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Ruth Freydank
Glanz und Elend der Theatermetropole

»Die unaufhaltsame Gleichschaltung aller politischen und kulturellen Kräfte, die seit Beginn der nationalen Regierung mit einer Entschlossenheit und Folgerichtigkeit sondergleichen durch Reich und Volk geht, hat nun auch das Theater ergriffen ... Ihr Erwachen war zugleich ihr Zusammenbruch. Dies gilt selbstverständlich nur von den Bühnen, die im Theaterleben etwas bedeuten und eine Aufgabe zu erfüllen gehabt hätten. Das niedere Busch- und Strauchwerk, darin die Grillen zirpen, wird der Blitz auch hier verschonen ... Worum es sich hier handelt, das sind die sogenannten führenden Theater, für Berlin also das Staatstheater, das Deutsche Theater und die Volksbühne. Von ihnen steht es dem Schauspielhaus als gehorsamem Instrument am natürlichsten an, sich in den neuen Kurs zu fügen und zu gewöhnen; schwerer schon wird es das Deutsche Theater unter der neuen Leitung eines jungen spielfreudigen und ehrgeizigen Schauspielers haben, sich halb für halb gegen die Reinhardtsche Tradition durchzusetzen, und am meisten Mühe wird die Volksbühne aufwenden müssen, ihr Steuer der neuen Zeitströmung entsprechend herumzuwerfen.

«1) Der Leser, der im Juni 1933 das neueste Heft von Westermanns Monatsheften zur Hand nahm, hätte aus diesem Beitrag erkennen können, dass auf Kunst und Kultur in dem neuen deutschen Reich, nicht zuletzt auf seine Theater, gravierende Veränderungen zukommen. Nur wenige waren hellhörig genug, das Bedrohliche der Situation zu erkennen.
     War der Reichstagsbrand am 27. Februar der Auftakt für den offenen Terror nazistischer Mordbanden, so folgte nun der verdeckte Terror in Gestalt von Gesetzen und Verordnungen. Am Tag darauf, am 28. Februar, erließ der Reichspräsident die »Verordnung zum Schutze von Volk und Staat«, was der Aufhebung der bürgerlichen Grundrechte gleichkam. Am 7. April 1933 verabschiedete die inzwischen gleichgeschaltete Reichsregierung das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«. Die Aufhebung des Status des politischen Beamten bot die gesetzliche Handhabe, sich all derer zu entledigen, die den neuen Machthabern nicht genehm waren. Neben politischen Gründen stand die Aussonderung nach rassischen Gesichtspunkten. Es begann die Zeit des berüchtigten Ariernachweises.
     An den Theatern, die als Körperschaften öffentlichen Rechts zu den ersten gehörten, auf die das neue Gesetz Anwendung fand, erfolgten noch im April die ersten Entlassungen.
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In diesen Wochen und Monaten vollzog sich an den Theatern ein Prozess völliger Einpassung in das Propagandasystem des nationalsozialistischen Staates. Dessen in die Leitung berufene Gefolgsleute hatten die innerbetrieblichen Voraussetzungen zu schaffen, dass dies reibungslos vonstatten gehen konnte.
     Das Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt war seit März 1932 ohne Intendanten. Der nach dem Rücktritt Leopold Jessners berufene Ernst Legal hatte wegen der Schließung des Schiller- Theaters das Amt unter Protest niedergelegt. Die bislang vorgeschlagenen Kandidaten, unter ihnen Erich Ziegel und Fritz Jeßner, waren von den zuständigen Stellen von vornherein abgelehnt worden. Im Februar 1933 war der Weg frei, die Intendantenfrage im Sinne der eigenen kulturpolitischen Interessen zu entscheiden. So berief man Franz Ulbrich vom Nationaltheater in Weimar nach Berlin, der sich unter dem Innen- und Volksbildungsminister Frick in Thüringen als treuer Sachwalter nationalsozialistischer Kulturpolitik erwiesen hatte. Ulbrich und der nationalsozialistische Dramatiker Hanns Johst als erster Dramaturg übernahmen am 1. März die Leitung des Staatlichen Schauspielhauses. Noch am gleichen Tage gaben die beiden neuen Herren eine Presseerklärung heraus, in der es hieß, dass nunmehr »ein Neuaufbau des Ensembles notwendig sei und eine sehr energische Wandlung«.2) Wenige Tage vor der Übernahme der Staatstheater hatte Johst bereits deutlich gemacht, worin die Aufgabe dieser Theaterleitung bestehen würde.
»Der künftige Spielplan wird im weiten Umfang die großen klassischen Dichtungen umfassen. Infolgedessen wird man gezwungen sein, das Ensemble völlig neu aufzubauen ... Man hat die Verpflichtung übernommen, bis zum 27. Februar an diejenigen eine Mitteilung ergehen zu lassen, deren Verträge nicht mehr verlängert werden können.« Am gleichen Tage wurden Paul Bildt, Alexander Granach, Wolfgang Heinz, Hans Otto, Teo Otto und Aribert Wäscher die Aufkündigung ihrer Verträge zum Ende der Spielzeit mitgeteilt. Als Max Reinhardt am 8. März über Wien zunächst nach England emigrierte, beeilten sich die nationalsozialistischen Kulturpolitiker, das seit 1931 künstlerisch und wirtschaftlich ins Schlingern geratene Haus in ihre Hand zu bekommen. Man berief den Schauspieler Carl Ludwig Achaz in die Leitung der Reinhardt- Bühnen. Achaz war bisher in kleineren Rollen an der Berliner Volksbühne beschäftigt, aber als Sohn des Großindustriellen und Aufsichtsratsvorsitzenden der I. G. Farben, Carl Duisberg, erschien er den neuen Machthabern für diese Aufgabe geeignet.
     Die Inbesitznahme der Volksbühne gestaltete sich indessen schwieriger. Um nicht unnötige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen, wurde der alte Vorstand zunächst im Amt belassen; um dessen Tätigkeit zu kontrollieren, wurden Gefolgsleute aus den eigenen Reihen eingeschleust. Im Februar 1935 traten die den unterschiedlichsten Repressalien ausgesetzten alten Vorstandsmitglieder zurück. Von einer endgültigen Liquidation des Vereins wurde jedoch zunächst Abstand genommen.
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Dafür sprachen zwei Gründe: Man brauchte die alte Besucherorganisation, die trotz gesunkener Mitgliederzahlen mit ihren »noch 16 000 Mann im Laufe der Spielzeit die einzige Garantie darstellte, das Haus wenigstens 14 Tage im Monat sicher zu füllen. Die Zertrümmerung der Besucherorganisation würde ein gefährliches Experiment bedeuten, das sehr leicht eine nicht abzuschätzende Bezuschussung zur Folge haben könnte«.4)

