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Gerhard Keiderling
Die Periode 1949-1961 im Berlin- Schrifttum

Das Ende der Berlin- Blockade im Mai 1949 und die Gründung der BRD und der DDR im September bzw. Oktober 1949 bedingten sich wechselseitig; beides waren Höhepunkte im Kalten Krieg.
     Bevor die deutsche Zweistaatlichkeit Wirklichkeit wurde, war die Berliner »Zweistadtlichkeit« schon vollendet. Seit Ende 1948 war Berlin gespalten: Die Weststadt wurde von einem erstmals im Dezember 1948 gewählten Magistrat von Groß-Berlin (ab 1951: Senat von Berlin) regiert und die Oststadt von einem im November 1948 eingesetzten »demokratischen Magistrat von Groß-Berlin«. Beide Stadtverwaltungen standen unter Kuratel ihrer jeweiligen Schutzmächte und sich somit feindlich gegenüber. Ihre folgerichtige Integration in die beiden deutschen Staaten schuf neuen Zündstoff.
     Das geteilte Berlin wurde mehr denn je ein Kampfplatz zwischen Ost und West. Hier standen sich die kapitalistische und die kommunistische Welt in einzigartiger Weise gegenüber, sie stritten miteinander im friedlichen »Wettkampf der Systeme« und bekämpften sich dabei bis aufs Messer. »Schaufenster des Westens« und »Frontstadt im Kalten Krieg« nannte man West-Berlin in der »freien Welt«.
      In der Tat stellte schon die bloße Existenz West-Berlins als »Pfahl im Fleische«, noch dazu mit dem Defacto- Status eines BRD- Bundeslandes und somit NATO- Staates, eine Provokation des Ostens dar. Die Staatskrisen der DDR von 1953, 1956 und 1960/61 hatten immer mit West-Berlin zu tun.

Um ihre deutschlandpolitische Option zu wahren und ihren Satellitenstaat DDR zu konsolidieren, brach die Sowjetunion unter Chruschtschow Ende 1958 eine zweite Berlin- Krise vom Zaun, die mit dem Mauerbau vom 13. August 1961 endete.
     Parallel zu dieser internationalen Ausweitung des Berlin- Problems verlief die innerstädtische Entwicklung. Die Kluft zwischen Ost- und West-Berlin vertiefte sich in dem Maße, wie der Kalte Krieg an Kraft gewann. Ost-Berlin wurde dank seiner geographischen Lage reibungslos in das sozialistische System der DDR integriert und als »Hauptstadt der DDR« anerkannt. West-Berlin hingegen, das seine Zentralfunktionen an Bonn abgeben musste, gewann dank großzügiger »Dollarspritzen« Anschluss an das Wirtschaftswunderland BRD. Diese spannungsreiche und widersprüchliche Geschichte der fünfziger Jahren fand in der Berlin- Literatur in Ost und West einen breiten und natürlich konträren Niederschlag. Seit dem Ende des Kalten Krieges 1990 erscheinen Arbeiten, die auf gesicherter Quellengrundlage die damaligen Ereignisse und ihre Hintergründe in einen umfassenden historischen Kontext einordnen.

Quellen und Dokumentationen

Gibt es für die vorangegangene Periode 1945-1948 eine Vielzahl von Quellen und Dokumentationen, so registriert man deren Mangel für diesen Zeitabschnitt mit Bedauern. Abgesehen von der Frühphase 1949-1951 im 2. Halbband des vom Landesarchiv Berlin herausgegebenen Werkes »Berlin. Quellen und Dokumente 1945-1951« (1964) sowie einigen spezifischen Materialzusammenstellungen, Dokumentationen und Zeittafeln in Broschüren und Zeitschriften, fehlt es an wissenschaftlichen Editionen, die die Forschung hätten beflügeln können.

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Das vereinte Berlin von 1990 löste bislang keine Impulse aus.
     Glücklicherweise liegt für unseren Zeitraum eine ausführliche Tag-für-Tag- Chronik vor, die das Landesarchiv Berlin in Fortsetzung früherer Bände herausgegeben hat: »Berlin. Ringen um Einheit und Wiederaufbau 1948-1951« (1962), »Berlin. Chronik der Jahre 1951-1954« (1968), »Berlin. Chronik der Jahre 1955-1956« (1971), »Berlin. Chronik der Jahre 1957-1958« (1974) und »Berlin. Chronik der Jahre 1959-1960« (1978). In dieser ausführlichen und sorgfältig bearbeiteten Chronik findet der Wissenschaftler wie der Interessierte viele quellenmäßig belegten Informationen. Leider wurde dann die Schriftenreihe eingestellt. Das neue Jahrbuch des Landesarchivs »Berlin in Geschichte und Gegenwart« für 1983 brachte nur eine Kurzfassung »Chronik des Jahres 1961. Ereignisse in und um Berlin« auf 85 Druckseiten und ohne Quellennachweis.
     Als die Sowjetunion mit ihrer Note vom 27. November 1958 das Berlin- Problem wieder aufwarf, entstand ein allgemeines Interesse am sogenannten Viermächtestatus von 1944/45, an den nachfolgenden Vereinbarungen und Entwicklungen. Als Standardwerk gelten die vom Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. Bonn in Zusammenarbeit mit dem Senat von Berlin herausgegebenen »Dokumente zur Berlin- Frage 1944-1966« (1967).
     Die DDR hatte seinerzeit nur ausgewählte Dokumente publiziert: »Berlin im Blickpunkt der Welt. Eine Dokumentation über Recht und Unrecht um und in Berlin 1944 bis 1959« (1959), »Die Westberlinfrage und die Vorschläge der Regierung der DDR zu ihrer Lösung« (1960) und »Dokumentation zur Westberlinfrage« (1964).

