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Gerhard Keiderling
Die Grossen Drei in Berlin

Ausflüge am Rande der Potsdamer Konferenz 1945

Die Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 beendete die Serie der großen Konferenzen der Hauptmächte der Antihitlerkoalition. Sie wollte das Fundament für eine gesicherte Nachkriegsordnung in Europa und in der Welt legen. Dreizehn Sitzungen der Regierungschefs Großbritanniens, der UdSSR und der USA, begleitet von Verhandlungen der Außenminister und Gesprächen von Experten, ließen die unterschiedlichen Betrachtungsweisen erahnen. Die Tinte der Unterschriften unter das Protokoll und die Mitteilung über die Konferenz war kaum getrocknet, da begann schon ein Auslegungsstreit, der direkt in den Kalten Krieg zwischen Ost und West führte.
     Auf Vorschlag Stalins sollte die Konferenz, der Churchill den bezeichnenden Code »Terminal« (Endstation) gab, in Berlin stattfinden. Wegen des großen Zerstörungsgrades der Stadt wich man ins benachbarte Potsdam aus. Hier fand man im Schloss Cecilienhof inmitten des Neuen Gartens einen geeigneten Tagungsort und

in der Villenkolonie von Babelsberg, wo früher Politiker, Bankiers, Architekten und UfA- Prominenz wohnten, angenehme Quartiere. »Hier leben wir«, so schrieb der Unterstaatssekretär im Foreign Office, Alexander Cadogan, an seine Frau, »inmitten eines verwüsteten, kahlen Landes in unserer eigenen kleinen Stadt«.1) Sowjetische Pioniere errichteten anstelle der zerstörten Glienicker Brücke eine Pontonbrücke über die Havel. Anfangs sprach man von der »Berliner Konferenz«, doch bald setzte sich die korrekte Bezeichnung »Potsdamer Konferenz« durch.
     Die Anreise der Regierungsdelegationen Großbritanniens, der UdSSR und der USA - Frankreich, das erst an der Jahreswende 1944/45 in den Klub der »Großen Drei« (Big Three) aufgenommen worden war, hatte keine Einladung erhalten - erfolgte über die deutsche Hauptstadt. Würden die «Großen Drei« ein Interesse daran bekunden und die Zeit dafür finden, dem Ort der letzten großen Schlacht des Krieges in Europa einen Besuch abzustatten?

Harry S. Truman

Harry S. Truman, seit dem Tode Franklin D. Roosevelts am 12. April 1945 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und mit 61 Jahren der jüngste Konferenzteilnehmer, traf als erster am Konferenzort ein, obwohl er den weitesten Reiseweg hatte.
     »Ich bin jetzt auf dem Weg zu Stalin und Churchill«, schrieb er am 3. Juli 1945 an seine Mutter.

