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Kurt Wernicke
Alliiertes Mandat gegen die Lethargie

Oberbürgermeister Arthur Werner führte den Magistrat mit eigener Handschrift

Die Berliner Oberbürgermeister der Kaiserzeit haben dank einer pietätvollen Nachwelt ihre Ehrung im Verzeichnis der Berliner Straßennamen gefunden. Das wiedervereinte Berlin hat auch den seinerzeitigen Rufmord an Gustav Böß (1873-1946), der dem neuen GroßBerlin von 1920 bis 1929 vorgestanden hatte, gesühnt und eine Straße neben dem Roten Rathaus nach ihm benannt. Vergeblich hält der Geschichtskundige Ausschau nach einer entsprechenden Ehrung für den Oberbürgermeister, der in den ersten anderthalb Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg an der Spitze der Stadtverwaltung stand: Arthur Werner (1877-1967). Dem stand in West-Berlin entgegen, dass er einem wesentlich von Kommunisten besetzten Magistrat vorgestanden hatte und sich zudem bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Dezember 1954 von der SED hatte überreden lassen, als ihr Spitzenkandidat zu fungieren - was der SED damals 2,3 Prozent der Wählerstimmen eingebracht hatte.

In Ost-Berlin, wo Werner zu Lebzeiten trotz seines Wohnsitzes in West-Berlin eifrig hofiert wurde, war auch kein Platz und keine Straße für seinen Namen frei. Immerhin ist nach 1990 der amtliche Widerwille gegen Arthur Werner so weit zurückgenommen worden, dass im Sommer 1993 im Rahmen des Gedenktafelprogramms des Senats an Werners einstigem Wohnhaus in Lichterfelde- West, Köhlerstr. 22, eine erinnernde Tafel angebracht werden konnte. Die jüngst erfolgte Edition der Sitzungsprotokolle des Magistrats von 1945/46 erlaubt, sich ein Bild von der persönlichen Integrität eines erst im hohen Lebensalter durch besondere Umstände in das Licht der Öffentlichkeit seiner Heimatstadt gerückten Berliners zu machen und zu verstehen, mit welchem persönlichen Einsatz dieser die zufällig auf ihn gefallene Funktion wahrnahm und sie im Sinne einer als ebenso repräsentierend wie ausgleichend verstandenen Amtspflicht ausübte.
     Unter den Berliner Oberbürgermeistern nimmt Arthur Werner einen besonderen Platz ein: Er stand einem Magistrat vor, der seine Legitimation einzig und allein auf einen administrativen Akt einer fremden Macht zurückführen konnte - selbst das von der französischen Besatzung 1806 ins Leben gerufene »Comité administratif« war zwar aus anbefohlenen, aber immerhin repräsentativen Versammlungen Berliner Bürger hervorgegangen.
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Diese Besonderheit in Amtsübernahme und -ausübung hatte ihre Ursache in außergewöhnlichen Umständen. Im Mai 1945 war die vom Krieg schwer gezeichnete deutsche Hauptstadt in die Besatzungsgewalt der siegreichen Sowjetarmee gefallen. Von einem schnellen Wiederaufbau der Verwaltung hing die Normalisierung des Lebens weitgehend ab. Die Sowjets legten dabei Wert darauf, prominente Vertreter des bürgerlichen Spektrums im politischen Leben vor 1933 an die Spitze der neuen Verwaltung zu stellen und sie ansonsten vorwiegend mit Vertretern der KPD zu besetzen.
     Dieses Anliegen verfolgten sie über den Einsatz einer Gruppe der Moskauer KPD- Leitung. Ihr Leiter Walter Ulbricht (1889-1973) orientierte sich zunächst auf den einstigen Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Andreas Hermes (1878-1964), dann auf den weltbekannten Chirurgen Prof. Dr. Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) und auf den einstigen Reichsjustizminister Dr. Eugen Schiffer (1860-1954). Alle waren zu einer Mitarbeit bereit, wollten aber das angetragene Amt des Oberbürgermeisters nicht übernehmen. Am 11. Mai gab es vom Biesdorfer Ortsbürgermeister einen Hinweis auf einen weiteren bürgerlichen Intellektuellen: Dr.Ing. Arthur Werner, einst Inhaber einer privaten Technischen Lehranstalt und wohnhaft in Lichterfelde- West, Köhlerstr. 22.
Er wurde am Morgen des nächsten Tages ins Quartier der »Gruppe Ulbricht« nach Friedrichsfelde gebracht. Nach dem Gespräch mit Ulbricht fand eine Begegnung mit dem sowjetischen Stadtkommandanten Generaloberst Nikolai E. Bersarin (1904-1945) statt, an dessen Ende Werners Zusage stand, das Amt des Oberbürgermeisters anzunehmen. Schon am nächsten Tag setzte Bersarin den neuen Magistrat ein. Jetzt erst lernte der frisch ernannte Oberbürgermeister seine ebenfalls von der Besatzungsmacht eingesetzten Stadträte kennen.