Der Verein Volksbühne wird aufgelöst

Um sich in den Besitz des begehrenswerten Theatergebäudes bringen zu können, mussten zuerst die auf die Stadt Berlin laufenden Hypotheken an das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda abgetreten werden. Mit diesem Druckmittel konnte Goebbels dann den Vorstand »von sich aus« zur Liquidation des Vereinsvermögens veranlassen. Erst am 4. November 1938 stellte Eugen Klöpfer, der den zunächst zum Intendanten berufenen Grafen Solms abgelöst hatte, an das Reichsministerium den Antrag, den Verein Volksbühne aufzulösen. Klöpfer begründete dies damit, dass er »ein Fortbestehen der Volksbühne als eingetragener Verein

nicht mehr für nötig halte, nachdem die Volksbühne als ein vom Reich im öffentlichen Interesse betriebenes Institut anerkannt worden ist, im Reichshaushalt als Reichstheater geführt wird und ihre Grundstücke und Gebäude als reichseigen bezeichnet werden.«5) Diesem Antrag wurde am 15. Februar 1939 stattgegeben. Am 23. März wurde die Volksbühne e. V. vom Amtsgericht, Berlin N 65 aus dem Vereinsregister gestrichen. »Eine Liquidation erfolgt nicht, da das Vermögen des Vereins dem Deutschen Reich zugefallen war.«6) Die Nationalsozialisten hatten nicht damit zurückgehalten, laut und deutlich zu sagen, auf welche Weise sie ihre Ziele durchzusetzen gedachten und wie sie mit denen umgehen würden, die sich ihnen in den Weg zu stellen versuchten. Berlin als das kulturelle Zentrum der verhassten Weimarer Republik stand im Zentrum des massiv und gleichzeitig geführten Angriffs, der aber flexibel genug war, die Besonderheiten der ins Visier genommenen Institutionen zu berücksichtigen. Gelenkt wurde die Aktion vom Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Leitung von Joseph Goebbels. Diese Behörde nahm am 13. März 1933, sechs Wochen nach der Machtübernahme Hitlers, ihre Tätigkeit auf.
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Das verdeutlicht den Rang, den Hitler und seine Gefolgsleute der ideologischen Ausrichtung des Volkes beimaßen.
     Bereits am 1. August 1933 war die Reichstheaterkammer ins Leben gerufen worden, deren Aufgabe darin bestand, die bisherigen Interessenverbände der künstlerisch tätigen Berufsgruppen aufzunehmen und nach einem ständischen System neu zu gliedern. Otto Laubinger, der Präsident der Kammer, schrieb zu deren Aufgaben, »... durch die Bestimmung ferner, daß jeder Theaterberufstätige der Reichstheaterkammer angehören muß und diese Mitgliedschaft durch Zugehörigkeit zu seinem Fachverband vermittelt wird, ist auch Vorsorge getroffen, daß sich niemand ausschließen und seine eigenen Wege zum Schaden der Allgemeinheit gehen kann. Der Gedanke der Zwangsorganisation hat also auch damit die erforderliche Berücksichtigung im Bühnenleben erfahren.«7)
     Übergeordnetes Organ war die Reichskulturkammer, deren Gründung am 15. November im Rahmen eines Festaktes in Anwesenheit von Vertretern der Reichsregierung und des diplomatischen Corps erfolgte. Zu deren Präsidenten berief Hitler Propagandaminister Goebbels. Dem nationalsozialistischen Prinzip von »Führer und Gefolgschaft« entsprechend wurden die leitenden Personen nicht in ihr Amt gewählt, sondern berufen. Die Einsetzung der Präsidenten der einzelnen Kammern, ihrer Stellvertreter und Geschäftsführer geschah durch Goebbels persönlich.

Szenenfoto aus: »Vor Sonnenaufgang« von Gerhart Hauptmann, mit Gerda von der Osten und Otto Gebühr

In den Theatern erfolgte die Einsetzung der Intendanten gleichfalls durch Berufung. Dies betraf nicht nur die Staatstheater, sondern in modifizierter Form auch die Privattheater. Die gesetzliche Grundlage bildete das Theatergesetz vom 15. Mai 1934. Der alte Paragraph 32 der Gewerbeordnung von 1869 war damit außer Kraft gesetzt.8) Die Polizei hatte sich nun ausschließlich auf ordnungspolitische Aufgaben zu beschränken.

