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Hubert Olbrich
Anordnungen auf der Außenseite des Erdballs

Der Geograph Carl Ritter (1779-1859)

Carl Ritter wurde am 7. August 1779 in Quedlinburg in einer pietistischen Arztfamilie geboren. Er wurde um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zum Begründer der Hochschulgeographie. Vor ihm war Geographie an den Universitäten nur von Vertretern anderer Fächer am Rande betrieben worden, ohne Bezug zum Raum und Geschichte und in erstickend trockener Manier.
     Carl Ritter haben zahlreiche Bildungsquellen und Begegnungen zu herausragender Vielseitigkeit geführt und ihn zum großen Geographen heranreifen lassen. In die Wiege war ihm das nicht gelegt. Denn er war das jüngste von sechs unmündigen Kindern, als sein Vater, der fürstliche Leibmedicus Friedrich Wilhelm Ritter, im Alter von 38 Jahren starb. Die Witwe sah die sorgfältig geordnete Erziehung der Kinder als zentrale Lebensaufgabe, unterstützt vom jungen Johann Christoph Guts-Muths1) (1759-1839), den schon der Vater in sein Haus aufgenommen hatte.


Carl Ritter, Stahlstich nach einer Zeichnung von Rudolf Hoffmann (1871)

Guts-Muths war ab 1784 Schüler in Christian Gotthilf Salzmanns (1744-1811) Philanthropinum. Salzmann hatte in diesem Jahr das kleine Landgut Schnepfenthal bei Gotha erworben, um hier in ländlicher Abgeschiedenheit das von der pädagogischen Bewegung der Aufklärung geprägte pädagogische Programm durchzusetzen.