Männer verschiedenster politischer Couleur

Das intensive Suchen nach bürgerlichen Repräsentationsfiguren an der Spitze wie auch innerhalb einer administrativen Körperschaft, in der die wirklichen Schlüsselstellungen von KPDMitgliedern besetzt waren, ist den Kommunisten oft als Perfidie angerechnet worden und die, die ihnen als NichtKommunisten dabei zur Verfügung standen, sind häufig mit Verachtung gestraft worden. Diese Betrachtungsweise lässt die Zeitumstände außer Acht: Die verzweifelten, von der Sorge um Obdach, das tägliche Brot und das Schicksal ihrer Familienangehörigen gequälten Menschen hätten jede neue Obrigkeit akzeptiert, die ein Minimum an Ordnung und Sicherheit zu garantieren versprach,

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und so wäre die Installation rein kommunistischer Verwaltungen auf keine Ablehnung gestoßen - nur wäre die Mobilisierung erheblicher Bevölkerungsschichten für Bereitschaft und Initiative zum Miteinbringen in den mühseligen Prozess einer schleichenden Normalisierung weit weniger gelungen. Für das nackte Überleben angesichts des vom Kriege hinterlassenen Erbes war gerade diese Bereitschaft und Initiative aber von eminenter Bedeutung. Die nach den KPD- Direktiven befolgte Linie zum Aufbau einer administrativen Struktur deutscher Verantwortlichkeit, bei der in der Kommunalpolitik erfahrene Sozialdemokraten, renommierte bürgerliche Intellektuelle, ortsbekannte Gewerbetreibende und Ansehen genießende Geistliche als Orientierungspunkte für Hoffnungen auf ein kleines Maß deutscher Selbstbestimmung gewonnen werden sollten, stellte damals einen akzeptablen Ansatz dar, um die Berliner aus ihrer Lethargie zu reißen.
     Kein Geringerer als Propst Heinrich Grüber (1891-1975) hat aus seinen Erfahrungen als Beirat für Kirchenfragen im ersten Magistrat den Schluss gezogen, die dort eingebrachte Arbeit nicht missen zu mögen, weil Männer verschiedenster politischer Couleur sich einig im Willen gewesen waren, die Überreste des NS- Regimes zu beseitigen und ein neues Deutschland aufzubauen.
Hoffnung auf lange entbehrte Arbeit

Das Oberbürgermeisteramt war durchaus gut besetzt. Arthur Werner hatte als Sohn eines Schutzmannes am 15. April 1877 in Berlin das Licht der Welt erblickt. Nach dem Besuch der Friedrichswerder- Oberrealschule und des Andreas- Realgymnasiums legte er 1898 die Reifeprüfung ab und nahm an der Berliner Universität das Jurastudium auf. Schon nach einem Semester wechselte er zur Technischen Hochschule Charlottenburg, wo er im November 1900 seine Staatsvorprüfung ablegte. Nachdem er in Berliner Architektenbüros praktische Erfahrungen gesammelt hatte, studierte er von 1905 bis 1907 erneut an der TH, erwarb im März 1907 den Titel DiplomIngenieur und erhielt auf seinen Antrag hin auch die Ausbildungsbefähigung. Das bestärkte ihn, im Herbst 1906 eine private Techniker- Lehranstalt mit dem anspruchsvollen Namen »Schinkel- Akademie« zu gründen. Nach einer weiteren Staatsprüfung arbeitete er 1911 als Regierungsbaumeister im Regierungsbezirk Frankfurt/O. 1912 promovierte er mit einem Thema zum Berliner Kirchenbau in der friderizianischen Zeit an der TH Danzig zum Dr. Ing. Im August 1914 wurde er mobilisiert, heiratete einen Tag vor dem Einrücken und diente dann als Leutnant im 20. Infanterieregiment bis zu seiner schweren Verwundung im Jahre 1916.

