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In Archiven stößt der Historiker auf bemerkenswerte Schriftstücke: Lageanalysen, Denk- und Bittschriften, Briefe oder Stimmungsberichte, die die Zeitprobleme in ihrer ganzen Offenheit vermitteln. Dass solche Papiere für Umbruchzeiten wie nach 1945 in großer Zahl vorliegen, erstaunt nicht. Im Folgenden kommen einige ausgewählte Archivalien zum Abdruck. Sie dokumentieren Eckpunkte der Nachkriegsperiode: die allgemeine Befindlichkeit nach dem Kriegsende, das Klima der politischen Auseinandersetzung im Frühjahr 1946, die Erschwernisse im blockierten West-Berlin 1948 und die Folgen der Spaltung. Stimmungsberichte vom Sommer 1945 Die sowjetischen Militärkommandanturen in den Berliner Verwaltungsbezirken forderten im Juni/ Juli 1945 von den Bezirksämtern Berichte über die Stimmung in der Bevölkerung an. Damit brachten sie die deutschen Stellen in Not: Einerseits war ihnen Kritik an der Besatzungsmacht bei strengster Strafe verboten, andererseits drängte es sie, ein realistisches Bild von den Sorgen und Nöten der Berliner zu vermitteln. Typisch für die Berichterstattung war das nachstehende Schreiben des Bezirksbürgermeisters von Berlin- Weißensee an den zuständigen Kommandanten, Oberstleutnant Jakowlew, vom 8. Juli 1945:
| Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas ausgreife, aber um die derzeitige Stimmung der Bevölkerung richtig verstehen zu können, ist dies erforderlich. Weißensee ist ein Bezirk Groß- Berlins, der, gemessen an der Einwohnerzahl, zwar relativ klein ist, sich aber zum überwiegenden Teil aus Arbeitern und zwar nicht den schlechtesten, zusammensetzt. Daß die Masse der Weißenseer Bevölkerung antifaschistisch eingestellt ist, braucht nicht besonders betont zu werden, denn bekanntlich wurde Weißensee ohne nennenswerten Widerstand von der Roten Armee besetzt. Die Bevölkerung hat damit bewiesen, daß sie dem großen russischen Brudervolk nicht feindlich gegenübersteht. ... Seit Monaten warteten wir auf das Erscheinen der Roten Armee. Es ging uns alles zu langsam, wir wurden ungeduldig. Die schrecklichen Nächte in den Luftschutzkellern konnten wir seelisch nur durchhalten, weil uns immer wieder der Glaube und die Hoffnung auf die baldige Befreiung durch die Rote Armee aufrecht erhielt. Und nun war plötzlich der Tag da. Die Bevölkerung wartete auf den Moment, die Kameraden der Roten Armee freudig begrüßen und umarmen zu können. Die Umarmung fiel anders aus. Es ist dies verständlich, denn nach den Verbrechen, die deutsche SS- Formationen in Rußland begangen haben, war die Wut, mit der man sich auf die zivile Bevölkerung stürzte, begreiflich. Es war auch nicht allzu schwer, den enttäuschten Bevölkerungskreisen klar zu machen, daß es so und nicht anders sein konnte. Als die ersten schrecklichen Tage vorüber waren, machte sich auch nach und nach eine Beruhigung bemerkbar und das Leben fing an, langsam wieder in geordnete Bahnen zu kommen. Daß dies verhältnismäßig schnell geschehen konnte, verdankt Weißensee vor allen Dingen Ihnen, Herr Kommandant, der Sie es verstanden haben, ein gutes vertrauensvolles Zusammenarbeiten zwischen der Zivilverwaltung und den einzelnen Kommandostellen zu ermöglichen. |
