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Gerhard Keiderling
»Bittgänge« nach Bonn

Die Anfänge der Berlin- Hilfe des Bundes

Nach dem Ende der Blockade stand West-Berlin im Schatten der politischen Ereignisse und durchlebte eine schwere Existenzkrise (BM 10/2000). Die Nachwirkungen der Doppelwährung, als zwischen Juni 1948 und März 1949 West- und Ostmark nebeneinander zirkulierten (BM 6/98), ließen das Steueraufkommen rapide absinken und ruinierten nicht nur die Wirtschaft, sie leerten auch das Stadtsäckel. Während der Blockade ermöglichten Kredite und Hilfen des amerikanischen GARIOA- Fonds1) und der Bizone, vor allem über die Sondersteuer »Notopfer Berlin«, einen Nothaushalt. Ende Juni 1949 verfügten die Militärgouverneure die Einstellung der GARIOA- Hilfe innerhalb der nächsten vier Monate; danach sollte das Defizit des Magistrats ausschließlich von der Bizonen- Verwaltung übernommen werden. Doch diese befand sich seit dem Frühjahr in Erwartung der Staatsbildung bereits in der Abwicklung, und eine Bundesregierung war noch nicht in Sicht.

Dieses Interregnum war eine besonders schwierige Zeit. West-Berlin gehörte noch nicht zum Anwendungsbereich des Marshall- Plans (BM 11/2000). Die Bizonen- Verwaltung lehnte die Deckung des Haushaltsdefizits mit dem Hinweis ab, die künftige Bundesregierung nicht binden zu wollen. Am 30. Juli 1949 machte Oberbürgermeister Ernst Reuter (1889-1953) bei einer Pressekonferenz auf das drohende Unheil aufmerksam: Das Desinteresse an der ausgezehrten Finanz- und Wirtschaftslage der Stadt könnte den politischen Erfolg der Luftbrücke verspielen. West-Berlin sei durch die mit rückwirkender Kraft aufgebürdeten Kosten der Luftbrücke total verschuldet. Die weiteren Arbeiten an dem lebenswichtigen Kraftwerk West seien finanziell nicht gesichert. Man könne gerade noch die Gehälter für die städtischen Angestellten auszahlen.
     Die Dreimächte- Kommandantur ersuchte im August 1949 die Militärgouverneure, West-Berlin auf schnellstem Wege finanziell zu helfen. Der künftige US- Hochkommissar John J. McCloy (1895-1989) reagierte prompt, indem er die Einbeziehung der Stadt in die ERP-Hilfe für Westdeutschland und eine größtmögliche Verantwortung der neuen Bundesregierung für West-Berlin ankündigte. Doch in Bonn ließ man sich Zeit. »Einige behaupteten dort allen Ernstes, Berlin sei Ausland. Es sei rechtlich unzulässig, erklärten hohe Beamte, von Berlin aus Staatsfunktionen für das westliche Bundesgebiet auszuüben.«2)
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Auch Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967), durch die Haltung der Franzosen bestärkt, hielt eine völlige Einbeziehung West-Berlins in den Bund derzeit für unmöglich. Aber das war nicht der einzige Grund für das Zögern Bonns; hinzu kamen die im westdeutschen Föderalismus wurzelnde Berlin- Aversion und vor allem die Überzeugung, dass vorerst der Westen als Teil des amerikanischen »Ostwalles« konsolidiert werden müsse.
     Ernst Reuters Mahnrufe und Bittgänge fanden in Bonn erst Gehör, als die Amerikaner mit Nachdruck intervenierten. »Wie immer sich der juristische Status Berlins gestalten möge, sagte John McCloy, die Verantwortung der Bundesregierung gegenüber Berlin sei absolut klar.«3)
     »Mit Nachhilfe der Westmächte« begannen am 17. Oktober 1949 mehrtägige Besprechungen zwischen der Bundesregierung und dem Magistrat über die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Probleme West-Berlins. »Neben dem Kanzler waren die Bundesminister Blücher, Kaiser, Erhard, später auch Schäffer, beteiligt. Der Oberbürgermeister kam mit Frau Schroeder, Dr. Haas, Dr. Ernst von der Berliner Zentralbank und einigen Vertretern der Berliner Wirtschaft; auch der neubestellte Stadtrat Dr. Günther Klein, der als Vertreter Berlins in Bonn von nun an auf die Gestaltung der Beziehungen zum Bund maßgebenden Einfluss ausüben sollte, nahm an den Verhandlungen teil ... Der Bund verpflichtete sich, Berlin zum Ausgleich des Haushalts zu verhelfen.
Der Finanzminister wollte allerdings bereits nach ein paar Monaten den vereinbarten monatlichen Zuschuss kürzen, und eine lange Periode unerfreulicher Auseinandersetzungen stand bevor. Immerhin war festgelegt worden, dass Berlin fortlaufend unterstützt werden sollte. Zur Förderung seiner Wirtschaft wurden verschiedene, wenn auch schleppend durchgeführte Maßnahmen in Aussicht genommen; ... die Berliner Zentralbank wurde in das westdeutsche Notenbanksystem einbezogen; durch die Erklärung Berlins zum Notstandsgebiet sollte eine gewisse Begünstigung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bewirkt werden; für das mit dem Warentransport verbundene Risiko stellte der Bund einen Garantiebetrag zur Verfügung; Westberliner Waren sollten außerdem beim Absatz im Bundesgebiet von der Umsatzsteuer befreit werden.«4)

