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Fred David
The world is watching you - New Berlin

Die folgende Rede zur Eröffnung der Ausstellung »Durch Europa. In Berlin« im Märkischen Museum vom 24. August 2000 hat dankenswerterweise Fred David, Vorsitzender des Vereins der Ausländischen Presse in Deutschland, der Redaktion zum Abdruck überlassen.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin Schweizer und als solcher wenig befugt, ausgerechnet zu dieser Ausstellung einige Worte zu sagen: »Durch Europa. In Berlin«.
     Die Schweiz ist zwar überall dabei, gehört aber nirgendwo richtig dazu. Mitten in Europa, aber nicht Mitglied in der EU! Noch lange nicht übrigens. Dazu kenne ich meine Landsleute zu gut. Es geht auch ohne, sagen sie. Wir sitzen ja sowieso überall an den Tischen. Irgendwie. Ich habe den Eindruck, die Schweizer warten darauf, dass die EU der Schweiz beitritt.
     Das ist so ein Art Selbstbewusstsein und Selbstverständnis, das bis zur Skurrilität gehen kann. So, wie ich es auch von manchen Berlinern kenne, wenn sie über ihre Stadt reden. Da gibt es schon Berührungspunkte in der Mentalität, auch wenn ein Schweizer im Durchschnitt siebenmal länger braucht als ein gebürtiger Berliner, bis er das gleiche erzählt hat.
     In der »Neuen Zürcher Zeitung« habe ich kürzlich gelesen, ein mittlerweile zurückgetretener Berliner Kultursenator habe das neue Berlin zur Hauptstadtmetropole ausgerufen, und alle hätten ihm das gleich nachgeplappert. Dabei heiße Hauptstadtmetropole übersetzt

Hauptstadtweltstadt, und das klinge ja so logisch wie Einbruchverbrechendiebstahl oder Schwangerschaftsabbruchabtreibung.
     Sie sehen, wohin es führt, wenn Sie einen Schweizer an das Thema Europa und Berlin heranlassen.
     Aber ich spreche hier ja nicht als Vertreter eines Landes, sondern als Vorsitzender der Auslandspresse in Deutschland. Und darüber möchte ich gern etwas erzählen, denn das hat schon eine ganze Menge mit dem Thema heute abend zu tun. Mit New Berlin. Aber auch mit AltBerlin, das, wie die Ausstellung ja zeigt, auch schon sehr stark durch ausländische Einflüsse geprägt war. Die Hugenotten, später osteuropäische Zuwanderer, darunter viele Juden, schliesslich zehntausende Türken und Angehörige anderer Nationalitäten haben Berlin und den Berlinern enorme integrative Kraft abverlangt. Sie sind nicht immer glücklich damit umgegangen.
     Aber erlauben Sie mir dazu eine ganz persönliche Bemerkung in aktuellem Zusammenhang: Für mich ist es eine ebenso seltsame wie überraschende Erfahrung, dass ich meinen 13- jährigen Adoptivsohn - er ist Philippino - sicherer in Berlin- Mitte weiß als auf einem Ausflug im dörflichen Umland. In allen andern Metropolen wäre es genau umgekehrt. Das spricht für Berlin.
     Dem Verein der Ausländischen Presse in Deutschland, abgekürzt VAP, gehören 430 Berufsjournalisten aus 55 Staaten an. Fünf Dutzend Sprachen und Dialekte werden bei uns gesprochen. Aber in unseren Statuten steht: Die Verkehrssprache ist Deutsch. Der Kollege von Sinhua aus Peking, die Kollegin vom »Wall Street Journal« aus New York, der Korrespondent von »Jyllandsposten« aus Jütland, der Mitarbeiter von Radio Vaticano, der Kolumnist vom Hollywood- Reporter, sie alle verstehen sich nur, weil sie deutsch miteinander sprechen.
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Das ist eine eigene Spielart von Globalisierung, und sie findet mitten in Berlin statt.
     Dass wir als Ausländer die älteste Journalistenorganisation in ungebrochener Tradition in Deutschland bilden, macht uns natürlich auch ein wenig stolz und ärgert ein wenig die deutschen Kollegen, obwohl man auch sagen kann: 94 Jahre auf dem Buckel können auch ganz schön drücken. 1906 in Berlin gegründet, haben tausende Mitglieder dieser Organisation fast das ganze letzte Jahrhundert mitgemacht und beschrieben, ein Jahrhundert, das ja über weite Teile ein deutsches Jahrhundert war und auch für 50, 60 Jahre das Jahrhundert Berlins.
