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Bettina Michalski
Mit Herz und Hand

Die Oberbürgermeisterin Louise Schroeder (1887-1957)

In schöner Regelmäßigkeit beginnt in historischen Darstellungen unterschiedlicher politischer Färbung die Geschichte Berliner Regierungschefs nach dem Zweiten Weltkrieg erst mit Ernst Reuter. Begründet wird diese seltsam einträchtige Geschichtsschreibung mit der unbestreitbaren Tatsache, dass Louise Schroeder »amtierende«, also scheinbar keine »vollwertige« Oberbürgermeisterin der Stadt war. Zunächst war eben jener populäre Mann mit der Baskenmütze gewählt worden - in vollem Bewusstsein, dass die Sowjetunion mit ihrem Veto dessen Bestätigung durch die Alliierten verhindern würde. Zu groß war für sie die Provokation durch den ehemaligen Kommunisten, der ihnen den Rücken gekehrt hatte und wieder in die SPD zurück gekehrt war. Es war von vornherein klar, dass seine Wahl ein Symbol bleiben würde - ein wichtiges, und der bedrohlichen Situation möglicherweise angemessenes, aber eben ein Symbol. Reuter selber konnte es sich nicht verkneifen, diesen Symbolakt auch noch auf seinen Visitenkarten zu dokumentieren: Als der »gewählte, aber nicht bestätigte Oberbürgermeister von Berlin«

stellte er sich dort vor; eine Geste, die in meinen Augen nicht nur Humor signalisiert, sondern auch die Unfähigkeit, hinzunehmen, dass jemand anders die Position ausfüllen sollte, die er als die »seine« ansah. Dass er mittels seiner hervorragenden Beziehungen und unbestreitbaren Kompetenz diese Ansprüche auch ohne Amt in die Praxis umzusetzen verstand, machte Louise Schroeder ihre ohnedies schwierige Arbeit nicht eben leichter. Es rächte sich vielleicht, dass sie von vornherein ihre Wahl lediglich als vorübergehende Lösung verstand. Den zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie männlich bestimmten Entscheidungskartellen ihrer Partei stand sie nicht im Wege.

Das Altonaer Arbeiterkind

Begonnen hatte Louise ihre parlamentarische Laufbahn als sie nach der Wahl vom 19. Januar 1919 mit 18 weiteren Frauen in die Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung einzog. Kandidiert hatte sie im Wahlkreis Nordschleswig. »Wenn dat man wat ward,« hatten Skeptiker ihr zugerufen. Und ob das was wurde! Louise Schroeder bezeichnet ihre Wahl später als »Moment, wo mein Leben einen vollkommen anderen Verlauf nahm, als ich es vorher absehen konnte«. Vergegenwärtigt man sich die Zeitumstände, in denen sie aufwuchs, erscheint diese Bewertung keineswegs übertrieben.

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Erst nach der Novemberrevolution verfügte der Rat der Volksbeauftragten in einem Dekret das aktive und passive Wahlrecht für Frauen, und zwar für alle Frauen, während einige konservative Frauenorganisationen sich lediglich für ein die Proletarierin ausschließendes »Damenwahlrecht« stark gemacht hatten. Bis 1908 durften Frauen sich ohnehin nicht vereinspolitisch betätigen, denn nach ihrer unübersehbaren Beteiligung auf den Barrikaden der Märzrevolution zog die preußische Obrigkeit es vor, »Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge« von der politischen Organisierung auszuschließen und auf Versammlungen in einen gesondert markierten Teil des Raumes zu verbannen, in dem sie sich jeder Meinungsbekundung zu enthalten hatten. Dass der in der Folge der Novemberrevolution begonnene Weg in die Mündigkeit als Staatsbürgerin in Deutschland keineswegs abgeschlossen ist, legt nicht zuletzt die Tatsache nahe, dass mehrheitlich weibliche Regierungen in Deutschland bis heute noch Meldungswert besitzen.
     Zwei Jahre nachdem endlich auch in Preußen Frauen eingeschränkte politische Rechte zugebilligt worden waren, trat Louise Schroeder 23jährig 1910 in die SPD ein. Schon lange hatte sie insbesondere durch die politische Tätigkeit ihres Vaters Anteil am Parteileben genommen. Aufgewachsen war Louise in der sozialdemokratischen Hochburg

Louise Schroeder 1946

Ottensen, einem proletarischen Viertel in Altona (damals Prov. Schleswig- Holstein), zwischen dem Gemüsekeller ihrer Mutter, in dem sie ihre Hausaufgaben erledigte, und den trotz Verboten durchgeführten Demonstrationen, an denen auch sie gelegentlich teilnahm.