Um jede finanzielle Zusage musste hart gerungen werden

Damit war der Grundstein für die künftige Berlin- Hilfe des Bundes gelegt worden. Reuter erklärte wenige Tage später, die Verhandlungen hätten West-Berlin »ein gutes Stück« vorangebracht, sogar die Defacto- Anerkennung West-Berlins als zwölftes Land der Bundesrepublik sei ihm in Aussicht gestellt worden. Selbst Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard gebrauchte markige Worte: es sei jetzt »notwendig, daß wir einmal wieder das Herz vorauswerfen und den übrigen Kerl erst nachkommen lassen«.5)

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Der politische Alltag sah indes anders aus. In Bonn wurden immer neue Einwände und Vorbehalte geltend gemacht. Der britische Hochkommissar, Sir Brian Robertson, ermahnte die Bundesregierung, nicht alliierte Stellen vorzuschieben, um die mangelhafte Hilfe für West-Berlin zu rechtfertigen. Um jede Zusage musste unverändert hart gerungen werden. Wie es um den Haushalt 1950 bestellt war, schilderte die Westberliner Industrie- und Handelskammer in ihrem Zehnjahresbericht:
     »Bei Beginn des Rechnungsjahres 1950 war die künftige Gestaltung der finanziellen Hilfe für Berlin völlig offen. Lediglich der Ertrag des Notopfers Berlin, der etwa 32 Mill. monatlich betrug, stand zur Verfügung. Da die Kassenschwierigkeiten infolgedessen zunahmen, konnte die Stadt schließlich ihre Zahlungen nicht pünktlich leisten. So kam es zu den >Bittgängen< nach Bonn. Man musste sich mit kurzfristigen Kassenplänen behelfen, ein Verfahren, das einer geordneten Finanzwirtschaft widersprach. Schließlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Vorstellung, die finanziellen Schwierigkeiten Berlins seien nur eine vorübergehende Folge der Blockade und könnten mit Krediten der Berliner Zentralbank überbrückt werden, nicht realistisch war. Den 1,57 Milliarden Ausgaben, die der Haushaltsplan für 1950 vorsah, standen nur 920 Mill. Einnahmen gegenüber. Zum ersten Male wurde ein Etat vorgelegt, der bei der Position >Bundeshilfe< ein Fragezeichen enthielt.«6)

 
Die mit der »Berlinhilfe des Bundes« angekündigte neue Ära begann also bescheiden. Die Bittgänger von der Spree hatten nach wie vor alle Hände voll zu tun, mehr Verständnis für ihre Anliegen zu finden, ihre konkreten Wünsche vorzutragen und auf die Einlösung von Zusagen zu pochen.

