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Hilmar Bärthel
Gedrängel im Untergrund

Der unterirdische Bauraum Berlins

In unserer Stadt lebten im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts rund 200 000 Menschen. Bis 1847 hatte sich diese Zahl mehr als verdoppelt, bis 1871 mehr als vervierfacht. Um 1875 übersprang die Einwohnerzahl die Grenze zur ersten Million, bereits um 1905 die zur zweiten. Mit den Eingemeindungen zur Bildung von Groß-Berlin 1920 erfolgte ein Sprung auf 3,8 Millionen. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges waren es 4,4 Millionen, die in Berlin wohnten und arbeiteten.
     Die Zusammenballung so vieler Menschen auf engem Raum erfordert die öffentliche Vorsorge. Wohnen, Essen und Trinken, Waschen und Hygiene, Licht, Wärme und nicht zuletzt Information und Kommunikation sind zu gewährleisten. Dafür müssen entsprechende Systeme vorhanden sein, die sich überwiegend im unterirdischen Raum der Stadt befinden. Dabei ist dieser Raum auf den unter den öffentlichen Straßen oder Plätzen begrenzt, denn hinter jedem Zaun oder Gebäude links und rechts der Straßen beginnt privates Eigentum.
     Die Ver- und Entsorgungssysteme sind zu

unterschiedlichen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen entstanden. Heute sind sie in Anzahl und Dimensionen so gewachsen, dass sich bei notwendigen Um- oder Neuverlegungen oft kaum noch Platz findet. Betrachten wir ihre historische Entwicklung in aller Kürze.

Gasversorgung

Die Engländer hatten es leicht, als sie 1825 begannen, die ersten Gasrohre in den Berliner Untergrund einzubringen. Sie fanden jungfräulichen Boden vor und konnten sich ungehindert ausbreiten. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Urkunde über die Grundsteinlegung des ersten Gaswerkes in der Gitschiner Straße. An die offizielle große Urkunde vom 30. August 1825, die 1894 bei Bauarbeiten gefunden wurde, war oben eine kleiner Zettel angehängt, in dem der Manager Magnus Klein der Nachwelt mitteilt: (Ätsch!) »Ich habe bereits einen Tag eher begonnen, das erste Hauptrohr in die Straße einzulegen.«
     Schon 1846/47 wurde es enger im Untergrund. Da hatte die Stadt, um das englische Monopol zu brechen, zwei eigene Gaswerke errichtet und ihre Leitungen zum Teil in den gleichen Straßen neben die englischen gelegt. Die Engländer, die nicht damit rechneten, dass das städtischen System funktionieren würde, ließen ihre Laternen aus Protest dunkel, aber die städtischen leuchteten ihnen hell ins Gesicht.

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Die Doppel- oder Dreifachberohrung durch Gasleitungen hat z. T. bis in unsere Zeit bestanden und immer wieder Probleme bei der Erkennung oder Zuordnung vor allem stillgelegter Leitungen bereitet.

Wasserversorgung

1856 kamen die ebenfalls von einer englischen Firma verlegten Rohre für die erste Wasserleitung dazu. Sie mussten wegen der Frostgefährdung rund einen halben Meter tiefer gelegt werden, als die Gasleitungen, die deshalb oft umverlegt wurden. Die größer dimensionierten Hauptstränge wurden gleich außerhalb der Gehwege unter das Straßenpflaster eingeordnet, damit war bereits ein Teil des Fahrbahnraumes blockiert.
     Wasserleitungen wurden - wie die Gasleitungen auch - in jeder einzelnen Straße erforderlich, auch in den allerengsten. Außerdem waren noch Entnahmestellen für öffentliche Zwecke einzuordnen, Hydranten für Feuerlöschwasser, Straßenbrunnen usw. Beim Bau der Kanalisation mussten viele Leitungen verlegt und neu in den Straßenraum eingeordnet werden.