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Alle Fragen der Zensur oblagen dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, das für die Theater auch oberste Rechtsinstanz wurde. Damit war jede Einspruchsmöglichkeit vor einem ordentlichen Gericht ausgeschlossen. Neben der organisatorischen Gleichschaltung schuf sich das System mit der Einsetzung des so genannten Reichsdramaturgen das entscheidende Instrument zur Kontrolle der unmittelbaren künstlerischen Produktion. »Um die Theaterbetriebe von der in dieser Hinsicht immer noch dann und wann auftretenden Unsicherheit zu befreien, hat der Herr Reichsminister den Reichsdramaturgen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Rainer Schlösser, ermächtigt und beauftragt, Rat und Auskunft über die Unbedenklichkeit von Bühnenwerken zu erteilen. Der Reichsdramaturg wird diese Aufgabe im Einverständnis mit der Reichstheaterkammer durchführen.«9) In der Person Schlössers verfügte das Ministerium damit auch über das Überwachungsorgan über die Spielplangestaltung an jedem einzelnen Theater. Im Zeitraum von nur zwei Jahren hatten die neuen Machthaber mit neuen Organisationsstrukturen, die durch Gesetze und Verordnungen untermauert wurden, einen sorgfältig aufeinander abgestimmten Apparat der totalen Überwachung geschaffen, der in seinem bürokratischen Aufbau das perfekte Funktionieren sicherstellte. Der Jüdische Kulturbund zeigt »Nathan der Weise«

Die breite Öffentlichkeit hatte die Entlassungen zahlreicher Künstler kaum bewusst zur Kenntnis genommen. Als am 1. September 1933 die neue Spielzeit begann, fanden sich auf den Programmzetteln der laufenden Inszenierungen anstelle wohl bekannter Namen neue. Viele der Künstler, die wenige Wochen zuvor noch auf Berlins Bühnen bejubelt worden waren, befanden sich bereits im Ausland, waren auf der Flucht oder lebten in der Illegalität. Bekannte Namen wie Ernst Busch und Hans Otto stehen hier für das Schicksal vieler. Die erwerbslos gewordenen jüdischen Künstler standen im Sommer 1933 vor einer fast ausweglosen Situation. In Berlin, wo nicht nur der Anteil jüdischer Mitbürger an der Bevölkerung, sondern auch die Zahl jüdischer Künstler höher war als in anderen Städten, zwang die akute soziale Notlage die Betroffenen zum Handeln. Im Umkreis von Kurt Singer fanden sich prominente Kulturschaffende, die den Plan fassten, nach dem Vorbild des Volksbühnenvereins eine eigene Kulturorganisation zu schaffen. Über die Vorarbeiten berichtete Singer: »Ich überreichte offizielle Anträge zur Genehmigung des >Kulturbundes Deutscher Juden< den verschiedenen Regierungsstellen.

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Die Entscheidung darüber wurde von dem Herrn Ministerpräsidenten dem Kulturministerium übertragen, in dessen Ressort der Präsident des Theaterausschusses, Staatskommissar Hinkel, zum Teil durch Vertreter, zum Teil persönlich die Verhandlungen führte.10)
     Das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung erteilte am 16. Juni 1933 die Gründungsgenehmigung, allerdings mit der Einschränkung, dass der von jüdischer Seite vorgeschlagene Name in »Jüdischer Kulturbund« abzuändern sei. Die Genehmigung erlaubte auch eine Theaterpachtung, eine der entscheidenden Bedingungen für die geplante Arbeit des Vereins. Eine weitere Einschränkung bestand darin, ausschließlich Juden als Mitglieder des Bundes zuzulassen und nur diesen den Zutritt zu den geschlossenen Veranstaltungen zu gestatten. Hinkel stelle klar: Diese Arbeit dürfe in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung treten. Sie sei »von Juden nur für Juden bestimmt. Nach diesem Prinzip ist Kritikern der Tageszeitungen der Zutritt nicht gestattet, sondern nur rein jüdischen Blättern.«11) Am 1. Oktober 1933 hob sich im alten Berliner Theater in der Charlottenstraße der Vorhang für die erste Vorstellung des Jüdischen Kulturbundes. Auf dem Programmzettel stand Lessings »Nathan der Weise«.
     Nachdem im Verlaufe der ersten Spielzeit die Machtverhältnisse im Interesse der nationalsozialistischen Kulturpolitik entschieden waren, traten insbesondere für die drei national

Kurt Kasch in »Nathan der Weise« von Gotthold Ephraim Lessing, 1. Oktober 1933

 
und international herausragenden Berliner Bühnen die Fragen künstlerischer Kontinuität in den Vordergrund. Das Theater der Weimarer Republik hatte die große Publikumswirksamkeit eines künstlerisch hochstehenden Theaters deutlich gemacht. Ein Theater im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie zu schaffen, hatte sich als Fehlschlag erwiesen.

