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Peter Jahn
Der weiße Rabe unter den Kommunisten?

Stadtkommandant Nikolaj E. Bersarin (1904-1945)

Als am 13. Juli 2000 im Abgeordnetenhaus von Berlin über die erneute Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den ersten Stadtkommandanten am Ende des Zweiten Weltkriegs, den sowjetischen Generaloberst Nikolaj Erastowitsch Bersarin, diskutiert wurde, erfuhren manche jüngeren Berliner vielleicht erstmals überhaupt von seiner Existenz. Was sie dabei erfuhren, konnte allerdings nur Zweifel wecken, denn in seiner Charakterisierung tat sich zwischen den Parteien ein tiefer Graben auf. Als »schillernde Persönlichkeit« im Dienst der roten Diktatur, die keineswegs zu den »Gutmenschen« gezählt werden könne, wurde er von der einen Seite geschildert, die Verleihung der Ehrenbürgerwürde müssten die Opfer der Stalin- Zeit als Verhöhnung empfinden, diejenigen, die dafür stimmten, seien allzu intensiver politischer »Rotlichtbestrahlung« ausgesetzt gewesen. Dagegen wurden von der anderen Seite Verdienste Bersarins gesetzt.

Er habe 1945 nicht allein die Exzesse marodierender Soldaten eingedämmt und die Berliner Bevölkerung in einer schwierigen Situation ausreichend versorgen lassen, auch Infrastruktur, Bildung und Kultur seien in dieser prekären Situation bewundernswert von ihm, dem »weißen Raben« des Kommunismus, wiederbelebt worden. Dem Unkundigen und Wissbegierigen wird es dadurch gewiss schwer, sich ein zutreffendes Bild dieses Mannes zu machen, zumal er lediglich knapp acht Wochen, vom 28. April bis zu einem tödlichen Motorradunfall am 16. Juni 1945, als Stadtkommandant mit diktatorischen Vollmachten verantwortlich für das Schicksal der Berliner war.
     Dabei war Nikolaj Erastowitsch Bersarin schon einmal Ehrenbürger Berlins gewesen, seit 1975 im Ostteil der Stadt. Dass ihn die ehrenden Instanzen der DDR als beispielhaft für den Sozialismus und damit auch als Beweis für seine generelle Überlegenheit priesen, lag in der Natur der Systems. Mit seinem Ende wäre demnach eine Prüfung der Lobpreisungen auf ihren historischen Gehalt durchaus verständlich gewesen, um dann über den Geehrten entscheiden zu können. Aber es kam anders, dem Geehrten wurden die Formen der Ehrung übel genommen, die Kritik an den ehrenden Instanzen der DDR wurde kurzerhand auf Bersarin übertragen. Ab 1990 verschwand sein Name - aus dem Stadtbild wie auch aus der Liste der - jetzt Gesamtberliner - Ehrenbürger.
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Nikolaj Erastowitsch Bersarin vor dem Reichstag im Mai 1945
So weit die Löschung aus dem öffentlichen Gedächtnis überhaupt begründet wurde, blieb es vage, im Sinne einer moralischen Gesamthaftung für das System ohne Ansehen der Person, oder es wurden Vorwürfe der Beteiligung an Verbrechen im 1940 okkupierten Lettland erhoben, die allerdings auch nicht dokumentarisch belegt wurden. So sollen hier jenseits aktueller Parteidebatten einige gesicherte Informationen über Bersarin zusammengefasst und auf dieser Grundlage eine Einschätzung seiner Tätigkeit versucht werden. Wer die Leistung Bersarins in seiner knapp acht Wochen dauernden Tätigkeit als Stadtkommandant Berlins einschätzen will, muss sich den Zustand der Stadt am Ende der Kämpfe Anfang Mai 1945 deutlich machen. Nach mehrjährigen Bombenangriffen der Westalliierten, die in den ersten Monaten des Jahres 1945 noch einmal gesteigert worden waren, wurde die Stadt zehn Tage lang zum Schlachtfeld.