Rohrpost

Ab 1865 gab es einen weiteren Nutzer des unterirdischen Raumes: die Rohrpost. Sie hat nicht allzu viel gestört. Die relativ dünnen Rohre hatten nur 6,5 cm Durchmesser, wurden


Titelseite der Koordinierungsanordnung von 1880

überwiegend einzeln verlegt und fanden in 1,25 m Tiefe noch überall Platz. Auch wuchs das Netz nur sehr langsam und war weitmaschig. Die ersten beiden der druckluftbetriebenen Fahrstrecken waren nur knapp 5 km lang und dienten ausschließlich dem postinternen Verkehr zwischen dem Haupttelegrafenamt in der Oranienburger Straße, der Börse und wenigen naheliegenden Stationen.

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An der Börsenbrücke (heutige Friedrichsbrücke) waren die Rohre am Brückengeländer befestigt, man konnte es hören, wenn die Kapseln durchsausten.
     Ab 1876 wurde die Stadt- Rohrpost mit 15 Stationen und einer Strecke von 26 km dem öffentlichen Verkehr übergeben. Bis etwa 1900 gab es dann bereits um die 70 Rohrpostämter und über 100 km Fahrstrecke, am Ende dieser Entwicklung im Zweiten Weltkrieg waren es fast 250 km. Die Rohrpost ging erst in den sechziger Jahren ein, sie hatte sich infolge neuer Informationssysteme erübrigt.
     Die Pferdebahnen ab 1865 und die elektrischen Straßenbahnen ab 1881 haben den Untergrund nur geringfügig beeinflusst, erst später erhielten einige Strecken eine besondere Gleisentwässerung. Aber da war bereits die Kanalisation im Wesentlichen vorhanden.

Kanalisation

Der 1873 begonnene Bau der Berliner Kanalisation hat eine lange Vorgeschichte. Noch in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts flossen die Abwässer in offenen, schlecht ausgepflasterten Rinnsteinen auf beiden Straßenseiten ab, wie das auch auf dem