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»Ich muß meinen Smoking und meinen Frack mitnehmen, Zylinder, steifen Hut und andere Sachen. Meine Aktenmappe ist voll mit Unterlagen über die früheren Konferenzen und Vorschläge, was ich tun und sagen soll. Am liebsten würde ich überhaupt nicht fahren, aber ich muß.«2)
     Von Washington fuhr Truman in einem Sonderzug nach Newport News, Virginia, wo er am Morgen des 7. Juli an Bord des Kreuzers »U.S.S. Augusta« ging. Die Überfahrt nach Europa war mit Aktenstudium und Gesprächen mit Delegationsmitgliedern ausgefüllt. Am 15. Juli legte das Schiff in Antwerpen an. Truman fuhr im Auto nach Brüssel und bestieg seine Präsidentenmaschine »Sacred Cow« (Heilige Kuh), die ihn nach Berlin- Gatow brachte. Von hier ging es wieder im Auto auf gesicherten Straßen nach Babelsberg, wo ein Quartier vorbereitet war. Bei seiner Ankunft erfuhr Truman, dass Churchill noch unterwegs sei und Stalin sich um einen Tag verspäten würde.
     Am Morgen des 16. Juli 1945 erwachte der Präsident im »Little White House«, einer weißen Villa in der Kaiserstraße (heute Karl-Marx- Straße) 2. Vom Balkon bot sich ihm ein idyllischer Blick auf den Griebnitzsee. Heiter gestimmt, nahm er einen Briefbogen und schrieb: »Liebe Mama und Mary, wir sind in einem schönen Haus an einem See in Potsdam, es gehörte früher dem Chef der Filmleute. Man sagt, er sei zurück nach Rußland geschickt
worden - zu welchem Zweck, weiß ich nicht.«3) Nach dem Frühstück zog sich Truman mit Außenminister Byrnes und Admiral William D. Leahy zu einem vertraulichen Gespräch zurück. Um 11 Uhr machte der britische Premier Churchill einen Antrittsbesuch. Es war das erste Mal, dass sich beide begegneten; sie fanden sich auf Anhieb sympathisch.
     Inzwischen war es Nachmittag geworden. Truman wartete ungeduldig auf eine wichtige Depesche aus Washington. Um die Zeit zu verkürzen, unternahm man einen Ausflug nach Berlin. Um 15.40 Uhr bestiegen der Präsident, sein Außenminister und sein Stabschef ein großes Chrysler- Cabriolet. Auf der Avus gab es einen Halt. »Auf halbem Weg zur Stadt«, so erinnerte sich Truman, »fanden wir die gesamte amerikanische 2. Panzerdivision, die auf einer Seite der Straße aufmarschiert war, um von mir besichtigt zu werden. Wir hielten, die Ehrenbezeugung wurde von einer Musikkapelle und einer Ehrengarde erwiesen, ich verließ den Wagen und bestieg einen offenen Panzerspähwagen. In diesem fuhr ich die lange Reihe der Männer und Fahrzeuge entlang. Es war die zur Zeit größte Panzerdivision der Welt. Männer und Tanks waren in Reih und Glied die Straße entlang aufgestellt, soweit das Auge reichte. Wir brauchten zweiundzwanzig Minuten, um die Aufstellung vom Anfang bis zum Ende abzufahren.«4)
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Die Grossen Drei: Josef W. Stalin, Harry S. Truman, Winston S. Churchill (v. l. n. r.)

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Dann fuhr die Wagenkolonne des Präsidenten nach Berlin hinein. Mit Schaudern betrachtete man das Ruinenchaos. »Eine derartige Zerstörung habe ich nie wieder gesehen«, schrieb Truman in seinen Erinnerungen. Im Regierungsviertel warf er einen kurzen Blick auf die zerstörte Reichskanzlei Hitlers. »Dann fuhren wir am Tiergarten, an der Reichstagsruine, am deutschen Außenministerium, am Sportpalast und Dutzenden von anderen vor dem Kriege weltberühmten Stätten vorbei. Jetzt waren sie nichts als Haufen von Schutt und Stein. Noch deprimierender als der Anblick der zerstörten Gebäude wirkte jedoch die nie endende Kette von alten Männern, Frauen und Kindern, die ziellos auf der Autobahn und den Landstraßen einherwanderten. In dieser zweistündigen Fahrt wurde ich Zeuge einer großen Welttragödie, und ich war aus tiefstem Herzen dankbar, daß meinem Lande diese unvorstellbare Zerstörung erspart geblieben war.«5)
     Als er am Abend wieder im »Little White House« eintraf, lag die Eildepesche aus Washington vor: »Baby´s satisfactorily born« (Die Geburt des Babys ist erfolgreich verlaufen). Truman verstand den codierten Text. Am Morgen, 5.30 Uhr Ortszeit, war in der Wüste von New Mexiko (USA) die erste Atombombe erprobt worden. »Ein herrliches Gefühl«, strahlte der Präsident, nun hätte er das entscheidende Faustpfand in der Hand, um Stalin seine Bedingungen zu diktieren.
Winston S. Churchill

Der 70- jährige britische Premierminister Winston S. Churchill war am 15. Juli eine Stunde nach Truman in Berlin- Gatow eingetroffen. Er kam mit einer »Skymaster« direkt von Bordeaux. In einem französischen Schloss nahe der spanischen Grenze hatte er sich von den Strapazen der letzten Kriegswochen und des Wahlkampfes zum britischen Unterhaus erholt. Während er hier vor einer Staffelei saß und die Landschaft malte, wanderten seine Gedanken immer wieder zur bevorstehenden Schlusskonferenz.
     Vom Flugplatz Gatow begab sich Churchill mit seiner Delegation gegen 17 Uhr nach Babelsberg, wo er in der 1915 von Ludwig Mies van der Rohe errichteten Villa Urbig in der Ringstraße (heute Virchowstraße) 23 Quartier bezog. »Wir fuhren zu einem geräumigen Haus, von dem es hieß, es hätte dem Bankier Schacht gehört«, schrieb sein Leibarzt Lord Charles W. Moran. »Ich folgte ihm durch zwei kahle Räume mit großen Kronleuchtern auf die andere Seite des leeren Hauses, wo sich französische Fenster, die lange nicht geputzt worden waren, auf einen Balkon öffneten. Dort warf sich Churchill, ohne den Hut abzunehmen, in einen Gartenstuhl. Er schien zu müde, um sich zu bewegen.«6) Er verlangte einen Whisky und schaute wortlos über die Wiese zum Griebnitzsee hinunter.