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Eben weil dieses Zusammenarbeiten ein so gutes ist, liegt mir daran, vorbeugend alles zu vermeiden, was das Vertrauensverhältnis zwischen der Roten Armee und der Bevölkerung trüben könnte. Lediglich aus diesem Grunde habe ich in den beigefügten Notizen auf Übergriffe und Mißstände hingewiesen, um Ihnen, Herr Kommandant, die Möglichkeit zu geben, sich ein Bild von der augenblicklichen Stimmung der Bevölkerung machen zu können. Ich bin davon überzeugt, daß Sie, wie auch bisher, alles tun werden, um das Vertrauensverhältnis nicht erschüttern zu lassen. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, Ihnen, sehr geehrter Herr Kommandant, im Namen der Weißenseer Bevölkerung dafür zu danken, daß Sie durch die Sicherung der Ernährung dazu beigetragen haben, entsprechend dem Befehl des Generalissimus Stalin die Bevölkerung vor dem Hungertod zu bewahren.«1)
In einem Bericht des Ortsbürgermeisters von Bohnsdorf an den Bezirksbürgermeister von Berlin- Treptow vom 25. Juni 1945 hieß es:
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Der Abtransport der Maschinen läßt immer wieder die Frage laut werden, wie die Arbeiter jemals wieder in Arbeit und Brot und zu einem normalen Leben kommen sollen. Diese Frage wird in der Bevölkerung sehr viel diskutiert und die kommunalen Funktionäre können zwar immer nur wieder darauf hinweisen, daß die deutschen Soldaten in den früher besetzten Ländern viel schlimmer gehaust haben, und daß wir als Besiegte allen Grund haben, mit unserem ganzen Gut und unseren Arbeitskräften zur Wiedergutmachung beizutragen. Das ist aber noch keine genügende Antwort auf die Frage, wie die Produktion wieder in Gang kommen soll und wie wir die Arbeitsplätze für unsere werktätige Bevölkerung zu sichern gedenken. (...) Auch der Fettmangel und der Mangel an Nährmitteln wirkt drückend auf die Stimmung der Bevölkerung. Eine Tabakverteilung konnten wir ebenfalls bisher in Bohnsdorf nicht durchführen, was gerade von der männlichen Bevölkerung nicht besonders freundlich empfunden wird. Im allgemeinen ist jedoch über die allmähliche Normalisierung des Lebens eine gewisse Befriedigung vorhanden, und die Ruhe und der Wille, überall anzupacken, kehrt in die Bevölkerung zurück. Mit Befriedigung wird auch aufgenommen, daß die Nazis systematisch und sicher zur Verantwortung gezogen werden.«2)
Von der »Aktionseinheit« zur »Einheitspartei« Am 10. Juni 1945 erließ die Sowjetische Militäradministration in Deutschland - überraschend für die drei westlichen Besatzungsmächte - den Befehl Nr. 2 über die Zulassung antifaschistisch- demokratischer Parteien und Organisationen. Er bezweckte die Schaffung eines von der KPD dominierten Parteienmodells, das im Sinne der sowjetischen Deutschlandpolitik von Berlin aus für alle Zonen prägend sein sollte (vgl. BM 6/95). |
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Absprachegemäß trat am 11. Juni 1945 als erste Partei die KPD mit einem Aufruf an das »Schaffende Volk in Stadt und Land« hervor. Er beinhaltete die Schaffung einer »antifaschistisch- demokratischen Ordnung« als Vorstufe zum Sozialismus, die durch eine »Aktionseinheit« von KPD und SPD garantiert werden sollte. Der Berliner Gründerkreis der SPD um Otto Grotewohl, Max Fechner und Erich W. Gniffke begrüßte diesen Aufruf auf der Kundgebung am 17. Juni 1945 im »Deutschen Hof« in der Luckauer Straße (Kreuzberg). Nach zwölf Jahren Hitler- Diktatur standen sich Kommunisten und Sozialdemokraten oft noch immer fremd, um nicht zu sagen feindlich, gegenüber. Der nachstehende Bericht eines KPD- Funktionärs an seine übergeordnete Leitung über die SPD- Großkundgebung vom 14. September 1945 in der »Neuen Welt« in Neukölln, auf der Otto Grotewohl einen Führungsanspruch für die SPD anmeldete, dokumentierte diese Grundhaltung:
»Die alten Kampfgenossen (der SPD, die Red.) von 1932 gaben sich hier ein Stelldichein, sie haben sich nicht geändert, nichts dazu gelernt und nichts vergessen, was ihre alte Ideologie anbelangt. Sie laufen im Saal herum, die Hüte ins Genick geschoben, wirken irgendwie wichtigtuerisch und unecht in ihrem Wesen, in ihren Gesprächen. Man kann sich unter ihnen nicht wohlfühlen, es strahlt kein Fluidum von ihnen aus, wie das in unseren Versammlungen der Fall ist. (...) Es herrscht ein schlechter, unaufrichtiger Geist in diesen Massen. Sie sind die personifizierende Negation aller Einheitsbestrebungen, so sehr sie auch davon reden. Sie führen Marx und Engels auf den Lippen, aber nicht im Herzen.«3) Grotewohls Referat wurde als ein »Angriff auf die Kommunisten auf der ganzen Linie« gewertet. Die Gastrede des KPD- Vorsitzenden Wilhelm Pieck, der zur Aktionseinheit aufrief, wurde von Zwischenrufen wie »Zwanzig Jahre früher hättet ihr damit kommen müssen« unterbrochen, so daß der Berichterstatter urteilte: »Der Bruderkampf wird morgen wieder ausgelöst sein, wenn weitere Referate dieser Art die Streitfackel in die Massen tragen. Ich halte es für ausgeschlossen, daß unsere Genossen derart disziplinlos einen führenden sozialdemokratischen Funktionär behandelt hätten. |
Der ehrliche Wille zur Einheit liegt also einzig und allein nur bei uns.«3)
Am 20.September 1945 analysierte das »Büro Schumacher« in Hannover, die SPD- Zentrale in den Westzonen, die Berliner Situation folgendermaßen:
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Es kam auch in vertraulichen Gesprächen deutlich zum Ausdruck, die insbesondere im Dezember 1945, Januar und Anfang Februar 1946 geführt worden sind. In einem Gespräch zwischen dem Gesandten Simonow und Grotewohl machte der Gesandte S. darauf aufmerksam, daß die Vereinigung beider Parteien Rußland veranlassen könne, seine Besatzungstruppen wesentlich zu reduzieren. In einem Gespräch zwischen Marschall Shukow und Grotewohl, das Anfang Februar 1946 geführt wurde, setzte Marschall Sh. sich energisch für die schnelle Durchführung der Vereinigung ein. Er beschäftigte sich ausführlich mit der sozialdemokratischen Auffassung, wonach die Niederlegung der Zonengrenzen und die Wiederherstellung der Reichseinheit und der Reichsparteien Voraussetzung für die Entscheidung über die Vereinigung sei. Dazu erklärte er, daß alle russischen Bemühungen um die Niederlegung der Zonengrenzen am Widerstand der anderen Besatzungsmächte gescheitert seien. Es müsse auf Jahre hinaus mit einer Aufrechterhaltung der Zonengrenzen gerechnet werden. Angesichts dieser Tatsache bedeute das Festhalten der SPD an ihrer bisher vertretenen Auffassung nicht nur eine unerträgliche Verzögerung der Vereinigung, sondern möglicherweise ihre Ablehnung. Er bat für Ende Februar um eine klare Entscheidung.«5)
Während in den Ländern der SBZ sich die SPD- Vorstände dem gemeinsamen Druck von SMAD und KPD beugten und einer Vereinigung zu Ostern 1946 zustimmten, wuchs in Berlin der Widerstand. Die antikommunistischen Kräfte, die ihre Sprecher in Karl J. Germer und Franz Neumann fanden, äußerten sich erstmals auf der SPD- Funktionärkonferenz am 1. März 1946 im Admiralspalast (damals Deutsche Staatsoper) am Bahnhof Friedrichstraße. |
Über den Ausgang dieser Konferenz berichtete Karl J. Germer umgehend Kurt Schumacher, dem Vorsitzenden der SPD in den Westzonen:
»Lieber Genosse Schumacher! Ich hoffe, daß der 1. März ds. Js. noch einmal als das denkwürdige Datum des Wiederfindens unseres Selbstbewußtseins in die Parteigeschichte eingehen wird. Du weißt, daß wir am 1. März die erste Groß- Berliner Funktionärkonferenz hatten, die sich mit der Frage der Parteienverschmelzung befassen konnte, nachdem der Zentralausschuß bereits glaubte, mit der Tatsache dieser Verschmelzung operieren zu können. Es war eine großartige Tagung, die allen Interessierten den Beweis für die Richtigkeit der Behauptungen brachte, die ich während der ganzen Zeit in engeren