1831 enstandenen Gemälde von Eduard Gaertner (siehe Titelbild) zu sehen ist. Und von diesen gab es immerhin 435 km beiderseits aller damaligen Straßen.
     Die Errichtung eines Wasserwerks 1856 war nicht in erster Linie dem Bedürfnis nach gutem Trinkwasser geschuldet. Durch ausreichende Spülung der Rinnsteine sollten vielmehr die Ekel erregenden Zustände beseitigt werden. Die Erbauer mussten sich u. a. verpflichten, Wasser für die Spülung der Rinnsteine kostenlos bereitzustellen und außerdem für die später notwendig werdende Kanalisation bestimmte Anteile ihres Gewinns in einen »Kloakenfonds« einzuzahlen. Aber das alles erwies sich in der Praxis als wenig wirksam.
     Der hohe Wasserverbrauch und die alsbald folgende Einrichtung von Spülklosetts verschärften die Situation noch. Bereits 1871 gab es 16 000 »Water- Closetts«, zehn Jahre danach hatte sich ihre Zahl verfünffacht. Der Grüne Graben, der Königsgraben, die Panke, der Landwehrkanal und die Spree wurden durch die direkt abgeleiteten Abwässer verseucht.
     1860 wurde eine offizielle Delegation in verschiedene europäische Städte geschickt, die mit reichen Erfahrungen zurückkam.
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Ihr Leiter, der Baurat Friedrich Eduard Salomon Wiebe (1804-1892), legte noch im gleichen Jahr einen baureifen Entwurf vor, der die Vollkanalisation der bebauten Stadt vorsah, aber die Abwässer nur mechanisch gereinigt westlich Charlottenburgs wieder der Spree zuführen sollte.
     Nach fast neun Jahre währenden Diskussionen, in die vor allem auch der Mediziner Rudolf Virchow (1821-1902) und Baurat James Hobrecht (1825-1903) eingriffen, wurde der Auftrag erteilt, Hobrechts Entwurf für zwölf voneinander unabhängige Radialsysteme baureif vorzubereiten, der viele praktische Vorteile vereinte.
     In den natürlichen Senken wurden Hauptkanäle geschaffen, an ihren Tiefpunkten Pumpwerke angelegt, die die Abwässer auf entfernte Rieselfelder drückten, um dort biologisch und für die Landwirtschaft nutzbar gereinigt zu werden. Damit wurden die mögliche flachste Lage und die kürzesten Längen ausgenutzt, die einzelnen Systeme konnten unabhängig voneinander gebaut und betrieben werden.
     Eine ungeheure Vorarbeit begann. Die ganze Stadt wurde lage- und höhenmäßig genau vermessen, die Detailprojekte für jede einzelne Straße und jeden Platz wurden zentimetergenau aufgestellt, Durchmesser, Lage und Gefälle jeder Einzelstrecke ermittelt, die anfallenden Regen- und Brauchwassermengen errechnet sowie die notwendige Pumpenleistung und Maschinenausstattung der Pumpwerke festgelegt.
Grundsätzlich erhielt jede Straße eine Berohrung auf beiden Seiten, abgestuft auf wachsende Durchmesser von 21 bis 51 cm. Bei Überschreitung der Durchlassmengen erfolgte auf einer der Straßenseiten der Übergang auf gemauerte Kanäle im Eiprofil von der Mindesthöhe 70 cm, wachsend in Abstufungen von 10 cm bis zu 2 m, die aber nur in relativ wenigen Strecken nahe der Pumpwerke erreicht wurden.
     Noch größere Abmessungen für gemauerte Kanäle sind nur bei Notauslässen angewendet worden, die bei starken Regenfällen das verdünnte Abwasser direkt den Wasserläufen zuführten. Sie erhielten Maulprofile in gedrückter Form von 4,2 m Breite und 2,2 m Höhe.
     Ab 1873 setzte ein Bauprozess von außerordentlichem Umfang ein. Begonnen wurde mit dem Bau des Radialsystems III. Unter strengster Regie der städtischen Baubehörden wurden nur beste Materialien und bewährte Fachleute zugelassen, jedes Detail war durch technische und teilweise sogar Arbeitszeitnormen vorgegeben.
     Eine Rohrlegerkolonne musste z. B. bei kleinen Rohren 24 bis 30 m, bei mittleren 12 bis 18 m in zehn Stunden Arbeitszeit schaffen. Eine Maurerkolonne hatte je nach Größe des Kanals um die 3 m am Tag vorzuweisen. Jedes der zwölf Radialsysteme hatte seine Anfangshalterungen am damaligen Stadtrand und endete in einem Pumpwerk unmittelbar an der Spree oder einem schiffbaren Kanal (außer Pumpwerk XI). Hier die Standorte:
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Nr.BezirkPumpwerkFörderung nachBetriebs-
beginn
IKreuzbergReichenberger Straße 66RF Osdorf01. 07. 1879
IIKreuzbergGitschiner Straße 7-11RF Großbeeren01. 07. 1879
IIIKreuzbergSchöneberger Straße 21RF Sputendorf01. 01. 1876
IIIaMitteStechbahn (Schloß)PW IIIHerbst 1880
IVMitteScharnhorststraße 9-10RF Buch01. 07. 1879
VFriedrichshainHolzmarktstraße 31-33RF Malchow01. 04. 1881
VIKreuzbergUrbanstraße 177RF Osdorf01. 10. 1885
VIITiergartenGenthiner Straße 4RF Schenkendorf01. 04. 1885
VIIITiergartenAlt-Moabit 67-70RF Blankenf., Buch01. 09. 1890
IXWeddingSeestraße/ Sylter StraßeRF Blankenf., Buch10. 06. 1893
XWeddingBellermannstraße 7RF Buch10. 06. 1890
XIPrenzlauer BergCarmen-Sylva- Straße
jetzt Erich-Weinert- Str. 131
RF Buch10. 06. 1890*
XIIFriedrichshainRudolfstraße 6RF Falkenberg,
Hellersdorf
03. 07. 1893
(*teilweise Inbetriebnahme, die Endgültige fand erst nach Fertigstellung des 1890 begonnenen, noch Jahre im Bau befindlichen Radialsystems XI am 1. Juli 1909 statt; )
Abkürzungen: RF Rieselfeld, PW Pumpwerk
In den Berichten der Wasserversorgung ist für die Jahre von 1874 bis 1877 ausgewiesen, dass wegen des Baus der Kanalisation an den Leitungen 209 Rohrschäden entstanden und insgesamt 313 Verlegungen notwendig wurden.
     Ende 1914 hatte das Netz eine Länge von 923,4 km Rohrleitungen und 200,4 km gemauerten Kanälen, war also insgesamt 1 124,1 km lang und wies ca. 18 000
Einstiegsschächte sowie fast 23 000 Gullys zur Straßenentwässerung auf. Über die 32 000 Grundstücksanschlüsse wurden die Abwässer von rund 2,2 Millionen Einwohnern entsorgt. Alle im Einzugsgebiet liegenden Bereiche der Nachbarorte Charlottenburg, Schöneberg, Lichtenberg, Boxhagen- Rummelsburg und Stralau sowie eine Reihe weiterer Vororte waren angeschlossen.
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Es sind in diesen rund 40 Jahren pro Jahr 23,5 km Rohrleitungen und 5,0 km gemauerte Kanäle, zusammen 28,5 km Kanalisationsnetz gebaut worden. Dass diese jährliche »Normzahl« nach Fertigstellung der Radialsysteme auch zwischen 1903 und 1914 nicht nach unten abwich, erklärt sich aus den wegen Neubebauung notwendig gewordenen Erweiterungen.
     Die Kanalisation verschlang den für damalige Verhältnisse riesigen Betrag von 189 Millionen Mark. Dass dieses für Jahrhunderte gedachte
wichtigsten deutschen Großstädten wegen der Betriebssicherheit in den unterirdischen Raum verlegt wurden. Das betraf zwar zunächst nur einige Ausfallstraßen, z.  B. die über Charlottenburg/ Spandau nach Magdeburg, und beanspruchte auch nur einen geringen Raumanteil innerhalb des Straßenprofils, aber der musste vorhanden und eingeplant sein. Deshalb sah sich Stadtbaurat Rospatt (1831-1901) 1880 veranlasst, eine Art Koordinierungs- Verordnung zu erlassen, in der es u. a. heißt:
Bauwerk geschützt werden musste, versteht sich von selbst. Und so übte die städtischen Bauverwaltung eine eifersüchtige Diktatur gegen alle und alles aus, was ihr großes Werk hätte verändern oder gar gefährden können.