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Reich war auch Familie Schroeder nicht. Louise konnte die Gewerbeschule für Mädchen im Anschluss an die Mittelschule nur dank der finanziellen Hilfe ihrer Schwester absolvieren. Sie arbeitete als kaufmännische Angestellte, lernte auf eigene Faust Englisch und Französisch und arbeitete sich in ihrer Firma zielstrebig nach oben. Sie blieb in dieser Firma, bis die politische Arbeit ihre ganze Aufmerksamkeit verlangte.

Sozialpolitik als Lebensaufgabe

Wie viele Sozialdemokratinnen in der Weimarer Republik widmete sie sich den vielfältigen sozialpolitischen Anforderungen dieser Zeit. In Hamburg gehörte sie zu den Initiatorinnen des Hamburger Ausschusses für soziale Fürsorge, einem Vorläufer der 1919 gegründeten Arbeiterwohlfahrt (AWO), und die Sozialpolitik sollte lebenslang ihr zentraler Aufgabenbereich bleiben. Damals wie heute gilt es eher als »weiches« Politikfeld, das man(n) getrost den Frauen überlassen kann. Louise Schroeder hat dieser Sichtweise immer widersprochen und auch kurz nach den für die SPD erfolgreichen Berliner Wahlen 1946 noch einmal die Bedeutung der inzwischen wieder gegründeten AWO verdeutlicht:
     »Der Staat half nur in den seltensten Fällen, in denen der nackteste Lebensunterhalt nicht mehr vorhanden war.

Er half auf Grund der diffamierenden Armenpflege, die von einer Schuld des in Not Geratenen ausging und infolgedessen mit der Hilfe zugleich staatbürgerliche Rechte nahm ... Objekt dieser Hilfe war in erster Linie die Arbeiterklasse.« Diese wurde nach der Novemberrevolution abgelöst »durch eine durchgreifende Wohlfahrtspflege, die nicht nur dem unmittelbar Hilfsbedürftigen helfen, sondern vorbeugend eingreifen wollte.«1)
     Im Juni 1920 wurde sie erneut in die höchste deutsche Volksvertretung gewählt. Bis 1933 nahm sie ununterbrochen ihr Mandat als Reichstagsabgeordnete wahr. Ihre sozialpolitische Fachkompetenz bestimmte auch dort ihre Tätigkeit: Jugendwohlfahrtsgesetz, Mutterschutz, Achtstundentag, Gleichstellung unverheirateter Mütter, sexualpolitische Fragen; die wegen ihrer Sachlichkeit und Überzeugungskraft in ihrer Fraktion geschätzte Abgeordnete wurde oft an das Mikrofon geschickt, wenn es galt, entsprechende Gesetzesentwürfe zu verteidigen. Für die meisten Herren Parlamentarier waren die weiblichen Abgeordneten ungewohnt oder gar ein Dorn im Auge, und so mussten sich die wenigen Parlamentarierinnen auch hier den Spott anhören. Namentlich die im Sozialausschuss stärker vertretenen Frauen wurden als »Klageweiber« bezeichnet.
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Nach 1945 machte das abschätzige Wort von den »Sozialtanten« die Runde. Louise Schroeder hingegen war sich der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Politikfeldes immer bewusst. In ihren Augen war der Kampf um soziale Rechte ein wichtiger Bestandteil des Eintretens ihrer Partei für die Interessen der Arbeiterklasse: »Da wir unter >Politik< sowohl den Kampf der Gruppen um ihre Stellung innerhalb des Staates als auch die Stellungnahme des Staates zu diesem Kampf und sein Handeln verstehen, so bedeutet >Sozialpolitik<, praktisch genommen, einmal den Kampf der Arbeitnehmerschaft um die Verbesserung ihrer Stellung zu den übrigen Klassen und die Hebung ihrer Lage ... sowie zum zweiten die planmäßige Einwirkung des Staates auf die Lage der Arbeitnehmerklasse und auf ihre Beziehungen zu den anderen Gesellschaftsklassen, vornehmlich auf ihre Stellung gegenüber der Wirtschaft.«2)