     Die erste Korrespondenz, die wir in unserm Archiv gefunden haben, stammt aus der Kaiserzeit. Sie fängt mit der Anrede »Euer Hochwohlgeboren« an und war an einen höheren Beamten im Auswärtigen Amt gerichtet. Die zwanziger Jahre waren trotz Krisen die große Zeit Berlins und auch unsere große Zeit, nicht nur, weil während der Inflation manche unserer Kollegen es sich mit ihren Dollars, Pfund Sterling und Schweizer Franken leisteten, wochenlang in First-Class- Hotels zu wohnen, weil, wie sie behaupteten, die schönen Damen dort zu den am besten Informierten in der Hauptstadt zählten - auch eine Art von Ausländerschicksal!
     Die Auslandspresse, in den Jahren zuvor eher verachtet, wurde plötzlich zu einem willkommenen SparringsPartner der Zeitungen in Berlin. Diese waren zu Kaisers Zeiten ausgesprochen devot gewesen. Jetzt erlebten sie einen Ausbruch an neuer Frechheit und Frische, an Streit und Kampfeslust - eine Atmosphäre, die auch die Auslandskorrespondenten regelrecht infizierte.
     Selbst die finsteren Jahre Deutschlands und Berlins waren für Auslandskorrespondenten keine schlechten Jahre, anfangs jedenfalls. Zwei unserer VorgängerKollegen erschrieben sich den Pulitzer Preis, weil sie in eindrucksvollen Reportagen schon früh
die Abgründe der anfangs nach außen pompösen und auch das Ausland blendenden Nazidiktatur dokumentierten.
     Zu unserer Geschichte, die sich auch immer wieder eng mit der Geschichte dieser Stadt verbindet, gehört, dass auch wir eine Vergangenheit zu bewältigen haben. Nach dem Krieg wurde einer meiner Vorgänger in seinem Land als NaziKollaborateur hingerichtet.
     Auch die Kräfteverhältnisse im darauf folgenden Kalten Krieg fanden bei uns, ohne dass das jemand gesteuert hätte, ihren unmittelbaren Niederschlag. Es gab zwei getrennte Korrespondentenorganisationen, die eine in Bonn, die andere in Berlin. Die Vorsitzenden waren ausnahmslos Wessis. Amerikaner und Briten dominierten. Die Ossis - in dem Fall also Osteuropäer - achteten aber darauf, dass sie mindestens den Vize oder den Schriftführer stellen konnten. Auch im Kleinen war die Balance der Mächte gefragt.
     Dann pünktlich mit dem Regierungsumzug haben wir uns wieder vereinigt, wozu wir allerdings ein paar Jährchen länger brauchten als die beiden deutschen Staaten.
     Ich glaube, es gibt keinen Verein in Deutschland, wo sich die große Politik über ein Jahrhundert so unmittelbar im Kleinen abbildet wie bei den Auslandskorrespondenten. Das ist auch der Grund, warum ich mir hier erlaubt habe, unsere Geschichte etwas ausführlicher darzustellen.
     Jetzt stehen auch wir Auslandskorrespondenten hier in Berlin wieder an einem neuen Anfang, genau gleich wie die sogenannte Berliner Republik, wie New Berlin. Und keiner weiß eigentlich genau, was das wirklich bedeutet: Berliner Republik, New Berlin? Erst in ein paar Jahren, vielleicht nach einem Jahrzehnt, werden wir einigermaßen erkennen, was mit diesen plakativen Begriffen gemeint sein könnte.
     Ich habe versucht, ein paar Definitionen zu sammeln. Es war erstaunlich schwierig. Der Berliner Senat sammelt keine Auslandsstimmen über Berlin, was ja doch einigermaßen erstaunt.
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Nicht einmal der Wirtschaftssenator lässt internationale Stimmen über Berlin kontinuierlich registrieren, obwohl er doch eigentlich daran interessiert sein müsste, was ausländische Investoren nach Berlin lockt (das werden ihm die Investoren vielleicht noch direkt erzählen) - oder eben, was sie abhält, nach Berlin zu kommen (das werden Investoren dem Senator in der Regel nicht erzählen).
     Vielleicht tun das aber die Korrespondenten, die Berlin aus der Distanz des Auslands betrachten, auch wenn sie in Berlin wenig gelesen werden. Die gesamte Senatsverwaltung hat gerade ein einziges Auslandsmedium abonniert: immerhin die »International Herald Tribune«, wenn auch nur mit einem Exemplar für sämtliche Senatoren und Beamten. Da wird wohl am falschen Ort gespart. Denn das Ausland macht sich schon so seine Gedanken über Berlin, mehr als über jede andere Metropole, und beobachtet gespannt, was aus dieser Stadt wird.
     Solche Reflexionen aus dem Ausland stärker aufzunehmen, sie zu diskutieren, zu hinterfragen, sie für hilfreich zu betrachten oder sie auch als völlig abwegig zu verwerfen, täte gut. Hauptsache, es findet eine Auseinandersetzung mit denen da draußen und deren Berlin- Bild statt.
     Der bemühte Lokalpatriotismus der Berliner Medien, ich sage es ganz offen, geht mir als Leser manchmal ziemlich auf die Nerven. Gelassene Souveränität im Umgang mit Kritik von außen ist das Merkmal von wirklichen Metropolen.
