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Klaus Duntze
Wasser als Spiegel der Landschaft

Friedrich Wilhelm II. schuf Preußens ersten Landschaftsgarten

»Ich werde Ihnen sagen, wie es nach meinem Tode gehen wird. Es wird ein lustiges Leben bei Hofe werden. Mein Neffe wird den Schatz verschwenden, die Armee ausarten lassen. Die Weiber werden regieren, der Staat wird zugrunde gehen. Dann trete Er auf und sage dem König: ,>Das geht nicht. Der Schatz ist dem Lande, nicht Ihnen!< Und wenn mein Neffe dann auffährt, sage er ihm: >Der alte König hat es befohlen!< Vielleicht hilft das.«
     So Friedrich II. an seinen Minister Heynitz1) (1725-1802) - noch über den Tod hinaus versuchte er, verzweifelt und resigniert zugleich, Einfluss auf den Nachfolger zu nehmen, den Neffen, dem er nichts zutraute und ihn das auch allzu deutlich spüren ließ. Es hat nichts geholfen. Ein großer Friedrich war der zweite Friedrich Wilhelm (1744-1797, König ab 1786) nicht. Die Anlagen, die Fähigkeiten des vaterlos Aufgewachsenen waren anderer Art und anders ausgebildet.

Dem Onkel zwar gleich an persönlichem Mut, im Siebenjährigen Kriege bewährt, auch in der Begabung für Musik - er spielte besser Cello als Friedrich Flöte -, war er aber von elementarer Sinnenfreude, allem Schönen, vor allem schönen Frauen zugetan. Den »Vielgeliebten« nannte man ihn im Volke, durchaus doppeldeutig. Die »lieblichen Gefühle«, die Heinrich von Kleist (1777-1811) in seinem ,»Prinzen von Homburg« dem Kriegsgesetz, dem über Preußen herrschenden, gegenüberstellt, die dominierten so völlig über Pflicht und Staatsräson, dass an die Stelle des »ersten Dieners des Staates« (Friedrich II.) der Repräsentant einer durchaus privaten bürgerlichen Lebenshaltung trat, der nicht mit Hoheit angeredet sein wollte und seinerseits »Sie« zu allen Leuten sagte und nicht das abweisendverächtliche »Er«. Und die Pflicht, das eherne Gesetz, ach die war so lästig, dass schon seine Erzieher an dem scheinbaren Desinteresse und der geistigen Trägheit des Thronfolgers verzweifelten.
     Alles anders als der Onkel wollte er, mußte er machen, um sich selbst zu finden und zu beweisen. Alles anders war aber auch in den Zeitläuften geworden, das erwachende Bürgertum wartete sehnsüchtig auf frische Luft und wärmere Gefühle statt des rationalistischen Eiseshauchs von der Terrasse von Sanssouci.