Überleben im Faschismus

Während der gesamten Weimarer Republik setzte sie im Parlament, als leitende Funktionärin in SPD und AWO sowie als Dozentin der Wohlfahrtsschule ihr sozialpolitisches Engagement fort. Im März 1933 saß sie im von SA besetzten Reichstag und lauschte in dieser gespannten Atmosphäre der Rede des Fraktionsvorsitzenden Otto Wels. Wie alle anderen Sozialdemokratinnen - die Kommunistinnen waren schon verhaftet oder auf der Flucht - stimmte sie dem unverhohlen zur Schau gestellten Terror zum Trotz

in namentlicher Abstimmung gegen das »Ermächtigungsgesetz«. Neben ihrer Partei wurde natürlich auch die AWO verboten, ihre Wohlfahrtsschule geschlossen. Louise Schroeder bekam auch persönlich den nationalsozialistischen Verfolgungsapparat zu spüren: Sie wurde überwacht und musste sich anfangs täglich zweimal bei der Polizei melden. Außerdem wurde ihr trotz Arbeitslosigkeit die Zahlung einer Arbeitslosenunterstützung verweigert. Wie für viele ihrer Genossinnen war die Selbständigkeit der einzige Ausweg, die eigene Existenz zu sichern. Ihre kleine Brotfiliale ging jedoch schlecht, denn begreiflicherweise scheuten viele Menschen den Schritt über die Schwelle des von Nazis beobachteten Geschäftes der ehemaligen Reichstagsabgeordneten. Andere Besucherinnen hingegen suchten und fanden bei ihr nicht nur Backwaren, sondern gelegentlich illegale Nachrichten. Louise Schroeder gehörte trotz zunehmender Bedrängnis zu den Unbeugsamen und verweigerte auch den obligaten »Hitlergruß«. Schließlich wurde der Druck auf sie zu groß, und es erschien ihr und Freunden sicherer, in Berlin nach Arbeit und Wohnung für sie zu suchen. Louise Schroeder hatte Glück; sie fand Anstellung in einer Baufirma. Der Prokurist unterstützte sie selbst dann noch, als er erfuhr, wen er da in den Reihen seiner Angestellten hatte. Er schützte sie bei den ständigen Betriebsappellen, und als ihre angeschlagene Gesundheit normale Arbeit unmöglich machte, schickte er sie in das ruhigere Umfeld zu einem Bauprojekt nach Dänemark.
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Nachdem Louise Schroeder das erste Mal ausgebombt worden war, zog sie zu Paul Löbe, mit dem sie seit langem eine enge Freundschaft verband. Die große Vertrautheit zwischen der Ledigen und dem verheiraten Löbe war schon zu ihren Lebzeiten immer wieder eine Quelle für den nie erlahmenden Parteitratsch. Als Louise Schroeder sich mit ihrer Nichte zeigte, vermuteten manche, dass es sich wohl um eine gemeinsame Tochter handeln könnte. Die Intensität der Beziehung der beiden Spitzenfunktionäre beschäftigt seltsamerweise bis heute gelegentlich die Historiker. Während Partnerschaften außerhalb der Ehe für Männer bis in die obersten Ränge zumeist ohne große Aufregung hingenommen wurden, scheint diese Möglichkeit bei einer Frau die Gemüter zu beschäftigen - möglicherweise lediglich ein Indiz für doppelte Moral im Geschlechterverhältnis, das auch vor der Sozialdemokratie nicht Halt macht.

Kampf im Wiederaufbau Berlins

Die Strapazen von Krieg und Verfolgung hatten ihre Spuren bei Louise Schroeder hinterlassen. Sie war schwer magenkrank und unterernährt, als sowjetische Truppen Berlin im April 1945 erreichten. Und doch fehlte die mittlerweile 58jährige Frau natürlich nicht, als Sozialdemokratinnen sich im Juni 1945 in Berlin- Kreuzberg versammelten und mit neuem Mut den Wiederaufbau ihrer Partei begannen,

