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Dorothea Führe
Er kam nicht als Rächer

Jean Ganeval - Kommandant der französischen Militärregierung in Berlin (1894-1981)

General Jean Ganeval übernahm im Herbst 1946 die Leitung der französischen Militärregierung für deren Berliner Sektor. Seine Person prägte hier maßgeblich die französische Besatzungspolitik und trug entscheidend zu einem besseren Ansehen der Franzosen in der Berliner Bevölkerung bei.
     Am 24. Dezember 1894 geboren, sein Vater war General, schlug er die militärische Laufbahn ein. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er aktiv teilnahm, war er von 1919 bis 1921 in der französischen Militärmission in Berlin tätig. Von 1926 an arbeitete er als Mitglied des »Deuxième bureau« (Militärischer Geheimdienst) in Syrien, das damals unter französischem Protektorat stand. Weitere Stationen seiner beruflichen Karriere waren die baltischen Republiken (Militärattaché ab 1933) und Finnland (1939). Nach der Kapitulation Frankreichs arbeitete er für die Résistance. 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und im Konzentrationslager Buchenwald interniert, das er erst nach der Befreiung 1945 verlassen konnte.


General Jean Ganeval während der Sitzung der vier Kommandanten in der Alliierten Kommandantur

Bevor er die Leitung der französischen Militärregierung in Berlin übernahm, war er Vertreter des Oberbefehlshabers der französischen Besatzungsarmee. Trotz schlimmer Erfahrungen im deutschen Konzentrationslager Buchenwald kam er nicht als Rächer nach Berlin, sondern suchte die Verständigung und die Versöhnung mit der Bevölkerung. Viele Berlinerinnen und Berliner erinnern sich gerne an ihn als einen feinsinnigen und verständnisvollen Menschen. Auch bei seinen alliierten Kollegen genoss er Hochachtung, was aber der Durchsetzung französischer Positionen in der Alliierten Kommandantur kaum zugute kam.
     1950 zeichnete ihn der US- amerikanische Hohe Kommissar, John J. McCloy, mit dem Orden »Legion of Merit« für seine Verdienste um die Durchsetzung der Demokratie aus.

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Der ehemalige französische Stadtkommandant begrüßt bei einem Besuch 1953 in Berlin Louise Schroeder (links, neben ihr Stadtkommandant General Pierre Manceaux-Démiau, rechts Frau Ganeval)
verschärfenden Konflikten zwischen den Vertretern der USA und der Sowjetunion. Die von ihm angebotenen Lösungen scheiterten aber - auch bei nebensächlichen Diskussionspunkten - an den ideologischen Grundpositionen der beiden Großmächte. In seinen eigenen Anmerkungen zu den Sitzungen der Alliierten Kommandanten bedauerte er häufig, dass ein unsachliches Klima den Blick auf das Grundlegende verstellte.
     Zu den Berliner Politikern und Politikerinnen unterhielt General Ganeval gute Beziehungen. Insbesondere während der Krise um den Oberbürgermeister Ostrowski setzte er sich für eine rasche Beilegung des Konfliktes ein.
In der Verleihungsurkunde heißt es: »Divisionsgeneral Jean X. Ganeval hat den Alliierten und der Seite der Demokratie während seiner vom Oktober 1946 bis zum Juni 1950 dauernden Tätigkeit als Kommandant des französischen Sektors in Berlin außerordentlich wertvolle Dienste geleistet.«1) Davon zeugen auch zahllose Protokolle aus den Sitzungen der alliierten Gremien. Ganeval übernahm in der Regel den Part des Vermittlers zwischen den sich im Laufe der ersten Nachkriegsjahre Ein Fehlverhalten Ostrowskis vermochte er nicht zu erkennen, aber er akzeptierte das demokratisch zu Stande gekommene Votum der Stadtverordnetenversammlung, die seine Abwahl vorantrieb. Große Achtung brachte Ganeval Louise Schroeder entgegen. Er hätte es gerne gesehen, wenn sie zur Nachfolgerin von Ostrowski vorgeschlagen worden wäre: »Ihre Wahl wäre ein Akt der Klugheit.«2) So formulierte er seine Wertschätzung gegenüber dieser Politikerin.
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In einer anderen Angelegenheit konnte General Ganeval seine Vorstellungen erfolgreich durchsetzen. Sein Interesse galt der Privatschule von Mater Luminosa Wimmer, für deren Zulassung sich die französische Militärregierung 1947 stark machte. In der Alliierten Kommandantur wurde die Einrichtung von Privatschulen mit Skepsis betrachtet, auch von Frankreich, das ein demokratisch kontrolliertes Schulsystem befürwortete. Für die Eröffnung der Schule von Mater Luminosa Wimmer aber sprachen mehrere Gründe: Zum einen sollte sie die ohnehin überfüllten staatlichen Einrichtungen in Reinickendorf entlasten, zum anderen überzeugte Ganeval die Ausstattung und die Qualifikation der Unterrichtenden, von denen die meisten während des Nationalsozialismus Unterrichtsverbot hatten. Mater Luminosa Wimmer war General Ganeval aus privaten Kontakten bekannt, und er war von ihrem Engagement für einen Neuanfang im Schulwesen beeindruckt. Die Argumente des Generals schienen seine Kollegen zu überzeugen. Im September 1947 erhielt Wimmer schließlich die Zulassungsgenehmigung. Am 4. November desselben Jahres wurde der Unterricht mit 70 Schülerinnen aufgenommen3) Ein Jahr später stieg die Zahl bereits auf 200 an. Die Schule wurde nach dem katholischen Orden, dem die Lehrerinnen angehörten, Salvator- Schule genannt und ist bis heute eine respektable Einrichtung im Bezirk Reinickendorf. Dieses Beispiel zeigt, dass General Ganeval seine politischen Entscheidungen nicht abstrakten Direktiven unterwarf, sondern je nach Sachlage und seinen demokratischen Überzeugungen urteilte.
     Nach seinem Weggang aus Berlin im Jahr 1950 war er als Hochkommissar im Amt für Sicherheit in Deutschland und als französischer Vertreter in der gemischten deutsch- französischen Kommission tätig. Auch in diesen Gremien prägte sein Versöhnungswille seine politische Haltung. Bis zu seiner Pensionierung war er politisch zunächst für die UNR (Union pour la nouvelle République), dann für die Unabhängigen Republikaner unter Giscard d'Estaing tätig. Am 12. Januar 1981 starb er in Paris.4)

Quellen:
1 Landesarchiv Berlin (LAB), Zeitgeschichtliche Sammlung (LAZ) Nr. 12086 vom 11. 12. 1950
2 Bericht von Ganeval an seinen Vorgesetzten vom 21. 6. 1947, Archives de l'Occupation Française en Allemagne et en Autriche, Colmar (AO, GMFB c. 62)
3 Schulchronik der Salvator- Schule von 1997, zusammengestellt aus Anlaß des 50jährigen Bestehens
4 Alle biografischen Angaben aus: Munzinger Archiv 26/81

Bildquelle: Landesbildstelle Berlin

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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