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Hans-Heinrich Müller
Auch vor Färbern hielt er Vorlesungen

Der Chemiker und Technologe Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760-1833)

Als 1810 die Berliner Universität gegründet wurde, erhielt sie auch ein Extraordinariat für Technologie. Berufen auf diese außerordentliche Professur wurde Sigismund Friedrich Hermbstaedt, den Alexander von Humboldt (1769-1859) und der Staatsrat Professor Johann Gottfried Hoffmann (1765-1847) vorgeschlagen hatten. Hermbstaet war ein Mann, den ein abwechslungsreiches Berufsleben auszeichnete und mit dem sich ein gewisser Richtungswechsel in der Technologie abzeichnete. Nicht mehr Kameralistik (Finanzwissenschaft) und Ökonomie, sondern die Naturwissenschaften, vor allem Physik und Chemie, bestimmten zunehmend den Inhalt der Technologie.
     Geboren am 14. April 1760 in Erfurt, Sohn eines »Oberstadtvoigtes und Aktuars« des Erfurter Rates, erhielt Hermbstaedt zunächst Privatunterricht, besuchte die Volksschule und das Gymnasium, um dann Arzneiwissenschaft an der Erfurter Universität zu studieren.


Sigismund Friedrich Hermbstaedt

Er belegte auch Vorlesungen bei dem Chemiker Wilhelm Bernhard Trommsdorf (1738-1782), dem Vater des später berühmten Sohnes Johann Bartholomäus Trommsdorf (1770-1837), um unter dem Eindruck dieses Gelehrten sich der Chemie und Pharmakologie zuzuwenden. Nach der Promotion ging er nach Langensalza in die von Johann Christian Wiegleb (1732-1800) begründete pharmazeutische Lehranstalt, in dessen Apotheke er auch praktisch arbeitete.

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Er war Gehilfe in der Hamburger Ratsapotheke, um dann in Berlin seine Zelte aufzuschlagen. Er arbeitete als »Provisor«, als Verwalter in der »Kohleschen Apotheke«, doch »weil er sich gar zu viel mit chemischen Arbeiten abgab, wodurch er die Apotheke negligierte«, also vernachlässigte, »bekam er die Demission«. »Seit dieser Zeit hat er sich bei Wegely«, der bedeutendsten Berliner Tuchmanufaktur, wahrscheinlich als Farbenlaborant und Arkanist (Spezialist für die Zusammensetzung der Grundstoffe) engagiert und soll für chemische Entdeckungen ein Gehalt bezogen haben. 1784 finden wir Hermbstaedt dann als Provisor in der »Apotheke zum weißen Schwan« des verstorbenen Obermedizinalassessors Valentin Rose d. Ä. (1736-1771). Er knüpfte hier eine langjährige Freundschaft mit dem bekannten und bedeutenden Pharmazeuten und Chemiker Martin Heinrich Klaproth (1743-1817, BM 1/96), der in die Familie Rose eingeheiratet und die Schwan- Apotheke sieben Jahre geleitet hatte.
     Nach nur einem Jahr Tätigkeit im »Weißen Schwan« begab er sich auf eine Reise in den Harz, nach Thüringen und in das Erzgebirge, um seine Studien zu vervollkommnen. In Göttingen lernte er Johann Beckmann (1739-1811) kennen, der seine »Neigungen für die technologischen und kameralistischen Wissenschaften weckte«. Wichtig für Hermbstaedt war auch die Bekanntschaft
mit Johann Friedrich Gmelin (1748-1804), dessen 1786 erschienenen »Grundsätze der technischen Chemie« den technologischen Aufgaben der chemischen Wissenschaft den Boden bereiteten. Wieder in Berlin, verdiente sich Hermbstaedt seinen Unterhalt mit Privatvorlesungen über Chemie, Physik, Technologie und Pharmazie, auch vor Färbern, Bleichern, Walkern, Appreteuren, Druckern und Gerbern.
     Am 13. Oktober 1787 wandte sich der bekannte Chemiker an der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Franz Carl Achard (1743-1821), an den Kurator der Akademie, Ewald Graf von Hertzberg (1725-1795), und rühmte die »Meriten des Doktor Hermbstaedt« und unterrichtete den Kurator am 19. Januar 1789, dass die Physikalische Klasse mit Mehrheit für die Aufnahme Hermbstaedts in die Akademie gestimmt habe. Gegen die Aufnahme stimmten die Akademiemitglieder Johann Jakob Ferber (1743-1790) und Johann Christoph Mayer (1747-1801), für die Hermbstaedt zu jung (26 Jahre) und ohne Amt war. Achard hielt dem entgegen, dass »Euler im 19. Jahr und Lagrange im 20. Jahr Akademisten« waren und das ihnen entgegengebrachte Vertrauen rechtfertigten. Trotz Achards Fürsprache verzögerte sich die Aufnahme. Hermbstaedt wurde erst am 4. August 1800 zum außerordentlichen und am 15. August 1808 zum ordentlichen Mitglied der Akademie gewählt.
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Eine seiner zahlreichen Abhandlungen

