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Joachim Bennewitz
Eine Landgemeinde will sich eine Bahn bauen

100 Jahre Verkehrsplanungen für Weißensee

Angeregt von der raschen Entwicklung vieler Gemeinden rund um Berlin, setzte die mit der 1905 stattgefundenen Wiedervereinigung von Dorf Weißensee und der aus dem ehemaligen Gutsbezirk hervorgegangenen Vorstadtgemeinde Neu- Weißensee gebildete neue Gemeindeverwaltung unter dem Bürgermeister Carl Woelck (1868-1937) alle ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten ein, den Ort aufzuwerten. Mit Industrieansiedlungen, einem großzügigen Aufbau nicht nur guter einfacher, sondern ganz besonders auch exklusiver Wohnungen, dem Angebot an Bauland und Projekten mit günstigen Hypothekenbedingungen, mit der Entwicklung der Verkehrswege, der Energie- und Wasserversorgung. Auch - allerdings zwangsweise, da Berlin seine Abwässer zwar durch den Ort leitete, ihn jedoch nicht anzuschließen bereit war - mit eigenen Abwasseranlagen schuf man wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung zu einem florierenden Gemeinwesen.

Bedeutenden Anteil daran hatte die Gründung des ersten modernen Berliner Gewerbegebietes, das Hermann Ruthenberg unter dem Namen Industrie- Werke Weißensee bereits um 1899 aufzubauen begonnen hatte.1) Die Gemeinde versuchte mit unterschiedlichen Mitteln, ebenso wie einige ihrer Nachbarn, Stadtrechte zu erlangen. Das war geprägt von recht hochfliegenden Plänen. Sie waren teilweise so wenig der Realität angemessen, dass man sich heute fragen muss, warum die gleichen Leute, denen man bemerkenswerte Hinterlassenschaften kommunalen Wirkens zu verdanken hat, zugleich einen solchen Mangel an Realitätssinn offenbarten. Sie verfolgten verschiedentlich Ziele, die nur eine Erklärung zulassen: Um jeden Preis sollte Weißensee Stadt werden, und sie sollte für den Nordosten der Reichshauptstadt und darüber hinaus beispielgebend sein. Die Entwicklung, besonders im Ergebnis des Ersten Weltkrieges, lief aber bekanntlich anders.

Ungetrübtes Wasser aus der Panke

Im Oktober 1898 entstand eine Denkschrift mit dem Titel »Der Kampf um den Großschiffahrtsweg Berlin- Stettin«. 2) Vorangegangen war bereits im April 1897 die vom Verein der Grundbesitzer zu Neu- Weißensee verfasste Agitationsschrift »Zum neuen Berlin- Stettiner Kanal«, deren wesentliche Punkte, bezogen auf Weißensee, in der Forderung nach dem Bau des »Berliner Nordkanals« bestanden.

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Dieser sollte nach den ersten Entwürfen etwa folgende Route verfolgen: beginnend beim Tegeler See, dann führend über Reinickendorf - Pankow - Weißensee - Herzberge - Friedrichsfelde - Biesdorf nach Köpenick, wo die Einmündung in die Spree vorgesehen war. Der zwischen Pankow und Biesdorf bestehende Höhenunterschied von immerhin 8 m sollte mittels zweier Schleusen überwunden werden. Das Wasser für die gesamte Anlage sollte aus der Panke (!) entnommen werden, die »ganz ungetrübtes Wasser« liefert, das dann, wie ausdrücklich betont wird, nicht mehr in die Stadt Berlin fließt, um dort verunreinigt zu werden. Um die Rentabilität untersuchen zu können, wurde im März 1899 eine Datenerfassung gestartet. Sie erbrachte das Interesse mehrerer Betriebe, so der Brauerei Enders, Königschaussee 5-6, der Brauereien Dittmann und Römpler, Brauhausstraße 2-5 bzw. Langhansstraße 24-26, der Fa. Gummi- Müller, Belfortstraße, der Nudelfabrik Henniger in der Königs- Chaussee 44 und anderer. Die Aufzeichnungen geben zugleich Aufschlüsse über den Umfang der Produktion wie der Beschäftigten zu dieser Zeit.
     Doch diese Akte schließt im Juli 1907, ohne dass nähere Angaben hinterlassen wurden. Die letzte Beratung der dazu eingesetzten Gremien fand offenbar am 3. Juli 1900 im Prälaten am Alex statt. Das Thema Nordkanal war zu dieser Zeit jedoch noch nicht vom Tisch. Das Projekt spielte auch beim »Wettbewerb Groß-Berlin«
von 1910 eine Rolle,3) und bis in die dreißiger Jahre wurde immer wieder der Gedanke erwogen, analog zum Teltowkanal für den Norden eine solche Trasse vorzusehen. Mit unterschiedlichen Linienführungen (z. B. ist bekannt, dass ein Projekt die südliche Tangierung Weißensees etwa in Höhe der heutigen Michelangelostraße vorsah, eine andere weit nördlicher, allerdings mit einem westlichen Ende bei Oranienburg anstelle Tegel). Alles in allem etwa in einer Länge von rund 30 km, dazu 6 Häfen und 3 Schleusen. Die vom Kreis Niederbarnim 1908 schließlich in Betrieb genommene Industriebahn Tegel- Friedrichsfelde mit Anbindung an den Tegeler See, die Kremmener, Stettiner und Wriezener Bahnen blieben schließlich der Ersatz für den nicht realisierten Wasseranschluß an Oder und Elbe.