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Die Aufklärung hatte sich totgelaufen und gleichzeitig banalisiert; wenn zu Weihnachten von preußischen Kanzeln über den Nutzen der Stallfütterung gepredigt wurde, wenn Gay-Lussac 1807 zu Napoleon bei der Vorstellung seiner Welttheorie auf die Frage nach Gottes Platz in diesem System sagen konnte: »Sire, diese Arbeitshypothese habe ich nicht mehr nötig«, wenn alles erklärbar wurde, kein kleines Wunderchen mehr Platz fand in der protestantischen Religion, dann verlangt es die Menschen aufs Neue nach dem Geheimnis, dem Unerklärbaren und doch so Wirklichen der Seele, dann kommen die Geheimgesellschaften, die Orden auf, die den Glauben gegen die Vernunft verteidigen, ja neu gewinnen wollen. Der Neffe des Rationalisten wurde Rosenkreuzer, Mitglied eines Geheimordens, der sich die Erneuerung eines wahrhaft christlichen Glaubens und den Kampf gegen den Liberalismus in all seinen Verzweigungen und Gestalten zum Ziel gesetzt hatte. Aber nun jenseits dröger Orthodoxie und versetzt mit allen Geheimnissen einer übersinnlichen Welt, einem elitären Zirkel vorbehalten. Friedrich Wilhelm glaubte an Geistererscheinungen und Stimmen aus dem Jenseits, wählte seine Vertrauten, die Minister Wöllner (Johann Christoph v.; 1732-1800) und Bischoffwerder (Johann Rudolf v.; 1741-1803), aus dem Kreis der Rosenkreuzer, ließ sich von ihnen beeinflussen, ja gängeln bis in die privatesten Bereiche hinein. Die Wirklichkeit des Lebens und der Welt ging für ihn nicht im Faßbaren auf. Umso faßbarer waren ihm die Freuden des Leibes, die Frauen, die er in seinen vielen Liebschaften faszinierte und an sich fesselte, das Essen, das den immer stattlichen Mann feist machte (den »Dicken« nannte man ihn liebevollspöttisch im Volke), das Reiten, er war ein leidenschaftlicher und exzellenter Reiter, der für seine Liebesgeschäfte oft genug bei Tag und Nacht im Sattel saß. Eine hat ihn seine Leben lang nicht losgelassen: Wilhelmine Encke (1752-1820), die Trompeterstochter, spätere Madame Ritz und schließlich Gräfin Lichtenau, deren Liebe und Anziehungskraft die zwei dynastischen und die zwei morganatischen Ehen Friedrich Wilhelms samt den unendlich vielen Affären überdauerte. Mit der Dreizehnjährigen entdeckte er die Pfaueninsel - damals noch der Kaninchenwerder, das alte Alchemisteneiland des Glas- und Goldmachers Kunkel (Johann, 1630-1702, BM 8/00) - als höchst privates Liebesnest und entdeckte damit auch seine Erwartungen an die Gärten, an gestaltete, vom Menschen überhöhte und zu sich selbst gebrachte Natur. Es sollte lange dauern, bis sich sein Gestaltungswille der Insel bemächtigen konnte - einige Jahre vor seinem frühen Tod, und auch dann im Einvernehmen und unter den Anregungen der schönen Wilhelmine - ein Lustort auf dem Boden des Geheimnisvollen (die Fundamente von Kunkels Alchemistenlabor waren in die Pläne der Insel eingezeichnet) sollte die Insel werden; Shakespeares Prospero mag Pate gestanden haben.
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Neues Schloss und Neuer Garten