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Am Nachmittag des 16. Juli - nach dem kurzen Besuch beim amerikanischen Präsidenten in dessen kaum 200 m entfernten »Little White House« - überkam auch den Premierminister die Lust, Berlin zu sehen. Er bestieg zusammen mit Lord Moran, Unterstaatssekretär Sir Alexander Cadogan und Außenminister Anthony Eden einen geschlossenen Wagen und fuhr, begleitet von einer Eskorte, in die Ruinenstadt. Obgleich er dieselben Stätten wie Truman aufsuchte, begegneten sich beide Kolonnen nicht.
     Einen ersten Halt gab es an der Reichstagsruine, von der die rote Fahne wehte. Zum Entsetzen seiner Leibwache stieg Churchill aus und ging die Stufen der Freitreppe hinauf, von neugierigen Blicken herumstehender Deutscher, die Tauschhandel mit Russen trieben, verfolgt. Auch in die Ruine der Neuen Reichskanzlei in der Voßstraße lenkte Churchill seine Schritte. Durch zerstörte Korridore und Räume, über Schutthaufen und an Granattrichtern vorbei kam er in das verwüstete Arbeitszimmer Hitlers. Seine Begleitung steckte sich Souvenirs in die Taschen: ein Stück Marmor als Briefbeschwerer von der zerbrochenen Schreibtischplatte, Eiserne Kreuze und andere herumliegende Orden. Ein diensttuender Offizier der Roten Armee führte die Briten hinaus in den Garten zum Eingang des Führerbunkers, in dem Hitler und Eva Braun
am Nachmittag des 30. April sich das Leben genommen hatten. Einige tappten beim Schein einer Taschenlampe über glitschige Stufen zu den dunklen Betonkammern hinunter, in denen das Wasser stand. Churchill kehrte auf dem ersten Treppenabsatz nach oben um. Man zeigte ihm die nahe Stelle, wo die beiden Leichen mit Benzin übergossen und angezündet worden waren. Angewidert ging er zu seinem Auto zurück.
     Durch das zerbombte Berlin fuhr die Wagenkolonne Richtung Potsdam. »In Babelsberg angekommen«, schrieb der britische General Lord Ismay, »stürzte ich mich als erstes in ein heißes Bad mit einer Menge Desinfektionsmittel, als zweites nahm ich einen sehr starken Drink, um den schlechten Geschmack aus dem Munde zu bekommen.« Auch Leibarzt Lord Moran empfand nach dem Ausflug »ein Gefühl von Übelkeit; ähnlich als ich zum ersten Mal einen Chirurgen einen Bauch öffnen und die Eingeweide herausquellen sah«.7)
     Übrigens fuhren der Präsident wie auch der Premierminister noch einmal zu Militärparaden nach Berlin. Am 20. Juli wurde in Anwesenheit Trumans das Sternenbanner vor dem neuen Hauptquartier der US- Militärregierung, dem früheren Luftgaukommando in Berlin- Dahlem, gehisst. Am Tag darauf nahm Churchill eine Siegesparade seiner Truppen auf der Charlottenburger Chaussee im Tiergarten ab.
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Churchill reiste vorzeitig ab. Am Vormittag des 25. Juli hatte er sich noch mit Truman und Stalin zu Shakehands den Fotografen - unter ihnen auch der spätere USA- Präsident John F. Kennedy - im Innenhof von Schloss Cecilienhof gestellt. Danach begann die neunte, die kürzeste Sitzung der Regierungschefs. Nach anderthalb Stunden vertagte sie der den Vorsitz führende US- Präsident auf den 27. August. Die britische Delegation hatte um die »Auszeit« gebeten, weil am nächsten Tag das Ergebnis der Unterhauswahlen vom 5. Juli 1945 bekanntgegeben werden sollte. Churchill fuhr in die Villa am Griebnitzsee, durchwanderte unruhig die Zimmer und entschied, sofort nach London zu fliegen. Ob er es geahnt hatte? Seine Konservative Partei musste eine vernichtende Niederlage einstecken. Am Abend des 28. Juli kam der neue Premierminister Clement R. Attlee von der Labour Party in Potsdam an. Die Konferenz ging in ihre Schlussphase.

