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Gerhard Keiderling
20. Januar 1951:
Abschaffung der Todesstrafe

Am 20. Januar 1951 trat in West-Berlin das Gesetz über die Abschaffung der Todesstrafe in Kraft. Die Stadtverordnetenversammlung hatte es auf ihrer 60. Sitzung vom 19. Oktober 1950 beschlossen. Zwischen 1945 und 1949 oblag die Kontrolle der deutschen Rechtsprechung den alliierten Militärorganen. In Übernahme des Londoner Abkommens vom 8. August 1945 über die Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher legte der Alliierte Kontrollrat mit Gesetz Nr. 10 vom 10. Dezember 1945 fest, dass »Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen Frieden oder gegen Menschlichkeit schuldig gemacht haben«, mit der Todesstrafe belegt werden können. Die von deutschen Gerichten ausgesprochenen Todesstrafen bedurften der alliierten Genehmigung. In Berlin regelte dies der Befehl BK/0 (47) 74 vom 28. März 1947.
     Der erste Fall betraf den Friedenauer Oberpostinspektor Karl Kieling, der noch im April 1945 einen Antifaschisten erschossen hatte. Das Amtsgericht Friedenau verurteilte ihn im Sommer 1945 zum Tode. Der Fall ging danach noch durch acht Instanzen.

Das rechtskräftige Urteil wurde am 21. August 1946 im Spandauer Gefängnis vollzogen. Später verurteilte ein britisches Militärgericht eine Ärztin und eine Krankenschwester wegen aktiver Beteiligung an Euthanasie- Verbrechen in der NS-Zeit zum Tode. Von den zwischen Mai 1945 und März 1950 durch die Gerichte im Westteil Berlins vorwiegend gegen Mörder verhängten Todesurteilen wurden neun vollstreckt. Als Letzter wurde am 11. Mai 1949 der 24- jährige Raubmörder Berthold Wehmeyer hingerichtet.
     Die Exekutionen geschahen in den Gefängnissen Spandau und Lehrter Straße durch das Fallbeil. Das war eine Guillotine, mit der angeblich schon Robespierre 1794 enthauptet worden war und die 1871 Kriegsbeute wurde. (Vgl. BM 12/2000)
     Der Westberliner Magistrat wandelte 1949/50 mehrere Urteile in lebenslange Zuchthausstrafen um. Er berief sich dabei auf Art. 102 des Grundgesetzes der Bundesrepublik über die Abschaffung der Todesstrafe und argumentierte, dass man im Hinblick auf die erstrebte Zugehörigkeit und Rechtseinheit mit dem Bund schon in diesem Sinne verfahren sollte. Der Magistrat nahm am 31. Juli 1950 den Entwurf eines Gesetzes an, dem die Stadtverordnetenversammlung am 19. Oktober 1950 zustimmte. Die Berliner Verfassung vom 1. September 1950 kannte keine Todesstrafe.
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Anders verhielt es sich im alliierten Besatzungsrecht, das auf Grund des »Kleinen Besatzungstatuts« vom 14. Mai 1949 und der »Erklärung über Berlin« vom 5. Mai 1955 für die Westsektoren fortbestand. Die von der Alliierten Kommandantur Berlin erlassene Verordnung Nr. 511 über strafbare Handlungen gegen die Interessen der Besatzungsmächte vom 15. Oktober 1951 sah als Höchstmaß die Todesstrafe vor. Noch 1984 zeigte sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen bestürzt, dass nach dieser Rechtslage die Todesstrafe für Waffenbesitz verhängt werden könne. Allerdings haben die drei Westmächte nie Gebrauch davon gemacht.
     Demgegenüber verhängte die sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR mit großer Rigorosität Todesstrafen. Allerdings war sie zwischen Juni 1947 und Januar 1950 in der UdSSR abgeschafft, so dass auch in der Ostzone erlassene Urteile in lebenslängliche oder 25- jährige Haft umgewandelt wurden. Von 1945 bis 1947 wurden nach unvollständigen Angaben 756 und von 1950 bis 1954 noch einmal über 250 Hinrichtungen vollzogen, davon allein 18 im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953. Die Exekution geschah durch Erschießen in Militärgefängnissen in Berlin- Lichtenberg, Potsdam, Frankfurt/Oder und anderen Orten. Viele Todeskandidaten wurden zur Urteilsvollstreckung in die UdSSR gebracht. Anfangs erfasste die Anklage Naziaktivisten und Kriegsverbrecher entsprechend dem Kontrollratsgesetz Nr. 10; bald auch Handlungen gegen die Besatzungsmacht, kriminelle Vergehen, Spionage und »konterrevolutionäre Verbrechen«, auch nach sowjetischem Strafrecht.
Die DDR- Justiz behielt unter Berufung auf den Artikel 6 der Verfassung, der »Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker«, Rassen- und Völkerhass sowie Kriegshetze unter Strafe stellt, die Todesstrafe bei. Die ersten 36 Urteile ergingen in den Waldheimer Prozessen von 1950 gegen Angeklagte, die nach der Auflösung der sowjetischen Internierungslager Anfang 1950 der DDR- Justiz zur Aburteilung übergeben worden waren. Nach Angaben des ehemaligen Sprechers des DDR- Generalstaatsanwalts, Peter Przybylski, wurden von 1945 bis 1964 118 Todesurteile wegen NS- und Kriegsverbrechen ausgesprochen. Über die aus anderen Gründen (Spionage, Sabotage und andere Staatsverbrechen sowie Militärdelikte und Mord) verhängten Todesurteile gehen die Berichte auseinander. Nach dem neuen Strafgesetzbuch vom Juli 1968 wurde die Todesstrafe nur noch in wenigen Fällen, darunter viermal gegen Kriegsverbrecher, verhängt.

Benutzte Literatur:
-Peter Przybylski, Zwischen Galgen und Amnestie. Kriegsverbrecherprozesse im Spiegel von Nürnberg, Berlin (Ost) 1979
-Friedrich Scholz, Berlin und seine Justiz. Die Geschichte des Kammergerichtsbzirks 1945 bis 1980, Berlin (West)/New York 1982
-Peter Niggl & Hari Winz, Tod in Berlin. Kriminalfälle aus der Metropole 1945-1995, Berlin 1995

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 1/2001
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