Telegrafie, Telefon

Ab 1876/77 gab es zwei weitere Anwärter auf den unterirdischen Bauraum: die Telegrafie und danach das Telefonnetz. Beide funktionierten zunächst über Einzelleitungen, die auf Masten verliefen. Aber schon 1876 setzte Generalpostmeister Heinrich von Stephan (1831-1897) durch, dass die Telegrafen- Fernleitungen nach den


Beseitigung eines vorhandenen Sammelkanals, der dem Bau der U-Bahn in Schöneberg 1908 weichen mußte
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»An die Herren Vertreter der Kanalisation - Städtischen Gasanstalt - Englischen Gasanstalt - Städtischen Wasserwerke.
     1. Bezüglich Vertheilung des Raumes unter den Bürgersteigen unter die verschiedenen Verwaltungen bei Neuanlagen wird zunächst konstatirt:
     a. Die Telegraphen- Kabel und Röhren dürfen im Allgemeinen nicht über 1½bis höchstens 2 m von der Bauflucht entfernt sein.
     b. Gasröhren sollen mindestens 1,5 bis höchstens 3 m,
     c. Wasserröhren dagegen mindestens 5 m von der Bauflucht entfernt bleiben.
     d. Die Lage der Kanalisationsröhren bestimmt sich im Allgemeinen durch den nächsten Weg vom Gully zur Leitung, liegen daher entweder auf dem Bürgersteige oder dem Damme in der Nähe des Rinnsteines.