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Berlin als das kulturelle Zentrum der Weimarer Republik sollte diese Leistungsstärke nun auch unter den neuen Machthabern unter Beweis stellen.
     Mit Beginn der Spielzeit 1934/35 stand als neuer Intendant des Staatstheaters der Schauspieler und Regisseur Gustaf Gründgens fest. Entsprechend ihrem ursprünglichen Status als Königliche, ab 1918 Staatliche Schauspiele, unterstanden die Oper Unter den Linden, das Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt und die Krolloper dem Staat Preußen mit Hermann Göring als Ministerpräsidenten und Innenminister. Göring war somit auch oberster Dienstherr der Staatstheater. Im Januar 1934 beauftragte dieser telefonisch Gründgens, »die künstlerische Leitung des Theater zu übernehmen, da die von ihm eingesetzten Männer versagt hätten«.12) Nach mehrwöchigen Verhandlungen, in denen Gründgens weitgehende Freiheiten zugesichert wurden, nahm dieser das Angebot an. Am 24. Februar 1934 erging an ihn folgendes Berufungsschreiben: »Herrn Gustaf Gründgens, Berlin... Nachdem ich heute den Leiter des Staatlichen Schauspielhauses, Herrn Intendanten Dr. Ulbrich, auf seinen Wunsch von der künstlerischen Führung des Staatlichen Schauspielhauses entbunden und mir zur besonderen Verwendung zur Verfügung gestellt habe, beauftrage ich Sie hierdurch mit der Vertretung in der künstlerischen Leitung der Staatsschauspiele.
Ihre dienstlichen Funktionen wollen Sie im Benehmen mit dem General- Intendanten der Preußischen Staatstheater durchführen. Göring« 13)
     Heinz Tietjen war seit 1928 General- Intendant der Preußischen Staatstheater und seit 1925 Intendant der Oper. Gründgens stand mit ihm bereits seit 1927 in Verbindung, als er für einige Regieaufgaben an die Krolloper verpflichtet worden war. In der Spielzeit 1932/33 stand er neben erneuten Regieaufgaben auch als Schauspieler auf der Bühne des Staatstheaters. In »Faust I« von Lothar Müthel und »Faust II« in der Regie von Gustav Lindemann spielte er den Mephisto. Mit der Darstellung dieser Rolle hatte er sich wirkungsvoll in der Öffentlichkeit präsentiert und allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Während Goebbels zögerte, sicherte sich Göring diesen Künstler für sein Theater.
     Das Deutsche Theater erhielt Heinz Hilpert. Im Auftrag von Goebbels hatte der Präsident der Reichstheaterkammer, Otto Laubinger, ihm den Posten des Intendanten angeboten. Dies bestätigt ein Brief Hilperts vom 19. April 1934 an Laubinger: »Sie haben mich zu sich gebeten und gefragt, ob ich Lust hätte, das Deutsche Theater zu übernehmen. Ich habe Ihnen mit freudiger Bereitschaft darauf ,ja gesagt und erzählt, daß ich sogar nach dieser Seite schon Schritte unternommen habe, weil ich das Empfinden hatte, daß der Boden dort mir besonders gelegen wäre. Daraufhin hat der Minister mir dieses Theater angetragen und ich habe diesen Antrag gern akzeptiert.«14)
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Die beiden bedeutendsten Bühnen Deutschlands waren damit nach nur einjähriger Interimszeit wieder in der Hand zweier anerkannter Künstlerpersönlichkeiten.
     Zu den aussichtsreichsten Kandidaten für die Leitung der Volksbühne gehörten neben Jürgen Fehling und Lothar Müthel der Intendant der Städtischen Bühnen in Essen, Alfred Noller. Die Entscheidung fiel dann jedoch für den am Staatstheater beschäftigten Schauspieler Eugen Klöpfer. Der am 1. Juli 1936 geschlossene Vertrag sah zunächst nur eine Amtszeit bis 30. Juni 1937 vor. Klöpfer unterstanden neben dem Haus der Volksbühne e. V. auch die Theater am Nollendorfplatz und in der Saarlandstraße (heute Metropoltheater und Hebbel- Theater). Die nationalsozialistischen Kulturpolitiker waren sich darin einig, dass eine überzeugende Propaganda von der Qualität des Gebotenen abhängt. Die vom Goebbels- Ministerium gelenkten Theaterpublikationen nahmen ausführlich zu diesem Problem Stellung. Die Tendenz lautete: »Nicht die Quantität, sondern die Qualität entscheidet. Nicht jeder Theaterleiter ist der bessere Träger und Hüter einer kulturpolitischen Mission, der möglichst viele Uraufführungen in einer Spielzeit herausbringt, die nachher sang- und klanglos im Meer der Zeit wieder verschwinden.«15)
Winziger Freiraum für die Intendanten

Für die Berliner Bühnen gaben die Bemühungen einer auch international vorzeigbaren Qualität den Ausschlag für die Besetzung nicht nur der drei bedeutendsten Theater. Auch für die übrigen Bühnen war man bestrebt, Persönlichkeiten zu gewinnen, die zu den besten Kräften des deutschen Theaters zählten. So beauftragte man Heinrich George mit der Leitung des Schiller- Theaters, Agnes Straub übernahm das Theater am Kurfürstendamm. Die Spielräume, ihrer Bühne ein eigenständiges Profil zu geben, waren indessen sehr eng. In der Gestaltung der Spielpläne lagen die Entscheidungen letztendlich bei Schlösser. Diesem Druck konnten sich auch die führenden Bühnen nicht entziehen. Selbst Gründgens, der durch das besondere Unterstellungsverhältnis unter das Preußische Innenministerium gewisse Vorrechte genoss, unterlag der Spielplankontrolle durch den Reichsdramaturgen. So hatte sich 1940 Gründgens der dringenden Forderung des Propagandaministeriums nach einer Aufführung des Mussolini- Stückes »Cavour« mit Hinweisen auf dessen künstlerische Schwächen zu entziehen versucht.