Geschichtsdarstellungen

Ausgewogene Gesamtdarstellungen zur Geschichte beider Berlin im hier zu behandelnden Zeitraum liegen noch immer nicht vor.

Die vor 1989 im Westen erschienenen Überblicke rücken West-Berlin in den Mittelpunkt und werfen nur einen Seitenblick auf Ost-Berlin.
     So verfuhren schon Hans Herzfeld, der den oben genannten Chronik- Bänden für 1948-1951 und 1951-1954 eine ausführliche Betrachtung des Geschehens in »Berlin« voranstellte und für den »Sowjetsektor« nur wenige Seiten verwendete, oder die umfangreiche »Heimatchronik Berlin« (1962). Jahrzehnte später war diese Verfahrensweise noch immer Usus, vergleiche Georg Kotowski/ Hans J. Reichhardt: »Berlin als Hauptstadt im Nachkriegsdeutschland und Land Berlin 1945-1985« (1987).
     Ähnlich ging man damals auch im Osten mit der Geschichte um, vergleiche Gerhard Keiderling/ Percy Stulz: »Berlin 1945-1968. Zur Geschichte der Hauptstadt der DDR und der selbständigen politischen Einheit Westberlin« (1970). Wie sehr sich beide Teilstädte unter den Zwängen des Ost-West- Gegensatzes wechselseitig herausforderten, verdeutlichen zwei jüngere Arbeiten zur Baugeschichte. Herbert Nicolaus/ Alexander Obeth: »Die Stalinallee. Geschichte einer deutschen Straße« (1997) und Gabi Dolff-Bonekämper/ Franziska Schmidt: »Das Hansaviertel. Internationale Nachkriegsmoderne in Berlin« (1999).
     Aber auch jede Teilstadt für sich genommen kann größere historisch- politische Darstellungen nur lückenhaft vorweisen. In der älteren Literatur erfasst man auf den ersten Blick die damalige Akzentuierung: Rechtsstatus, »Freiheitskampf« und Wirtschaftshilfe für West-Berlin sowie »Aufbau des Sozialismus« und Kampf gegen die »Frontstadt« für Ost-Berlin. Diese politische Trennlinie galt auch für andere Bereiche wie Kultur, Wissenschaft, Architektur und Verkehr. Vom Stadtführer über Bildbände bis zur Monographie existierte eine säuberliche Trennung von Ost und West; für die DDR- Literatur noch schärfer. Nach 1990 setzte eine auf die nunmehr wiedervereinte Gesamtstadt gerichtete Betrachtung ein.
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West-Berlin

Im Vordergrund standen lange Zeit der sogenannte Viermächtestatus und der Rechtsstatus des Landes Berlin innerhalb der BRD. Von der älteren Literatur sei hier nur das damalige Standardwerk von Alois Riklin: »Das Berlinproblem. Historisch- politische und völkerrechtliche Darstellung des Viermächtestatus« (1964) genannt. Die Eingliederung West-Berlins in das westdeutsche Regierungs- und Gesellschaftssystem zwischen 1949 und 1952 wird in dem von Jürgen Fijalkowski u. a. herausgegebenen Buch »Berlin - Hauptstadtanspruch und Westintegration« (1967) ausführlich behandelt. Die »Herausbildung der Funktionen West-Berlins« und die »Bedeutung West-Berlins für die deutsche Frage« zwischen 1949 und 1961 untersuchte Udo Wetzlaugk: »Berlin und die deutsche Frage« (1985).
     Einen weiteren Schwerpunkt bildeten Arbeiten über die Wirtschaftsentwicklung. Die Insellage West-Berlins verlangte eine umfangreiche Förderung seitens des Westens in Gestalt von »Bundeshilfen« und »Dollarspritzen«. Über Anfangsschwierigkeiten und Fortschritte schrieben Rudolf Meimberg: »Wirtschaft und Währung Westberlins zwischen Ost und West« (1950) und »Die wirtschaftliche Entwicklung in Westberlin und in der sowjetischen Zone« (1952), Peter Rogge: »Die amerikanische Hilfe für Westberlin« (1959) und Sigmund Heller: »Die Bundeshilfe an Berlin und seine Wirtschaft von 1949 bis 1959« (1960). Einen Gesamtüberblick bot Kurt Pritzkoleit: »Berlin. Ein Kampf ums Leben« (1962). Aus DDR-Sicht ist hier Alfred Zimm: »Westberlin. Der Industriestandort Westberlin unter den Bedingungen der Frontstadt« (1961) anzuführen.
     Zu inneren Problemen West-Berlins liegt nur Weniges vor. Norbert Steinborn und Hilmar Krüger verfolgten in