Beispiel für die Durchschneidung der kanalisierten Straßen durch U-Bahn- Baukörper
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Im Allgemeinen ist es demnach mit Rücksicht auf die übrigen Leitungen bei normalem Bürgersteig wünschenswerth, für die Canalisationsröhren einen Raum von 3 m bis 4,70 m von der Bauflucht frei zuhalten, der Raum von 4,70 bis 5,30 von der Bauflucht ist in der Regel für die Wasserwerke zu reservieren.
     1882 wurde eine Verordnung erlassen, die die Mindestbreite neu anzulegender Straßen auf 11 m festlegte. Die oberirdische

Normprofile für die Belegung des Bauraums von 1929
Verlegung von Einzeldrähten auf Masten oder Hausdächern dominierte bei Telegrafen- und Telefonleitungen noch bis 1897, dann wurde nur noch erdverlegt. Aber bereits ab Eröffnung der ersten Vermittlungsstelle 1881 begann man, versuchsweise auch Kabel in gusseiserne Leitungen einzuziehen, bis 1888 waren das einschließlich der Leitungen nach neun Vororten bereits 37,6 km. Von den 32 mm starken Kabeln passten 9 bis 13 in Rohre von 200 mm Durchmesser, in 400 mm starke Rohre 41 bis 52. An Abzweigpunkten wurden quadratische »Kabelbrunnen« angelegt. Ab 1890 stellte die neugegründete Firma Bergmann & Co Isolier- und Leitungsrohre für Kabel in großen Mengen her. Aber mit zunehmender Belegung der Rohre backten die Kabel in den Röhren fest, es mussten neue Wege gesucht werden. Hier ging die Telefonverwaltung voran, die sich inzwischen völlig von der Telegrafenverwaltung gelöst hatte. Nach verschiedenen Versuchen zur unterirdischen Verlegung von Telefonkabeln ab 1893 begann ziemlich genau um 1900 die ausschließliche Anwendung von Betonformsteinen mit ein, zwei oder in der Regel vier Zügen vom Durchmesser 10 cm, genormte Größe der Steine (bei 4 Zügen) 50 cm Breite, 16 cm Höhe, 100 cm Länge. Die Steine konnten nach Bedarf zu Gruppen von zwei oder mehr Steinen zusammengesetzt und je nach örtlichen Verhältnissen übereinander oder auch nebeneinander gestapelt werden, eine Ideallösung, die bis in unsere Zeit verwendet wurde.

Elektroenergie

Um 1884 waren es noch genau festgelegte Straßenzüge der Innenstadt, in denen die ersten Kabel für Gleichstrom verlegt werden durften (800 m im Umkreis des Schlosses), aber diese Grenze war schon nach kurzer Zeit hinfällig.

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Trotzdem war das Problem nicht vordergründig, denn auch die ersten Hochspannungsströme (ab 6 000 V) ab 1897 wurden zunächst über Freileitungen auf Masten übertragen.
     Nach dem Ersten Weltkrieg, war die gesamte Innenstadt von einem sehr dichten Netz unterirdisch verlegter 6 000-V- Kabel durchzogen, der höchsten Spannung, für die damals Kabel hergestellt werden konnten. Diese Kabel häuften sich vor den Verteilungspunkten so, dass kein Platz mehr vorhanden war, neue dazu zu legen. Außerdem klebten sie zusammen und verursachten durch ihre dichte Lage elektrische Störungen. Die Bewag war gezwungen, ab 1924/25 nach amerikanischem Vorbild auf die inzwischen entwickelten 30 000-V- Kabel als Hauptverteilungsspannung überzugehen, dafür neue Abspannwerke zu errichten und das so genannte Gruppenschaltsystem einzuführen. Wieder wurde auch der unterirdische Bauraum durchwühlt.

Untergrundbahnen

Der große »Angriff« auf die Kanalisationssysteme kam Anfang des 20. Jahrhunderts von den Untergrundbahnen. Noch bei Gründung der elektrischen Stadtbahn hatte die Tiefbauverwaltung deren Verlegung in den Untergrund verhindern können, die erste Strecke wurde deshalb ab Warschauer Brücke zum Nollendorfplatz auf Stützen als Hochbahn errichtet.