Eisenbahn nach Freienwalde

1906 begann das Kapitel Nebenbahn Freienwalde- Weißensee, das ebenfalls im Landesarchiv deponiert ist.4) Die gerade vereinte Gemeinde stellte sich hinter den Entwurf eines Privatmannes, der eine Bahn durch den Kreis Niederbarnim vorsah, mit der die beim Bau der Stettiner und insbesondere der Wriezener Bahn abseits gebliebenen Orte und vor allem Gutsbereiche an das große Schienennetz des Reiches angebunden werden sollten.

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BetriebeProdukteVerbrauch
Rohstoffe
Ausfuhr
Waren
Arbeiter
EndersBayerisches Bier33 300 Ztr.20 000 hl35
DittmannWeissbier10 035 Ztr.15 000 hl15
RömplerWeissbier7 000 Ztr.20 000 hl11
MüllerGummiwaren700 000 kg1 000 000 kg170
Anton ErhardtTapeten / Linoleum1 000 Ztr.400 Ztr.50
HennigerNudeln / Makkaroni600 000 kg550 000 kg40
E. BartelsDruck / Verlag400 000 kg250 000 kg60
G. MüllerChem. Fabrik600 000 kg500 000 kg10
Gehrke & WolframEisenwarenhandlung6 000 Ztr.-10
HeidemannEisenwaren2 000 Ztr.-4

Transportaufkommen 1899
Vorgesehen war, den Anfangspunkt der Strecke an den Ringbahnhof Weißensee (heute Greifswalder Straße) zu legen, die Trasse dann östlich um das bebaute Gebiet Weißensees herumzuführen, die nächste Station an der Gürtelstraße, eine weitere an der Lindenallee zu errichten. Ein größerer Haltepunkt sollte an die Falkenberger Straße kommen, dann würde ein längerer Abschnitt bis südlich Malchow folgen. Im weiteren Verlauf wären dann die folgenden Orte anzusteuern: Börnicke- Beerbaum- Heckelberg- Freienwalde.
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Der Autor hatte offenbar im Sinn, seinen Ideen ganz besonders viel Nachdruck dadurch zu verleihen, dass er weitere Trassierungen nannte, die bei den bereits bestehenden Streckenführungen vernachlässigte Landstriche erfassen sollten. Bis über Eberswalde, Zehdenick, Gransee nach Rheinsberg und noch weiter bis ins mecklenburgische Malchow. Die Gemeinde Weißensee, die sich offenbar schon als Bahnbetreiberin sah, lancierte wie auch die Baugesellschaft optimistische Pressemeldungen über den Stand der Vorbereitungen, musste aber immer wieder bei Nachfragen zurückstecken. Am 28. Juli 1907 fragte die Königliche Eisenbahndirektion Berlin (KED) an und verwies auf einen Artikel im Niederbarnimer Kreisblatt vom 13. Februar, in dem das Projekt bereits als genehmigt propagiert worden war. Die mit der Planung beauftragte Continentale Eisenbahnbau- und -betriebsgesellschaft Berlin AG »beruhigte« die Gemeindeverwaltung mit der Erklärung, dass wohl nur das anfragende Dezernat nichts von den bereits mit dem Präsidenten der KED getätigten Absprachen wisse. Mehrere Bereisungen zu den Orten und Gütern fanden statt und wurden aus gesponserten Mitteln bestritten, doch schließlich wurde immer deutlicher, dass das Interesse besonders der Gutsbesitzer wohl eher mäßig war. Ganz vordergründig aktiv waren wohl nur die Firmen, die Bau- und rollendes Material für den Eisenbahnbetrieb offerierten. Der Akt ist voll von Angeboten aus allen Ecken des Reiches. Damit bewahrheitete sich, was in Gutachten des Landrates wie auch des jungen Gemeindebaurates Otto Pasedag (1877-1915) gestanden hatte: die Warnung vor dem Bestreben der Gemeinde, neben der Bauverantwortung auch die Betriebsführung zu übernehmen. Schließlich erklärte auch Freienwalde, das bislang wegen der beim Bau der Wriezener Bahn verpassten Direktverbindung nach Berlin am Weißenseer Projekt interessiert war, dass es an den Vorbereitungen nicht weiter teilzunehmen beabsichtigte. Am Ende gelang es dennoch, 8 von 10 Gemeinden, ebenso 3 von 5 Gütern am Wege für den Bau votieren zu lassen. Daher wurde 1909 der offizielle Antrag in Potsdam gestellt, nun mit dem neuen Ausgangspunkt Güterbahnhof Weißensee der Industriebahn und mit der neuen Zusatzbegründung, dass die neue Strecke auch als Zubringer zu dieser vor einem Jahr in Betrieb genommenen kreiseigenen Bahn wirken sollte. Die Amtsstellen der Regierung jedoch scheinen lange Zeit benötigt zu haben, um zum Schluss nichts zu entscheiden. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges gab es keine Nachricht, dann erledigten dieser und seine Folgen das Projekt. Die Kleinbahndirektion der Gemeinde Weißensee blieb, wie auch die Stadtwerdung, ein Traum. Der Berliner Nordosten gelangte dennoch nicht aus dem Blickfeld der Verkehrsplaner.
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Anzeige im Berliner Lokal-Anzeiger vom Sonntag, dem 25. August 1907
Preiswürdige Entwürfe für Ringe und Radialen

