118   Berichte und Rezensionen   
Konrad Merz
Berliner, Amsterdamer und ach - Jude auch.

Memoiren aus neunzig Jahren.

Achterland Verlagscompagnie Bocholt und Bredevoort, 1998

Als kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges Richard Drews und Alfred Kantorowicz mit »Verboten und verbrannt« den ersten Überblick zu jenen Autoren vorlegten, die Deutschland 1933 verlassen mussten, fehlte sein Name nicht: Konrad Merz, der 1936 mit seinem ersten Roman »Ein Mensch fällt aus Deutschland«, - er berichtet von einem Namenlosen ohne Pass, - das besondere Thema der Emigration beschrieben hatte.
     In den Jahren danach geriet Merz nahezu vollständig in Vergessenheit, obwohl hin und wieder Prosa von ihm erschien. Dass jetzt noch einmal sein Name auf Buchumschlägen steht, grenzt an ein kleines Wunder. Das Buch heißt »Berliner, Amsterdamer und ach - Jude auch« und gehört ohne Zweifel zu den bemerkenswerten Memoirenbänden der letzten Jahre. Es sind Erinnerungen ganz eigener Art, kein Stenogramm vordergründig erzählter Lebensstationen.
     1908 in Berlin geboren und frühzeitig verwaist, lernt der sensible, aufmerksam seine Umwelt beobachtende Kurt Lehmann (so sein eigentlicher Name) die widersprüchliche Erwachsenenwelt zunächst im Waisenhaus kennen. Ausflüge ins Berliner Umland bringen kleine Lichtblicke: »Die Umgebung der Stadt Berlin ist umkränzt von grünstem Grün. Dort funkelt die Flut blau, dort funkelt sie in expressionistischen Farben mit unzähligen Kinderarmen, die alle schwimmen konnten.«
     Durch die ersten Kapitel geistert immer wieder die kulturelle Opulenz der »Goldenen Zwanziger«.

Staatstheater am Gendarmenmarkt und Lindenoper sind Orte, wo sich der junge Mann wohl fühlt, zu sich selbst findet. Nach dem Abitur beginnt er zu studieren - eine kurze Zeitspanne, die mit Beginn der NS-Zeit für den Juden Lehmann schnell zu Ende geht: »Ich konnte in diesem Land nicht mehr leben, nur sterben. Ich schrieb damals: Die Luft legt sich wie ein Stacheldraht um meinen Hals.«
     Merz gelingt die Flucht nach Holland. Mittellos und ohne Beziehungen, findet er in Menno ter Braak, dem »Lessing von Holland«, einen Förderer, der seine poetische Begabung sieht und ihm weiter hilft. Die Kapitel, in denen Merz seine Begegnungen mit Holland und den Holländern schildert, gehören zu den Abschnitten des Buches, die man immer wieder liest, etwa »Amsterdam, meine Liebe ...«, wo es heißt: »Aber jetzt stand ich selber in Amsterdam, einer Stadt wie ein Schiff im Wasser, mit schmalen Häusern, die ihre Erde aus dem Wasser geangelt haben. Die Häuser sind mit tausenden Pfählen festgenagelt, damit sie nicht wieder wegschwimmen. Die Luft spiegelt ein Lächeln vom Übergang zum Unendlichen. Das Lächeln ist hier weniger fanatisch und lächelnder als da, wo es im Endlichen eingeklammert lächeln muss. Es ist in dieser glitzernden Luft besser gekleidet, weil diese dem Wasser verwandter ist als der Erde.«
     Ende letzten Jahres ist Konrad Merz im Alter von 91 Jahren in Amsterdam gestorben. Mit seinen »Memoiren aus 90 Jahren« hat er ein Buch hinterlassen, dass sich wohltuend von vielen Erinnerungsbüchern unterscheidet, die uns fatal im Nachhinein die Welt erklären wollen und voller Rechthaberei sind. Die Achterland Verlags Compagnie hat dem kleinen Werk ein informatives Nachwort von Ekhard Haack und eine vorzügliche Ausstattung auf seinen Weg mitgegeben.
Dieter Götze

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/2000
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