Aber bei ihrer Weiterführung nach dem vornehmen Charlottenburg weigerten sich die dortigen Stadtväter, ihre Straßen durch hohe Gerüste verunzieren zu lassen und verlangten kategorisch den Bau als Unterpflasterbahn. Die ab 1901 bis 1906 gebaute Strecke bis zum heutigen Bahnhof Ernst-Reuter- Platz konnte nur gebaut werden, weil nahezu auf der gesamten drei km langen Strecke auf beiden Seiten die Kanalisation abgeschnitten und über Düker (Unterführungsanlagen) und weitere Sonderbauten grundsätzlich neu gestaltet wurde. An sechs Stellen mussten insgesamt 20 Dükerrohre für Schmutz- und Regenwasser mit hohem Zeit- und Kostenaufwand unter der U-Bahn durchgefädelt werden.
     Unmittelbar danach erfolgte der Weiterbau der Strecke bis zum heutigen Bahnhof Richard-Wagner- Platz, dadurch dauerte die Umgestaltung der Kanalisation noch bis in das Jahr 1906 hinein. Und sie war damit noch nicht abgeschlossen, denn die Hauptstrecke erfuhr schon bis 1908 eine Verlängerung bis zum 2,3 km entfernten Reichskanzlerplatz (heute Theodor-Heuss- Platz). Das Problem war immer dasselbe: Die sorgsam auf die Gefälleverhältnisse im ursprünglichen Gelände abgestimmten, für die Dauer errichteten Kanäle wurden von den großen Baukörpern der U-Bahn oder ihren noch größeren U-Bahnhöfen durchschnitten und mussten durch oft sehr lange Düker oder durch Umlenken auf andere Abflussmöglichkeiten auf der ganzen Baulänge der Bahn umbzw. neu gebaut werden.
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Die nächste große Welle der Umbauten folgte ab 1908 für den Neubau der Schöneberger U- Bahnstrecke vom Nollendorfplatz zum Innsbrucker Platz. Dort handelte es sich vor allem um Parallelverschiebungen großer Kanäle in der Motzstraße, am Viktoria-Luise- Platz, in der Münchener Straße und am Bayrischen Platz. Besonders große und aufwändig gemauerte Hauptkanäle mussten verlegt und an vier Stellen Düker bzw. Doppeldüker eingefügt werden. Die Bauarbeiten waren wegen der schlechten Bodenverhältnisse in acht bis zehn Meter Tiefe besonders schwierig und dauerten zwei Jahre.
Eröffnungsjahre der U-Bahnstrecken 19021935
     Ebenfalls ab 1908 erfolgte die Verlängerung der U-Bahn in das Stadtinnere zwischen Leipziger Platz und Spittelmarkt über den Bahnhof Friedrichstadt (heute Stadtmitte). Hier wurde die Untertunnelung der Leipziger Straße nicht gestattet und der Bahnhof Potsdamer Platz musste durch einen nördlicher gelegenen Neubau ersetzt werden.
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Alle folgenden U-Bahn- Bauten erforderten Umbauten an den vorhandenen Kanälen, und nicht nur das. Im Prinzip wurde mit jedem Neubau der ganze unterirdische Raum in der Straße freigeräumt, dann wurden in die noch verbliebenen Resträume die notwendigen weiteren Leitungen neu eingepasst. Manchmal übereinander, wie in der schmalen Friedrichstraße, bei tiefer liegenden U-Bahn- Tunneln und kleineren Leitungen teilweise auch in oder über der Tunneldecke.
     Um 1910 war das U-Bahn- Netz 16,9 km lang, bis 1913 erreichte es 37,8 km (Abschluss der ersten Ausbauphase), nach der zweiten Ausbauphase bis 1930 hatte es eine Länge von 80,2 km, 1985 waren es 135,2 km. Und es gab kaum eine Strecke in der Innenstadt, auf der diese in die Erde versenkten großen Tunnelbahnen nicht die vorhandene unterirdische Substanz berührt oder stark verändert hätten.
     Außerdem wurde 1934/35 zwischen Potsdamer Platz und Friedrichstraße der große Nord-Süd- S-Bahn- Tunnel gebaut, der zwar nur etwa einen Kilometer lang war, aber bezüglich des Umbaus an der Kanalisation mitten im Stadtzentrum ganz besondere Schwierigkeiten auslöste.
     Schon im Jahre 1929 schuf Oberbürgermeister Gustav Böß (1873-1946) deshalb eine Grundsatzlösung für die Nutzung des unterirdischen Raumes, indem er für zehn häufig vorkommende Straßenprofile Raumverteilungspläne als Normvorgabe aufstellen ließ.
Genutzt hat das nur teilweise, weil bei jedem Bauvorhaben andere Bedingungen vorhanden waren und jedes Projekt auf eine Individuallösung hinauslief.

