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Jan Feustel
Das Tor nach Osten

Ausstellung: »Auf Wasser und Schienen - Friedrichshainer Verkehrswege« im Heimatmuseum Friedrichshain

Als 1841/42 der Kopfbahnhof der Berlin- Frankfurter Eisenbahn als erster Bahnhof innerhalb der städtischen Zollmauer emporwuchs, protestierten die Anwohner in ihren Gärten und Blumenzuchtbetrieben noch gegen die Nähe jenes »modernen« Verkehrsmittels. Doch auch sie konnten den Lauf der Geschichte nicht aufhalten, dass

In Friedrichshain begannen einst die Bahnstrecken nach Schlesien und Ostpreußen, und schon 1845 verkehrte der erste Zug der Niederschlesisch- Märkischen Eisenbahn zwischen Berlin und Breslau vom alten Frankfurter Bahnhof aus. Ab 1857 nahm dieser auch die Züge der Königlichen Ostbahn nach Königsberg auf, bis jene Bahn in den östlichsten Zipfel Preußens 1867 nach Fertigstellung der Abkürzungsstrecke über Küstrin einen eigenen Kopfbahnhof am Küstriner Platz erhielt.
     Mit dem Osthafen am Spreeufer entstand bis 1913 an der damaligen Peripherie des Stadtgebietes auch die erste große und moderne Hafenanlage der Stadt - nach einer Planungszeit von beinahe eineinhalb Jahrzehnten.
sich der einstige Bezirk Friedrichshain beim enormen Wachstum der deutschen Metropole nach der Reichsgründung 1871 nicht nur zum dichtbesiedelten »Kleine-Leute- Bezirk«, sondern auch zum verkehrstechnischen »Tor nach Osten« entwickelte. Dokumentiert wird das derzeit mit einer Ausstellung im Heimatmuseum Friedrichshain, die unter dem Thema » Auf Wasser und Schienen - Friedrichshainer Verkehrswege« steht.