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Nach seiner Genesung wurde er Ausbilder an einer Pionierschule, überstand so den Ersten Weltkrieg und widmete sich danach wieder voll und ganz seiner Lehranstalt, die nun »Technische Privatschule von Dr.Ing. Arthur Werner« hieß und in ihrem Domizil in der Neanderstr. 3 zur bekanntesten privaten technischen Lehranstalt der Reichshauptstadt wurde.
     Arthur Werner war ein überzeugter und aktiver Christ mit einem tiefen Humanitätsverständnis. Dass er dennoch 1932 sechs Monate lang der NSDAP angehörte, passt in dieses Bild kaum hinein und legt die Vermutung nahe, dass der 1945 den Alliierten gegenüber angegebene Grund, er habe im Auftrag linksgesinnter Freunde das Innenleben der HitlerPartei erkunden sollen, der Wahrheit nahe kommt; denn er verließ ausgerechnet kurz nach dem spektakulären Wahlerfolg der NSDAP am 31. Juli 1932 deren Reihen. Die Nazis verziehen ihm diese Gastrolle nicht und bedachten ihn nach 1933 mit mancherlei Schikanen. Das hielt ihn nicht davon ab, jüdischen Studenten, die von der TH Berlin- Charlottenburg verwiesen worden waren, eine Ausbildung an seiner Schule zu ermöglichen und in einem Fall zusammen mit anderen Schülern am Begräbnis eines jüdischen Kommilitonen teilzunehmen.
Oktober 1945: Klingenbergs Schlote rauchen wieder:

Oberbürgermeister Dr. Arthur Werner als fürsorglicher Stadtvater auf dem Titelblatt der ersten Ausgabe der »Neuen Berliner Illustrierten«.
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Im Zweiten Weltkrieg nahm der behördliche Druck weiter zu. Im Sommer 1941 teilte man Arthur Werner mit, dass die Lehranstalt zum 31. März 1942 zu schließen sei. Just in dem Moment, in dem ihm sein Lebenswerk entwunden wurde, erfuhr er die Abscheulichkeit des Hitler- Regimes am eigenen Leibe. Mehr durch Zufall rettete er einem Sohn, der dem NS- Euthanasieprogramm zum Opfer fallen sollte, das Leben. Das alles verfestigte seinen Ekel gegenüber dem Nationalsozialismus. In der Endphase des Krieges traf eine Serie von Schicksalsschlägen das Haus Werner: Zwei Söhne ließen noch 1945 ihr Leben, der dritte war seit den Winterkämpfen im Westen vermisst (er kehrte im August 1945 aus USGefangenschaft zurück). Wenn sich Arthur Werner also im Mai 1945 für ein nervenaufreibendes öffentliches Amt zur Verfügung stellte, so steckte dahinter offenkundig die Hoffnung, sich wieder in lange entbehrte Arbeit stürzen und dem Sinnieren über das Verlorene entrinnen zu können.

Ehrliche Wertschätzung der Stadtkommandanten

Der Oberbürgermeister sah seine Aufgabe und seine Kompetenzen illusionslos. Um die nicht vorhandene demokratische Legitimation des Magistrats, dem jede Art von Wählervotum fehlte,