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Mehr als 800 000 sowjetische Soldaten kämpften sich unter dichtem Artilleriefeuer zum Stadtzentrum, zu Reichskanzlei und Reichstag vor, 70 000 Menschen, unter ihnen ca. 30 000 Zivilisten, wurden in diesen Kämpfen getötet. In den Kellern hausten etwa zwei Millionen Bewohner der Stadt, von denen viele schlimme Erfahrungen mit marodierenden Soldaten machen mussten. Niemand wusste in diesem Moment, ob in einigen Monaten noch eine Stadt Berlin existieren würde.
     Mitte Juni 1945, als Nikolaj Bersarin bei einem Motorradunfall getötet wurde, war aus dem Schlachtfeld schon wieder eine Stadt geworden. Natürlich war das eine Trümmerstadt, in der zu diesem Zeitpunkt nur ein gutes Drittel der Gebäude voll nutzbar war, aber die Rekonstruktion städtischen Lebens hatte erkennbar begonnen. Die Bevölkerung wurde knapp, aber ausreichend ernährt (zum Ärger vieler sowjetischer Armeeangehöriger bekamen die Deutschen mehr als die eigenen Angehörigen in der Sowjetunion), die Straßen waren zumindest notdürftig freigeschaufelt worden und wieder benutzbar, die Versorgung mit Wasser, Strom und Gas war bemerkenswert schnell und effizient zum großen Teil wieder hergestellt worden, das Verkehrsnetz wurde wieder geknüpft (die erste U-Bahn- Teilstrecke war bereits Mitte Mai wieder eröffnet worden), auch wenn es noch große Lücken aufwies. Aber nicht nur die materielle Versorgung war
gesichert und die materielle Infrastruktur im schnellen Neuaufbau begriffen, auch der kulturelle und politische Neuanfang wurde durch die sowjetische Stadtobrigkeit stimuliert. Aufbau einer Kommunalverwaltung, erste Zeitungen und Inbetriebnahme des Rundfunksenders in der Masurenallee, Kinos und Theater nahmen ihre Spieltätigkeit auf, das erste Sinfoniekonzert fand am 16. Mai statt, also zwei Wochen nach der Berliner Kapitulation am 2. Mai. All das hatte niemand Anfang Mai erwarten können. Das Schlachtfeld war wieder zur Stadt, der leblose Stadtkörper war reanimiert worden.
     Im Mittelpunkt dieser Aktivitäten stand der Stadtkommandant Nikolaj Bersarin. Von russischen wie von deutschen Zeitgenossen wurden im Rückblick bewundernd persönlicher Einsatz, Energie, Pragmatismus und Fürsorge des Generals beschrieben, eine Fürsorge, die nach übereinstimmendem Urteil sich um die Deutschen wie um die eigenen Landsleute sorgte - und das nach einem Krieg, der von deutscher Seite mit dem Ziel der totalen Unterwerfung und der millionenfachen Vernichtung angefangen worden war. Natürlich waren Grundzüge dieser Maßnahmen aus der politischen Zentrale Moskau mit langfristigen politischen Überlegungen vorgegeben worden, die grundsätzlichen Vorgaben für die Normen der Lebensmittelversorgung lagen nicht in der Hand eines Stadtkommandanten.
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Aber Befehle konnten so oder so ausgeführt werden. Den Deutschen das Befohlene widerwillig zukommen zu lassen und gerade einmal zu sehen, dass keine Seuchen ausbrachen, war eine Möglichkeit, die auch mancher sowjetische General aus gut erklärlichen Gründen nach diesem Krieg bevorzugt hätte. Sich in die Situation und Bedürfnisse der Feinde von gestern hineinzuversetzen, sie als Objekt wie auch als Partner einer energischen Fürsorge zu machen und damit aus den politischen Vorgaben ein Maximum für die Besiegten herauszuholen, war eine davon weit entfernte alternative Handlungsmöglichkeit. Der Unterschied zwischen beiden Möglichkeiten findet sich im Überleben von Zehntausenden, wenn nicht gar Hunderttausenden wieder und - ebenso wichtig - im Ausweg aus der Apathie zu einer kleinen Lebensperspektive für die Berliner.