manche mit sorgsam versteckten Mitgliedskarten oder gar dem Beitrag für die zwölf Jahre der Verfolgung in der Hand.
     Innerhalb der SPD war in den ersten Nachkriegsjahren die Generation der Vierzigjährigen unter den Frauen stark vertreten und brachte das theoretische wie praktische Rüstzeug der Arbeiterjugendbewegung mit ein. Doch nur wenige unter ihnen verfügten über einen derart umfassenden Erfahrungsschatz wie Louise Schroeder, die sich schnell über ihren Heimatbezirk Schöneberg hinaus Respekt erwarb und unersetzlich schien. Ein Ruhestand in der zweiten Reihe kam damit für Louise Schroeder nicht in Frage; sie wurde Mitglied im Zentralausschuss der SPD, dem Parteivorstand. Damit wurde sie mitten hinein geworfen in die anstehenden, ständig an Schärfe zunehmenden Auseinandersetzungen innerhalb der Partei über ihren Kurs gegenüber der KPD und der sowjetischen Besatzungsmacht.
     Rücksicht auf ihre Gesundheit lehnte Louise Schroeder nachdrücklich ab, und ihre Freunde hatten es immer schwer, ihr ein wenig Fürsorge angedeihen zu lassen. Ihre spätere Sekretärin und Vertraute, die Schöneberger Sozialdemokratin Gertrud Loppach, wurde in einem Interview gefragt, ob denn die zu diesem Zeitpunkt bettlägerige Oberbürgermeisterin eine Extrazuteilung an Lebensmittelkarten erhalte:
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»Ganz im Gegenteil, meist gibt sie von ihren Rationen noch etwas ab.« Die immer wieder notwendigen medizinischen Behandlungen betrachtete Louise Schroeder offenbar mit einem Schuss ironischer Distanz. Aus einem Hamburger Krankenhaus schrieb sie an Frau Loppach, mit der sie in ständigem Kontakt blieb: »Der Professor behauptet, ich sei ein medizinisches Wunder; nach dem Befund hätte ich längst in Bln (Berlin) umgefallen sein müssen. Ich halte das für Übertreibung, kann es aber nicht beweisen. ... Sie lassen mich aber nicht los, obgleich ich ihnen alles verspreche: nur Diät, nicht mehr in Tempelhof schlafen, keine langen Reden, nützt alles nichts. Was tun? Kann ihnen ja nicht ausrücken.«3)
     Sie sprach in ihrer Arbeit wiederholt besonders die Frauen der Stadt an, die in Folge des Krieges bei weitem die Mehrheit stellten. Doch Louise Schroeder sah nicht nur numerische Gründe für die Notwendigkeit weiblichen Engagements in der Politik. Sie erhoffte eben dort - bei den Frauen - ein fachkundiges und unverzichtbares Potential: »Das Leben der Frauen ist durch den Krieg und die Nachkriegsverhältnisse unvorstellbar hart geworden. ... Ist schon aus diesen nächstliegenden Gründen (Wohnung, Kleidung, Bildung, Gesundheit; B.M.) die Mitarbeit von Frauen in Parlament und Verwaltung außerordentlich notwendig, so darf sie sich doch darauf allein nicht beschränken. Sie müssen versuchen, in den ganzen Kreis der kommunalen Aufgaben einzudringen.
Nur wenn sie sich auch an die Durcharbeitung jener Fragen machen (Finanz-, Steuer- und Wirtschaftsfragen), die die Vorbedingungen schaffen müssen für den sozialen Wiederaufbau der Gemeinde, werden sie von dem richtigen Standpunkt aus an die Lösung der Aufgaben herangehen.«4)
     Für Louise Schroeder waren also Finanz- und Wirtschaftspolitik, sonst hoch bewertete Disziplinen, nur Hilfsmittel zur Durchsetzung politischer Ziele in der Königsdisziplin - der Sozialpolitik. Hier suchte sie nach Mitstreiterinnen. Sie galt dabei über die Parteigrenzen hinweg zu Recht als glaubwürdig, und sie nutzte ihre Reputation, ohne sich anzubiedern:
     In den seit Juni 1945 bestehenden, paritätisch besetzten Frauenausschüssen, die in allen Berliner Bezirken sowie auf Magistratsebene in die neu entstehende Kommunalverwaltung eingebettet waren, wirkten trotz aller Reibereien die Frauen aller zugelassenen Parteien gemeinsam. Mit der Spaltung der Stadt geriet dieses interessante Modell eines basisdemokratischen, parteiübergreifenden Frauennetzwerkes zwischen die machtpolitischen Mühlsteine. Die SED versuchte, Teile der zerfallenden Frauenausschüsse im 1947 gegründeten Demokratischen Frauenbund Deutschlands zu sammeln. Zum Gründungskongress war auch Louise Schroeder eingeladen - nicht als Sozialdemokratin, sondern als Vertretung des Berliner Magistrats.