machte sich Werner wenig Gedanken; er sah sich und das von ihm repräsentierte Gremium ungeachtet der Berufung durch Besatzungsbefugnis als eine demokratische Institution, weil es die rechtliche und sittliche Legitimation seines Wirkens aus einem als moralische Grundlage der Arbeit verstandenen Auftragsverhältnis gegenüber den Berlinern ableitete. Dass die deutschen Verwaltungen nur Organe der Siegerstaaten seien - »Lehenträger« nannte er sie einmal -, dass sie nur über ein Mandat der Besatzungsmächte verfügten, betonte er immer wieder. Nur anders, aber für das Befolgen von Anordnungen der Besatzungsmächte keineswegs einfacher, wurde diese Position des Magistrats mit dem 11. Juli 1945, als die Alliierte Kommandantur die sowjetische Stadtkommandantur als Alleinherrscherin ablöste und dabei Magistrat und Oberbürgermeister ausdrücklich bestätigte. Werner verzichtete gänzlich auf spektakuläres Vorführen von Männerstolz vor Königsthronen und ermahnte seine Mitarbeiter wiederholt, sich im Umgang mit den Vier MächteOrganen eines geeigneten Tones zu bedienen und daran zu denken, dass sie einem besiegten Volk angehörten. Andererseits erfreute er sich bei den vier Stadtkommandanten ehrlicher Wertschätzung, auf die er bei Verhandlungen zurückgreifen konnte.
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Die Berliner hätten gut daran getan, dem Ereignis, das sich am 23. Juni 1946 abspielte, den entsprechenden Stellenwert zuzuordnen. Alle vier Stadtkommandanten folgten nämlich der Einladung des Stadtoberhaupts zu einem Teeabend in dessen AmtsWohnsitz in Biesdorf, Königsstr. (heute Otto-Nagel- Str.) 5. Damit demonstrierten sie - sichtbar im Umgang mit dem obersten Repräsentanten der deutschen Auftragsverwaltung - ein gegenüber dem Vorjahr deutlich verändertes Verhältnis zwischen Besetzern und Besetzten. Es war den westalliierten Kommandanten nicht verborgen geblieben, dass der Oberbürgermeister in für ihn grundsätzlichen Fragen sehr wohl Versuchen der KPD/ SED- Stadträte, ihn zu »überfahren«, geschickten Widerstand entgegenzusetzen wusste: Er formulierte seine im Ton verbindlichen, in der Sache aber festen Einwände in den Magistratssitzungen, wohl wissend, dass jedes Sitzungsprotokoll in die Alliierte Kommandantur gelangte und dort von speziellen Mitarbeitern jedes einzelnen der vier Stadtkommandanten ausgewertet wurde. So konnten innerhalb des Magistrats strittige Probleme von einem der Kommandanten in die Tagesordnung der Alliierten Kommandantur eingebracht und dort in einem Sinne entschieden werden, der den Wünschen der im Magistrat die Mehrheit bildenden KPD- Stadträte nicht immer entsprach. Das geschah namentlich auf den beiden Gebieten, auf denen Werner mit der Weltsicht seiner KPD- Stadträte prinzipiell nicht übereinzustimmen vermochte: bei der Vermittlung christlicher Grundwerte (auch mittels Religionsunterrichts) und bei dem Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Justiz (durch deutlich demonstrierte Hochachtung vor einer funktionierenden Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Vertrauensbonus und Schlammschlacht

Seit der Auseinandersetzung um die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien im Frühjahr 1946, aus der durch eine Entscheidung des Alliierten Kontrollrats sowohl SED als auch SPD als Gesamtberliner Parteien hervorgingen, gewann das politische Leben in Berlin deutlich an Häme und Schärfe. Jedes kommunalpolitische Vorkommnis wurde unter parteipolitischen Aspekten bewertet. Dadurch geriet der parteilose Oberbürgermeister zunehmend in das Kreuzfeuer parteipolitischen Kalküls.
     Seit dem Sommer 1945 hatte Werner sich einen erheblichen Vertrauensbonus bei den Berlinern verschafft: Seine Ehrfurcht einflößende Vaterfigur strahlte Autorität aus. Werner sprach gern und viel, was in dieser Zeit auch erwartet wurde, denn es kam darauf an, Vertrauen in die eigene Kraft zu säen und dem schon Erreichten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