     Es gehörte zu den besonderen Fähigkeiten des Stadtkommandanten, es nicht allein bei strikter Befehlsgebung zu lassen, vielleicht noch wichtiger war seine Fähigkeit, die Berliner zur Selbsthilfe zu stimulieren. »Helfen Sie mir!« war der völlig unerwartete Appell an eine Versammlung von Vertretern des kulturellen Lebens, die vom Kommandanten im Mai zusammenbefohlen worden waren. Bemerkenswert ist dabei, dass dieses Bild in der Erinnerung von Kommunisten wie von Antikommunisten überliefert wurde, darunter etwa der evangelische Bischof Dibelius oder der CDU-Politiker und Bundesminister Ernst Lemmer.
In ihren Erinnerungen war der »gute Kommunist« (so Probst Grüber) eine Art weißer Rabe. Nicht zufällig wurde in der Zeit des Kalten Krieges immer wieder der Verdacht geäußert, dass der Unfalltod Bersarins in Wirklichkeit ein getarnter Mord durch das NKWD gewesen sei. Als Opfer stalinistischer Herrschaft wäre das Bild Bersarins moralisch stimmig gewesen. Aber bis heute ist kein Indiz auszumachen, das diese Idee stützen könnte (mit hundertprozentiger Sicherheit wird sie gegenwärtig auch niemand ausschließen können). Es bleibt bis auf weiteres dabei, dass Bersarins Biografie zu Zeiten des »real existierenden Sozialismus« auch Stoff für eine kommunistische Propagandabroschüre abgeben konnte.
     Auf den ersten Blick war sein Leben tatsächlich geradezu eine Bilderbuchillustration für die Karrierechancen im nachrevolutionären Russland, die sozialistische Fassung des Vom-Tellerwäscher- zum-Millionär-Mythos. Es war eine Karriere, die Bersarin schließlich als Oberkommandierenden einer sowjetischen Armee bis in das Zentrum des Nazi- Feindes, in Hitlers Neue Reichskanzlei, führte. Geboren wurde er 1904 als Sohn eines Petersburger Metallarbeiters lettischer Herkunft und einer Näherin, drei Jahre fragmentarische Grundschulausbildung in Abendkursen konnte ihm das kaiserliche Russland bieten, seit dem 11. Lebensjahr war er berufstätig, mit vierzehn Jahren wurde er 1918 Vollwaise.
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In dieser Situation, die politisch durch Weltkrieg, Revolution und beginnenden Bürgerkrieg in Russland bestimmt war, meldete sich Bersarin 1918 freiwillig zur neu aufgestellten Roten Armee: Er war an der Nordfront Soldat im Bürgerkrieg und machte danach im Lauf von zwanzig Jahren eine steile Karriere bis zum Oberkommandierenden einer Armee. Die längste Zeit, von Mitte der zwanziger Jahre bis zum Mai 1941, verbrachte er in Sibirien und bei der Fernostarmee. Das Leben dort besaß auch in der Sowjetzeit einen großzügigeren Zuschnitt als im europäischen Russland, was aber keineswegs die Repressionen des Stalinismus dort abmilderte.
     Zwei Oberkommandierende mit großem Ansehen, Marschall Blücher und General Fedtko, wurden Opfer der »Säuberungen« in den Jahren 1937 und 1938, was auch für den damaligen Divisionskommandeur Bersarin lebensgefährlich wurde, da er ihren Begutachtungen einen guten Teil seiner Karriere verdankt hatte. Ende 1938 wurde auch er Opfer einer sehr kritischen Beurteilung durch die zuständige Parteiorganisation und eines Denunziationsbriefes an das Volkskommissariat für Verteidigung. Für einige Woche hing sein Leben am seidenen Faden, die große Zahl positiver Gutachten, die in dieser Zeit im Volkskommissariat eingingen, retteten ihm nicht nur das Leben, auf Grund der hohen Verluste von Kommandeuren durch die massenhaften Exekutionen erhielt er auch gleich das Kommando über ein Armeekorps.