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Offenbar war Gründgens daraufhin auf direkte Weisung von Goebbels sehr nachdrücklich zur Erfüllung dieses Auftrages aufgefordert worden, denn zwei Tage später berichtete Schlösser: »An den Herrn Minister. Weisungsgemäß habe ich mit Staatsrat Gründgens über das Stück >Cavour< von Mussolini- Forzano gesprochen. Er will mit aller Bereitschaft sofort seine Pläne abändern und für eine möglichst glanzvolle Inszenierung des Stückes am 9. Mai 1940 sorgen. Ich werde mich bei Gründgens auf dem laufenden halten und gegebenenfalls weiter berichten.«16) Es wirft einiges Licht auf die Situation, in der sich Gründgens befand, aber auch auf seine Taktik, als er das Stück dann in einer glänzenden Inszenierung herausbrachte, als Gegenleistung aber erreichte, dass man ihm die schon länger gewünschte Aufführung von Ostrowskis »Wald« zubilligte. Mit Hilpert, dessen Deutsches Theater dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda direkt unterstand, verfuhr man weniger konziliant. Hilpert hatte anlässlich des 70. Geburtstages von Gerhart Hauptmann, der mit der Inszenierung des »Armen Heinrich« gefeiert wurde, im Programmheft einen Text verfasst, der von einigen führenden Nazis als unangemessene »Lobhudelei« auf den Dichter verstanden wurde. Schlösser sah sich veranlasst, Hilpert nicht nur nahezulegen, das genannte Stück selten zu spielen, sondern auch, den Text sofort abzusetzen«.17) Der Kampf um die Spielpläne war ein zähes Ringen um jeden Autor, um jedes Werk. Er endete in der Regel nach den Vorstellungen Schlössers. Den Intendanten blieb somit nur der winzige Freiraum der Inszenierung selbst. Aber auch hier blieb kaum Raum für eigene Interpretationen. Der totalen Überwachung entging nichts. So wurde Gründgens die Fehling- Inszenierung von Shakespeares »Richard II.« als »beinahe kulturbolschewistischer Versuch« angelastet. Das Reichsministerium forderte eine umfassende Neuinterpretation der großen klassischen Dramen und die Aufführung der von ihm geförderten Gegenwartsdramatiker. Werke jüdischer Autoren oder das Thema Juden berührende Dramen wie Lessings »Nathan der Weise« waren verboten. Ebenso unerwünscht waren die als Kleineleutedramen oder Elendsdramatik bezeichneten Werke moderner Autoren, darunter Hauptmanns »Weber«. Das Publikum sollte unterhalten werden, Anstöße zu geistiger Auseinandersetzung waren suspekt.
     Der Ausbruch des Krieges am 1. September 1939 sollte die Lage der Theater dramatisch verschlechtern. Die Staatstheater verloren in den ersten Kriegsmonaten 120 Mitarbeiter, die zum Militär einrücken mussten. Im Ausstattungs- und Kostümbereich forderte das Ministerium rigorose Einsparungen. Bald zeigten sich Engpässe bei der Beschaffung von Material. Es gab Besetzungsschwierigkeiten, einige Künstler konnten vor der drohenden Einberufung bewahrt werden. Gegen eine Reihe von Autoren, die inzwischen als »feindliche Ausländer« galten, wurde ein Aufführungsverbot erlassen, was zu weiteren Einschränkungen in der Spielplangestaltung führte.
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In der Nacht vom 9. zum 10. April 1941 wurde die Staatsoper Unter den Linden als erstes Theater Berlins Opfer eines britischen Bombenangriffs. Während der NS-Staat auf Befehl Hitlers den Wiederaufbau des berühmten Bauwerkes zu einer politischen Angelegenheit ersten Ranges erklärte und alle Kräfte mobilisiert wurden, das unter den erschwerenden Bedingungen des Krieges zu vollbringen, vollzog eben dieser Staat den Exodus eines anderen Theaters in dieser Stadt. Bereits 1935 hatte der Jüdische Kulturbund sein Theater in der Charlottenstraße aufgeben müssen. Als einzige Zufluchtstätte hatte sich das alte baufällige Herrnfeld- Theater in der Kommandantenstraße 57 angeboten, das der Vorstand mit einem Kredit von 25 000 RM notdürftig für seine Zwecke herrichtete. Am 2. Oktober 1935 hatte man das Haus mit Hebbels »Judith« eröffnet. Mit der Verkündung der Nürnberger Gesetze im gleichen Jahr hatte unter der jüdischen Bevölkerung die große Auswanderungswelle eingesetzt. Unter diesen Bedingungen eine kontinuierliche künstlerische Arbeit zu leisten, wurde immer schwieriger. Die Lage der jüdischen Bevölkerung verschlechterte sich zusehends. Vor allem nach der so genannten Reichskristallnacht vom 9. zum 10. November 1938. Am 12. November beorderte Hans Hinkel Werner Levie und die beiden Mitglieder des Reichsverbandes der Jüdischen Kulturbünde Benno Cohn und Max Wiener ins Ministerium, um ihnen die Auflage zu erteilen, das infolge des Pogroms geschlossene Theater »mit sofortiger Wirkung« wieder zu eröffnen. Die jüngsten Ereignisse hatten den Ernst der Situation für die jüdische Bevölkerung in Deutschland klargestellt. Jeder der konnte, versuchte nun das Land zu verlassen. So gingen von den Mitgliedern des Vorstandes fast alle ins Ausland. Die wenigen Vorstellungen spielten vor einem Besucherkreis, der von Vorstellung zu Vorstellung kleiner wurde. Am 9. August 1941 öffnete sich der Vorhang für die letzte Vorstellung. Man spielte Franz Molnars »Spiel im Schloß«, Regie Fritz Wisten, Ausstattung Hanna Litten. Am 11. September folgte das Verbot des Jüdischen Kulturbundes. Sein Eigentum - dazu gehörten auch das noch 1937 erworbene Grundstück und das Theater - wurde konfisziert, die verbliebenen Mitarbeiter verhaftet. Nur wenige konnten sich retten, unter ihnen Fritz Wisten und die Darstellerin der weiblichen Hauptrolle der letzten Aufführung, Steffi Hinzelmann.