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Als er 1785 auch Carl Ritter als Schüler aufnahm, war Guts-Muths schon Lehrer. Dank dem dort entwickelten Brauch, jedem Lehrer persönlich zur intensiven Erziehung zwei Schüler anzuvertrauen, erfuhr Carl Ritter eine durch die Altersstufen von Guts-Muths geleitete geistige, handwerkliche und körperliche Erziehung, die gemäß einer dogmenfreien Religion die Schüler zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft heranzubilden verstand mit der Fähigkeit, Freundschaften zu stiften. Carl Ritter konnte sich noch im Mannesalter rühmen, niemals einen Freund verloren zu haben.2)
     In Gotha war Ritter dem Kaufmann Hollweg aus Frankfurt/Main begegnet, der einen Erzieher für seine Knaben suchte, sich für Ritter entschied und ihn zunächst 1796 für zwei Jahre zur Ausbildung an die Universität Halle/Saale schickte. Der wissensdurstige junge Mann befasste sich mit Kameralistik, griechischer und römischer Literaturgeschichte, Moral, Pädagogik, Geschichte, Geographie, Statistik, Logik, Mathematik, Physik und Chemie. Mit der Vorbildung eines Pädagogen, Erziehers und Weltmannes wechselte er 1798 nach Frankfurt/ Main, nahm dort den Erzieherdienst bei Hollweg auf, besuchte mit den Söhnen das Gymnasium, um auch Latein und Griechisch zu beherrschen, unterrichtete zeitweilig selbst
am Gymnasium sowie am Engelmannschen Institut Geographie, Geschichte und Naturgeschichte. Von 1810 bis 1812 lebte er mit seinen Zöglingen in Genf, war auf Wanderungen ein leidenschaftlicher »Naturmensch«, auf den verschiedenen Reisen und bei zahlreichen Begegnungen immer Lernender und Lehrer zugleich.
     Die Jahre von 1813 bis 1819 verbrachte Ritter in Göttingen, widmete sich dort verschiedenen wissenschaftlichen Themen und publizierte. Bei einem Aufenthalt in Berlin traf er mit Friedrich Schleiermacher (1768-1834) zusammen, was sich auf die weitere Vervollkommnung seiner Konzeption ausgewirkt haben dürfte.
     1819 heiratete er die siebzehn Jahre jüngere Lili Kramer, eine vom pietistischen Geist Halles und der Franckeschen Stiftungen erfüllte Frau.
      Er wurde 1820 an die Königliche Allgemeine Kriegsschule (für militärische Statistik) und zugleich an die Berliner Universität berufen. Er erhielt zunächst eine außerplanmäßige Professur und seit 1825 war er dann als Ordinarius der erste Lehrstuhlinhaber für Geographie überhaupt.
     Seine Lehrtätigkeit begann »mit entmutigend geringer Zahl von Zuhörern«.3) Das änderte sich bald. Schließlich weckte er durch seine Vorträge bei Tausenden nachhaltiges Interesse.
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Er lehrte eine problemorientierte wissenschaftliche Geographie, die Vorbild wurde für alle späteren geographischen Werke an Universitäten und Hochschulen in aller Welt.
     Seine umfassende Kompetenz als Geograph spiegelt die Vielzahl unterschiedlicher Themenbereiche. So behandelte er vor der Akademie der Wissenschaften zu Berlin erstmalig und erschöpfend das Thema »Über die geographische Verbreitung des Zuckerrohrs (Saccharum officinarum) in der Alten Welt vor dessen Verpflanzung in die Neue Welt« und erläuterte dank seiner gediegenen Sprachkenntnisse die Herkunft des Wortes »Zucker« aus dem Ostindischen (Sanskrit) und Arabischen. Der Vortrag, veröffentlicht in Band 1841, S. 305-412 der »Philologischen und historischen Abhandlungen der Königlischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin«, gilt bis heute als die gründlichste etymologische Untersuchung der sprachlichen Begriffsableitung und des ethnographischen Weges des Zuckers.
     Andere veröffentliche Vorträge betreffen den Tee und seine Verbreitung, den Kaffeebaum, die Baumwolle, Palmen Indiens, die indischen Elefanten, Kamele, ferner: Opiumkultur, Opiumgenuss und Opiumhandel; Weihrauch, Manna, Feige, Dattelpalme, »Gummi- Acacie«. Weitere Themen waren z. B.: »Die Colonisation von Neuseeland«; »Blick in das Nil-Quell- Land«; »Blick auf Palästina und seine christlichen Bewohner«; »Die Zustände Liberias«;
»Die Nestorianer«; »Die Australier am Vincent Golf«; »Die Reisen der Missionare Krapf und Isenberg in Ostafrika«; »Abichs Untersuchung des Ararat«; »Über die Quellen des Oxus und Jacxartes«; »Über Amerikas Handel mit dem Osten«; » Über syrisch- jacobitische Christen;« »P. Knoblecher's Reise auf dem Weißen Nil«; »Über den Aralsee«; »Die alten Denkmäler Guatemala's«; »Die Nordwest- Durchfahrt«; »Die West- Eskimo«; »Lin's Chinesische Geographie«. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
     Sein Hauptwerk, die »Erdkunde«, umfasst 21 Bände (1822-1859) mit insgesamt 30 000 Seiten. Es gilt als das umfangreichste wissenschaftliche Werk, das je von einer Einzelperson verfasst worden ist.4) Der genaue Titel des Mammutwerkes, das Afrika und Asien behandelt, lautet: »Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und Geschichte des Menschen, oder allgemeine vergleichende Geographie als sichere Grundlage des Studiums und Unterrichts in physikalischen und historischen Wissenschaften«.
     Das sorgfältig geplante Projekt blieb unvollendet. Ritter starb, bevor er dazu kam, sich Europa und Amerika zuzuwenden. In den Abhandlungen der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin (aus dem Jahr 1849) erschien 1851 seine Abhandlung »Über räumliche Anordnungen auf der Außenseite des Erdballs, und ihre Functionen im Entwicklungsgang der Geschichte«.
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Ritter wurde 1822 Mitglied der Akademie der Wissenschaften, 1825 Studiendirektor an der Kriegsschule und 1828 Gründungsvorsitzender einer Vereinigung von Freunden der Erdkunde, aus der sich die Gesellschaft für Erdkunde entwickelte, die ihm »kaum zu zählende Vorträge und Mitteilungen« verdankt.5)
     Als der berühmte Geograph 1859 starb, wurde er auf auf dem alten, 1802 eingeweihten Kirchhof der Marienkirche beigesetzt (heute: Prenzlauer Berg). Seine Grabstelle ist erhalten. In Reihe 1, Grabstelle 43-44 der Abteilung VI a stehen zwei schmiedeeiserne Grabkreuze eng beieinander.
     Die Inschrift lautet beim rechten Kreuz:
Hier ruht in Gott der Professor
ordin. Em. Der Universität
Dr. Carl Ritter
geb. d. 7. August 1779 /
gest. d. 28. September 1859
Hiob XIX, 26.