Vier Wochen vor dem deutschen Angriff wurde Nikolaj Bersarin Ende Mai 1941 aus Fernost in das Baltikum versetzt, mit der Übernahme des Armeekommandos begann auch der Krieg. Es ist bemerkenswert, dass ihm die Verdächtigungen der Repressionszeit trotz damals ergebnisloser Untersuchung bis in das Jahr 1944 anhingen. Seine Kommandos waren bis dahin immer an Nebenkriegsschauplätzen, wenn seine Armeen für wichtige Aktionen verwendet wurden, verlor auch Bersarin seinen Posten. Erst ein energisches Votum Marschall Shukows brachte ihm das Kommando an exponierter Stelle. Nach fast vier Jahren Krieg, davon die meiste Zeit im eigenen Lande, stürmte unter seinem Kommando im April/Mai 1945 dann die fünfte Stoßarmee, ein Eliteverband, in das Zentrum Berlins und eroberte, von Unter den Linden kommend, die Neue Reichskanzlei. Der 41- jährige Generaloberst hätte sich mit diesem Ereignis als Höhepunkt seiner militärischen Laufbahn zufrieden geben können, es war eine Bilderbuchkarriere, die auch exemplarisch für die Mobilisierungschancen der revolutionierten Gesellschaft Sowjet- Rußlands gelesen werden kann.
     Aber in diesen Erfolgsdaten erschöpft sich seine Charakterisierung nicht. Mit dem Ideal der Bolschewiki, dem disponiblen, dem Parteiwillen völlig ergebenen Funktionär kann diese Persönlichkeit nur unzureichend charakterisiert werden.
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In den zahlreichen Dienst- und Parteibeurteilungen findet sich immer wieder neben dem vorherrschenden Lob für seine fachlichen Fähigkeiten und allgemeinen Formeln über politische Zuverlässigkeit als zentraler Kritikpunkt, dass Bersarin zu sehr von sich überzeugt, nicht ausreichend selbstkritisch sei und dass er zu wenig auf Vorgesetzte und die Parteiorganisation höre und es an Wachsamkeit gegen Volksfeinde fehlen lasse. Bezeichnend für seinen Umgang mit den Symbolen der Sowjetherrschaft ist ein Foto aus Familienbesitz, auf dem Bersarin die Pose der zahlreichen Lenindenkmäler ironisch nachstellte, in den Augen vieler Gläubiger dieser Zeit zweifellos eine schreckliche Blasphemie. Als er 1938 in das Visier der Stalinschen Säuberungen geriet, wurden diese Vorwürfe - zu hohe Selbsteinschätzung bei geringer Achtung der Parteiorganisation, Verteidigung von »Volksfeinden«, denen er durch Unterwürfigkeit seine Karriere verdanke - noch einmal zusammengefasst.
     Natürlich macht ihn all das nicht zum Dissidenten, der Werte- und Bezugsrahmen blieb für den Arbeitersohn aus Petersburg das herrschende System, für das er im Bürgerkrieg gekämpft und das ihm solche Aufstiegsmöglichkeiten geboten hatte. Alternativen kamen gar nicht in sein Blickfeld. Aber er besaß offensichtlich doch ein großes Maß an persönlicher Souveränität, und zweifellos war die Parteilinie nicht sein zentraler Lebenskompass.
Sein Selbstbild entsprach eher einem Männerideal, in dem sich Militär, Jäger und Sportler vereinigten und das in der Zeit zwischen den Weltkriegen als männliches Leitbild nicht nur in der Sowjetunion attraktiv war. Reiten, Jagen, Skilaufen, Auto- und Motorradfahren waren die außerdienstlichen Leidenschaften Bersarins, in denen er sich kaum von einer Erzählfigur Hemingways unterschied. Es charakterisiert auch diesen risikosuchenden Lebensstil, dass er durch einen Motorradunfall getötet wurde.