Die Gärten des Königs - es ist faszinierend, in welcher Fülle und Konsequenz Friedrich Wilhelm in den kurzen elf Jahren seiner Regierung die Gartenlandschaft um Potsdam und Berlin verändert und erweitert hat; ohne sein und seiner Gärtner Wirken wäre Lennés (Peter Josef; 1789-1866) Gartenreich nicht zustande gekommen.

Die Abkehr von seinem Onkel war auch die Abkehr vom spätbarocken Sanssouci, seinen Schloss- und Parkanlagen. Und wie Friedrich Wilhelm das Arbeits- und Sterbezimmer Friedrichs II. umgehend von Erdmannsdorff, dem Architekten des Wörlitzer Schlosses, klassizistisch umgestalten ließ, so fanden auch die barocken Elemente des Parks keine Gnade vor seinen Augen.

Wilhelm Barth: Das Marmorpalais (vor 1826)
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Aber dringlicher waren ihm ein neues Schloss und ein neuer Park, sein eigener, ohne Vorgaben des Onkels, aber nach dem Vorbild des bürgerlich- aufgeklärten Franz von Anhalt- Dessau, der mit dem Dessau- Wörlitzer Gartenreich die Versöhnung von Natur und Kunst und Menschlichkeit nicht nur gestalten, sondern auch zur gesellschaftlichen Wirklichkeit erwecken wollte. Schon als Kronprinz in politischer Mission in Dessau hat Friedrich Wilhelm 1783 und 1784 diese völlig andere Art, Natur und Landschaft und fürstliches Leben zu sehen und zu gestalten, kennengelernt und begierig in sich aufgenommen. »Das Beispiel des Dessauer Fürsten, der als Freund der Musen und der Frauen ein geachtetes Leben in einer selbstgestalteten Umwelt führen durfte, der sich die Gärtnerstochter Luise Schoch zur Linken antrauen ließ, mußte Friedrich Wilhelm auch in seinen Beziehungen zu Wilhelmine Encke und Julie Voß (der ersten morganatischen Gattin; 1766-1789) bestärken.«2) Sein Schloss am Heiligen See, nichts weiter als eine Marmorhütte im Schilfgürtel, ein klassizistischer Würfel mit einer Aussichtslaterne, einem Belvedere, mit Front zum Wasser, ohne einen Hauch von Repräsentation, gab sehr genau seine Wünsche und Erwartungen an ein anderes Sanssouci wieder. In dem Vorgängergebäude an dieser Stelle, dem Punschelschen Weinhause, hatte er als Kronprinz mit seinen Regimentskameraden lärmende Feten gefeiert, am Ufer hatte er sich mit Wilhelmine Encke getroffen, vom Gärtnerburschen Hannes Ritz, dem späteren Geheimkämmerer und Scheingemahl der Geliebten, begleitet und abgeschirmt, hier wollte er sein Sanssouci, wozu er nicht nur Punschels Weinberg, sondern peu á peu 56 Grundstücke, insgesamt 74 ha, aufkaufen ließ - um das Schloss sollte sein Park entstehen.
     Vier Akazienbäume, heilige Bäume der Rosenkreuzer, hatte er schon einmal gepflanzt (es sind Robinien, wenn man genauer hinschaut), später ließ er in dieser Flucht als Modell für die Erneuerung der Verkehrswege in seinem Land vom Parkeingang zum Standort des Schlosses eine Allee mit Pyramidenpappeln anlegen, als Muster für seine neu eingerichtete General- Chausseebau- Intendantur, gepflastert, 9,42 m breit mit einem 2,51 m bereiten Fußweg. Gontard (Karl v.; 1731-1791) mußte das Schloss in den See hinausrücken und zur Hälfte auf Pfähle gründen; der König weigerte sich, die Bäume für das Haus zu opfern. Aber in dieser baulichen Not steckte eine Tugend, die weit über das Gestalterische hinausreichte. Bei seinen Besuchen in Wörlitz hatte Friedrich Wilhelm die Bedeutung des Wassers, der Wasserflächen für die gärtnerische Gestaltung der Landschaft entdeckt.
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Blick von der Terrasse am Marmorpalais nach dem Küchengebäude im Vordergrund
Was die Elbe für das Dessau- Wörlitzer Gartenreich war, wurde ihm die Havel: nicht nur wohlfeiler und sicherer Verkehrsweg - das war und blieb sie auch! -, sondern Gliederung und Spiegel der Landschaft, eines der Elemente der Natur neben Erde, Luft und Feuer, deren Geister er als Rosenkreuzer verehrte. Auch im Inneren des Schlosses spiegelt sich dieser Bezug zum Wasser wider: »Der Konzertsaal, der sich über die gesamte Gebäudebreite erstreckt, liegt im Grunde vollständig über dem See ... und gewährte von den drei Seiten und von vorne gleichsam einen Ausblick auf drei Meere`. Den spiegelnden Wasserflächen entsprechend wurden die Saalwände aus hellblauem Stuckmarmor gestaltet ... Das zentrale Deckengemälde zeigt Aeneas am Ufer des Tiber, womit der von Vergil besungene Ahnherr Roms gewissermaßen an das Ufer des Heiligen Sees berufen wurde.«3)