»Die Berliner Polizei 1945 bis 1992« (1993) die Entwicklung der so genannten »Stumm- Polizei (Stupo)« in den Jahren des Kalten Krieges. Dieter Hanauske analysierte in einer voluminösen Abhandlung »Bauen, bauen, bauen ...!« (1995) die Wohnungspolitik in West-Berlin von 1945 bis 1961. Auf die Probleme der Insellage machte Honoré M. Catudal in »Steinstücken. A Study in Cold War Politics« (1971) aufmerksam.
     Gering ist auch die Ausbeute auf parteigeschichtlichem Terrain, obgleich es in den großen Parteien bei der Eingliederung in ihre westdeutschen Organisationen und in der Auseinandersetzung mit dem Osten viele Probleme gab. Die Arbeit von Abraham Ashkenasi »Reformpartei und Außenpolitik« (1968) beleuchtet nur die innerparteilichen Auseinandersetzungen um Außen- und Verteidigungspolitik in der Berliner SPD bis zum Sieg des »rechten Flügels« unter Willy Brandt. Zur Geschichte der Berliner Sozialistischen Jugend Deutschlands liegen mehrere Schriften vor: Siegfried Heimann: »Die Falken in Berlin. Erziehungsgemeinschaft oder Kampforganisation? Die Jahre 1945-1950« (1990), Rudolf Lindemann/ Werner Schultz: »Die Falken in Berlin. Geschichten und Erinnerung. Jugendopposition in den 50er Jahren« (1987) und Michael Schmidt: »Die Falken in Berlin. Antifaschismus und Völkerverständigung« (1987).
     Den Alltag schilderten auf unterhaltsamer Weise Sylvia Conradt und Kirsten Heckmann-Janz: »Reichstrümmerstadt. Leben in Berlin 1945-1961« (1987; erweitert unter dem Titel »Berlin halb und halb«, 1990). In »Wie wir das alles geschafft haben« (1984) und »Von Liebe sprach damals keiner« (1985) stellten Sibylle Meyer und Eva Schulze typische Lebensgeschichten von Westberlinerinnen vor. Mit einer besonderen Begleiterscheinung der Spaltung, nämlich den Grenzgängern und Grenzhändlern, beschäftigte sich Erika M. Hoerning in »Zwischen den Fronten« (1992).
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Ost-Berlin

Die schon für die Weststadt registrierten Defizite gelten auch für die Oststadt. Eine Gesamtschau aus DDR-Sicht präsentierte Gerhard Keiderling: »Berlin 1945-1986. Geschichte der Hauptstadt der DDR«, (1987). Neuere Arbeiten mit kritischem Blick auf die Ostberliner Entwicklung zwischen 1949 und 1990 fehlen. Neben dem 13. August 1961 standen die Ereignisse vom 16./17. Juni 1953 im Blickpunkt. Abgesehen von älteren Arbeiten wie Arnulf Baring: »Der 17. Juni 1953« (1983), Ilse Spittmann/ Karl Wilhelm Fricke: »17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR« (1982) und Rainer Hildebrandt: »Der 17. Juni« (1983) liegt neben einem Ausstellungskatalog des Landesarchivs Berlin »Berlin, 17. Juni 1953« (1993) ein autobiographischer Bericht von Siegfried Berger vor: » >Ich nehme das Urteil nicht an<. Ein Berliner Streikführer des 17. Juni vor dem sowjetischen Militärtribunal« (1998).
     Verblüffend wenige Publikationen - sieht man von Zeitschriftenliteratur ab - erschienen vor Mitte der achtziger Jahre über die DDR- Hauptstadt. Das änderte sich erst mit der 750-Jahr- Feier von 1987, worüber in einem späteren Heft berichtet werden wird. Ein Grund lag darin, dass solcherart Manuskripte vor der Drucklegung immer von offiziellen Stellen »gegengelesen« wurden. Wenngleich in der damals üblichen Kalten-Kriegs- Manier verfasst, bietet der 1965 in West-Berlin herausgegebene Sammelband »Berlin - Sowjetsektor. Die politische, rechtliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung in acht Berliner Verwaltungsbezirken« eine Informationsdichte, wie sie in Ost-Berlin selbst nicht vorlag. Über ein Ereignis, das 1950 Furore machte, schrieb unlängst Berndt Maether: »Die Vernichtung des Berliner Stadtschlosses« (2000).
     Merkwürdigerweise gibt es auch für Ost-Berlin keine selbstständigen Arbeiten zur Parteien- und Organisationsgeschichte.

Ein Vorhaben der Berliner SED, die »Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung« zu schreiben, kam bis 1989 nicht über die beiden ersten Bände »Von den Anfängen bis 1917« und »Von 1917 bis 1945« (1987) hinaus. Von den geplanten Nachfolgebänden erschienen lediglich die Kapitel 1949-1952 (Autor: Karlheinz Kuba) und 1958-1961 (Autor: Peter Hübner) als Vorabdruck in der Schriftenreihe »Berliner Arbeiterbewegung« (1986/87). Auf eine Neuerscheinung bei der Edition Luisenstadt sei hingewiesen: Norbert Podewin und Lutz Heuer haben in der Broschüre »Rote >Blockflöten< « (2000) die Entwicklung der »Sozialdemokratischen Aktion (SDA)«, einer von der SED in Ostberlin geförderten Gruppierung oppositioneller Sozialdemokraten, von 1948 bis 1961 verfolgt.