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Während der Oberbürgermeister durch schriftliche Eingaben und persönliche Vorsprachen die Probleme seiner Stadt an die Bundesregierung herantrug, nutzten die von der Stadtverordnetenversammlung mit beratender Stimme in die Bundesorgane delegierten acht Vertreter alle Kanäle und Kontakte, vor allem im Wirtschafts- und Haushalts- Ausschuss und im besonderen Berlin- Ausschuss des Bundestages. Mehr als einmal traten sie als undankbare Bittsteller und lästige Mahner auf. Die weltpolitischen Entwicklungen im Kalten Krieg bewirkten eine langsame Wendung in Bonn.
     Gleichzeitig beeilte sich die Führung West-Berlins, bestehende Hindernisse bei der Eingliederung in die Wirtschafts- und Sozialordnung Westdeutschlands aus dem Wege zu räumen. Im November 1949 erklärte Willy Brandt (1913-1992): »Sowenig der Sozialismus in einem Land allein möglich ist, sowenig ist er in einer Stadt denkbar.«7)
     Bestimmte antikapitalistische Grundsätze und Reformansätze der Berliner Sozialdemokratie nach 1945 wurden so zu Gunsten einer Anpassung an das restaurative System der Bundesrepublik unter der Adenauer- Regierung aufgegeben. Die Angleichung, von einer Großen Koalition aus SPD, CDU und FDP getragen, erfolgte im Wirtschaftsleben, im Sozialversicherungswesen, im Schulwesen und im öffentlichen Dienst durch Wiedereinführung des Berufsbeamtentums. Ihren Schlusspunkt fand sie in der neuen Landesverfassung, die am 1. Oktober 1950 in Kraft trat. Das alles erleichterte die Vergabe von Bundeshilfen.
Sture Hartnäckigkeit vor jeder Abstimmung

Das erste Bundesgesetz mit einer Berlinklausel war das »Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz)« vom 20. Dezember 1950. Als es im Bundestag beschlossen wurde, unterbrach die zeitgleich tagende Stadtverordnetenversammlung ihre Sitzung zu einer »standing ovation«. Über das Zustandekommen dieses Gesetzes schrieb Marie-Elisabeth Lüders, damals Stadträtin für Sozialwesen, in ihren Erinnerungen:
     »Immer wieder fuhren wir nach Bonn zur Teilnahme an den Sitzungen der entsprechenden Ausschüsse, um hier unsere Forderungen durchzudrücken. Im Kriegsopferausschuß in Bonn beantragten Dr. Klein und ich mit sturer Hartnäckigkeit, vor der Abstimmung über jeden einzelnen Paragraphen, die Anfügung der Worte: >Diese Bestimmung gilt auch für Berlin.< Die Ausschußmitglieder waren merkbar ungehalten. Nach und nach wurden sie unserer Litanei müde und überdrüssig. Jetzt beantragte ich, diese Worte an den Schluß des ganzen Gesetzes zu setzen, dann würden alle Einzelbestimmungen überflüssig sein. Das geschah! Vielleicht waren die anderen Ausschußmitglieder durch unsere Hartnäckigkeit so ermüdet, daß sie in diesem Augenblick die ganze Tragweite dieser Worte, sowohl allgemein gesetzgeberisch als auch finanziell, nicht überschauten.«8)
     Im Sommer 1950 setzte sich der Magistrat dafür ein, in die bevorstehende Regelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern (Erstes Überleitungsgesetz) durch eine besondere Verwaltungsvereinbarung Westberlin aufzunehmen.

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An die Stelle des monatlichen Aushandelns der Zuschüsse sollte ein gesicherter Haushaltsausgleich treten. In Bonn erhob man erneut außenpolitische Bedenken, weil nach dem Willen der Drei Mächte die Stadt kein Bundesland sei. Nach langem Hin und Her und vor allem nach sanftem Druck der Westalliierten kam im Oktober 1950 eine Verwaltungsvereinbarung zu Stande, die West-Berlin erstmals einen Anspruch auf bestimmte Bundesleistungen zusicherte und eine Deckung des Haushaltes ermöglichte. Wenngleich dieser Akt die Stadt an eine kurze Leine legte und manche Wünsche des Magistrats unberücksichtigt ließ, war Oberbürgermeister Reuter insgesamt zufrieden: Die Periode der monatlichen Bittgänge nach Bonn sei nun vorbei. Erst das »Gesetz über die Stellung Berlins im Finanzsystem des Bundes (Drittes Überleitungsgesetz)«, vom Abgeordnetenhaus am 12. Juni 1952 verabschiedet, brachte endgültige Klarheit. Es stellte Westberlin mit den anderen Bundesländern finanziell gleich und anerkannte seinen generellen Anspruch auf eine zusätzliche Bundeshilfe.
     Zwischen 1950 und 1952 entstand »ein Bukett der Geschenke für Berlin«.9) Zwei Blüten ragten aus diesem Bukett heraus: die Bundeshilfe im engeren Sinne und die Berlinförderung.
Die Bundeshilfe war nach dem Dritten Überleitungsgesetz ein Globalzuschuss vordringlich zur Schließung der Haushaltslücke. Daneben flossen Zuschüsse und Sonderhilfen für den sozialen Wohnungsbau, für Kultur, Gesundheit und Soziales, wie z. B. die Ausgleichszahlungen an die AOK, aber auch Steuerpräferenzen und Subventionen für den öffentlichen wie privatwirtschaftlichen Sektor. Hier ordneten sich auch die wirtschaftlichen Aspekte der Verlegung von Bundesbehörden an die Spree ein.