     So wurde das private Gartenreich am Heiligen See, an Jungfernsee und Havel gleichzeitig eine mystische Landschaft der übersinnlichen Kräfte, mit der die Seele Verbindung sucht auf ihrem irdischen Weg. Und so geheim war und blieb dieser innere Grundriss des Parks, dass an den Ausstattungsstücken der Weg durch Hölle, Totenreich und Himmel in seiner Logik nur annäherungsweise zu erkennen und zu beschreiben ist.
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Was der aus Wörlitz berufene Johann August Eyserbeck (1762-1801; der Sohn des Schöpfers von Wörlitz, Johann Friedrich Eyserbeck) unter den Vorgaben des Königs und mit Unterstützung von Gontard, Erdmannsdorff, Langhans (Carl Gotthard v.; 1733-1808), Schadow (Johann Gottfried; 1764-1850) und Wohler (1764-1850), immer begrenzt von Grundstücks-, Geld- und Materialproblemen, in wenigen Jahren schuf, war der erste Landschaftsgarten in Preußen, geprägt von »Einbildungskraft und Empfindsamkeit« (Hans Magnus Hirschfeld, Gartentheoretiker 1742-1792), wenn auch nach der Überformung von Lenné dreißig Jahre später von dem ursprünglichen Werk nur noch die Konturen übrig geblieben sind, wenn auch das Marmorpalais nach den Erweiterungen und Anbauten seinen privaten Charme verloren hat. Zwar blieben die mystisch- mythologischen Ausstattungsstücke des Gartens weitgehend erhalten, aber ihre Bedeutung ging verloren, zumal ihr Sinn über den Kreis der Eingeweihten hinaus kaum bekannt waren. Aber so viel ist gewiß: Der Weg durch den Park war der Weg der Läuterung durch Tod und Hölle, der Selbsterkenntnis zur Erkenntnis der Elementargeister und ihrer Kräfte. Es ist vorstellbar, dass hier (wie im Belvedere im Charlottenburger Park) die spiritistischen Sitzungen stattgefunden haben, zu welchen die Minister Wöllner und Bischoffswerder ihren König luden. Aber wie sich das Interesse des Königs nicht im Spiritistischen erschöpfte, so hat auch sein Garten andere, handfestere Orte aufzuweisen. In der Blickrichtung vom Marmorpalais die »Gothische Bibliothek« am Eingang zum Park, zweistöckig, von Langhans 1792-1794 erbaut, unten die französische, oben die deutsche Literatur; anders als der frankomane Onkel schätzte Friedrich Wilhelm II. die deutschen Dichter und Schriftsteller, denen er mit der Umwandlung des französischen Komödienhauses am Gendarmenmarkt in ein Nationaltheater eine Heimstätte schuf: »Wir sind Teutsche und wollen es bleiben!« Die »holländische Siedlung« als Bedienstetenwohnungen an der Einfallsachse des Gartens, vermutlich bei seinem Russlandbesuch in Zarskoje Selo abgeschaut, die vielen Brunnen und die pseudogotische Meierei - der König liebte gutes Wasser und frische Milch - und vor allem die Orangerie mit ägyptisierender Fassade - französischer Revolutionsarchitektur entlehnt und von Langhans umgesetzt -, die zwischen den Pflanzenhallen einen reich ausgestatteten und doch intimen Konzertsaal verbarg, Ort der königlichen Musikleidenschaft, in dem wohl auch Mozart und Beethoven gespielt haben dürften; die ehemaligen Weinberghäuser der Vorbesitzer, die als weißes, als braunes und als rotes Haus übernommen worden waren - man blieb auch unter dem Schatzverschwender Friedrich Wilhelm II. im sparsamen Preußen,
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wie auch die Erweiterung des Parks den Pfingstberg (damals noch Judenberg nach dem jüdischen Friedhof) hinauf an den unverschämten Forderungen der Garten- und Weinbergbesitzer scheiterte - erst Lenné sollte die Verbindung glücken, die heute wieder gewonnene. Je mehr aber sich das Leben des Königs auf das Marmorpalais und den Neuen Garten konzentrierte, desto spürbarer wurde die Raumnot in der Marmorhütte am See, die Erweiterung konnte nicht ausbleiben, und noch einmal, auch dieses von der Gräfin Lichtenau initiiert, wird die Abkehr vom König in Sanssouci deutlich: Die Marmorkolonnade im Rehgarten, das Meisterwerk Hans Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (1699-1753), wurde achtlos abgerissen, um die Säulen in die Flügelbauten des Marmorpalais zu integrieren. Der König aber ist auf einer Baustelle gestorben, erst lange nach seinem Tode wurden die Räume, die er nie hatte bewohnen können, fertig und genutzt.