Kreisen vertreten hatte. Es ist zwar traurig, daß die Entwicklung soweit kommen mußte, daß wir es mehrere Male verhindern mußten, daß unser Vorsitzender Grotewohl gezwungen wurde, seine Rede abzubrechen - doch da es nicht um eine Person, sondern um etwas viel Größeres geht, ist es wohl richtiger, die erfreuliche Seite, das Vorhandensein des politisch klaren Urteilsvermögens in unserer Mitgliederschaft, hervorzuheben. (...) Nun will ich Dir als Wichtigstes unsere augenblicklichen Pläne mitteilen. Sofort nach Beendigung der Konferenz wurde ich von den Amerikanern abgeholt und zur Berliner Kommandantur gebracht, wo man sich ausführlich über meine Pläne berichten ließ, die Richtigkeit meines Verhaltens anerkannte und mir jede Unterstützung für die nächste Zeit zusagte. Dieses Aktivwerden der amerikanischen Behörden hat mich besonders gefreut, da ich bei den englischen Behörden glaube, ebenfalls mit einer positiven Beurteilung rechnen zu können und bei den französischen bestimmt gleichfalls auf großes Verständnis stoße. (...) |
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Wir beabsichtigen, den Berliner Vorstand der Partei neu zu wählen und dem Zentralausschuß jedes weitere Mandat, in unserem Namen (Berlin) Verhandlungen zu führen, abzusprechen. Wir wollen in Berlin die SPD in der bereits genehmigten Form auf jeden Fall erhalten.«6)
Der Widerstand der Berliner Sozialdemokraten, der sich in einer Urabstimmung am 31. März 1946 manifestierte, bewirkte, daß sie dank westalliierter Hilfeleistung die Selbständigkeit ihrer Parteiorganisation in der ganzen Stadt wahren konnten. Nur etwa 44 Prozent der Mitgliedschaft machte Ostern 1946 die Vereinigung mit den Kommunisten zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) mit. Briefe aus dem blockierten Westberlin Aus einem Brief von Katharina von Oheimb-Kardorff (LDP) an Elisabeth Melzer vom 8. Juli 1948 über die Wirkung der Doppelwährung in den Westsektoren (vgl. BM 6/98):
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Viele linke Zeitungsnotizen sprechen von einem Westmagistrat, sie eilen oftmals den Geschehnissen voraus. (...) Tag und Nacht brummen die Flieger, der Berliner nennt sie >Rosinenbrummer< oder >Pflaumenbomber<. Eine Campagne gegen dieses Unternehmen ist in der Linkspresse täglich mit größerem Nachdruck und Karikaturen zu finden.«
Aus dem Brief von Katharina von Oheimb-Kardorff an Elisabeth Melzer vom 22. August 1948:
Aus dem Brief von Katharina von Oheimb-Kardorff an Elisabeth Melzer vom 20. Januar 1949:
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Wenn noch Kälte kommen sollte, dann ist die Zuversicht, daß es nicht gar zu arg und lange sein kann. (...) Unangenehm und - ich glaube - nicht sehr gesundheitszuträglich ist die Einnahme der vielen Trockenverpflegung. Kein Obst, kein Gemüse, keine Frischkartoffeln, alles ist wohl vorhanden, aber zu teurem Westgeld, so daß man das Maß, was eigentlich vonnöten ist, nicht beschaffen kann. Vitamintabletten werden wohl ausgegeben, aber in geringem Quantum, und ich persönlich bin ja kein Anhänger solcher Hilfsmittel. Dieses sind neben vielen anderen täglichen Dingen die Sorgen der Westberliner Hausfrauen.«9)