Die »Frontstadt«

Schon in den Anfangsjahren des Kalten Krieges wurde der Wert eines »freien Berlin« als Kampfplatz gegen den Kommunismus erkannt.
     Der Begriff »Frontstadt im Kalten Krieg« fand zuerst im Westen Verwendung. Der »Tagesspiegel« schrieb am 3. Februar 1952: »Die echte Sonderstellung Berlins ist eben die der Frontstadt.« In West-Berlin hob man die Funktionen eines »Schaufensters«, einer »lebendigen Brücke zwischen den Menschen in Ost und West« und eines »Mahners der Wiedervereinigung« hervor. In Ost-Berlin lenkte die SED, die diese »Pfahl im Fleisch«-Politik als existenzbedrohend empfand, ihre Gegenpropaganda vorwiegend auf die subversiven Funktionen. Damals erschienen Dokumentationen wie Peter Alfons Steiniger: »Westberlin. Ein Handbuch zur Westberlin- Frage« (1959), »... im Dienste der Unterwelt« (1959) und »Tatsachen über Westberlin. Subversion, Wirtschaftskrieg, Revanchismus gegen die sozialistischen Staaten« (1962).

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Die »Westarbeit« der Geheimdienste der UdSSR, der DDR und anderer sozialistischer Staaten über die Berliner Drehscheibe wurde natürlich in diesen Traktaten verschwiegen. Es wimmelte von Agenten, Spionen und Überläufern; rund 90 in- und ausländische Geheimdienste, Diversions- und Informationszentralen hatten ihre Residenturen eingerichtet und unternahmen unter Ausnutzung der bis 1961 offenen Grenze im geteilten Berlin eine Vielzahl von Operationen. Darüber berichten in ihren Erinnerungen auch Reinhard Gehlen: »Der Dienst« (1971) und Markus Wolf: »Spionagechef im geheimen Krieg« (1997).
     Das Ende des Kalten Krieges führte die ehemaligen Hauptkontrahenten, den CIA-Chef David Murphy und seinen KGB- Gegenspieler Sergej Kondraschow, zusammen. Gemeinsam mit George Bailey verfassten sie den spannenden Bericht »Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin« (1997). Gestützt auf Dokumente und eigene Erinnerung schildern sie den Aufbau der einzigartigen Spionagebühne nach Kriegsende, die ersten Aktionen, den 17. Juni 1953, den Fall Otto John, das Fiasko des US- Spionagetunnels von 1956 und den Countdown zum Mauerbau.
     In jüngster Zeit erschienen weitere Schriften zur »Frontstadt«- Zeit, so von Siegfried Mampel: »Der Untergrundkampf des Ministeriums für Staatssicherheit gegen den Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen in Berlin (West)« (1994) und »Entführungsfall Dr. Walter Linse« (1999) sowie von Walter Schulz-Heidorf: »Preis unbezahlbar - Die >Tarantel<: Heiße Lektüre im Kalten Krieg« (1997). Wolfgang Buschfort untersuchte »Das Ostbüro der SPD« (1990), das nicht nur eine Hilfsorganisation für ostdeutsche Sozialdemokraten war. Über die Rolle des US- amtlichen RIAS und seines ersten Direktors Bill Heimlich schrieben Tamara Domentat und Christina Heimlich: »Heimlich im Kalten Krieg« (2000). Es bleibt somit zu hoffen, dass über die vielen wechselseitigen Diversions-, Subversions- und Destabilisierungspraktiken der fünfziger Jahre langsam der Schleier der Geschichte gelüftet wird.
Die zweite Berlin- Krise 1958-1962

Die übergroße Mehrheit der für diesen Zeitraum erschienenen Literatur wendet sich der zweiten Berlin- Krise zu, die mit dem diplomatischen Vorstoß der Sowjetunion vom 27. November 1958, die »Frontstadt« Westberlin in eine »Freie entmilitarisierte Stadt« umzuwandeln (sogenanntes Chruschtschow- Ultimatum), begann, ihren dramatischen Höhepunkt mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 erreichte und durch eine stillschweigende Status-quo- Regelung 1962/63 erst einmal ein Ende fand.
     Da die Hintergründe und die Beschaffenheit dieser Krise weit über den deutschen Raum hinausreichten, stehen vor allem die damaligen Ost-West- Beziehungen, die militärischen Sicherheitsfragen und die internationalen Aspekte der deutschen und Berliner Frage im Blickpunkt der Betrachtung. Eine wichtige Quelle für diesen Themenkomplex stellen die vom früheren Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen herausgegebenen »Dokumente zur Deutschlandpolitik«, IV. Reihe (1958-1966), dar. Sie liegen für die Jahre 1958/59 (1969-1972), 1960 (1972/73) und 1961 (1973) vor.
     Von der älteren historischen Literatur sind hervorzuheben: Hans Speier: »Die Bedrohung Berlins. Eine Analyse der Berlin- Krise von 1958 bis heute« (1961), Jean E. Smith: »Der Weg ins Dilemma. Preisgabe und Verteidigung der Stadt Berlin« (1965), Klaus Horn: »Die Berlin- Krise 1958/61. Zur Funktion der Krise in der internationalen Politik« (1970), Dennis L. Bark: »Die Berlin- Frage 1949-1955« (1972), Hans Herzfeld: »Berlin in der Weltpolitik 1945-1970« (1973), Diethelm Prowe: »Weltstadt in Krisen. Berlin 1949-1958« (1973) und Mark Arnold-Forster: »Die Belagerung von Berlin. Von der Luftbrücke bis heute« (1980). In den letzten Jahren ist wenig hinzugekommen. Die Rolle der DDR im Berlin- Konflikt beschrieb Michael Lemke: »Die Berlinkrise 1958 bis 1963. Interessen und Handlungsspielräume der SED im Ost-West- Konflikt« (1995).