Die Zauberinsel

Wer am See lebt, schaut über den See. Nicht nur auf die Gotische Bibliothek, sondern auch über den Jungfernsee auf die Pfaueninsel, den verwilderten Kaninchenwerder, das erste Ziel für zerstreuende Bootsfahrten von der Wassertreppe des Palais durch den Hasengraben über die Havel. Hinter dem Röhricht mit seinen ungezählten Wasservögeln, Wiesenflächen unter uralten Eichen, noch kein Point de vieu,


Die Gotische Bibliothek im Neuen Garten

aber verlockende Natur, verlockend zum Lagern, Spielen, Tanzen, aber auch zum Gestalten. Es blieb nicht bei den Spielen, es wurde gebaut und gegärtnert. Fintelmann (Johann Anton; gest. 1863), der bei Eyserbeck in die Lehre gegangen war, bekam die Insel anvertraut, der königliche Zimmermeister Brendel unter Umgehung der Hofarchitekten, den Auftrag, ein Lustschloss an der Inselspitze zu errichten.

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Doch in die Gelüste, die sich hier Raum schaffen (die Pläne für Gebäude und Inneneinrichtung haben Friedrich Wilhelm und Wilhelmine gemeinsam ausgeheckt), mischt sich die Sehnsucht nach dem Fernen, Exotisch- Naturhaften. Überall ist es besser, wo wir nicht sind, in den fernen Welten, ob exotisch, ob mythisch, ob übersinnlich. Und auch dieses Idyll hat der König nur von ferne, von seinem Kranken- und Sterbelager aus, gesehen. Erst sein Sohn (Friedrich Wilhelm III. 1770-1840), der, erstaunlich genug bei seiner Moralität, sich von diesem Lotterort seines sittenlosen Vaters nicht abwandte, sondern ihn, nach Paretz und nach dem Tod von Luise (1776-1810), zu seinem liebsten Refugium machte, konnte die Insel und ihre Bauten wirklich genießen.

Das andere Sanssouci

Er hätte es ja beim Neuen Garten bewenden lassen können, der neue König. Aber die Gegenwart des Alten musste überformt werden, zeitgemäß und den eigenen Gefühlen gemäß. Nach dem Schloß, dem Arbeits- und Sterbezimmer, auch der Park. Nicht viel hätte gefehlt, dass sogar die Weinbergterrassen geschleift worden wären. Aber Eyserbeck achtete die Ideen des alten Königs ebenso wie das Werk seines Vorgängerkollegen und setzte erst bei den Bosketten um das Fontänenbecken an.

Das verlor seine steinerne Einfassung und wurde zum Teich, die Broderien zu Wiesenflächen mit Sträuchern, der begrenzende Kanal zum Bach mit natürlichen Ufern. In allen drei Hauptbereichen des Parks, im Parterre vor dem Schloss, im Rehgarten und vor dem neuen Palais, kehrte jetzt der englische Geist des Naturgartens ein: gewundene Wege, geschlängelte Bachläufe, Baumgruppen, Wasser im selbstgewählten Verlauf. Doch der König rückte den Garten weg von seiner persönlichen Verfügungsmacht, er gründete eine Gartenbau- Inspektion für Sanssouci und die übrigen königlichen Parks, aus deren Zuständigkeit er jedoch seine liebsten Gärten, Charlottenburg, Pfaueninsel und Neuer Garten, ausnahm.