Zahlreichen Premieren im dritten Kriegsjahr

Den ersten Luftangriff hatte Berlin in der Nacht von 25. zum 26. August 1940 erlebt. Bis zum Herbst 1941 folgten weitere, deren bevorzugte Ziele jedoch strategisch wichtige Punkte wie Kraftwerke, Bahnhöfe und Industrieanlagen waren. Das folgende Jahr verlief für Berlin eher ruhig. Die Bewohner hatten sich an das regelmässige nächtliche Heulen der Sirenen zu gewöhnen begonnen. Die Theater konnten in jenem dritten Kriegsjahr ein großes Publikumsinteresse registrieren.

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   88   Probleme/Projekte/Prozesse Glanz und Elend der Theatermetropole  Voriges BlattNächstes Blatt
Die zahlreich veranstalteten Premieren erweckten den Eindruck regen kulturellen Lebens. Herausragendes Ereignis der Saison wurde die Neuinszenierung des »Faust« durch Gustaf Gründgens mit Paul Hartmann als Faust und Käthe Gold als Gretchen. Neben Ludwig Thomas »Moral« lieferte Jürgen Fehling die Uraufführung von Gerhart Hauptmanns »Iphigenie in Delphi« am Staatstheater. Das Deutsche Theater eröffnete die Saison mit Hilperts Inszenierung der »Räuber«. Es folgten Kleists »Amphitrion«, Ferdinand Raimunds »Verschwender« und Shaws »Man kann nie wissen«. Das Schiller- Theater gab Laubes »Karlsschüler«, aber auch die Privattheater standen nicht nach. Am Ende der Spielzeit 1941/42 spielten in Berlin 18 Schauspiel- und sieben Musikbühnen, Kleinkunstbühnen und Varietétheater nicht mitgerechnet.
     Der hohe Anteil der Theater am öffentlichen Leben lag im Interesse der nationalsozialistischen Führung. Demonstrierte man doch so »Normalität« und bot den Menschen Unterhaltung und Ablenkung von einem Alltag, der mehr und mehr durch die Ereignisse des Krieges bestimmt wurde. Gleichzeitig aber misstraute man auch dieser Vielfalt. So wurde, von der Öffentlichkeit unbemerkt, am 31. Dezember 1942 eine Verordnung erlassen, die das Ende der Privattheater zum Ziel hatte und faktisch einer Enteignung der privaten Theaterbesitzer gleichkam.
Da diese Anordnung zunächst in Berlin angewendet werden sollte, sind ihre Auswirkungen bis heute eher unbekannt geblieben. Betroffen waren in Berlin sieben Theater. Drei wurden direkt dem Propagandaministerium unterstellt, die restlichen vier kamen in städtische Verwaltung. Dazu gehörten das Schiller- Theater, das Renaissance- Theater, das Lessing- Theater und das Rose- Theater. Während die übrigen Direktoren ihres Amtes enthoben wurden, beließ man allein Paul Rose die künstlerische Führung seines Theaters und übertrug ihm dazu auch die Intendanz des Lessing- Theaters. Die Hintergründe dieser in aller Stille erfolgten Aktion sind wissenschaftlich noch nicht bearbeitet worden.
     In der Nacht vom 16. zum 17. Januar begann mit einem schweren Bombardement der British Royal Air Force auf die Stadt eine neue Phase des Luftkrieges. Von nun an waren es nicht mehr militärische Ziele, sondern die Wohnviertel der Zivilbevölkerung, die mit Flächenbombardements belegt wurden. In den ersten drei Monaten traf es vor allem die westlichen Stadtteile. Am 1. März wurden das Theater am Kurfürstendamm und die Komödie so schwer getroffen, dass beide Häuser geschlossen werden mussten; am 30. März folgten die Deutsche Oper in der Bismarckstraße und das Schiller- Theater.
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Die Vernichtung seiner Theater erlebte Berlin, als die Stadt gegen Ende des Jahres 1943 von einer Welle schwerer Angriffe heimgesucht wurde. In der Nacht des 22. November wurden das Renaissance Theater und das Kleine Haus in der Nürnberger Straße getroffen, letzteres schwer. Von den im Stadtzentrum gelegenen Theatern erlitten das Theater in der Behrenstraße, das Theater Unter den Linden und die Volksbühne so bedeutende Schäden, dass auch sie geschlossen werden mussten. Getroffen wurden auch die Krolloper, das Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt und die Oper Unter den Linden. In den folgenden Nächten wurden die Gartenbühne des Rose- Theaters in der Großen Frankfurter Straße und das Komödienhaus am Schiffbauerdamm völlig zerstört. Am 16. Dezember traf es das Große Schauspielhaus, das die Nazis in Theater des Volkes umbenannt hatten. Bis zum Ende des Jahres 1943 waren etwa zwei Drittel der Berliner Theater teilweise oder ganz zerstört. Bis März 1944 wurden von den noch verschont gebliebenen Gebäuden das Deutsche Theater mit den Kammerspielen, der Wintergarten und das Theater am Nollendorfplatz beschädigt. Während des schweren Angriffs am 24. März, von dem vor allem die dicht bewohnten Bezirke im Osten und Süden der Stadt betroffen waren, traf es auch das Theater des Jüdischen Kulturbundes in der Kommandantenstraße, das damit in Schutt und Asche versank. Vorstellungen nur noch an drei Tagen der Woche

