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Christa Heese
Von der Schule zum Haus der Kinder

Der mehrflügelige, turmbekrönte Gebäudekomplex an der Parkaue 25-29 in Berlin- Lichtenberg wurde als Höhere Knabenschule im Jahre 1911 erbaut. In den Jahren 1948-1950 wurde es Jugend- Kulturhaus mit den Bereichen »Zentralhaus der Jungen Pioniere« und »Theater der Freundschaft«, nach 1990 wurde es umbenannt in »Haus der Kinder« und »carrousel- Theater«. 1995 wurde der Gebäudekomplex auf Grund seiner geschichtlichen, baukünstlerischen und stadtbildprägenden Bedeutung in die Berliner Denkmalliste eingetragen.
     Das Gebäude bildet mit den benachbarten architektonisch bedeutsamen Bauten das städtische Ensemble um das repräsentative Lichtenberger Rathaus, dessen Errichtung kurz vor 1900 sichtbarer Auftakt zur Stadtwerdung Lichtenbergs war.
     Lichtenberg, das im Mittelalter mit 62 Hufen als eines der großen Straßenangerdörfer gegründet worden war - der in seinen Umrissen erhaltene Anger und die Kirche vom Anfang des 13. Jahrhunderts in Feldstein- Quadermauerwerk künden davon -, hatte seine bäuerlich- agrarische Parzellenstruktur lange bewahrt, selbst als es Ausflugsziel

und bevorzugter Sommeraufenthalt Berliner Bürger, Beamter und ranghoher Militärs wurde.
     So war das Rittergut in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Besitz des Staatskanzlers Karl August von Hardenberg (1750-1822). Der Feldmarschall Wichard Joachim Heinrich von Möllendorff (1724-1816) besaß ein großes Anwesen mit Landhaus und Park, das 1865 von seinen Erben an einen in Lichtenberg ansässigen Armeelieferanten namens Dotti verkauft und 1907 schließlich von der Gemeinde zwecks Schulbau und Anlegung eines Stadtparks erworben wurde.
     Neue Siedlungen in Form von so genannten Kolonien - Lichtenberger Kietz, Friedrichsberg, Wilhelmsberg, Rummelsburg - waren im 18./19. Jahrhundert, abseits vom Dorf, in der Lichtenberger Gemarkung entstanden. Die Gemeinde wuchs von 437 Einwohnern im Jahr 1801 auf 12 000 im Jahr 1870. Die Einführung der Gewerbefreiheit und die Eröffnung der Ringbahn 1871 brachten die Ansiedlung von Fabriken und Großhandelseinrichtungen.
     Lichtenberg wuchs gegen Ende des 19. Jahrhunderts schnell zur stadtähnlichen Großgemeinde, deren Gemeindevorsteher von 1896 bis 1920, der tatkräftige Oskar Ziethen (1858-1932, BM 4/98), die anstehenden großen Aufgaben und Probleme durch kommunale Eigenständigkeit günstiger zu lösen bestrebt war und im Jahr 1907 für Lichtenberg - inzwischen 45 000 Einwohner - eigenes Stadtrecht erlangte. Er war von 1907 bis 1920 der erste Bürgermeister.
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Mit der in diesem Zusammenhang von ihm vorangetriebenen Bebauungsplanung und dem im Jahr 1898 bereits fertig gestellten Rathausneubau - im Stile märkischer Backsteingotik von Ratsbaumeister Franz Knipping - war südlich, außerhalb der alten Dorflage, unweit der Frankfurter Chaussee, der neue Stadtmittelpunkt Lichtenbergs festgesetzt worden, in dessen Umfeld nach Geländeankauf - u. a. des Dottigeländes - bald weitere Kommunalbauten folgten.
     Die Höhere Mädchenschule (1910, Rathausstraße) wie auch die Höhere Knabenschule an der Parkaue wurden nach Entwürfen von Stadtbaurat Johannes Uhlig und Architekt Wilhelm Grieme errichtet, die für den Architekturstil bezeichnenderweise die Renaissance - als große geistige Epoche - zum Vorbild gewählt hatten.
     Der Schulkomplex für Knaben auf dem Dottischen Gelände an der Parkaue war als Doppelschule konzipiert und beinhaltete Oberrealschule und Realgymnasium mit gemeinsamem Unterbau (1. bis 4. Klasse). Über zförmigem Grundriss sind die Klassentrakte (Süd- und Mittelflügel mit 23 Klassen, Chorraum, Bücherei) nebst anliegendem Direktorenwohnhaus mit dem nördlichen Aula- Turnhallen- Trakt (im Erdgeschoss Turnhalle, im Obergeschoss Aula, im Dachgeschoss Zeichensäle mit Atelierfenstern) zu einer gut proportionierten, spannungsvoll gestaffelten, durch Turm und Dachreiter akzentuierten Gebäudegruppierung unter bewegten Dächern gefügt.