Josef W. Stalin

Am 16. Juli gegen 11 Uhr Moskauer Zeit - sie galt damals auch in der sowjetischen Besatzungszone - traf der Sonderzug der sowjetischen Konferenzdelegation auf dem halbzerstörten und von Sicherheitskräften weiträumig abgeriegelten Potsdamer Bahnhof ein. Marschall G. K. Shukow, der »Sieger von Berlin«, erinnerte sich:
     »Ich begrüßte Stalin auf dem Bahnsteig. Er war gut gelaunt, ging auf die Gruppe der zum Empfang Erschienenen zu und hob zum Gruß kurz die Hand.

Er ließ seinen Blick über den Bahnhofsplatz schweifen, setzte sich gemächlich in den Wagen, öffnete dann noch einmal die Tür und forderte mich auf, neben ihm Platz zu nehmen. Unterwegs erkundigte er sich, ob alles zur Eröffnung der Konferenz bereit wäre.« 8)
     Die aus schwarzen ZIS- Limousinen bestehende Wagenkolonne fuhr in schnellem Tempo am Park von Babelsberg entlang. In der Kaiserstraße (heute Karl-Marx- Straße) 27 bezog er sein Quartier. Die ebenfalls zum Griebnitzsee gelegene zweistöckige Villa Herpich war 1910/11 nach einem Entwurf von Alfred Grenander erbaut worden.
     Der 65jährige Generalissimus hatte eine leichte Herzattacke erlitten und deshalb die Abreise um einen Tag verzögert. In den frühen Morgenstunden des 15. Juli hatten er und seine Delegation nahe Moskau einen aus elf Eisenbahnwagen, darunter vier Salonwagen des Hofzuges des Zaren, bestehenden Sonderzug bestiegen. Stalin hasste das Fliegen, er nahm die lange, beschwerliche Bahnfahrt in Kauf. Die Strecke war aufs schärfste bewacht und ab sowjetischer Grenze auf die russische Breitspur umgenagelt worden; manche Berichte sprechen davon, dass die Umspurung schon in Vorbereitung des Sturms auf Berlin erfolgte. Auch ein Ferngleis der Berliner Stadtbahn und der Anschluss bis Potsdam waren umgerüstet worden. Am 27. Juni war auf dem Schlesischen Bahnhof (heute Ostbahnhof) der erste durchgehende Fern-D- Zug (»Blauer Express«) aus Moskau auf einem Breitspurgleis eingetroffen.
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Aus Stalins Umgebung hieß es später, er hätte während der Reise kaum einen Blick auf die endlose Wüstenei der Zerstörung und Vernichtung geworfen, die an den Fenstern vorüberflog. So dürfte er wohl auch durch das verwüstete Berlin gefahren sein. Das ist glaubwürdig, denn Stalin hatte nie eine der von den Deutschen zerstörten und von seinen Armeen befreiten sowjetischen Großstädte besucht. Er fühlte sich nur im Kreml oder in seinen Datschen vor Moskau und am kaukasischen Riza-See sicher.
     In der Mittagsstunde des 17. Juli besuchte Stalin mit seinem Außenminister W. M. Molotow den amerikanischen Präsidenten im »Little White House« und blieb zum Lunch. Es war das erste Mal, dass sich beide begegneten. Man sprach über nichts Besonderes. Beiläufig erwähnte der amerikanische Außenminister James Byrnes den gestrigen Ausflug nach Berlin und fragte Stalin, was er über den Tod Hitlers wisse. Obwohl dem Kreml- Chef Berichte seiner Aufklärertrupps über das Ende in der Reichskanzlei vorlagen, wich er aus; seiner Meinung nach könnte der »Führer« noch leben und mit einem U-Boot nach Spanien oder Argentinien geflohen sein. Wollte Stalin den Leichnam Hitlers als Siegestrophäe ganz für sich behalten? Man brach in Eile auf. Zur gleichen Stunde kehrte Churchill von einer Stippvisite des Schlosses Sanssouci in sein Haus in Babelsberg zurück.
Um 17 Uhr setzten sich die »Großen Drei« mit ihren Delegationen an den in der Moskauer Möbelfabrik »Lux« eiligst angefertigten runden Tisch in der Eingangshalle des Schlosses Cecilienhof. »Terminal« begann.
     Die folgenden Tage waren mit Sitzungen der Regierungschefs, ihrer Außenminister, Militärstäbe und anderer Experten so ausgefüllt, dass keine Möglichkeit für einen Berlin- Ausflug bestand. Stalin verspürte wohl auch nicht den Wunsch, diesen Ort zu sehen, nicht während der Konferenz und erst recht nicht danach. Es erfüllte ihn mit Genugtuung, dass die einstigen NS- Machtzentralen in Schutt und Asche lagen. Er überließ es seinen Militärs und dem allgewaltigen NKWD- Chef L. P. Berija, in Berlin wie in der sowjetischen Zone für »Ruhe und Ordnung« zu sorgen und die Mär auszugeben, der »große Stalin« würde sich höchstpersönlich um das Wohlergehen der Berliner Bevölkerung kümmern. Tatsächlich hingen in der ganzen Stadt seine Bilder und Plakate mit seinem Ausspruch von 1941: »Die Erfahrungen der Geschichte besagen, daß die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.«
     Im Laufe des 2. August - gegen 3 Uhr früh endete die Konferenz - reisten die Regierungschefs aus Potsdam- Babelsberg ab. Am Vormittag Truman, am frühen Nachmittag Attlee. Am 3. August bestieg Stalin seinen Sonderzug auf dem Potsdamer Hauptbahnhof.
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Ob er bei der Fahrt über die Berliner Stadtbahn die Gardine in seinem Salonwagen ein wenig zurückgeschoben und einen Blick auf das Ruinenmeer geworfen hatte, ist nicht bekannt. Einen guten Grund dafür dürfte er eigentlich gehabt haben, denn »Terminal« war insgesamt zu seiner Zufriedenheit ausgegangen. Im September wurde der Schienenstrang bis zur Weichsel wieder auf Normalspur umgenagelt.

