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Horst Wagner
24. Oktober 1950:
Die Einweihung der Freiheitsglocke

»Der Tagesspiegel« feierte sie als ein »Symbol des Glaubens an das höchste Menschheitsgut«. Das »Neue Deutschland« nannte sie »Reuters teuerster Blindgänger«. Der RIAS jubelte, nun sei ein Kreuzzug für die Freiheit eingeleitet, der erst enden wird, wenn der Kommunismus überwunden ist. Als am Dienstag, dem 24. Oktober 1950, die aus den USA eingetroffene Freiheitsglocke vor dem Schöneberger Rathaus durch Oberbürgermeister Ernst Reuter (1889-1953) und US- General Lucius D. Clay (1897-1978) eingeweiht wurde, war der Kalte Krieg auf einem Höhepunkt.
     Die Freiheitsglocke, dieser bronzene Koloss von 10 206 kg, eine Nachbildung der an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 erinnernde »Liberty Bell« von Philadelphia, war ein Geschenk des US- amerikanischen Volkes an die Westberliner. Im Namen des 1949 in New York gegründeten »Nationalkomitee für ein freies Europa« hatte General Clay zu Spenden aufgerufen - für die Glocke, aber zugleich auch zur Unterstützung des »antikommunistischen Abwehrkampfes« durch »Radio Free Europe«.

Den Auftrag, die Freiheitsglocke zu gießen, hatte die englische Firma Gillert & Johnston im Juni 1950 erhalten. Ende August war sie fertig und traf am 6. September in New York ein. Von hier aus fuhr sie auf einem Spezialfahrzeug durch 26 Staaten der USA. Der »Kreuzzug für die Freiheit« führte über Philadelphia, Washington, Atlanta, New Orleans, Houston, Phönix, Los Angeles, San Francisco, Chicago, Pittsburgh zurück nach New York, wo die Glocke nach Bremen verschifft wurde. Über 16 Millionen US- Bürger hatten Geld gespendet und dabei zugleich ein »Manifest für die Freiheit« unterschrieben, das mit den berühmten Worten beginnt: »Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen ...« Die Listen - mehr als 300 000 Blätter - werden »auf ewig« im »Freiheitsschrein« aufbewahrt werden, der sich im Turm des Schöneberger Rathauses befindet.
     Vor Installation der Glocke musste der Rathausturm, im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, speziell hergerichtet werden. Ihn in seiner ursprünglichen Gestalt wieder herzustellen, war somit nicht möglich. Am 2. August 1950 wurden deshalb das Hauptamt für Hochbau und vier Architekten beauftragt, binnen 24 Stunden einen neuen Entwurf für den Turm zu erarbeiten. Nur wenig später begannen die Umbauarbeiten nach dem Entwurf von Kurt Dübbers, der sich schließlich durchgesetzt hatte.
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An Stelle der einstigen Turmhaube errichte man eine offene kantige Pfeilerhalle mit flachem Dach und zog zwei Stahlbetondecken ein. Somit verringerte sich die Turmhöhe von einst 81 m auf 70,48 m. Im dritten Turmgeschoss wurde die gestühlartige Aufhängung für die Glocke errichtet. Sie traf am 21. Oktober 1950 in Berlin ein und wurde außen am Turm emporgezogen.
     Zur Glockenweihe versammelten sich laut aktuellem Bericht des »Tagesspiegels« am 24. Oktober 1950 dann 400 000 Berliner auf dem Rudolf-Wilde- (dem heutigen John-F.- Kennedy-) Platz und in den angrenzenden Straßen. Auf der Ehrentribüne standen neben Oberbürgermeister Reuter und General Clay u. a. Bundeskanzler Adenauer und die alliierten Stadtkommandanten. Der Klang der Glocke, so Ernst Reuter, werde nicht nur über den Ozean zum freien amerikanischen Volk dringen, er werde auch nach Osten deutlich vernehmbar sein. Und General Clay verkündete: »Die Freiheitsglocke wird von Berlin aus ertönen, weil diese Stadt der einzige freie Platz hinter dem Eisernen Vorhang ist.« Als er dann Punkt 12 Uhr mittags die Glocke mittels elektrischem Signal in Bewegung setzen wollte, brannten erst einmal die Sicherungen für die aus den USA mitgelieferten Motoren durch. Nach einem Moment des Erschreckens setzte ein beherzter Rathausmitarbeiter die Glocke von Hand in Bewegung, und ihr Klang konnte auch von mehreren Millionen Radiohörern in vielen Ländern der Welt vernommen werden.

Am 21. Oktober 1951 wurde die Glocke außen am Turm emporgezogen

Fatalere Folgen als die durchgebrannten Sicherungen hatte allerdings - wie gleichfalls in der dem 50- jährigen Glockenjubiläum gewidmeten Ausstellung im Schöneberger Rathaus dokumentiert wurde - ein »Konstruktionsfehler« der englischen Glockengießerei: In Folge eines schlecht angepassten Gegengewichtsklöppels, der beim An- und Abläuten heftige Prellschläge erzeugte, kam es im Laufe der Jahre zu einem 1,28 m langen Riss.

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Mehr als 400 000 Berliner nahmen an der Einweihungsfeier der Freiheitsglocke teil
Und zwar ausgerechnet unter den Worten »under God« der englischen Gravur »Möge diese Welt mit Gottes Hilfe eine Wiedergeburt der Freiheit erleben« .
     Wegen dieses Risses wurde schließlich Anfang August vorigen Jahres die Glocke stillgelegt.
Sie ertönte nur noch einmal zur Jubiläumsfeier am 24. Oktober 2000. Danach wurde sie zur Reparatur nach Bayern geschickt. In diesem Jahr, so wurde versprochen, soll sie an historischem Ort wieder jeden Mittag Punkt 12 Uhr ihr sonores Geläut erklingen lassen.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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