Finanzhilfen des Bundes
(Bundeshaushalt für die Jahre 1951 bis 1965)
 
1. Bundeshilfe 16 987,4 Mill. DM
2. Leistungen aus der finanziellen Gleichstellung Berlins mit den anderen Bundesländern 3 901,1 Mill. DM
3. Leistungen aus besonderem Anlass 1 014,1 Mill. DM
4. Einnahmeausfälle aus Steuervergünstigungen 3 473,0 Mill. DM
 
Zusammen: 15 Jahre Finanzhilfe des Bundes 25 375,6 Mill. DM
 
(Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 139 vom 17. August 1965)

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Ferner übernahm der Bund sämtliche Besatzungskosten und den Unterhalt der Senatsreserve für den Fall einer erneuten Blockade. Die Berlin- Hilfe des Bundes lief nach 43 Jahren aus; zwischen 1952 und 1994 überwies der Bund insgesamt 248,5 Milliarden DM.
     Ausgangsbasis für die Berlinförderung war das »Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin (West)« vom 7. März 1950, das in der Folge wiederholt novelliert wurde. Es hatte zum Ziel, Anreize zur Produktion, Investititon und Arbeitsaufnahme in West-Berlin zu schaffen. Dem dienten Direktzuschüsse, Steuervergünstigungen und sonstige Leistungen. Auch Hilfsmaßnahmen in der Verkehrspolitik, wie Hermes- Bürgschaften oder die Erstattung der 1951 von der DDR eingeführten Straßenbenutzungsgebühren, gehören hierher.
     Der Düsseldorfer »Industriekurier« rechtfertigte das »Berlin- Bukett« am 1. Dezember 1955: »Westberlin mit seinen 2,2 Millionen Einwohnern ist ein künstlich geschaffenes Gebilde und wird, solange es keine Wiedervereinigung gibt, künstlich ernährt werden müssen.«
     Die Bundeshilfe und die anderen Förderungsmaßnahmen waren natürlich nicht in der Lage, die Nachteile der Standortsituation Westberlins völlig auszugleichen. Der wesentliche Nachteil blieb das politische Risiko, das Subventionen anhaftete und bei Investitionsvergaben und Auftragserteilungen immer wieder Hemmungen hervorrief. Grund war nicht nur die permanente Bedrohung durch den Osten (»Politik der Nadelstiche«),
sondern auch die Befürchtung, die Westmächte könnten eines Tages in einem Deal mit der Sowjetunion den »Vorposten hinter dem Eisernen Vorhang« doch räumen. Erst der Mauerbau 1961 schuf die Gewissheit, dass Westberlin fest zum Westen gehört.

Quellen und Anmerkungen:
1 GARIOA = »Government Appropriations for Relief in Occupied Areas«, ein US- Hilfsprogramm der Jahre 1946 bis 1950, das in den Besatzungsgebieten der Westmächte die Wirtschaft stabilisieren sowie soziale und politische Unruhen verhindern sollte
2 Willy Brandt: Mein Weg nach Berlin, München 1960, S. 272
3 Willy Brandt/Richard Lowenthal, Ernst Reuter: Ein Leben für die Freiheit. Eine politische Biographie, München 1957, S. 544
4 Ebenda, S. 541 ff.
5 Ludwig Erhard: Deutsche Wirtschaftspolitik. Der Weg der sozialen Marktwirtschaft, Düsseldorf- Wien- Frankfurt a./M. 1962, S. 137
6 Die Wirtschaft Westberlins 1945 bis 1955, Hrsg. Industrie- und Handelskammer zu Berlin e. V., (West-) Berlin 1955, S. 20 f.
7 Der Sozialdemokrat, (West-) Berlin, 12. November 1949
8 Marie-Elisabeth Lüder: Fürchte Dich nicht, Köln und Opladen 1963, S. 171
9 Kurt Pritzkoleit: Berlin. Ein Kampf ums Leben, Düsseldorf 1962, S. 161

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2001
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