Das Propagandaministerium verlangte von den Direktoren die rasche Wiedereröffnung ihrer Bühnen, und so wurde in den halbwegs benutzbaren Räumen weiter gespielt. Das Deutsche Opernhaus gab auf der Probebühne, das Schiller- Theater in dem stehengebliebenen Saal seine Vorstellungen. Im Spätherbst 1943 war der Vorstellungsbeginn auf 16.30 Uhr vorverlegt worden, das Ende auf 18.30 Uhr, um den Besuchern Zeit zu geben, rechtzeitig vor dem regelmäßig einsetzenden Alarm zu Hause zu sein. Die Zerstörungen in den eigenen Häusern sowie die nach den Angriffen immer wieder blockierten Verkehrswege zwangen dazu, die täglichen Vorstellungen einzuschränken. Ab Herbst 1943 wurde nur noch an drei Tagen der Woche gespielt. Die Mitte des Jahres einsetzende Evakuierungswelle hatte die Besucherzahlen deutlich sinken lassen. Dem suchte das Propagandaministerium mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Zur »Aufmunterung« der Bevölkerung verlangte Goebbels zusätzliche Sonderveranstaltungen, die an Sonntagvormittagen durch Gastspiele der Berliner Bühnen bestritten wurden.
     Im Frühjahr 1944 hatten sich auch die USA zur Teilnahme am Luftkrieg gegen Deutschland entschlossen.

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   90   Probleme/Projekte/Prozesse Glanz und Elend der Theatermetropole  Voriges BlattNächstes Blatt
Am 6. März erlebte Berlin den ersten Tagesangriff amerikanischer Bomber, einer der schwersten folgte am Vormittag des 7. Mai. Ziele waren diesmal der Berliner Osten und das Zentrum der Stadt. Während in seiner Umgebung alles in Schutt und Asche versank, blieb das Rose- Theater wie durch ein Wunder erhalten. Im Zentrum traf es das Metropoltheater in der Behrenstraße und das Schauspielhaus. Ganze Straßenzüge waren nach solchen Angriffen oft für Wochen ohne Wasser, Strom und Gas. Berlins Theater aber spielten, obwohl ihre Lage kaum noch überschaubar war. Paul Rose schilderte aus eigenem Erleben die Situation in der Stadt und der Künstler: »Sie schaufelten Glas und Schutt aus dem Hause, in dem sie wirkten, sie flickten und nähten Zerrissenes für das Auge des Zuschauers auf neu zurecht. Sie froren in ihren Wohnungen, die keine schützenden Fensterscheiben mehr besaßen und in denen die Zentralheizungen nicht mehr funktionierten und marschierten stundenlang über Trümmer, auf Umwegen und in steter Angst, in einem Gebiet, das keine Luftschutzkeller mehr besaß, in der Dunkelheit vom Alarm überrascht zu werden. Sie froren weiter im Theater, durch dessen mit Sperrholz getarnte Wände der Wind pfiff, aber sie gehorchten dem Gebot des Ministers: sie spielten. Mehr als seinem gehorchten sie allerdings ihrem inneren Gebot. Denn was blieb bei so viel Elend, angesichts einer täglich sich steigernden Verzweiflung, der namenlosen Angst und Herzensnot noch anderes als die Flucht vor der Grausigkeit des Lebens in die Welt des Theaters? Das Theater war keine Arbeitsstätte eines künstlerischen Menschen mehr, es wurde ein Narkotikum, ein Rauschmittel für Handelnde und Aufnehmende. Mitunter war das Haus nach schweren Bombenangriffen leer; der Schauspieler aber spielte wie nie zuvor. Er spielte mit dem Gefühl, daß es vielleicht ein letztes Mal sein konnte.« 18)
     Nur wenige Tage nach Goebbels Rede im Berliner Sportpalast zum »Totalen Krieg« am 18. Februar 1943 bat Gustaf Gründgens seinen Dienstherren »um die Genehmigung, (sich) zum Dienst in der Wehrmacht melden (zu dürfen, R. F.)«.19) Göring gab diesem Ersuchen statt, sicherte sich jedoch, indem er ihn der Luftwaffe zuteilte, deren oberster Befehlshaber er selbst war, die Möglichkeit, seinen Intendanten jederzeit zurückrufen zu können. Die schon länger anhaltenden Auseinandersetzungen des Propagandaministeriums mit Heinz Hilpert erfuhren im Sommer 1944 eine dramatische Zuspitzung. Die Denunzierung eines Gespräches zwischen Hilpert und dem Chirurgen Sauerbruch während einer Reise in die Schweiz wurde Anlass, Hilpert »weisungsgemäß für die Rüstungsfertigung dem Arbeitsamt namhaft« zu machen. 20) Dies kam einer Amtsenthebung gleich, die indessen nicht mehr wirksam werden konnte, da mit Beginn der Spielzeit 1944/45 sämtliche Theater auf Anordnung des Ministers geschlossen wurden. Die entsprechende Anordnung war den Theatern am 25. August mitgeteilt worden.
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Demzufolge hatten diese ihre Geschäfte innerhalb der nächsten fünf Tage abzuwickeln und sämtliche noch verbliebenen Mitarbeiter dem Arbeitsamt zu melden. Die wehrfähigen Männer wurden sofort eingezogen, die übrigen Mitarbeiter sollten bis zum 10. September in Berliner Betriebe, insbesondere in die Rüstungsindustrie, eingeschleust werden. Ausgenommen von dieser Regelung blieben in Berlin die Orchester der Staatsoper und des Deutschen Opernhauses sowie Schauspieler mit besonderen Verpflichtungen für den Film.
     Am 25. August 1944 gab das Rose- Theater mit Franz Lehars Operette »Friederike« seine letzte Vorstellung. In den ersten Wochen nach Bekanntgabe der endgültigen Schließung aller Theater veranstaltete das Staatliche Schauspielhaus in dem noch erhalten gebliebenen Teil des Gebäudes einige literarische Sonderveranstaltungen. Schauspieler trugen einzelne Szenen aus Goethes »Faust«, Schillers »Räubern« und Shakespeares »Hamlet« vor , Inszenierungen, die zuvor auf dieser Bühne mit großem Erfolg gespielt worden waren. Ab Februar 1945 wurden im Hause noch regelmäßig Konzerte veranstaltet, obwohl Berlin nun täglich das Ziel von Luftangriffen war. Die nationalsozialistische Führung hatte am 1. Februar die Stadt zum »Verteidigungsbereich » erklärt. Auf Geheiß des Propagandaministers sollte Berlin als »letztes Bollwerk« der zum Sturm auf die Stadt bereiten Roten Armee die Stirn bieten.
Am Abend des 15. April gaben Mitglieder der Staatskapelle ein Opernkonzert; wenige Stunden danach begann im Morgengrauen des 16. April die letzte große Offensive der Roten Armee. Gegen vier Uhr überschritten Einheiten der 1. Belorussischen Front die Oder und nahmen im Sturmangriff die Seelower Höhen, Stunden später überschritten Truppen der 1. Ukrainischen Front bei Forst die Neiße. Am 19. April - im Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt veranstaltete man ein Opernkonzert - erreichten sowjetische Panzer Strausberg; am 20. April drangen erste Truppenteile bis Bernau vor. Das Schauspielhaus veranstaltete am Abend dieses Tages ein Kammerkonzert.
     Am 21. April begann der Generalangriff auf die Stadt. Noch am gleichen Tag wurden die Außenbezirke im Norden und Osten besetzt. Eine Sturmspitze war gegen Abend bis zum Stettiner Bahnhof (heute Nordbahnhof) vorgedrungen und belegte den Alexanderplatz, das Königstor und die Klosterstraße mit Beschuss. Als am Tag darauf Oranienburg, Hohen Neuendorf, Niederschönhausen, Marzahn, Mahlsdorf, Schöneiche und Rosenthal genommen waren, Kämpfe in Lichtenberg, Frohnau, Mahlow, Lichtenrade und Marienfelde tobten und einzelne Truppenteile bereits im Prenzlauer Berg bis zur Koppenstraße vorgedrungen waren, fand im Schauspielhaus das letzte Konzert statt. Am 25. April schloss die Rote Armee den Ring um Berlin.
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Was von den Bomben verschont geblieben war - ihren letzten Angriff hatten die Engländer in der Nacht vom 20. zum 21. April geflogen - das wurde nun Opfer der erbitterten Straßenkämpfe. Am 29. April brannte das Rose- Theater ab. Es gab in der Stadt kein einziges Theater, das nicht von den Kriegsereignissen in Mitleidenschaft gezogen worden war. Bis zur bedingungslosen Kapitulation am 2. Mai erlebte Berlin eine blutige Schlacht auf engstem Raum.
     Als die Waffen schwiegen, war die Stadt ein riesiges Trümmermeer. In ihm fanden sich nur wenige Tage später Künstler, die am 18. Mai das erste Nachkriegs- Konzert in Berlin veranstalteten.