Beim Wettbewerb Groß-Berlin 1910 nahmen mehrere Vorschlagende den Gedanken von zusätzlichen Bahnverbindungen auf. Einen der Ersten Preise erhielt Hermann Jansen,

der mit seinem Entwurf »In den Grenzen der Möglichkeit« zur Entlastung der Stettiner Bahn eine Trasse durch Weißensees Mitte, dann südlich an Malchow vorbei und weiter Richtung Norden bis zur Anbindung an die bestehende Strecke bei Bernau vorsah.
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Gleichzeitig schlug er einen Außenring vor, der etwa dem heutigen Berliner Autobahn- Außenring entsprach, eine weiter außen liegende »Gürtelbahn« und eine autobahnähnliche Straßentrasse nach Stettin, beginnend am inneren Stadtring (Danziger Straße), dann im Zuge der Kniprodestraße, der Falkenberger Straße und weiter, ähnlich wie die heutige Bundesstraße 158 verlaufend.
     Ebenfalls zum Wettbewerb Groß-Berlin von 1910 eingereicht wurde der Entwurf von Joseph Brix, Felix Genzmer und der Hochbahngesellschaft zu Berlin mit dem Titel »Denk an künftig«. Dieser ebenfalls mit einem 1. Preis ausgezeichnete Vorschlag enthielt u. a. Ringstraßen rund um die Stadt und in ihren Außenbereichen. Der Außenring berührte im Nordosten der Stadt u. a. Bernau, Seefeld, Altlandsberg, der innere verlief zwischen Karow, Lindenberg, Ahrensfelde, Hellersdorf und Kaulsdorf weiter in südlicher Richtung. Zugleich waren für die Radialstraßen, die heutigen Bundesstraßen Nr. 2 und Nr. 158, weitgehend Ortsumgehungen vorgesehen, die dann entweder erst Jahrzehnte später hergestellt wurden oder heute noch auf ihre Realisierung warten.

Realisiert: die Industriebahn

Die Industriebahn Friedrichsfelde- Tegel wurde in ihrem ersten Abschnitt zwischen Friedrichsfelde und Blankenburg nach nur knapp zwei Jahre währenden Vorbereitungen am 16. Dezember 1907 in Betrieb genommen, der westliche Teil von Blankenburg nach Tegel folgte am 2. November 1908.