Ansicht des Gymnasiums, um 1947

 
Der Bau ist in sparsamen Neorenaissanceformen gestaltet. An den hellen Putzfassaden sind Sockel, Portale, Fenstergewände und hervorgehobene Details in Naturstein (Tuff, Basalt) abgesetzt.

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Befehl der sowjetischen Verwaltungs- Chefs zum Wiederaufbau der Gebäude 1948
An besonderem Dekor ist der Wandbrunnen am Direktorenwohnhaus - neben dem Eingang zur Oberrealschule - zu nennen.
     Im Inneren besitzen Vestibüle und Flure Kreuzgratgewölbe, die Treppenhäuser und großen Räume haben stilisierte Kassendecken, die nicht mehr vorhandene Aula besaß eine reich kassettierte Deckenwölbung und profilierte Holzpaneele.
     Alle Räume waren in hellen natursteinähnlichen Farben gefasst, teilweise durch sparsame schablonierte Linien gegliedert.
     Die Schule, die am 27. Januar 1934 programmatisch im Hinblick auf besondere Erziehung der Jungen im Dritten Reich in »Joseph-Goebbels- Schule« umbenannt worden war, hatte den Krieg fast unbeschädigt überstanden.
     Nach Reparaturen hatte der Schulbetrieb begonnen, als von sowjetischer Seite die Anordnung zur Herrichtung der Schule für kulturelle Zwecke erging, was schließlich die Einrichtung als »Jugendkulturhaus« und den Umbau des nördlichen Aulaflügels in ein funktionierendes »Theater« zum Ergebnis hatte.
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Unter den heutigen Berliner Theatern hat daher diese im Jahre 1950 als erstes reines Kinder- und Jugendtheater eröffnete Spielstätte ihre besondere Geschichte, deren Anfänge in der unmittelbaren Nachkriegszeit liegen.
     Der Anstoß zur Gründung ging von der sowjetischen Militäradministration aus, die sich im Nachkriegs- Deutschland um die Vermittlung neuer Kulturinhalte bemühte. Dieses Projekt stand in direktem Zusammenhang mit der Einrichtung des sowjetischen Kulturzentrums im ehemaligen Finanzministerium am Festungsgraben und des dort im Jahre 1947 neu eröffneten »Maxim Gorki Theaters« in der hierzu umgebaute Singakademie.
     Die SMAD erteilte am 30. Juni 1948 den Befehl Nr. 65 an den Oberbürgermeister zur Umgestaltung der Lichtenberger Schulanlage und des Parkes in ein »Haus der Kultur der Sowjetunion, Filiale für die Kinder«.
     Der Entwurfsantrag ging an den Bauhausschüler Waldemar Alder (geb. 1906), der als KP-Mitglied von 1933 bis 1944 politisch verfolgt, berufseingeschränkt, nach Strafbataillon und Gefangenschaft ab 1947 bei der DEFA wieder als Architekt tätig und hier dem leitenden Kulturoffizier Major Alexander Dymschitz (1910-1975) vorgestellt worden war.
     Waldemar Alder und sein Partner Waldemar Heinrichs erhielten formal einen Vertrag mit der Stadt Berlin. Tatsächlicher Bauherr, Auftraggeber und

Die noch offene Turnhalle und der rohbaufertige Anbau, 1949

Verhandlungspartner war die sowjetische Zentralkommandantur/ Ressort Kulturoffiziere.
     Die Ausführung der Arbeiten lag bei der Allgemeinen Wirtschaftlichen Baugesellschaft Berlin, die gemäß Befehl bevorzugt Baumaterial bereitzustellen hatte, um den Fertigstellungstermin einzuhalten. Die sowjetischen Bauherren hatten vor Ort ein Baubüro eingerichtet.