Spaltung der Berliner Stadtverwaltung Eine unausweichliche Folge der Berliner Krise war die Spaltung der Stadtverwaltung. Die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin tagte am 16. Juni 1948 zum letztenmal auf Vierer- Basis. Die wenige Tage später durchgeführten Währungsreformen in den Westsektoren und im Ostsektor nahmen dem Magistrat die finanzielle und ökonomische Grundlage einer einheitlichen Verwaltung. In West wie in Ost sah man klaren Blickes die Unaufhaltbarkeit des Auseinanderfallens der Stadt in zwei Hälften. Zwischen Juni und Dezember 1948 regierte auf kommunaler Ebene nur noch das taktische Kalkül, eine günstige Gelegenheit zum »Trennschnitt zwischen Ost- und Weststadt« (Ferdinand Friedensburg) zu finden, bei der man der anderen Seite den »schwarzen Peter« zuschieben konnte. Der Auszug der Stadtverordneten der SPD, CDU und LDP am 6. September 1948 aus dem Neuen Stadthaus in die »Taberna academica« im britischen Sektor und die Verlegung der Magistratssitzungen ab 13. Oktober 1948 in den britischen Sektor waren ebenso von langer Hand geplant wie die sowjetische Entscheidung, der SED grünes Licht für die Proklamation eines Gegen- Magistrats zu geben (vgl. BM 11/98). |
Das Zentralsekretariat der SED beschloß am 23. November 1948 den Maßnahmeplan für die Inszenierung eines »demokratischen Magistrats« unter Führung von Friedrich Ebert, dem Sohn des früheren Reichspräsidenten:
»Am 30. 11. ist im Neuen Stadthaus eine Stadtverordnetenversammlung durchzuführen, zu der von den Betrieben Arbeiterdelegationen zu entsenden sind. Am gleichen Tag soll ein früher Betriebsschluß erfolgen und eine große Massendemonstration durchgeführt werden. Für den 25. und 26. November und folgende Tage sind parteigenössische Minister und andere leitende Funktionäre aus der sowjetischen Besatzungszone als Redner für Kundgebungen und Versammlungen nach Berlin zu entsenden. Mit der Durchführung wird (Franz, die Red.) Dahlem beauftragt.«10) Auf der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner SED am 27./28. November 1948 umriss der Landesvorsitzende Hans Jendretzky, die Funktion des am 30. November einzusetzenden Magistrats unter Oberbürgermeister Friedrich Ebert:
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Erst wenn wir eine solche demokratische Reinigung in Berlin erreicht haben und die demokratischen Kräfte sich frei entfalten können am einheitlichen Aufbau, sind die Voraussetzungen für unsere Forderungen auf freie demokratische Wahlen gegeben. Es ist selbstverständlich, daß von solchen freien Wahlen alle faschistischen und kriegstreiberischen Kräfte gänzlich ausgeschlossen werden. (Beifall). Wenn eine einheitliche Stadtverwaltung reinen Tisch macht und demokratische Ordnung schafft, legt sie auch die Grundlage für die Entwicklung einer Berliner Friedenswirtschaft und für die Verwirklichung des Berliner Zweijahresplanes in engster Verbindung mit dem Zweijahresplan der sowjetisch besetzten Zone.«11)
Aus den Wahlen vom 5. Dezember 1948, die aufgrund eines sowjetischen Verbotes nur in den Westsektoren stattfanden, ging ein von SPD, CDU und LDP/FDP gebildeter Magistrat unter Leitung von Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD) hervor. Die Aufgaben, die vor dieser Stadtverwaltung standen, formulierte Reuter in einem Memorandum an den US- Stadtkommandanten Oberst Howley vom 10. Dezember 1948:
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die Überzeugung sich durchsetzt, daß auf dem Wege über das Arbeiten dieser wieder zu errichtenden Kommandantur und das Arbeiten des Komitees eine einheitliche Führung der Geschäfte und eine einheitliche Versorgung der Stadt für den gesamten Westen Berlins hergestellt wird. (...) Nur durch Einführung einer einheitlichen Währung, also der Westwährung, unter gleichzeitiger Errichtung einer zentralen Landesbank und der Einrichtung normal funktionierender Kreditbanken wird es möglich sein, die Finanzen der Stadt in Ordnung zu bringen, den unmöglichen Wirrwarr und die sozialen Spannungen zu beseitigen, die die jetzige Regelung zwangsläufig mit sich bringt, und eine finanziell und ökonomisch starke Position gegenüber dem Osten zu beziehen.