1791 wurde Hermbstaedt zum Professor für Chemie und Pharmazie am Collegium medicum berufen, gleichzeitig auch mit der Administration der königlichen Hofapotheke betraut, die er sieben Jahre verwaltete.

Während dieser Zeit wurde er zum Rat am Oberkollegium medicum ernannt und als Assessor im Manufaktur- und Kommerzkollegium sowie bei der Salzadministration eingestellt. Letztere Funktionen führten ihn auch zur technischen Mitwirkung im Ressort des Staatsministers Karl August von Struensee (1735-1804), der ihn vielfach für die Bearbeitung chemisch- technologischer Arbeiten heranzog. Eine der Arbeiten, die Hermbstaedt im Dienste des Staates ausführte, war die Suche nach Ersatzstoffen für den Rohzucker, der infolge des Aufstandes auf der Zuckerinsel San Domingo (Haiti) im Jahre 1791 knapp und teuer wurde. Er untersuchte einheimische Pflanzen wie Türkischen Weizen, Russisch Bärenklau, weiße und schwarze Birken, Pastinaken, Möhren und Rüben, vor allem aber Ahorn auf süße Säfte und Zuckergehalt, um Achard mit seinen Rübenzuckerversuchen zuvorzukommen, der in dieser Frage als scharfer Widersacher in Erscheinung trat. Letztlich waren aber seine Versuche erfolglos, und der Rübenzucker gewann die Oberhand, zu dem er sich später bekannte, aber es nicht für nötig hielt, in seinen späteren technologischen Werken Achard zu erwähnen.
     Verdienste erwarb sich Hermbstaedt mit seinen technologischen Publikationen.
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1791 veröffentlichte er den dreibändigen »Systematischen Grundriß der Allgemeinen Experimentalchemie, zum Gebrauche seiner Vorlesungen entworfen«, der seinen Schülern als wertvolle Hilfe diente, indem er sich auch mit den wissenschaftlichen Meinungen und Methoden in der Chemie auseinandersetzte. Er übersetzte Antoine-Laurent Lavoisiers (1743-1794) grundlegendes Werk »Traité élémentaire de chimie«, in dem Lavoisier die bis dahin beherrschende Phlogistontheorie stürzte und die Verbrennung als eine Oxydation eindeutig nachwies. Hermbstaedt sandte das übersetzte Werk an Klaproth, der sich daraufhin bald von der Phlogistontheorie löste und der Oxydationstheorie neue Wege in der chemischen Forschung ebnen half. Hermbstaedt gebührt Anteil an der Durchsetzung der neuen Lehre in der Chemie. Er gab 1794 auch die Übersetzung des Buches »Allgemeine Grundsätze der chemischen Affinität« von Louis Bernard Guyton de Morveau (1737-1816) heraus, Direktor der hochangesehenen Pariser Ecole Polytechnique, und schon ein Jahr vorher »Sämtliche physischen und chemischen Werke« von Carl Wilhelm Scheele (1742-1786), womit er die Verbreitung der neueren Chemie forcierte. 1794 übernahm er eine Dozentur an der Berliner Bergakademie und las vor den Bergeleven über Chemie.
     Hermbstaedt wurde ferner Mitglied des Oberkollegiums Sanitatis, 1798 Obermedizinalrat, Generalstabsapotheker der preußischen Armee,
1804 Geheimer Kriegsrat, 1808 Mitglied der Technischen Gewerbe- und Handels- Deputation, 1810 Geheimer Medizinalrat, und 1811 wurde er schließlich ordentlicher Professor der technologischen Chemie an der Berliner Universität und 1820 Professor an der Allgemeinen Kriegsschule.
     Als Pharmazeut hat Hermbstaedt durch seine Lehrbücher, wie den zweibändigen »Grundriß der Experimentalpharmazie« (1792/3), »Katechismus der Apothekerkunst« (1806) und durch seine verschiedenen Lehrämter großen Einfluss auf die Hebung der wissenschaftlichen Ausbildung des Apothekers ausgeübt. An der Reform des Apothekerberufs hat er durch seine Mitarbeit an der ersten Preußischen Pharmakopöe (1799) und an der »Revidierten Apothekerordnung« (1801) nicht geringen Anteil. Er wurde zum Organisator der gesamten preußischen Militärpharmazie und hat die Militär- Pharmakopöe mit herausgegeben.
     Im Herbst 1797 wurde Hermbstaedt durch Kabinettsorder an das Krankenbett Friedrich Wilhelms II. (1744-1797, König ab 1786) befohlen, der an Wassersucht litt und sich von dem Hofapotheker und Chemieprofessor Gesundung durch die »Lebensluft- Therapie« erhoffte, deren Anhänger auch Hermbstaedt war. Mit »Lebensluft«, Sauerstoff, hatte er mittels sinnreicher Apparate die Luft im Krankenzimmer des Königs angereichert und konnte damit dem Patienten während der letzten Lebenstage etwas Erleichterung verschaffen.
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Porträt Sigismund Friedrich Hermbstaedts mit eigenhändiger Unterschrift