Nachtrag:
Im Jahre 1949 - der Personenkult um Stalin erreichte seinen Höhepunkt - drehte Mosfilm für den zweiteiligen monumentalen Farbfilm »Der Fall von Berlin« einige Szenen auch in Ost-Berlin. Die Stadt war schon geteilt, so musste die Erstürmung des Reichstags durch Rotarmisten mit einem Riesenaufwand von Komparsen auf den Stufen des Berliner Doms nachgestellt werden. Der greise Kremlchef kümmerte sich persönlich um dieses »Kunstwerk«, das ihm ein filmisches Denkmal setzen sollte. So nötigte er den kritisch gegen ihn eingestellten Komponisten Dimitrij Schostakowitsch, die Filmmusik zu schreiben. Die Apotheose des Films war ganz nach seinem Geschmack: Am Ende der Kämpfe in Berlin trifft ein sowjetisches Flugzeug, von Jagdmaschinen eskortiert, auf einem Flugplatz ein. Über die Gangway kommt der Generalissimus in strahlend weißer Uniform mit goldenen Epauletten und roten Orden.

Eine »Lang lebe Stalin« jubelnde Menschenmenge von Rotarmisten, befreiten Zwangsarbeitern und deutschen Antifaschisten stürmt ihm entgegen. So hatte sich Stalin wohl die Begegnung mit Berlin und den Berlinern gewünscht.

Anmerkungen
1 Zitiert nach: Daniel Yergin, Der zerbrochene Frieden. Der Ursprung des Kalten Krieges und die Teilung Europas, Frankfurt a. M. 1979, S. 113
2 Charles L. Mee, Die Potsdamer Konferenz 1945. Die Teilung der Beute, München 1977, S. 11
3 Ebenda, S. 74
4 Harry S. Truman, Memoiren, Bd. 1, Das Jahr der Entscheidungen (1945), Bern 1955, S. 133
5 Ebenda
6 Mee: Die Potsdamer Konferenz, a. a. O., S. 52
7 Ebenda, 84 ff.
8 G. K. Shukow, Erinnerungen und Gedanken, Bd. II, Berlin 1969, S. 363

Bildquelle: Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung, Berlin 1995

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 12/2000
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