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Der Mauerbau

Die im Auftrag des Warschauer Paktes am 13. August 1961 erfolgte militärische Schließung der bis dahin offenen Grenze zwischen Ost- und West-Berlin, begleitet von adäquaten Maßnahmen zwischen den an West-Berlin angrenzenden DDR- Bezirken und an der so genannten Staatsgrenze West gegenüber der BRD, war ein säkulares Ereignis. Obwohl die Berliner in beiden Teilstädten aufgrund der politischen Zuspitzung mit einem solchen Trennschnitt rechneten, kam er dennoch überraschend. Der 13. August 1961 wird als »Mauerbau« bezeichnet, wenngleich die DDR erst in den folgenden Wochen damit begann, die zunächst durch Postenketten der Betriebskampfgruppen und ausgerollten Stacheldraht markierte Grenze mit der Errichtung einer Betonsteinmauer zu sichern. Was die DDR als Schutz souveräner Staatsinteressen, als Abwehr westlicher Unterminierungspraktiken und als Unterbindung der katastrophale Ausmaße angenommenen »Republikflucht« rechtfertigte, brandmarkte man im Westen als kommunistische Willkür, als Menschenrechtsverletzung und als Teilungsakt. Die Flut der Publikationen über die »Schandmauer« wurde unüberschaubar. Eine Bibliographie von Michael Haupt »Die Berliner Mauer« (1981) verzeichnete auf 210 Druckseiten unzählbare Titel.
     Da die Grenzschließung am frühen Sonntagmorgen des 13. August 1961 die Weltöffentlichkeit überraschte, galt das Hauptinteresse lange Zeit zwei Fragen: Wie konnte die DDR mit sowjetischer Rückendeckung diesen Coup insgeheim vorbereiten und ausführen und was hat der Westen gewusst? Hingegen spielt die Frage, inwieweit die August- Konfrontation die Welt an den Rand eines militärischen Konfliktes brachte, noch immer eine untergeordnete Rolle.

Sie wurde im Osten aus legitimatorischen Gründen hochgespielt, und im Westen, wo man die Vorgänge als blamable Niederlage nicht nur seiner Geheimdienste empfand, beiseite geschoben. Wie ernst die Situation war, urteilte Franz Josef Strauß in »Die Erinnerungen« (1989): Im NATO- Hauptquartier reifte damals die teuflische Idee, im Falle einer Blockierung der Transitwege von und nach West-Berlin, »bevor es zum großen Schlag gegen die Sowjetunion komme, eine Atombombe zu werfen, und zwar auf das Gebiet der DDR« (S. 388).
     Die Vorbereitung und Ausführung der Grenzschließung am 13. August 1961 schilderten unter Verwendung von verfügbarem Material und Augenzeugenberichten Hermann Zolling/ Uwe Bahnsen: »Kalter Winter im August. Die Berlin- Krise 1961/63« (1967), Curtis Cate: »Riß durch Berlin. Der 13. August 1961« (1978), Jürgen Petschull: »Die Mauer. August 1961. Zwölf Tage zwischen Krieg und Frieden« (1981), Jürgen Rühle/ Gunter Holzweißig: »13. August 1961. Die Mauer von Berlin« (1986) und Peter Wyden: »Die Mauer war unser Schicksal« (1995). Mit den Auswirkungen von Berlin- Krise und Mauerbau auf die Ost-West- Beziehungen und auf das Ende der »Ära Adenauer« in der BRD beschäftigten sich u. a. Jack M. Schick: »The Berlin Crisis 1958-1962« (1971), Robert Slusser: »The Berlin Crisis of 1961« (1973), Walther Stützle: »Kennedy und Adenauer in der Berlin- Krise 1961-1962« (1973), Heribert Gerlach: »Die Berlin- Politik der Kennedy- Administration. Eine Fallstudie zum außenpolitischen Verhalten der Kennedy- Regierung in der Berlinkrise 1961« (1977) und Honoré M. Catudal: »Kennedy in der Mauer- Krise. Eine Fallstudie zur Entscheidungsfindung in den USA« (1981).
     Nach 1990 ermöglichte der Zugang zu bis dahin verschlossenen DDR- Quellen neue Einblicke in die Vorgeschichte des Mauerbaus.
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So gab Hartmut Mehls in der Broschüre »Im Schatten der Mauer« (1990) Befehle der Einsatzleitung der Berliner SED und Informationsberichte über die Stimmung in der Bevölkerung heraus.

