die übrigen Bahnhöfe dient er als Ausgangspunkt so genannter

»Hamsterfahrten« ins Umland. Am 29. April 1951 verlässt um 20.45 Uhr der letzte Zug die 148 mal 37 Meter große Halle. Acht Jahre später, im August, lässt die Reichsbahn das Bahnbetriebswerk abreißen. Vorausgegangen sind Gespräche zwischen dem Bezirksamt Kreuzberg, der Bundesbahn und der Reichsbahndirektion Berlin. Der Bezirk Kreuzberg möchte auf dem Gelände eine Badeanstalt errichten, da die meisten Wohnungen in diesem Gebiet ohne Badegelegenheit sind und das früher genutzte Stadtbad in der Gartenstraße im sowjetischen Sektor liegt. Geplant sind auch ein Sportplatz, ein Sommerbad, Kinderspielplätze,

Görlitzer Bahnhof im Jahre 1928
Kindertagesstätten und ein Altersheim. Der Mietvertrag einer Firma, die im Bahnhofsgebäude ein Lager unterhält, verzögert den Abriss. Ab September 1962 wird dann gesprengt. Ein Teil des Hauptgebäudes bleibt zunächst stehen, weil dort elf Mieter wohnen. Auch die Anlagen an der Görlitzer Straße können noch nicht gesprengt werden, da noch Räumlichkeiten an Speditionsfirmen vermietet sind. Senat und die der DDR unterstehende Reichsbahn vereinbaren, dass die Mauersteine in West-Berlin verbleiben.
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Eisen- und Stahlteile sowie alle übrigen Bahnanlagen werden nach Ost-Berlin geschafft, wo sie dringend benötigt werden. Am 15. Juni 1967 legt die letzte Sprengung die Front des Hauptgebäudes nieder.

Lehrter Fernbahnhof

In einer noch benutzbaren Halle des 1869 bis 1871 nach Entwürfen der Architekten Lent, Scholz und La Pierre erbauten Bahnhofs richtet die Post 1945 einen Suchdienst ein, um liegen gebliebene Briefe dem Empfänger oder, wenn das nicht möglich ist, dem Absender zustellen

Potsdamer Bahnhof

Im Januar 1944 ist er so schwer getroffen worden, dass er 1945/46 nur noch provisorisch für die Wannseebahn genutzt werden kann, so lange der Nord-Süd-Tunnel überflutet ist (BMS 11/98). Ab Juni 1958 wird er abgerissen.
     Ein nach 1945 auf dem Vorplatz aufgestellter Gedenkstein für Karl Liebknecht gerät im Zuge des Mauerbaus und des anschließenden Gebietsaustauschs in diesem Bereich in Vergessenheit.
     1990 noch vorhanden, verliert sich seine Spur während der Neubebauung des Areals.

zu können. Wegen starker Kriegszerstörungen wird der Fernverkehr nach Hamburg über die Stadtbahn geleitet. Nur noch wenige Vorortzüge verkehren bis Ende der vierziger Jahre vom Lehrter Bahnhof, der am 8. Oktober 1950 endgültig geschlossen wird. Im Sommer 1957 beginnt der Abriss.
     Die erste Sprengung am 9. Juli reißt nur Teile des Bauwerkes nieder. Erst am 29. Januar 1959 um 11.34 Uhr fällt mit dem 30 Meter hohen Hauptportal das letzte Teil des Bahnhofsgebäudes.

Lehrter Bahnhof im Jahre 1903
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Stettiner Bahnhof

Entworfen vom technischen Direktor der Stettiner Bahngesellschaft, Theodor August Stein, hat er bei Kriegsende kein Dach mehr; die meisten Gleise sind demontiert. Auch von hier fahren jetzt die Berliner ins Umland, um bei den Bauern etwas Essbares einzutauschen. Im Ostteil der Stadt gelegen, wird der Stettiner Bahnhof 1950 in Nordbahnhof umbenannt. Zwei Jahre später stellt die Reichsbahn den Personenverkehr und 1961 auch den Güterverkehr ein. 1962 erfolgt der Abriss, und das Gelände wird wegen Grenznähe zum Sperrgebiet erklärt.

Anhalter Bahnhof

Bei Kriegsende ist dieser Bahnhof noch leidlich erhalten. Allerdings muss das einsturzgefährdete Dach zur Zeit seiner Errichtung die größte freitragende Konstruktion dieser Art überhaupt im August 1946 gesprengt werden. Der langsam wieder einsetzende Eisenbahnverkehr kann an die überragende Vorkriegsbedeutung des Bahnhofes nicht mehr anknüpfen. Die politischen Verhältnisse tun ein Übriges. Nach der Stilllegung im Mai 1952 beginnen am 27. November 1959 die von Protesten begleiteten Abrissarbeiten. Zuvor hat die Reichsbahn alles noch verwertbare Material ausgebaut. Statt Sprengstoff kommt zunächst die Spitzhacke zum Einsatz, denn man befürchtet, die Nord-Süd-Tunnelbahn zu gefährden.

Die Eingangshalle am Nordportal mit der Bahnsteighalle und die anschließenden Seitenflügel werden bis 1,50 Meter tief unter das Fundament ausgegraben. Alle Vertiefungen werden mit Schutt aufgefüllt, damit eine ebene Fläche entsteht. Ein Ladengeschäft in der Front westlich des Portikus dient im Sommer 1960 als Filmkulisse. Billy Wilder dreht Szenen für seine Ost-West-Komödie »1-2-3«. Laut Drehbuch befindet sich hier das Grandhotel »Potemkin«, vormals »Göring«, vormals »Bismarck«. Am 25. August 1960 reißt man nach einem missglückten Sprengversuch die letzten Teile der Halle mit Seilen ein. Gegen 15.00 Uhr stehen nur noch die Reste des Portikus und die beiden Pfeiler des Südportals. Auch der Portikus soll fallen. Im Mai 1961 werden von Studenten der Technischen Universität Zeichnungen angefertigt und Formsteine herausgebrochen, die als Muster für eine spätere Nachbildung des Baues dienen sollen. Doch langsam setzt ein Umdenken ein. 1964 wird entschieden: Der Portikus bleibt bis auf weiteres. Letztmalig in den siebziger Jahren vom Abriss bedroht, steht er noch heute an seinem Platz. Damals abgenommene Teile des Bauschmucks sind noch im Museum für Verkehr und Technik zu sehen.

Quellen:
Berlin und seine Bauten, XB: Anlagen und Bauten für den Verkehr; (2) Fernverkehr; Verlag Ernst & Sohn, Berlin 1984;
Repros: LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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