Wichtigste Voraussetzung für die Durchführung aller dieser Pläne, d. h. die wichtigste Voraussetzung dafür, daß Westberlin nicht nur ein Schaufenster der Freiheit, sondern auch ein Schaufenster ökonomischen Wohlstandes wird, ist die Erhöhung der Tonnage der Luftbrücke. Bei dem derzeitigen Niveau der Zufuhr nach Berlin erfolgt eine langsame aber unvermeidliche Ausblutung der Stadt. (...) Die Blokkade wird nach meiner Überzeugung nur dann zu Ende gehen, wenn die Sowjets sich nicht nur von der Unerschütterlichkeit des Widerstandes der Berliner Bevölkerung überzeugen, sondern wenn sie auch erkennen, daß die Dispositionen der Alliierten in allen Einzelheiten dahin zielen, ein normales Wirtschaftsleben der Stadt mit allen Mitteln der Luftbrücke wiederherzustellen.«13) Eine nüchterne Beschreibung des eingetretenen Spaltungszustandes gab ein Bericht der Berliner Vertretung der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (Bizone) vom 31. Dezember 1948:
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Diese Fakten sind für die Existenz dieser politisch und wirtschaftlich als Einheit gewachsenen Stadt um so bedrohlicher als feststeht, daß sowohl bei den Besatzungsmächten als auch im Magistrat eines jeden Teils Kräfte entscheidend sind, die sich gegenseitig auf das heftigste bekämpfen und zunächst als unversöhnlich erscheinen. Wenn die beiden Teile - Ost- und West-Berlin - noch nicht völlig auseinandergefallen sind, so wohl nur wegen des Lebenswillens der Bevölkerung und des Zwanges der wirtschaftlichen Gegebenheiten. Zu denken ist nur daran, daß nach wie vor viele Einwohner von Westberlin ihre Arbeitsstätte in Ostberlin haben und umgekehrt. Z. B. wird allein die Zahl der Mitarbeiter der Deutschen Wirtschaftskommission,14) die ihre Wohnung in Westberlin haben, immer noch auf 70 v. H. des gesamten Mitarbeiterstandes geschätzt. Trotzdem ist die Frage offen, ob die relative Ruhe seit der Wahl Anfang Dezember nur die Ruhe vor dem Sturm ist. Die propagandistisch stark ausgewalzten wirtschaftspolitischen Bestrebungen der zuständigen Stellen in Ost- und West-Berlin gehen zunächst völlig auseinander. Der Ostberliner Magistrat will vor allem die Wirtschaft Ostberlins so schnell wie möglich in den Zweijahresplan der Ostzone einbeziehen und ferner das am 13. 3. 47 von der damaligen SPD- und SED- Mehrheit beschlossene Sozialisierungsgesetz und das am 27. 3. 47 beschlossene Gesetz über die Enteignung der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten durchführen. Die Wirtschaft Ostberlins würde damit in jeder Beziehung das Gesicht der Ostzonen- Wirtschaft annehmen. Insbesondere würde die private Unternehmerwirtschaft sehr schnell, vielleicht von einzelnen Teilgebieten im Handwerk abgesehen, beseitigt sein.«15)
Zusammengestellt von Gerhard Keiderling Quellen und Anmerkungen:
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
www.berlinische-monatsschrift.de