Biographisches

Die autobiographische Literatur (Memoiren, Erlebnisberichte, Zeitzeugenbefragungen u. ä.) gilt in der Fachwelt generell als aufschlussreiche Quelle, sofern man ihr kritische Maßstäbe anlegt. Leider »sprudelt diese Quelle« für die »normalen« fünfziger Jahre nicht in gleicher Stärke wie für die Umbruchzeit nach 1945. Zumeist sind es Politiker, Künstler und Wissenschaftler, die sich an ihre Karrieren und Erlebnisse erinnern.
     Beginnen wir mit den Politikern. Willy Brandt, seit 1948 in der Berliner SPD führend und von 1957 bis 1966 Regierender Bürgermeister von Berlin, legte schon 1960 seine Erinnerungen in »Mein Weg nach Berlin« vor, die er später in »Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960-1975« (1976) und »Erinnerungen« (1989) ergänzte bzw. weiterführte. Auf dem linken Flügel der Berliner SPD stand Harry Ristock, der als »Falken«- Vorsitzender Ende der fünfziger Jahre gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr auftrat und nach dem Mauerbau um einen Neuansatz im Verhältnis zur DDR nachdachte. Über seine Begegnungen, Erfahrungen und Visionen schrieb er in »Neben dem roten Teppich« (1991). Erinnerungen an seine Zeit beim RIAS und an den Beginn seiner Tätigkeit als Senatspressechef gab Egon Bahr in »Zu meiner Zeit« (1998).
     Über die internationale Dimension der Berlin- Frage geben die Memoiren von Staatsmännern und Diplomaten der Vier Mächte Auskunft. An erster Stelle sind zu nennen: Dwight D. Eisenhower: «Wagnis für den Frieden 1956-1961« (1965); Harold Macmillan: »Riding the Storm, 1956-1959« und »Pointing the Way, 1959-1961« (1971/72); Charles de Gaulle: »Memoiren der Hoffnung« (1971);

»Chruschtschow erinnert sich. Die authentischen Memoiren« (1971); Maurice Couve de Murville: »Außenpolitik 1958-1969« (1973) und Andrej Gromyko: »Erinnerungen« (1989). Aus BRD- Sicht sind relevant Konrad Adenauer: »Erinnerungen« (Bd. 3: 1955-1959 und Bd. 4: 1959-1963, 1967 bzw. 1978); Franz Josef Strauß: »Die Erinnerungen« (1989); Wilhelm G. Grewe: »Rückblenden 1976-1951« (1979); Erich Mende: »Die neue Freiheit. Zeuge der Zeit 1945-1961« (1984) und Hans Kroll: »Botschafter in Belgrad, Tokio und Moskau 1953-1962« (1969).
     Des weiteren sind Biographien namhafter Kommunal- und Parteipolitiker zu nennen.
     Von hohem Quellenwert ist die von Willy Brandt und Richard Lowenthal verfasste Biographie »Ernst Reuter. Ein Leben für die Freiheit« (1957). Der US- amerikanische Historiker David E. Barclay legte unter dem Titel »Schaut auf diese Stadt« (2000) eine neue Reuter- Biographie vor. Weitere Lebensbilder verfassten Walter G. Oschilewski/ Arno Scholz: »Franz Neumann. Ein Kämpfer für die Freiheit Berlins« (1954) und Gunter Lange: »Otto Suhr. Im Schatten von Ernst Reuter und Willy Brandt« (1994). Über »Louise Schroeders Schwestern. Berliner Sozialdemokratinnen der Nachkriegszeit« (1996) schrieb Bettina Michalski. Biographien der Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter, Walther Schreiber, Otto Suhr und Willy Brandt sowie des Oberbürgermeisters Friedrich Ebert enthält der von Wolfgang Ribbe herausgegebene Band »Stadtoberhäupter« (Berliner Lebensbilder, Bd. 7, 1992). Kalter Krieg und Spaltung traf auch die Kirchen in Berlin. Daher sind die Autobiographien von Otto Dibelius: »Ein Christ immer im Dienst« (1961) und von Heinrich Grüber: »Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten« (1968) von allgemeiner Bedeutung.
     Die tiefgreifenden Veränderungen, die der »Aufbau des Sozialismus« in Ost-Berlin zur Folge hatten, spiegeln sich in Lebenserinnerungen von Partei- und Staatsfunktionären.
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Genannt seien hier für die Kommunalpolitik Wilhemine Schirmer-Pröscher: »Die Welt vor meinen Augen« (1969), Wilhelm Thiele: »Geschichten zur Geschichte« (1981) und Helmut Müller: »Wendejahre 1949-1989« (1999), für das Justizwesen Rolf Helm: »Anwalt des Volkes« (1978) und für die Hochschul- und Kulturentwicklung Erich Hanke: »Im Strom der Zeit« (1976), Heinz Willmann: »Steine klopft man nicht mit dem Kopf« (1980), Alfred Lemmnitz: »Beginn und Bilanz« (1985), Alexander Abusch »Mit offenem Visier« (1986) und Heinrich Deiters: »Bildung und Leben. Erinnerungen eines deutschen Pädagogen« (1989).
     Ein besonderes Stück Zeitgeschichte sind die Erinnerungen von Heinz Brandt: »Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West« (1967, erw. Ausg. 1985). Nach KZ-Haft von 1934 bis 1945 nahm der Kommunist im Ostberliner SED- Apparat eine Karriere, die seine kritische Haltung zum 17. Juni 1953 beendete. Brandt flüchtete 1958 in die Bundesrepublik, wurde 1961 von der Stasi in die DDR entführt und 1964 dank internationalen Protestes freigekämpft. Ebenso signifikant für den Umgang der SED- Machthaber mit ihren kritischen Genossen sind die dramatischen Schicksale von Wolfgang Harich: »Ahnenpaß. Versuch einer Autobiographie« (1999), Walter Janka: »Spuren eines Lebens« (1991) und Gustav Just: »Zeuge in eigener Sache« (1990). Alle drei wurden wegen antistalinistischer und gesamtdeutscher Plattformen im Jahre 1956, dem Jahr des XX. Parteitages der KPdSU und des Ungarn- Aufstandes, in Schauprozessen zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.
     Das geteilte Berlin zwischen 1949 und 1961 war auch ein offener Kampfplatz zwischen gegensätzlichen ideologisch- kulturpolitischen Haltungen, was die Lebenserinnerungen vieler Künstler, Literaten und Schauspieler reflektieren. Für die östliche Sicht seien der Schauspieler Erwin Geschonneck:
»Meine unruhigen Jahre« (1984), der Theatermann Max Burghardt: »Ich war nicht nur Schauspieler« (1983) und der DEFA- Filmregisseur Martin Hellberg: »Mit scharfer Optik« (1982) genannt. Das Dilemma vieler Künstler, die in der stalinistisch beherrschten DDR vergebens auf die Erfüllung großer humanistischer Ideale hofften, beschreibt Traude Hellberg, die 1963 in die BRD übergesiedelte Ehefrau Martin Hellbergs, in ihren Memoiren »Kunst und Künstler in der frühen DDR« (1993).
     Über das Kulturleben in West-Berlin findet man Authentisches und Amüsantes in den Erinnerungen der Schauspieler Bernhard Minetti: »Aus den Erinnerungen eines Schauspielers« (1985) und Berta Drews: »Wohin des Wegs« (1986).