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Vorsichtig und doch unüberhörbar gibt sie ihrer Hoffnung Ausdruck, daß die fortbestehende und sich vertiefende Spaltung nicht zu erneutem Kampf gegeneinander führen möge:
     »Wir Frauen, die wir den Krieg und seine Folgen erlebt haben und wahrscheinlich noch lange seine Folgen verspüren werden, wir sagen aus tiefstem Innern zu diesem Ziele: Ja! Ich verrate kein Geheimnis, daß vielleicht nicht die gleiche Einigkeit über den Weg zu diesem Ziele besteht. ... Zwei Wege ist man gegangen, und zwei Wege wird man auch heute gehen. Aber ich glaube, wenn auf beiden Wegen das Ziel unverrückbar vor Augen gehalten wird, und wenn gleichzeitig die ehrliche Anerkennung der innersten Überzeugung derjenigen vorhanden ist, die den anderen Weg beschreiten, dann ist das kein Unglück.«5)
     Ausgerechnet ihre langfristige Kampfgefährtin Toni Wohlgemuth, die den Weg aus der SPD in die SED genommen hatte, kontert diese dezente Mahnung in aller Schärfe:
     »Wir haben gehört, daß an dieser Stelle gesagt wurde, es gäbe zwei Wege, die man gehen kann. Ja, meine Freundinnen, es gibt viele Wege, die nach Rom führen, aber viele Wege, die verkehrt führen, und nur ein Weg, der richtig ist und der zum Ziel führt. Und dieser eine Weg ist die Einigkeit.«6)
     Schroeders Haltung auf dem DFD- Kongress war durchaus typisch für sie. Wo irgend möglich bemühte sie sich um Brückenschläge.
Es wäre falsch, dies mit Nachsichtigkeit oder gar Furcht vor Auseinandersetzungen misszuverstehen. In ihrem Leben hatte sie bewiesen, dass sie weder ängstlich war, noch bereit, ihre Grundüberzeugungen preiszugeben. Louise Schroeder versuchte lediglich, alle nur möglichen Kräfte zu mobilisieren, um Spaltung dort entgegenzuwirken, wo sie gemeinsame Ziele erkannte.
     Innerhalb der Berliner SPD war die anfängliche Sehnsucht nach einem Ende des »Bruderkampfes« in der Arbeiterinnenbewegung schnell der Erkenntnis gewichen, dass zum aktuellen Zeitpunkt die Schaffung einer gemeinsamen Arbeiterpartei die Gefahr einer Unterordnung unter die Interessen der Sowjetunion mit sich bringen würde. Bereits die offene Diskussion und erst recht die Beteiligung an der fast ausschließlich in den Westbezirken 1946 durchgeführten Urabstimmung über die Frage einer Vereinigung oder Zusammenarbeit mit der KPD wurde im Ostteil der Stadt durch die sowjetische Besatzungsmacht verhindert. Über den persönlichen Entscheidungsprozess Louise Schroeders liegen unterschiedliche Bekundungen von Zeitzeugen vor. Nachlesbar ist allerdings ihr unmissverständliches Plädoyer aus dem Jahre 1948, das keinerlei Raum für Interpretationen lässt:
     »Nur die Völker, die sich demokratische Rechte erworben und erhalten haben, sind in der Lage, den Machtgelüsten der Staatsmänner ein Paroli zu bieten.
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Zu diesem Zweck gilt es, den demokratischen Gedanken zu stärken und die demokratischen Parteien zu stützen. ... Aus diesem Grunde bekennen wir uns zur Sozialdemokratie, das heißt, wir wollen durch die Demokratie, durch den Volkswillen zu einem gerechten Wirtschaftssystem kommen, das die beste Gewähr bietet für Toleranz und Menschenrechte im Innern, für Völkerverständigung nach außen.«7)
     Es sollte an dieser Stelle nicht übersehen werden, dass ihr Bekenntnis zur Demokratie auch einen Anspruch an die ökonomische Gestaltung des Landes einschloss. Mit dem in Deutschland erreichten kapitalistischen System hatte sie ihren Frieden keineswegs geschlossen.