     In den Zeitungsartikeln meiner ausländischen Kolleginnen und Kollegen aus den letzten Wochen, die ich hier einmal ganz willkürlich herausgreifen will, herrscht ein Tenor vor: die Überraschung über die gewaltige Bauaktivität. »Seit dem Fall der Mauer heilt diese Stadt ihre Narben mit verblüffendem Eifer«, schreibt meine Kollegin Sophie Besse vom »Figaro«. »Das gigantische Berlin lässt sich nicht wie Paris besuchen, das aus einem Guss ist«, meint sie.
»Die chaotisch wiederaufgebaute Stadt, die diverse Baustile aneinander reiht, ist disharmonisch, mit einer Mischung aus Spuren der Vergangenheit und innovativem Geist.«
     Moritz Rinke in der schon genannten »Neuen Zürcher Zeitung« findet, Berlin käme ihm manchmal vor wie a global city und manchmal - und vielleicht öfter - aber auch wie eine Synthese aus Darmstadt- Offenbach- Wiesbaden.
     Welche umfassende Idee besitzt Berlin überhaupt? Welche Strömung geht von Berlin hinaus in die restliche Welt? Die Antwort mag etwas enttäuschen: Man bekomme ja so ungefähr nicht einmal mehr eine Zeitung aus Berlin, wenn man Brandenburg verlassen habe, schreibt er. Eine Beobachtung übrigens, die ich teile und die schon etwas Symptomatisches hat. Da schwingt etwas von jener Stimmung mit, die ich manchem Artikel meiner Kolleginnen und Kollegen entnommen habe: tolle Bauten, viel Geld.
     Aber was kommt, wenn das alles in zwei, drei, vier Jahren steht? Mit Ausnahme natürlich des unbedingt rekonstruiert sein sollenden Stadtschlosses. Was macht dann das noch immer schwer definierbare Flair dieser Stadt aus? Die Love Parade? Warum nicht. Sie hat dem Image der Stadt mehr gebracht als manche teure Werbekampagne.
     Das Beeindruckende an der Love Parade sei, schreibt José Manuel Costa von der Madrider Tageszeitung ABC, »dass hier vor unsern eigenen Augen eine neue Art Volksfest entstanden ist. Natürlich in Berlin, der neuen Stadt schlechthin, in der die für dieses Jahrhundert charakteristische elektronische Musik vorherrscht.« Auch das ist, wie ich finde, eine interessante, nur am Anfang beiläufig wirkende Beobachtung.
     Die symbolische Kraft dieser Stadt sei noch immer sehr groß, meint der Kollege Eusebio Val von der spanischen »La Vanguardia«. Peter Boys von der »Times« ist da weniger gnädig als unsere spanischen Kollegen, und er hat für seine Berlin- kritischen Artikel von empörten deutschen Kollegen auch schon mediale Prügel bezogen.
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Er schreibt, Berlin habe sich zu laut und zu oft als Brennpunkt des neuen Kontinents angepriesen. Und jetzt komme der Katzenjammer. Es gebe hier ja gar keine hauptstädtische Gesellschaft, wie sie jede souveräne Metropole brauche.
     Die Idealvorstellung von Berlin als dem Mittelpunkt einer neuen, zentralen deutschen Elite hält der »Times«Kollegen für eine Totgeburt.
     Allerdings werde ich ihm das nächste Mal an unserem Stammtisch im Hotel Adlon, wo wir solche Dinge diskutieren, dann doch entgegen halten: Könnte es Great Britannia und die Londoner Society ertragen, wenn ausgerechnet ein ausländischer Architekt, zum Beispiel ein deutscher, eine urbritische Institution wie das House of Parliaments umbauen würde, so gründlich, wie es Sir Norman Foster mit dem Reichstag tun durfte? Würde das die britische Metropole wirklich so souverän hinnehmen, ohne vorher zu wissen, dass das Ergebnis so gelungen herauskommt wie die Arbeit von Sir Norman?
     Als Angehöriger eines kleinen Landes, das keine Metropole hat und das man ungestraft provinziell nennen darf, würde ich hier doch mit geliehener Berliner Schnauze sagen: Nachtigall, ick hör' dir trapsen. Die Rivalität zwischen den europäischen Metropolen Paris, London und Berlin ist in vollem Gang.
Für uns Korrespondenten sind das wieder spannende Zeiten. Und wieder einmal finden diese spannenden Zeiten hier Berlin ihren besonderen Ausdruck.
     Das sind alles nur Splitter, Gedankenblitze, was ich eben zitiert habe. Aber sie zeigen doch: The world is watching you - New Berlin! Intensiver, engagierter und neugieriger, als das die meisten Berliner wahrnehmen.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/2000
www.berlinische-monatsschrift.de