Zeitgenössische Romane

Das historische Geschehen in den fünfziger Jahren war so bewegt, dass es seine Spiegelung auch im Werk vieler Schriftsteller gefunden hat. Hier kann nur eine Auswahl geboten werden. Manche Autoren haben den Versuch eines großen (Familien-) Zeitromans gewagt, der schon im Wendejahr 1945 einsetzt und starke autobiographische Züge trägt. Die Einbindung des zeitgeschichtlichen Geschehens in die Familienschilderungen weist große Unterschiede aus. Während Dieter Meichsner in »Die Studenten von Berlin« (1954), Ingeborg Wendt in »Notopfer Berlin« (1956) oder Erich Kern in »Stadt ohne Gnade« (1959) ihre Storys in die Form des Tatsachenromans kleideten, entschied sich Horst Bosetzky in »Capri und Kartoffelpuffer« (1996) und »Champagner und Kartoffelchips« (1998) für eine individualisierte Sicht auf seine Gymnasial- und Studentenzeit im West-Berlin der fünfziger Jahre.
     Die bis zum 13. August 1961 offene Grenze zwischen Ost- und West-Berlin stellte eine Singularität im Kalten Krieg dar, die die Literaten geradezu herausforderte.

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Die »Normalität« des Berliner Alltags in diesen Jahren bestand darin, dass man im einen Teil der Stadt wohnte und im anderen arbeitete, dass man verschiedene Währungen im Portemonnaie und unterschiedliche Lebensvorstellungen im Kopf hatte, dass man für 20 Pfennige mit der S-Bahn täglich zwischen Kapitalismus und Sozialismus pendelte und dass man auf gleichem Wege »illegal per Republikflucht« von einem Deutschland ins andere übersiedeln konnte.
     Natürlich brachte diese im Grunde anomale Lage auch Situationen und Verhaltensweisen des Schmarotzertums hervor. Also insgesamt ein Stoff, aus dem man echte Schicksale und spannende Thriller gestalten konnte.
     So siedelte Len Deighton mit »Finale in Berlin« (1988) die knisternde Story eines britischen Geheimagenten hier an. Eine eindrückliche Beschreibung des ideologischen Gegensatzes gelang Christoph Hein in »Von allem Anfang an« (1997). Ein Pfarrersohn besucht West-Berlin während des Ungarn- Aufstandes 1956 und erfährt die Nachrichten über das dramatische Geschehen. Nach seiner Rückkehr in die DDR muss er erkennen, wie anders die Lehrer seiner Schule über die Ereignisse in Budapest reden. Die Verstrickung von DDR- Bürgern in die Machenschaften der »Stasi« erzählte Uwe Johnson in »Mutmaßungen über Jakob« (1966).
     Die großen Ereignisse der fünfziger Jahre ließ Curt Riess in »Alle Straßen führen nach Berlin« (1968) noch einmal vor dem Auge des Lesers abrollen. Hans Scholz, Verfasser des berühmten Berlin- Romans »Am grünen Strand der Spree« (1955), stellte in Spaziergängen entlang der Grenzen von Groß-Berlin vor dem Mauerbau Betrachtungen von zeitgeschichtlichem Reiz in » >Berlin, jetzt freue Dich!< « (1960) an. Horst Kammrad berichtete in der autobiographischen Erzählung »Düppeler Geschichten 1945-1960« (1990) über das Schicksal kleiner Leute am Rande der Stadt.
In der zeitgenössischen DDR- Literatur wurde vor allem die verderbliche »Frontstadt«- Politik mit Subversion, Warenschmuggel und Wechselstuben aufs Korn genommen, so von Wolfgang Schreyer in »Großgarage Südwest« (1952) und »Die Banknote« (1955), von Erich Loest in »Die Westmark fällt weiter« (1955), von Inge von Wangenheim in »Am Morgen ist der Tag ein Kind« (1957) und von Hans von Oettingen in »Nachts kamen die Ratten« (1962). Die spektakuläre Geldumtauschaktion in der DDR vom 13. Oktober 1957 thematisierte Elfriede Brüning in ihrem Roman »Sonntag, der