Hermbstaedts größte Bedeutung liegt jedoch auf dem Gebiete der Technologie. Unermüdlich hat er in seinen Amtsstellungen, als Hochschullehrer, in Unterrichtskursen für Gewerbetreibende durch eine große Anzahl von oft mehrbändigen Lehrbüchern für nahezu alle Zweige handwerklicher und industrielltechnologischer Tätigkeit sowie der Landwirtschaft die Erfahrungen der Praxis nutzbar gemacht, chemische, physikalische, pharmazeutische Probleme behandelt, die er in seinen »Grundsätzen der theoretischen und experimentellen Kameralchemie« (1808),

im »Grundriß der Technologie« (1815) oder im »Kompendium der Technologie« (1831) sowie in dem von ihm herausgegebenen »Archiv für Agriculturchemie« (1803 bis 1817), die führende deutschsprachige Fachzeitschrift auf diesem Gebiet, vermittelte, Werke, die mehrere Auflagen erlebten und in verschiedene Sprachen übersetzt wurden. Nach wie vor hielt Hermbstaedt Vorlesungen vor Färbern, mit denen er sich außerordentlich große Dienste erwarb. Er publizierte Arbeiten zur Verbreitung der modernen Erkenntnisse unter den Gewerbetreibenden und Fabrikanten, er schrieb über »Chemische Grundkenntnisse der Kunst, Seife zu fabrizieren«, über die Kunst, Bier zu brauen oder Butter zu fabrizieren. Von besonderer Bedeutung waren die zweibändigen »Chemischen Grundsätze der Kunst, Branntwein zu brennen« (1817), aus denen Spiritusfabrikanten wichtige Anregungen empfingen. Zugleich war Hermbstaedt ein Vermittler zwischen Wissenschaft und Gewerbebetrieb, trug zur Modernisierung und Rationalisierung mancher Betriebe und Fabriken und zum Aufschwung der Kattundruckerei, Färberei, Branntweinbrennerei und der chemischen Industrie in Preußen bei. So richtete er beispielsweise dem Fabrikanten Samuel Heinrich Kunheim (1781-1848, BM 7/00) in Berlin, am Molkenmarkt, eine Sodafabrik ein, wobei Hermbstaedt auch die wissenschaftlich- technische Leitung oblag.
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Er besorgte die Einrichtung der Raffinerie der Zuckersiederei der Gebrüder Berend. Unter Leitung Hermbstaedts erfand der Berliner Fabrikant J. Friedrich Dannenberger (1786-1873) in der Köpenicker Straße 3 ein Verfahren für den Türkischrotdruck und eine verbesserte Walzendruckmaschine. Und dem Bleiweißfabrikanten Dietrich Ernst Bühring (1735-1810) in der Schillingstraße machte Hermbstaedt auf Grund neuer Forschungsergebnisse des Auslandes Vorschläge zur besseren Fabrikation dieses Produktes - Beispiele engagierter Förderung des Gewerbes und der Industrie.