Damit war eine Strecke von 22,5 km, darunter 3,41 km auf Weißenseer Territorium, an das deutsche Schienennetz angeschlossen. Die Bahn, voll im Besitz des Kreises Niederbarnim, entwickelte sich schnell zu einer für die wirtschaftliche Entwicklung des Gebietes bedeutenden Einrichtung. Allein die Güterabfertigung Weißensee verzeichnete für die Jahre 1908/09 folgende Umschlagwerte:
 
Empfang tVersand t
Stückgut129,8517,86
Wagenladungen14 532,81 888,74
Schweinetransporte98---

Es hatte den Anschein, dass die vorausschauende Reservierung einer für zweigleisigen Betrieb ausreichenden Geländausstattung bald nutzbringend werden könnte. Die gesamte Strecke rechnete 1913 bereits 367 200 t Frachtgut ab gegenüber 47 713 t im ersten Betriebsjahr, und der Krieg bescherte weitere Steigerungsraten, sodass 1918 schließlich fast 700 000 t umgeschlagen wurden.5) Großen Anteil daran hatte, dass im Gefolge der Bahngründung der Anteil von Großindustrie und Betrieben mit voluminösen Produkten spürbar gestiegen war. Das betraf Hohenschönhausen ebenso wie Weißensee, wo sich Großmaschinenbau, Stahlindustrie und Chemische Werke etabliert hatten. Damit stellte der Nordosten bei der Eingemeindung 1920 einen der bedeutendsten Berliner Bereiche der industriellen Entwicklung dar.

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Ohne die Industriebahn wäre diese Entwicklung nicht denkbar gewesen, wäre allein die seit Hobrecht ausgedehnte Rieselfeldwirtschaft bestimmend geblieben.

Speers strategische Planungen

Die im Rahmen der Speerschen Planungen zur »Welthauptstadt Germania« vorgesehenen Erweiterungen betrafen neben dem Straßenausbau und der Konzentration von Industriebetrieben im Umfeld von Weißensee auch die Industriebahn, deren Abbau mit Ausnahme des Bereiches von Blankenburg nach Hohenschönhausen vorgesehen war. Die Großbetriebe sollten näher an den neu zu errichtenden Güteraußenring herangeführt werden (der NS- Rüstungsbetrieb Hasse & Wrede in Marzahn war das erste Beispiel dafür). Bereits 1938 begannen die Arbeiten an dem als strategisch bedeutsam eingestuften Bahnprojekt, das Teilstück zwischen Biesenhorst (Biesdorf- Süd) und Karow wurde am 22. September 1941 fertiggestellt. Im Bezirk Weißensee durchquerte diese Strecke die Äcker zwischen Marzahn und Karow, in unmittelbarer Nähe von Wartenberg wurde, da der Ausbau zuerst nur eingleisig erfolgt war, ein großer Kreuzungsbahnhof eingerichtet.

1947 erfolgte auf sowjetischen Befehl der Abbau der Gleise, jedoch bereits am 1. April 1950 wurde der neue Berliner Außenring, forciert im Verlaufe des Kalten Krieges, mit hier erheblich veränderter Trassenführung eröffnet. An der Stelle des Kreuzungsbahnhofes steht heute ein Wohngebiet, der S-Bahnhof Wartenberg liegt mehrere hundert Meter westlich davon.

Tunnelpläne aus siebenundachtzig Jahren

Die ältesten Belege über Planungen für eine Untergrundbahn nach Weißensee datieren aus dem Jahre 1913, die neueren aus mehreren Planungsbeschlüssen und Plenumsberatungen der SED zu DDR-Zeiten sowie auch zu jüngeren Planungsvorstellungen der letzten Jahre. Im Landesarchiv befindet sich in dem Akt »Schnellbahnlinie nach Weißensee«6) auch ein Projekt des Dr.-Ing. Adler von 1926, das zuerst von früheren Planungen (Prof. Dr. E. Giese - 1919 mit der Linie »6«) ausgeht, nach denen die Schöneberger Bahn über Nollendorfplatz hinaus über Magdeburger Platz, Potsdamer Platz, Brandenburger Tor, Unter den Linden, Alexanderplatz nach Weißensee führen sollte. Am Königstor war eine über Landsberger Allee nach Hohenschönhausen führende Zweiglinie vorgesehen.