Dreizehnte« (1960). Der Aufbau der Ostberliner Stalinallee (1950-1956) bildete den Hintergrund für den Roman »Die Anna tanzt« von Herbert Bruna (1955). Dem Berliner Arbeiter Hans Garbe, der durch selbstlosen Einsatz als »Mann im Feuerofen« im Jahre 1950 die Planerfüllung von Siemens- Plania (später VEB Elektrokohle) in Lichtenberg sicherte, setzte Eduard Claudius in »Menschen an unserer Seite« (1952) ein Denkmal. Vom Ostberliner Alltag wussten Gerhard Holtz-Baumert in »Die pucklige Verwandtschaft« (1985), Werner Lenz in »Die Millionen- Brücke« (1986) und John Stave in »Stube und Küche« (1987) Kurzweiliges zu berichten.
     Die »Bewältigung« des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 in der Literatur der DDR geschah im wesentlichen in den von der SED vorgegebenen Bildern der Wirklichkeit, wo es die Hetzer und Verhetzten, die imperialistischen Agenten und die mit Arbeit und Lohn Unzufriedenen gab. Nur wenige Autoren stellten den 17. Juni in den Mittelpunkt. Anna Seghers ließ ihn in ihrem Roman »Das Vertrauen« (1968) zu einer »Bewährung des neuen Staates und seiner Träger« aufsteigen. Auch Stefan Heym folgte in der Erstfassung seines Romans »Der Tag X« - wie wir aus den erwähnten Erinnerungen von Heinz Brandt wissen - der parteioffiziellen These vom »faschistischen Putschversuch«.
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Trotzdem durfte das Buch des inzwischen in den Verruf eines »Systemkritikers« gekommenen Schriftstellers in der DDR nicht erscheinen. Heym ließ eine umgearbeitete Fassung unter dem Titel »5 Tage im Juni« 1974 in München erscheinen, was ihm neuerliche Repressionen in der DDR einbrachte.
     Auch der Mauerbau von 1961 bot genügend Stoff für eine romanhafte Gestaltung. In der DDR schrieben dazu J. C. Schwarz »Das gespaltene Herz« (1962), Dietmar H. Angler »Der Kommandant« (1962) und Fritz Selbmann »Die Söhne der Wölfe« (1966). Aus westlicher Feder stammen Erzählungen und Romane wie »Alle Mauern werden fallen« von Helen Battle (1970), »Stern über der Mauer« von Hans-Georg Noack (1964), »Lieb Vaterland, magst ruhig sein!« von Johannes Mario Simmel (1965) oder »Checkpoint« von Charles W. Thayer (1965). »Lilli Berlin« (1988) nannte Ulf Miehe seinen fesselnd erzählten Roman über ein Stück deutsch- deutscher Wirklichkeit. Ein Lehrstück der deutschen Teilung bot Christa Wolf in ihrer Erzählung »Der geteilte Himmel« (1963). Es ist die Geschichte zweier Liebenden, die der »geteilte Himmel« über Deutschland im Sommer 1961 vor eine schwere Entscheidung stellt: in den Westen gehen oder im Osten bleiben. Grotesk hingegen wirkt der utopische Roman von O. W. Rot: »Berlin - Am 13. August 1996« (1986), der einen fiktiven Einmarsch von DDR- Soldaten in West-Berlin beschreibt.
     Am Ende dieses kommentierten Literaturberichtes wird der geneigte Leser gewiss den einen oder anderen Titel vermissen. Drum sei noch einmal klargestellt: Hier konnte nur die wichtigste selbständige Literatur verzeichnet werden, sozusagen als »Einstiegshilfe« in die Periode.
Spezielle Arbeiten zu Einzelthemen, in Sammelbänden und in Periodika konnten hier nicht aufgezählt werden. Der Griff zu der von der Historischen Kommission zu Berlin herausgegebenen »Berlin- Bibliographie« (1965 ff.) bleibt also unvermeidlich. Auch sei vermerkt, dass im Bericht über die Zeit 1945-1948 (vgl. BM 12/2000) schon Publikationen genannt wurden, die in die fünfziger Jahre hineinreichen.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2001
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