     Sein Wirken für die Technologie in Berlin und damit für Preußen, seine Mittlerrolle zwischen Forschung und Produktion, sein Eintreten für die Technologie als »moderne Wissenschaft« zu Beginn des 19. Jahrhunderts war von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Er selbst hat es einmal so beschrieben: »Es gibt in der Tat kein Handwerk, welches nicht, wenn solches rationell ausgeübt werden soll, mehr oder weniger scientifische Prinzipien voraussetzt, ... die nicht bloß erlernt, sondern studiert werden müssen.« Hermbstaedt starb am 22. Oktober 1833. Beigesetzt wurde er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Friedrich Schinkel entwarf im Auftrag des Gewerbevereins, in dem Hermbstaedt ein rühriges Mitglied war, einen Gedenkstein, eine Stele, mit der Inschrift: »Dem Andenken S. F. Hermbstaedts - Der Verein für Gewerbefleiß in Preußen«.
     Zur Erklärung: In der Literatur wird häufig Hermbstädt geschrieben, aber er selbst unterschrieb in Berichten und Briefen meistens Hermbstaedt, so dass wir im Text diese Schreibweise verwendet haben.
Quellen und Literatur:

- Berlin- Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Archiv, I-III, Nr. 4, Bl. 117 ff.

- Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zu Berlin- Dahlem, Generaldirektorium, Technische Deputation, Tit. XIII, Nr. 1, vol. II, Bl. 1-15 v.

- Allgemeine Deutsche Biografie, Bd. 12, 1880, S. 190 ff.; Neue Deutsche Biografie, Bd. 8, S. 666 f.; Ilja Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, Berlin 1965; Derselbe, Sigismund Friedrich Hermbstaedt (1760-1833). Chemiker und Techniker, in: Technikgeschichte, Bd. 32, 1965, S. 325-382; Peter Lundgreen, Technik in Preußen während der Frühindustrialisierung, Berlin 1975, Edmund O. v. Lippmann, Ein kleiner Beitrag zur Frage Hermbstaedt- Achard, in: Die deutsche Zuckerindustrie, Nr. 55, 1930, S. 167; Michael Engel, Hermbstaedts »Archiv für Agriculturchemie 1804-1818«, in Bibliotheksinformationen, H. 20, 1989, S. 11 ff.; Zuckerhistorische Miszellen, Teil III, in: Schriften aus dem Zucker- Museum, Heft 24, Berlin 1987, S. 97 ff.; Berlinische Blätter für Geschichte und Heimatkunde, Jg. 1, Berlin 1934, S. 23 f.; L. Spiegel, Kunheim 100 Jahre, Berlin 1926.

Bildquelle: Archiv Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/2000
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