Fernwärme

Das jüngste aller stadttechnischen Systeme ist das für die Wärme- oder Fernwärmeversorgung. Die ersten Fernwärmeleitungen sind zwar schon um 1898 für die heutige TU und 1912 für das Rathaus in Charlottenburg entstanden, ebenso um 1906 für die Heilstätten in Buch, aber das waren Insellösungen, die ohne Störung anderer Anlagen eingebaut werden konnten. Das gilt auch für die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geschaffenen kleinen Stadtheiznetze in Steglitz und Charlottenburg. Die erste größere Fernversorgung mit Heizdampf wurde 1935 für das Olympiastadion vom Kraftwerk West aus angelegt, aber auch da gab es keine Komplikationen. Die U-Bahn dorthin entstand im gleichen Zeitraum in abgestimmter Planung.
     Das eigentliche Zeitalter der Versorgung mit Fernwärme begann um 1952/53 nahezu gleichzeitig und unabhängig voneinander im Osten und Westen der Stadt. Da entstanden im Osten die großen Wohnkomplexe Stalinallee/ Weberwiese, danach das neue Stadtzentrum, die vom neu gebauten Heizkraftwerk Friedrichshain versorgt wurden, danach ging das HKW Mitte in Betrieb.

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Ab 1972 versorgte das inzwischen errichtete HKW Lichtenberg Industriegebiete in der Herzbergstraße und Neubaugebiete am Weißenseer Weg und in Marzahn, später auch solche in Hohenschönhausen und Hellersdorf. Ab 1979 wurde das Kraftwerk Klingenberg zum HKW umgebaut und übernahm die Versorgung der Wohnungsbauten im Südosten der Stadt.
     In West-Berlin entstanden ab 1952 das Hansaviertel, ab 1956 die Erweiterung der Siemensstadt, ab 1960 das Wohngebiet Falkenhagener Feld, ab 1962 die Gropiusstadt und das Märkische Viertel, ab 1968 die Thermometersiedlung. Die Bewag baute dafür unter anderen ihre Fernwärmenetze im Umfeld der HKW Charlottenburg und Moabit aus, das Märkische Viertel erhielt ein eigenes HKW. Im Norden wurde das HKW Reuter in ein Verbundnetz Nord einbezogen, im Süden ein neues HKW in Lichterfelde 1972 in Betrieb genommen und unter Einbeziehung des Netzes von Steglitz ein Verbundnetz Süd geschaffen. Verlegt wurden insgesamt 529 km an Haupt-, Transport- und Verteilungsleitungen im Ostteil und 427 km im Westteil der Stadt, davon im Osten rund 60 km aus Kostengründen oberirdisch. Aus technischen Gründen werden die Netze, über die rund 470 000 Wohnungen versorgt werden, bis heute getrennt betrieben.
Da es sich in jedem Falle um Neuplanungen für abgegrenzte Territorien handelte, ergaben sich kaum größere Komplikationen mit der vorhandenen Substanz, obwohl die Rohre wegen der erforderlichen Wärmeisolierungen teilweise erhebliche Durchmesser haben.