Charlottenburg

Immer war die Beziehung zu Wilhelmine das unterschwellige Element in der Beziehung zu seinen Gärten. Charlottenburg, wo er sich eine Sommerwohnung und später, fast zu spät, auch eine Winterwohnung einrichten ließ, Charlottenburg war schon in der Kronprinzenzeit Wohnort der Geliebten. In ihrem Anwesen an der Spree gegenüber dem Schloss hatte Madam Ritz ihren eigenen Naturgarten, und auch für Charlottenburg plante sie zusammen mit dem König, mit ihrem Mann (der zum Gartendirektor ernannt wurde) und dem Kastellan des Schlosses, Wucke, die Verwandlung in Natur.

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Der See wurde erweitert und bekam Inseln, wie in Wörlitz nur mit Seilfähren erreichbar, auf deren eine Langhans das Belvedere erbaute. Ein phantastisches Bambuskabinett, das Otaheitische Korbhaus (Tahiti!) gab es im Nordturm des Schlosses, und über die berühmte Karpfenbrücke, wo die uralten Fische auf Glockenzeichen zum Füttern kamen, schreibt noch Fontane. Alles kam zusammen auch in diesem Park, das sinnliche Element in der Nähe zu Wilhelmine, das übersinnliche mit dem Belvedere und seinen geheimen Sitzungen, das natürliche mit der Befreiung des Wassers, der Pflanzen und Bäume von der barocken Vergewaltigung. Und der Fluss bildete die Verbindung zur Havel, zur den Schlössern und Gärten von Potsdam einerseits wie andererseits zum Berliner Schloss und Monbijou, in dem die Königin (Friederike von Hessen- Darmstadt; zweite Gemahlin Friedrich Wilhelms II.; 1751-1805) wohnte und auch ihren Park »anglisieren« ließ, selbst zum Tiergarten, in dessen südwestlichem Teil Eyserbeck eine der so zeitgemäßen Rousseau- Inseln mit Urne und Pappelkranz anlegte.
     Es ist seltsam, dass dieses erste Gartenreich auf brandenburgpreußischem Boden so ganz aus dem historischen Bewusstsein geschwunden ist. Wie ja auch sein Schöpfer, der zweite Friedrich Wilhelm, seinen gebührenden Platz in der Geschichtsschreibung und -betrachtung noch nicht gefunden hat.
Gemessen an seinem genialen Onkel, noch heute konfrontiert mit dessen Tugenden, kann er nicht reüssieren, kommen die Stimmen, die seine Interimsexistenz zwischen Absolutismus und bürgerlicher Revolution zu würdigen versuchen, kaum zu Gehör. Doch in elf Jahren hätte auch kein selbstbewussterer und willensstärkerer Herrscher den Reformstau des friderizianischen Regimes auflösen können; erstaunlich ist, wie bürgerlich Preußen in diesen Jahren werden konnte. Und ob der Staatsschatz in Gärten wie am Heiligen See und Bauten wie dem Marmorpalais und dem Brandenburger Tor nicht besser angelegt waren als in weiteren Regimentern und Festungen, mag dahingestellt sein; uns Heutigen liegen die lieblichen Gefühle näher als das Kriegsgesetz und seine Herrschaft.

Quellen:
1 Gerd Heinrich, Geschichte Preußens, Frankfurt/ Berlin/ Wien 1984, S. 255
2 Inge Pfeifer, Friedrich Wilhelm II. und Wörlitz, in: Friedrich Wilhelm II. und die Künste, Ausstellungskatalog Stiftung Schlösser und Gärten, Potsdam 1997, S. 122
3 Stefan Gehlen: Das Marmorpalais, a. a. O., S. 358 f.

Bildquelle: Friedrich Wilhelm II. und die Künste, Katalog zur Ausstellung, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg 1997

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 11/2000
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