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Werner schrieb sich alle seine Reden selbst, und man merkte ihnen an, mit welcher Wahrhaftigkeit er bei jeder passenden Gelegenheit an den Lokalstolz der Berliner appellierte und ihn zur Mobilisierung von Initiative zu nutzen suchte. Den Anfeindungen, denen er im sich ankündigenden Wahlkampf ausgesetzt war, weil sich in seiner Person der SED- beherrschte Magistrat bündelte, stand er ziemlich hilflos gegenüber; noch nie war er in einer solchen Situation gewesen und öffentlich mit einer solchen Schlammschlacht konfrontiert. Selbst das Berliner SPD- Organ »Der Sozialdemokrat« veröffentlichte dazu den kritischen Brief eines besorgten Lesers.
     Die Wahlen zur Stadtverordneten- Versammlung vom 20. Oktober 1946 hatten SPD und CDU eine überwältigende Mehrheit gebracht; ein Machtwechsel in der Parochialstraße stand bevor. Noch einmal fanden sich die vier Stadtkommandanten am 23. November 1946 in Werners AmtsWohnsitz ein, um dem scheidenden »OB« persönlich zu danken. Auf ihre Anordnung hin wurde bei der Eröffnung der Stadtverordnetenversammlung am 26. November eine Botschaft der Alliierten Kommandantur verlesen, in der dem bisherigen Magistrat die hohe Wertschätzung angesichts der von ihm über mehr als anderthalb Jahre erbrachten Leistungen zum Wohle Berlins und der Berliner ausgesprochen wurde.
»Der Stadtpräsident von Berlin«

Nach der Wahl von Otto Ostrowski (1883-1963) zum neuen Oberbürgermeister am 5. Dezember 1946 bat Arthur Werner die Alliierte Kommandantur um die Bestätigung seines Rücktritts, ohne die er sein Amt nicht aufgeben zu können vermeinte. Das erregte einen ganz überflüssigen Sturm im Wasserglas, in dem die SPD und die CDUFraktion der Stadtverordnetenversammlung Emotionen hochpeitschten und so taten, als wolle Werner das Wählervotum vom 20. Oktober nicht akzeptieren. Aber für Werner war solch ein Schritt nur die logische Konsequenz seiner stets betonten Sicht auf die Legitimation des von ihm geführten Magistrats: Von der die tatsächliche Macht ausübenden Militärverwaltung des Siegers berufen, war er auch nur von dieser Institution abzuberufen. Das geschah dann am 10. Dezember 1946 durch Beschluss der Alliierten Kommandantur.
     Unter dem Eindruck der politischen Ohrfeige, die das Berliner Wahlvolk am 20. Oktober 1946 der SED verpasst hatte, äußerte sich Arthur Werner in einem Leitartikel der Kulturbund- Wochenzeitung »Sonntag« vom 27. Oktober 1946. Unter der Überschrift »Der Stadtpräsident von Berlin« legte er dar, die Person an der Spitze der Stadtverwaltung müsse angesichts von vier Besatzungsmächten ein gleich gutes Verhältnis zu jeder Macht haben

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und auch gegenüber den diversen sozialen und politischen Gruppierungen in der Stadt ausgleichend wirken, kurzum: Er müsse als neutrale Macht einen entspannenden Faktor einbringen. Der Artikel wurde als Sonderdruck publiziert und in Tausenden von Exemplaren in den Dienststellen der Stadtverwaltung verteilt. Eindruck scheint er allerdings kaum gemacht zu haben, zumal man bei böswilliger Interpretation herauslesen konnte, dass Werner auch unter veränderten Mehrheitsverhältnissen sich erneut als »Stadtpräsident« empfehlen wollte.
     Innerhalb weniger Monate erwies sich jedoch, wie berechtigt Werners Kassandraruf hinsichtlich einer sensiblen Wahrnehmung der Funktion des Oberbürgermeisters unter den gegebenen besonderen Bedingungen Berlins daherkamen. Sein Nachfolger Otto Ostrowski (SPD) war gewillt, das Amt in dem von Werner geforderten Sinn auszuüben und im Interesse der Berliner ein sachliches, ja gutes Verhältnis zu allen Besatzungsmächten und allen Parteien zu unterhalten - aber er wurde gerade deshalb nach einer nur viereinhalb Monate währenden Amtszeit von einer konfrontations- besessenen Fronde in seiner eigenen Partei gestürzt (vgl. BM 2/1996 sowie den Artikel von Podewin in diesem Heft).
Eine »fünfte Besatzungszone Deutschlands«