Die Oberbürgermeisterin Berlins

Die innerparteilichen Kämpfe, begleitet von der Angst um die weitere Entwicklung in der Stadt, Drohungen insbesondere im Ostteil sowie persönliche Diffamierungen und Enttäuschungen, waren strapaziös genug. Sie waren jedoch nur ein Teil der mit aller Härte geführten Auseinandersetzungen um die Sicherung der Machtposition in der ehemaligen Reichshauptstadt, die schließlich zur Spaltung der Stadt führten. Seit Mai 1947 war Louise Schroeder mit der Führung der Amtsgeschäfte der Berliner Regierung betraut. Nachdem Reuter die Bestätigung als Oberbürgermeister versagt worden war, blieb sie im Amt und vertrat fortan Berlin als Oberbürgermeisterin.

Sie stand vor einem schier überragenden Berg Arbeit: Täglich wandten sich Berlinerinnen mit den unterschiedlichsten existentiellen Problemen an sie, da ein Ausschuss für Eingaben noch nicht bestand und man seine Sorgen bei ihr in den richtigen Händen wusste. Sie hatte ein Mammutressort zu verwalten, das alleine schon die Kraft mehrerer Schultern bedurft hätte. Zu der ständigen Sorge um die katastrophale Versorgungslage der Menschen in Berlin kam jetzt noch die sich immer deutlicher abzeichnende Isolierung der Stadt. Fast täglich kamen Meldungen aus den östlichen Bezirken, in denen Vertreter legaler Parteien, Jugendorganisationen oder Gewerkschaften drangsaliert und gewählte Kommunalpolitiker amtsenthoben wurden, etwa die Bürgermeisterin im Prenzlauer Berg, die spätere Jugendsenatorin Ella Kay, an die heute eine Straße im Bezirk erinnert.
     Auf den Konferenzen der Ministerpräsidenten der Westzonen schilderte sie eindringlich die möglichen Folgen der Spaltung durch die Einführung einer eigenen Währung im Westteil der Stadt und erreichte, dass Berlin zum Notstandsgebiet erklärt wurde. Sie drückt ihre beständige Hoffnung auf Einheit auch auf diesen Konferenzen aus:
     »... aber vielleicht kommt doch der Tag, wo wir uns alle - und dann, wie ich hoffe, die Vertreter aller deutschen Länder - in Berlin wiedertreffen.«8)
     Sie hätte noch lange leben müssen, um diese Hoffnung erfüllt zu sehen.
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Louise Schroeder versuchte trotz des immer schmaler werdenden Grates, die Spaltung der Stadt abzuwenden, stieß dabei aber weder bei Ernst Reuter noch bei den amerikanischen Alliierten auf besondere Zuneigung und konnte sich mit ihrer Linie nicht durchsetzen. Trotz dieser Niederlage zog sie sich nicht zurück, sondern nahm ihre Verantwortung weiterhin wahr. Nach Einführung der Westwährung und der kurz darauf durch die sowjetischen Behörden verhängten Blockade über den Westteil Berlins versuchten die Stadtverordneten im Juni 1948 im (noch) gemeinsamen Stadtparlament, die Lage auf einer Sitzung zu beraten. Der Plenarsaal war durch DemonstrantInnen besetzt worden, und auch die Oberbürgermeisterin wurde niedergeschrien. Aus Sorge um ihre Chefin ließ die Sekretärin Gertrud Loppach Louise Schroeders Fahrer zur Hintertür kommen, während sie vorsorglich den Raum der Oberbürgermeisterin verschlossen hielt.
     Während sich die Lage weiter zuspitzte, musste Frau Schroeder im August wegen ihres immer dramatischer werdenden Krankheitsverlaufes in ein Hamburger Krankenhaus eingewiesen werden. Die Bemühungen, ihr die besorgniserregenden Berichte vorzuenthalten, schlugen fehl, denn sie wollte auf dem Laufenden bleiben. Wieder war es Frau Loppach, die für den regelmäßigen Nachschub an Nachrichten sorgte. So schilderte sie ihr die erneuten Belagerungen des Stadthauses im September:
»Laut heutiger Presse müssen die Vorbereitungen für die Neuwahlen im Ostsektor eingestellt werden. Bürgermeister Pomezny (Lichtenberg) von seinem Amt zurückgetreten. Bezirksrat Hohls, Friedrichshain, entlassen. Vielleicht ist es falsch, wenn ich Ihnen dieses in so kurzen Stichworten berichte. Ich glaube aber, daß Ihre Gedanken doch viel in Berlin sind. ... Die Menschengruppen vergrößern sich. Ich höre aus der Ferne einige Sprechchöre, die aber nicht zu verstehen sind. ... Es wird jetzt auf der Straße recht lebhaft, und ich will meinen Brief schließen, damit hier klarer Tisch ist, falls es böser werden sollte. Ängstlich sind wir jedoch nicht, und ich verlasse unser Büro erst, wenn man mich mit Gewalt herausholen sollte.«9)
     Das Büro Schroeder muss in der Folge ebenso in den Westteil umziehen wie die Stadtverordnetenversammlung, um eine weitere Arbeit zu garantieren, und Gertrud Loppach hatte nach und nach wichtige Akten hinüber geschmuggelt. Louise Schroeder fand bei ihrer Rückkehr nach Berlin das Mobiliar in ihrer Wohnung vor. Sie musste sich noch schonen, und an geregelte Arbeit war noch nicht zu denken. Sie wandte sich aber z.B. in einem Wahlaufruf an Bürgerinnen der Stadt und verband in ihrem Appell wiederum demokratische und soziale Rechte:
     »Mit tiefer Sorge empfinden Sie es ebenso wie ich: die Wintermonate, denen wir in diesem Jahre mit besonderer Vorsorge entgegengeblickt haben, nehmen ihren Anfang.
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Was Sie als einzelner, die Behörden insgesamt tun konnten, ist geschehen. Kälte und Finsternis aber können nicht voll behoben werden, weil stärkere Mächte unser Schicksal bestimmen. Nun sollen wir am 5. Dezember zur Wahl gehen! Da werden Sie sich vielleicht fragen: haben unter solchen Umständen Wahlen einen Wert? Lassen Sie mich eins antworten: gerade die Berliner Bevölkerung hat sich durch ihre Tapferkeit, ihren Mut der demokratischen Rechte würdig erwiesen, denen sie durch den Stimmzettel Ausdruck verleihen kann und soll. Durch diesen Stimmzettel entscheiden wir ... über die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Fragen, die Ihr und mein persönliches Schicksal beeinflussen. Die von uns gewählten Männer und Frauen haben darüber hinaus die große Aufgabe, uns voranzugehen in dem Ringen um ein einheitliches freies Deutschland, in dem Berlin wieder wie einst die Stellung der Hauptstadt einnimmt.«10)
     Louise Schroeder würde nach der Wahl nicht mehr Oberbürgermeisterin sein. Dennoch nahm sie im Wahlkampf der SPD eine wichtige Funktion ein. Nicht umsonst warb ihre Partei: »Wer klug ist, der wählt diese - unsere Louise!« Das Wahlergebnis schien der SPD recht zu geben: 64,5% waren das höchste Ergebnis, das sie jemals in der Stadt erreichen konnte. In einer Ausnahmesituation könnte man relativieren; aber auch Louise Schroeder war eine Ausnahmeerscheinung, wie sie selten auf der politischen Bühne der Stadt zu sehen war. Dass sie nicht nur in den eigenen Reihen als eine geeignete Kandidatin für das Amt einer
Bundespräsidentin im Gespräch war, zeigt, wie weit ihre Anerkennung reichte.