Stralau (Tunnelbahn), um 1925
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Auf Schienen und Wasser kamen somit wichtige Versorgungsgüter der Großstadt per Bahn und Kahn erst einmal in diesem Stadtteil an und wurden hier umgeschlagen. Diese beiden ersten verkehrstechnischen Großprojekte und auch andere, welche die innerstädtische Mobilität der Menschen sicherten, begannen im oder verliefen durch den Osten der Stadt. Die Ringbahn, auf der 1872 der öffentliche Personenverkehr aufgenommen wurde, begrenzte den späteren Bezirk Friedrichshain gleichsam nach außen. Die 1882 eröffnete Stadtbahn hatte hier ebenso
Oberbaumbrücke um 1961
ihren östlichen Endpunkt wie seit 1902 auch die erste elektrische Berliner »Hoch- und Untergrundbahn«. Der Ausbau von Verkehrswegen als Voraussetzung für das Wachstum einer modernen Großstadt wie Berlin lässt sich hier im Osten der deutschen Hauptstadt exemplarisch ablesen.
     Aber Verkehrshistorie ist besonders in diesem Bezirk auch stets eine Widerspiegelung der Sozialgeschichte. Der Schlesische Bahnhof, wie der alte Frankfurter Bahnhof 1882 offiziell getauft wurde, erhielt im Volksmund bald den Namen »katholischer Bahnhof«, weil hier die Einwanderer aus den katholischen Ostprovinzen eintrafen.
Ringsum entstand einer der verrufensten »Kieze« Berlins mit Prostitution und »Verbrechermilieu«. Die erste Straßenbahngesellschaft in diesem Distrikt, die 1876 gegründete »Neue Berliner Pferdebahn- Gesellschaft«, schrieb rote Zahlen, weil die hier wohnenden Unterschichten auch weitere Strecken aus Fahrgeldersparnis lieber zu Fuß gingen. Dennoch gab es später gerade hier Höhepunkte und Kuriosa in der Entwicklung Berliner Straßenbahnen. Seit dem Dezember 1899 verkehrte die »Knüppelbahn« zwischen Stralau und Treptow 12 Meter unter der Spree. Benannt wurde sie nach dem Signalstab, eben dem »Knüppel«, dessen Besitz allein die Einfahrt in die Tunnelröhre erlaubte.
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Die 1901 eröffnete »Flachbahn« der Hochbahngesellschaft blieb bis 1928 nicht nur die letzte Privatstraßenbahn Berlins, sondern benutzte auch am längsten den Siemens'schen Lyrabügel als Stromabnehmer. Last but not least verlief das Ostberliner Obus- Liniennetz zwischen 1951 und 1973 zu großen Teilen durch Friedrichshain.
     Ebenso stellten die hiesigen Verkehrsbauten einen wichtigen Beitrag zur Architekturgeschichte der Hauptstadt dar. So verdankt der Bezirk sein malerisch- pseudomittelalterliches Wahrzeichen, die Oberbaumbrücke, nicht zuletzt der Kaschierung des eisernen Hochbahnviaduktes, der hier die U-Bahn über die Spree führt. Seit 1929 liegt die Brücke unmittelbar neben dem Kühlhaus des Osthafens, dessen fensterlosen Fassaden der Architekt Pusch eine originelle expressionistische Rhombenmusterung in Backstein gab.
     Aber die technischen Anforderungen ließen gerade die Bauten für den Schienenverkehr bei aller Schönheit funktionell veralten oder gar überflüssig werden. Schon nach 15 Jahren verlor der alte Ostbahnhof - der Kopfbahnhof der Königlichen Ostbahn am Küstriner Platz, der zur Zeit seiner Erbauung 1866/67 als der prächtigste Bahnhofsbau Berlins galt - seine Funktion. Die Züge hielten nun im Schlesischen Bahnhof. Die Halle wurde nur noch als Abstellschuppen genutzt und das Eingangsgebäude diente gastronomischen Zwecken, bis die gesamte Anlage zum 1929 eröffneten Varieté PLAZA umgestaltet wurde.
Auch der Frankfurter Bahnhof änderte nicht nur mehrmals seinen Namen - über Schlesischer Bahnhof, Ostbahnhof, Hauptbahnhof wieder zum heutigen Ostbahnhof - sondern beinahe ebenso oft sein bauliches Profil. Den biedermeierlichen Spätklassizismus der Ursprungsbaus ersetzte 1869 ein Neubau im kirchenähnlichen Rundbogenstil, dessen Gleise aber bereits eine eiserne Hallenkonstruktion überwölbte. Zur Eröffnung der Stadtbahn erhielt er eine zweite derartige Halle, und so präsentiert er sich auch heute noch nach vielen Erneuerungen. Von den steinernen Bauten des Eingangstraktes ist allerdings nach Kriegszerstörung, Neugestaltung zu DDR-Zeiten und Umbau im vereinten Deutschland nichts mehr erhalten geblieben.
     So gesehen bietet die Ausstellung vieles, das heute schon fast vergessen scheint. Dass beispielsweise der Tunnel der Hafenbahn unter der Stralauer Allee, der den Bau des Osthafens zwei Jahre blockierte, eine Million Mark Mehrkosten verursachte, nur weil die damals selbständige Gemeinde Stralau ihre einzige Zufahrtsstraße nicht durch häufigen Schrankenschluss eines ebenerdigen Bahnüberganges versperrt sehen wollte. Gleichfalls interessant ist ebenso, dass der Bahnhof Warschauer Straße zweimal unter der Warschauer Brücke von der einen auf die andere Seite »wechselte«. Auch an spurlos Verschwundenes wie den Hochbahnhof Osthafen und den Stielbau des Stellwerkes WrW nahe der Warschauer Brücke wird erinnert.
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Oberbaumbrücke um 1996
Diese Entwicklung des Verkehrs und seiner Knotenpunkte in Friedrichhain sowohl in historischen Ansichten als auch mit noch unrealisierten Entwürfen für Bahnhofsbauten im wiedervereinigten Berlin stellt die Ausstellung im Friedrichshainer Heimatmuseum in der »Alten Feuerwache« in der Marchlewskistraße 6 noch bis 29. Mai 2001 eindrucksvoll dar. Ein Besuch lohnt, denn mancher wird hinterher die Verkehrsmittel und deren Stationen, die er sonst nur flüchtig im Vorbeifahren wahrnimmt, auch einmal als Zeugen der Berliner Stadtgeschichte aufmerksamer und interessierter betrachten.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 2/2001
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