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Dem vorgegebenen Konzept entsprach ein umfangreiches Raumprogramm nach Vorbild sowjetischer Kulturhäuser.
     Unter der Leitung einer russisch- deutschen Doppeldirektion sollte Kindern im Alter von 6 bis 15 Jahren fachkundige Anleitung für vielseitige Freizeitbetätigung geboten werden, auch in Ferienzeiten.
     Die Räumlichkeiten waren herzurichten für die Sparten Musik, Instrumentalunterricht, Chorgesang, Volkstanz, Ballett, Schauspiel,
Sprachen, Geschichte, Naturkunde, eine Miniatursternwarte, Werkstätten für Holz, Metall, Elektrotechnik, Fotografie, Ateliers für Malerei, Bildhauerei, Keramik, Kunstgewerbe, eine Bibliothek, Lesesaal, Kino (180 Plätze) und ein Theater. Im Park waren Sportplatz, Freilichtbühne und ein Lehrgarten anzulegen.
     Die dem Schulbetrieb verwandten Funktionen fügten die Architekten ohne bauliche Eingriffe in die vorhandene Raumstruktur des Süd- und Mittelflügels ein. Während sie mit der

Haus der Kinder im Sommer 1950
Umwandlung in ein Theater den Aula-/ Turnhallenflügel unter Verlust von Aula und Verlagerung der Turnhalle völlig veränderten, addierte man für den Bühnen- und Magazinbereich einen Nordflügel. Hofseitig nahm ein neuer Flachbau den zusätzlichen Ballettsaal auf.
     Für den Theatereingang war vor der Giebelfassade ein Portikus in Form einer breiten, sechsjochigen Pfeilerhalle in Werkstein errichtet worden. Die im Vestibül beginnende Werksteintreppe führt direkt in das Foyer im Obergeschoss und den ca. 400 Plätze fassenden Zuschauerraum, dessen ansteigende Sitzreihen gute Sicht bieten.
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Außenansicht vom Mai 1950
Seine qualitätvolle Raumausstattung stammt aus den Deutschen Werkstätten Hellerau, die Entwurf und Ausführung übernommen hatten: Zu edelholzfurnierten Türen, Gewänden, Rahmungen, Paneelen stehen samtbespannte Oberwände und der feingespachtelte Deckenplafond mit zwei Lichtkuppeln. Das Mittelbraun der Hölzer korrespondierte mit dem Beige und Weiss der Decke und dem Rot der Stoffbespannung. Die Architekten Alder und Heinrichs hatten gemäß Aufgabenstellung die baulichen Veränderungen und Ergänzungen vorgenommen. Sie gestalteten neue Bereiche und Details deutlich erkennbar zeitgemäß, ohne jedoch die Gesamtwirkung zu stören.
     Im Mai 1950 übergab die sowjetische Kontrollkommission in Nachfolge der Militär- Administration das Kulturhaus an die Jugend der DDR.
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Der DDR- Ministerrat übergab den in »Haus der Kinder« und »Theater der Jugend« aufgegliederten Komplex der Pionierorganisation und dem Zentralrat der FDJ. Dem Berliner Vorbild sollten entsprechende Einrichtungen in den DDR- Bezirksstädten folgen.
     Die geplante Eröffnung am 15. August 1950 musste wegen Hindernissen bei der Materialbeschaffung verschoben werden. So kam es, dass die Eröffnungsvorstellung am 26. Mai 1950 im Maxim Gorki Theater stattfand. Uraufgeführt wurde »Du bist der Richtige« von Gustav von Wangenheim unter der Regie des ersten Intendanten Hans Rodenberg.
     Mit der 90. Aufführung dieses Stückes wurde am 26. November 1950 das Theater der Freundschaft an der Parkaue eröffnet. Dies nunmehr 50 Jahre lebendige Kindertheater haben vielen Besuchern Zeitvertreib und Freude gebracht.
     Am Gebäude sind die Jahre nicht spurlos vorüber gegangen, und bauliche Schäden konnten aus finanziellen Gründen bisher nicht gänzlich behoben werden. Es bleibt für die Jugend zu hoffen, dass die Zuständigen des Berliner Senats (carrousel- Theater) und die Zuständigen des Bezirksamtes Lichtenberg (Haus der Kinder) die Zukunft der Einrichtungen sichern können und durch Renovierung die architektonische Gesamtwirkung des Gebäudekomplexes und der Innenausstattung in ihrer ursprünglichen Eigenart wieder erlebbar machen.
Literatur

- Ernst Kaeber, Lichtenberg, Berlin 1935

- Hans Joachim Rach, Die Dörfer in Berlin, Berlin 1988

- Ullrich Hartung, Arbeiter- und Bauerntempel, Berlin 1997

- Jörn Düwel/ Peter Lemburg, Theater an der Parkaue Berlin- Lichtenberg, Denkmalpflegerisches Gutachten, Berlin 1994

- Alfred Doil (Hrg.), Berliner Kulturstätten, Berlin 1998

- Berlin und seine Bauten, Teil V, Bd. C, Schulen, Berlin 1991

- Bau- und Kunstdenkmale der DDR, Berlin II, Berlin 1987

Bildquelle: Autorin

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 10/2000
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