     Auf dem linken Kreuz liest man:
Hier ruht in Gott Frau Julie Ritter,
geb. Kramer
geboren den 16ten März 1796
gestorben den 28sten April 1840
Epist. Pauli a. d. Röm. XIV, 8.


Grabstätte von Dr. Carl Ritter (rechtes Kreuz) und seiner Frau auf dem Kirchhof der Marienkirche im Stadtbezirk Prenzlauer Berg

Die aus dem Buch Hiob ausgewählte Stelle hatte der 80- jährige Witwer noch selbst für das eigene Grabkreuz bestimmt, das in Material und Ausführung dem entspricht, das er 19 Jahre zuvor seiner Ehefrau setzen ließ. Der für ein Grabmal recht ungewöhnliche Bibeltext lautet:
     »Und nach Verlust meiner Haut, die man so sehr zerschlug, und meines Fleisches ledig, werde ich Gott schauen.«
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Werfen wir zu guter Letzt einen Blick in das Vortragsprogramm einer ebenfalls schon historischen Tagung, die zur 200. Wiederkehr des Geburtstages von der Sektion Geographie der Martin-Luther- Universität Halle- Wittenberg vom 11. bis 14. September 1979 in Quedlinburg und Schnepfenthal veranstaltet worden war. Hier eine kleine Auswahl der Vorträge:
     »Zum Einfluß der klassischen deutschen Philosophie auf das Menschenbild Ritters«, »Der Naturbegriff bei Carl Ritter als Element seiner philosophischen Weltanschauung«, »Einflüsse Carl Ritters auf die Schulgeographie«, »Über Ritters Tätigkeit als Mitglied der Akademie der Wissenschaften«, »Carl Ritters Bemühungen um die Schaffung einer öffentlichen Kartensammlung in Berlin«, »Carl Ritter und der Einfluss seiner Ideen auf die Entwicklung der Geographie in Rußland«, »Zwei Etappen des Einflusses von Carl Ritter auf die Geographie in Polen im 19. Jahrhundert«, »Der Einfluss Carl Ritters auf die britische Geographie«, »Carl Ritters Tagebücher der Reisen in Deutschland, Frankreich und England«, »Carl Ritters Reise durch Südost- Europa im Jahr 1837«, »Die graphischen Bestandteile in Ritters Quedlinburger Tagebüchern«, »Auf Ritters Spuren im Thüringer Wald«, »J. C. F. GutsMuths' für die Entwicklung der Schulgeographie und sein Einfluß auf Carl Ritter«.
     Die Tagung endete damals mit einem Schauturnen der Schüler der Salzmann- Schule in historischen Uniformen der Guts-Muths- und Ritter- Zeit und einer Führung zur Guts-Muths- Gedenkstätte.6)
Quellen/ Hinweise:
1 Schreibweise wechselnd: »Guths Muths«, »GutsMuths« »Guts-Muths« (Der Große Herder, 5. Aufl. Bd. 4/1954, Sp. 488)
2 Ratzel, Friedrich, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 28/1889 S. 683
3 Ratzel, S. 695
4 Büttner, Manfred, in: Deutsche Biographische Enzyklopädie Bd. 8/1998, S. 327
5 Ratzel S. 690
6 Programm: »Carl Ritter. Werk und Wirkungen«, in: Schriften aus dem Zucker- Museum Band 32/1995, S. 228-232

Bildquellen: Repro LBV, Foto LBV/ Müller

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2001
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