     Die vermeintlich so schroffen BerlinerInnen brachten der zurückhaltenden Norddeutschen jedenfalls ihre uneingeschränkte Herzlichkeit entgegen. Als im Mai 1949 nach dem Ende der Blockade die Stadt erstmals wieder aufatmete und auf einer großen Kundgebung die gesamte Prominenz von Konrad Adenauer bis Carlo Schmid redete, stand sie wie so oft im Schatten der Mächtigen. Der SPD- Landesvorsitzende Franz Neumann hatte die Versammlung eigentlich schon geschlossen, musste sich jedoch eines Besseren belehren lassen: »(Es) brachen plötzlich Sprechchöre los, die nichts anderes als immer wieder dies riefen: ,>Louise! Louise!< Denn das verlangten die Sprechchöre. Louise Schroeder, die nicht als Redner vorgesehen war, sollte sprechen. Es war nicht zu übersehen, der Schreiber der Zeilen war auch hier unmittelbarer Zeuge: dieser zarten, weißhaarigen Frau auf dem Rathausbalkon liefen die hellen Tränen über die Backen.«
     Am 100. Geburtstag dieser Frau sollte ihre seinerzeit umjubelte Rede anlässlich einer Feierstunde im Berliner Abgeordnetenhaus noch einmal zu hören sein. »Und in den Beifall derer, die am 12. Mai 1949 vor dem Rathaus Schöneberg gestanden hatten, mischte sich achtunddreißig Jahre danach so etwas wie Enthusiasmus aus den Reihen der Zuhörer, von denen nur noch wenige eine persönliche Erinnerung an Louise Schroeder hatten. Eine Stimme schlug sie in ihren Bann.«
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So schilderte Manfred Rexin, Vorsitzender des Franz-Neumann- Archives, die Reaktion einer erneut beeindruckten Zuhörerschaft.
     Im Gedächtnis ihrer langjährigen Wirkungsstätte bleibt Louise Schroeder bis heute lebendig, auch wenn den meisten Befragten ihr Name erst nach einiger Überlegung einfällt. Noch zu Lebzeiten, nur wenige Wochen vor ihrem Tod am 4. Juni 1957, wurde Louise Schroeder als erster Frau in Berlin die Ehrenbürgerschaft verliehen. Der Platz in Berlin- Wedding, der ihren Namen trägt, ist zwar nur klein, während Ernst Reuter ein zentraler Platz mitten im Westteil der Stadt eingeräumt wurde - sie blieb eben trotz aller Wertschätzung nur die »Amtierende«.
     Seit 1997 erinnert außerdem eine vom Berliner Senat verliehene Medaille an sie. Frauen im Abgeordnetenhaus hatten lange dafür streiten müssen, neben der Ernst-Reuter- Plakette unter ihrem Namen Frauen auszuzeichnen, die sich »um Demokratie, Frieden, soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung von Frauen und Männern« besondere Verdienste erworben haben.11) Louise Schroeders »zupackende Gestaltungskraft, ihr Mut und ihre Hinwendung zu den brennenden Problemen der einfachen Menschen im Alltag« waren seinerzeit dem Abgeordnetenhaus zu Recht Anlass genug, diese Medaille ins Leben zu rufen. Das soziale Schicksal des heute oft nur in Sonntagsreden beschworenen »Menschen auf der Straße« war für Louise Schroeder tatsächlich wichtigster Antrieb ihres gesellschaftlichen Handelns - ein Maßstab, an dem sich Politikerinnen nicht nur anlässlich von Medaillenverleihungen messen lassen sollten.
Quellen:
1 Louise Schroeder, Aufgaben der Wohlfahrtspflege, in: Das Sozialistische Jahrhundert, Jg. 1, Heft 1/2 (November 1946), S. 14 f.
2 Zitiert nach: Bettina Michalski, Louise Schroeders Schwestern, Berliner Sozialdemokratinnen der Nachkriegszeit, Bonn 1996, S. 222
3 Ebenda, S. 172
4 Louise Schroeder, Die Arbeit in den Städten, in: Das Sozialistische Jahrhundert, Jg. 2, Heft 7/8 (Februar 1948), S. 94
5 Protokoll des Deutschen Frauenkongresses für den Frieden, Berlin 1947, S. 11
6 Ebenda. S. 98
7 1.Mai- Zeitung der Berliner SPD 1948, Franz-Neumann- Archiv
8 Zitiert nach: Marthina Koerfer, Louise Schroeder, Eine Frau in den Wirren deutscher Politik, Berlin 1987, S. 39
9 Franz-Neumann- Archiv, Dep. Loppach
10 in: Das Sozialistische Jahrhundert, Jg. 2, Heft 23 (November 1948)
11 Abgeordnetenhaus, Drucksache 13/1543 (9. 4. 1997)

Bildquelle: Franz-Neumann- Archiv

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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