     Bei ihm kam allerdings im Unterschied zu diesen durch Abenteuer und Risiko geprägten Erzählfiguren eine von Zeitzeugen und in vielen Fotos dokumentierte Neigung zum Leben in der Familie hinzu, in der er - vertraut man der Bildsprache der Fotos wie auch den Erinnerungen der Töchter - Teilhaber und nicht Vorgesetzter war. Wenn in der Erinnerung an Bersarin sowohl von ehemaligen Untergebenen der sowjetischen Armee, die im Krieg unter ihm gedient hatten, als auch von Deutschen, die Zeugen seiner Tätigkeit in Berlin geworden waren, Fürsorglichkeit als wesentlicher Zug seiner Tätigkeit genannt wurden, mag das mit seinem übertragenen Selbstbild als Familienvater zusammenhängen.
     So mag auch Bersarins intensiver Einsatz für das Überleben der Berliner durch das Selbstverständnis des fürsorglichen Vorgesetzten und Familienvaters motiviert worden sein.
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Das wird auch nicht dadurch dementiert, dass er im Rahmen vorgegebener Befehle handelte. Natürlich waren die Grundlinien der Politik gegenüber der deutschen Bevölkerung anderswo mit politischem Kalkül festgelegt worden, aber Richtlinien konnten eben so oder so befolgt werden. Ein General des Typus Eisenfresser, ein Mann, der nicht so schnell und konsequent vom Deutschen als Feind zum Deutschen als Empfänger von Hilfe hätte umschalten könne, wäre für die Berliner Bevölkerung gewiss mit unangenehmeren Erinnerungen verbunden gewesen. Es bleibt unbestreitbar, dass Nikolaj E. Bersarin wesentlich für den so schnell geglückten Übergang Berlins vom Kriegsin das Nachkriegsleben in hohem Maß persönlich verantwortlich war und dass er damit den militärischen Höhepunkt seiner Karriere durch einen zivilen Kontrapunkt noch übertraf.
     Eine kritische Würdigung Bersarins darf heute weder in die Formeln sozialistischer Heldenviten, noch in die westlichen Klischees der - weil totalitär, deshalb unterschiedslos miesen - Vertreter sozialistischer Macht zurückfallen. Natürlich gehört zur Vita Bersarins auch die Brechung, gehört sein Rechtfertigungsbrief, den er 1938 schrieb, um mit der Distanzierung von ehemaligen Freunden, die als »Volksfeinde« erschossen worden waren, der Exekution zu entgehen. Aber hier ist auch zu würdigen, dass er sich ausschließlich von Toten distanzierte, die Denunziation eines Lebenden findet sich nicht in der Verteidigungsschrift.
Und wer an die überlebenswichtigen Taten Bersarins in Berlin erinnert, darf die Schreckenserlebnisse der Berliner mit plündernden und vergewaltigenden Rotarmisten gewiss nicht ausblenden, aber sie Bersarin anzukreiden geht weit an der damaligen Realität vorbei. Es war nicht allein sein Anliegen, die marodierende und immer noch rachedurstige Truppe zu disziplinieren, es war die generelle Richtlinie des sowjetischen Oberkommandos, die zwar wiederholt als strenger Befehl übermittelt worden war, die aber trotz rigider Strafen erst nach längerer Zeit durchgesetzt werden konnte.
     Zur Heiligenlegende taugt Bersarins Leben gewiss nicht. Wer jedoch bei verdienstvollen Persönlichkeiten in der Politik Heiligenviten sucht, kann das nur leisten, wenn er sich die Wirklichkeit derart zurechtrückt, dass im Resultat in infantiler Dichotomie auf der einen Seite die »Guten« und auf der anderen die »Bösen« zu finden sind. Wenn man bei einem Mann wie Bersarin jedoch von vornherein darauf verzichtet, ein Podest zu bauen, wird bei Abschätzung der Verdienste wie auch der Schwächen doch eine Figur deutlich, für die Anerkennung seiner Leistungen - und von Seiten Berlins ein Stück Dankbarkeit - angemessen erscheint. Die Regierenden dieser Stadt sollten noch einmal genau abwägen, bevor sie eine endgültige Entscheidung über die Ehrenbürgerwürde treffen.

Bildquelle: Museum Berlin- Karlshorst

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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