Was aus späterer Sicht in Werners Leitartikel wesentlich bedeutsamer zu Buche schlug, waren die zur Erklärung seiner Forderung nach Sensibilität gedachten einleitenden Ausführungen zur völker- und staatsrechtlichen Stellung Berlins. Im Gegensatz zur Auffassung der SED- Stadträte bekannte er sich zu Berlin als der »fünften Besatzungszone Deutschlands« und zu der Tatsache, dass Berlin durch den faktischen Zerfall Preußens (noch stand dessen dekretierte Auflösung, die erst am 25. 2. 1947 durch den Alliierten Kontrollrat erfolgte, aus) »die verfassungsrechtliche Qualität eines Landes angenommen« habe. Der Magistrat sei damit nicht mehr bloß eine kommunale Ortsobrigkeit, sondern »die Stadtregierung der fünften Zone von Deutschland«. Dass Berlin die Qualität eines deutschen Landes angenommen habe, wurde von der SED und der hinter ihr stehenden sowjetischen Deutschlandpolitik angesichts von deren determinierter Opposition gegen föderale Strukturen des künftigen deutschen Staates gewiss nicht gern gehört. Auch hatte der vom Magistrat im April 1946 der Alliierten Kommandantur vorgelegte Entwurf einer Berliner Verfassung eingangs proklamiert, die städtische Gebietskörperschaft stünde direkt unter der deutschen Zentralregierung.

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Und noch im Mai 1947 fand sich im Entwurf einer Verfassung für Berlin, den der von der SED gestellte 3. Bürgermeister Heinrich Acker (1896-1954) vorlegte, zwar die Eingangsformulierung, Berlin gehöre keinem der deutschen Länder an, aber jede Qualifizierung Berlins als Land sui generis war vermieden; Acker flüchtete sich stattdessen in die Formulierung, Berlin sei Glied der Deutschen Republik. So stellte Werners vom Oktober 1946 datierendes öffentliches Bekenntnis zu der Auffassung, Berlin habe de facto die staatsrechtliche Qualität eines deutschen Landes angenommen, von der Seite des Magistrats ein Novum dar - das umso mehr Aufmerksamkeit hätte erregen sollen, als es in einem mit sowjetischer Lizenz erscheinenden Publikationsorgan zu lesen war. Die aufgepeitschte Atmosphäre angesichts der Euphorie über den deutlichen Sieg des Berliner Wähler- Protestpotenzials über die SED und - damit implizit - die sowjetische Besatzungsmacht ließ für Werners Aussagen kaum Aufmerksamkeit zu. »Der Stadtpräsident von Berlin« ist bis heute keinem der Standardwerke zur Entwicklung der heutigen Verfassung des Bundeslandes Berlin auch nur eine Erwähnung wert.
     Als Oberbürgermeister a. D. hatte Dr. Werner keine gesicherte Zukunft vor sich. Der zweite, von SPD und CDU beherrschte Magistrat schikanierte ihn regelrecht. Einmal musste sogar der amerikanische Stadtkommandant eingreifen, um dem alten Mann Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Der inzwischen 73- jährige war gezwungen, eine Arbeit als Vertreter einer Baustoff- Firma aufzunehmen. Zum Herbstsemester 1950 eröffnete er wieder seine »Technische Privatschule«, für die er ein Domizil in seinem Haus Köhlerstr. 22 fand und die er zu seiner Freude eine neue Blüte erleben sah. Arthur Werner verstarb am 27. 7. 1967, drei Monate nach seinem 90. Geburtstag. Sein Grab befindet sich auf dem Parkfriedhof Lichterfelde. Zur Umwandlung der Grabstätte zu einem Ehrengrab konnte der Senat sich bis dato nicht entschließen.

Quellen:
- Nachlass Dr. Arthur Werner im Landesarchiv Berlin
- Stadtoberhäupter. Biographien Berliner Bürgermeister im 19. und 20. Jahrhundert. Berlinische Lebensbilder, Bd. 7, hrsg. von Wolfgang Ribbe, Berlin 1992
- Gerhard Keiderling, »Gruppe Ulbricht« in Berlin April bis Juni 1945. Eine Dokumentation, Berlin 1993
- Die Sitzungsprotokolle des Magistrats von Berlin 1945/46, bearbeitet und eingeleitet von Dieter Hanauske. Bd. 1, Berlin 1995, Bd. 2, Berlin 1999

Bildquelle: Repro LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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