Koordinierungsmöglichkeiten

Die eindeutig beste Form der planerischen Beeinflussung des unterirdischen Bauraumes wurde zu Zeiten der DDR gefunden und zum Wohle der Stadt praktiziert. Dort wurde auf Betreiben des Ingenieurverbandes, der Kammer der Technik, wie in den anderen Bezirksstädten auch, um 1975 ein Büro für Tiefbauplanung und -koordinierung geschaffen. In wenigen Jahren erarbeitete es ein aktuelles Kartenwerk im Projektierungsmaßstab 1:500, in das grau alle oberirdischen baulichen Merkmale und schwarz alle vorhandenen unterirdischen Leitungen und Hohlräume eingetragen waren. So konnte jederzeit entschieden werden, wo neue unterirdische Leitungen oder sonstige Anlagen noch eingeordnet werden können oder auch nicht.
     Außerdem hatte dieses technische Büro die Vollmacht, die einzelnen Verwaltungen zu zwingen, koordiniert zu bauen.

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Als 1985/86 für die Versorgung der Neubauten in der Friedrichstraße eine aufwändige Wasserleitung DN 800 über 2,9 km herangeführt werden musste, für die mehrere Durchörterungen von Hauptstraßen erforderlich wurden, konnte die Energieversorgung dazu gezwungen werden, ihre erst später vorgesehene ähnlich große Hauptgasleitung gleichzeitig und in derselben Trasse zu verlegen, wodurch sich die Kosten für beide Partner nahezu halbierten.
     Die technisch und wirtschaftlich effektive Arbeit und deren Grundlagen mussten jedoch mit der Wiedervereinigung Berlins hinfällig werden. Für den Westteil der Stadt konnte es auf Grund der Wirtschaftsstruktur mit Tausenden Privatfirmen weder ein ähnliches Kartenwerk noch eine harte dirigistische Einflussnahme geben. Das sorgsam aktuell gehaltene Kartenwerk für den Ostteil war deshalb schon im ersten Jahr nach der Wiedervereinigung wegen der vielen notwendigen Tiefbauarbeiten unaktuell und wertlos geworden. Und so bleibt nichts weiter übrig, als in komplizierten Fällen das neu zu bebauende Territorium genau nach den Plänen der Versorgungsbetriebe zu analysieren und im Zweifelsfall diese Feststellungen durch »Suchschlitze« zu ergänzen.

Ausblick

Manches wird sich durch technische Weiterentwicklungen vereinfachen, manches auch komplizieren. Für Kommunikationszwecke wurden sehr dünne Glasfaserkabel hoher Leistung entwickelt, die ohne Aufgrabung durch Roboter in vorhandene Abwasserkanäle eingezogen werden können. Immer höhere ökologische Maßstäbe werden weiter steigende Anforderungen an Wasserversorgung und Abwasserbehandlung nach sich ziehen.

Die Verteilung von Fernwärme durch aufwändige Rohrsysteme wird längerfristig zu Gunsten ortsnaher Wärmequellen an Bedeutung verlieren. Aber unser umfangreichstes unterirdisches System, die Kanalisation mit ihren teuren Anlagen, wird wohl immer das beherrschende Element im städtischen Untergrund bleiben.

Literatur:
-     Hilmar Bärthel, Die Geschichte der Gasversorgung in Berlin - Eine Chronik, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin 1997; derselbe, Wasser für Berlin, die Geschichte der Wasserversorgung Berlins, Verlag für Bauwesen, Berlin 1997; derselbe, Kanalisation von Berlin. Unterwelt mit System - die Geschichte der Kanalisation von Berlin, in Druckvorbereitung
-     Günter Peters, Kleine Berliner Baugeschichte, Stapp Verlag, Berlin 1995
-     Sigrid Hilkenbach, Wolfgang Kramer, Die Straßenbahnen in Berlin, Alba, Düsseldorf 1994; dieselben, Typisch Berlin - ein BVG-Porträt, BVG 1987
-     Ulrich Lemke, Uwe Poppel, Berliner U-Bahn, Alba, Düsseldorf 1992
-     Dietmar und Ingmar Arnold, Frieder Salm, Dunkle Welten, Christoph Links Verlag, Berlin 1997
-     Jürgen Bramm, Hartmut Rudolph u. a., Stadtentwicklungsplan Ver- und Entsorgung, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Edition StadtWirtschaft, Berlin 1998

Bildquellen: Archiv Autor, Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2001
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