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Nunmehr war anstelle der Trasse Unter den Linden eine den Oberflächenverkehr in der Leipziger Straße entlastende Führung unter dieser geplant, dann am Spittelmarkt die Einfädelung in die Linie A (heute 2). Eine Weiterführung nach Weißensee war nur als alternativ bezeichnet. 1929 gab der Magistrat seine Vorstellungen bekannt. Sie enthielten den Namen Weißensee überhaupt nicht mehr. Dem widersprach die neugegründete BVG in einer von Stadtrat Ernst Reuter unterzeichneten Denkschrift vehement. Sie favorisierte eine Linienführung von Weißensee über Alexanderplatz, Brandenburger Tor, Knie (Ernst-Reuter- Platz),
Anzeige in der Weissenseer Bürgerpost vom 28. 12. 1908
Sophie-Charlotte- Platz, Bf. Heerstraße nach Pichelsdorf und evtl. Anschluss an die geplante Havel- Uferbahn. In der späteren sog. 200-km- Planung war die Streckenführung nach Weißensee bereits detaillierter dargestellt. Bahnhöfe sollte es in Höhe der heutigen Mollstraße geben, ferner am Königstor (Friedenstraße), Hufelandstraße, Danziger Straße, Ringbahnhof Weißensee (heute Greifswalder Straße), Ostseestraße, Antonplatz, dann als Endstation Lichtenberger Straße (Indira-Gandhi- Straße). Der Gegenentwurf von Brix/ Genzmer und der Hochbahngesellschaft (von 1911, mit einer Denkschrift vom 30. 9. 1925 erneuert) ließ wieder am Nollendorfplatz anbinden, dann weiterführen über Potsdamer Brücke, Siegesallee, Brandenburger Tor, Unter den Linden, Hackescher Markt, Alexanderplatz, Greifswalder Straße, Antonplatz, Rennbahnstraße, Feldtmannstraße zur Endstelle in Malchow. In Weißensee selbst sind seither zwei Trassen im Gespräch, entweder unter der Berliner Allee oder unter der heutigen Bizetstraße.
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Seit gleicher Zeit sind auch Bauplanungen und -ausführungen zumeist unter Berücksichtigung der Bahnplanungen erfolgt. Die Straßenbahn durch die Greifswalder Straße fährt am Rand der Mittelpromenade, der alte Weißenseer Pfarrteich wurde (mit Aushub vom Bau der heutigen Linie 5) zugeschüttet, weil an dessen Stelle ein Bahnhof entstehen sollte. Auch noch vor gut 40 Jahren wurden Industriebauten mit Rücksicht auf den Tunnel nur eingeschränkt genehmigt. Doch die Linie nach Weißensee ist bis heute Utopie geblieben. Die letzten Vorstellungen aus dem Hause der BVG haben nun, nachdem die Strecke Unter den Linden (»Kanzlerbahn«) der Linie 5 zugeordnet worden ist, alle Durchquerungen der Innenstadt am Alexanderplatz enden lassen. An einen Baubeginn für die nun Linie 10 genannte Strecke von Malchow nach Lichterfelde ist vorerst nicht zu denken. Ebenso nicht an ein Projekt, das ebenfalls 1919 vorgestellt wurde und Schnellstraßenbahnlinien nach Karow über Heinersdorf, von Weißensee über Lindenberg nach Schwanebeck, von Weißensee sowie von Hohenschönhausen nach Ahrensfelde orsah. Dessen Anbindung erfolgte vor über 14 Jahren von Marzahn aus.
     Das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat viele Träume und gar das Märchen von der großen Eisenbahn, die Weißensee zu einem Konzentrationspunkt von Industrie und Verkehr führen sollte, endgültig begraben lassen.
Der Bezirk ist weitgehend industriefrei geworden, an die Stelle von Betrieben wie Niles, Stern-Radio oder Farbenfabriken traten Unternehmen, die mit wenig Warenumschlag und auch wenig Personal auskommen. Rudimente der Industriebahn sind noch vorhanden und sogar mit moderner Technik erneuert worden, ob sie aber wieder aktiviert werden, ist fraglich. Und die Schnellstraßenbahnen an den Gürtel der Stadt werden sicherlich mindestens genauso lange auf sich warten lassen wie die U-Bahn, die seit dem zweiten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts eigentlich schon fahren sollte.

 
1 Regina Woesner in: Gummi - Goldleisten - Großdrehmaschinen, Berlin 1999, S. 18-27
2 LAB Rep. 048-05-03 Nr. 74
3 Günter Peters, Historische Stadtplanungen für den Berliner Nordosten, Berlin 1997
4 LAB Rep. 048-05-03 Nr. 262, 263 und 264
5 Angaben nach Peter Glaß in: Gummi - Goldleisten - Großdrehmaschinen, Berlin 1999, S. 27-37
6 LAB A 048-05-03 Nr. 265

Bildquellen: Archiv Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/2000
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