Quellen und Anmerkungen:
1 Friedrich Düsel, Dramatische Rundschau, in: Westermanns Monatshefte, 77. Jg., Juni 1933, S. 377 f.
2 Franz Ulbrich, Hanns Johst, Presseerklärung, in: Theatertageblatt vom 14. 2. 1933
3 Hanns Johst, in: Theatertageblatt vom 22. 2. 1933
4 GStA Potsdam RfuP, Acta Nr. 296, Bl. 183 f.
5 GStA Potsdam RfuP, Acta Nr. 298, 357 f.
6 GStA Potsdam RfuP, Acta Nr. 298, Bl. 381
7 Otto Laubinger in: »Der Neue Weg«, 1934, Nr. 2, S.41
8 Gewerbe- Ordnung vom 21. 6. 1869, Paragraph 32: Schauspielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der Erlaubnis. Dieselbe ist ihnen zu ertheilen, wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb darthun. Beschränkungen auf bestimmte Kategorien theatralischer Darstellungen sind unzulässig.

9 Joseph Wulf, Theater und Film im Dritten Reich, Eine Dokumentation, Gütersloh 1963, S. 39
10Curt Singer in: CV-Zeitung, Organ des Central- Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, vom 28. 8. 1933
11Jüdische Rundschau vom 29. 9. 1933
12Gustaf Gründgens, Briefe, Aufsätze, Reden, hrsg. von Rolf Badenhausen u. Peter Gründgens- Gorski, Hamburg 1967, S. 16
13Ebenda, S. 25
14GStA Potsdam RfVuP, Acta Nr. 296, Bl. 161 f.
15W.B. Iltz, Generalintendant in Düsseldorf, in: »Der Autor«, 1935, Nr. 7/8, S.6
16GStA Potsdam RfVuP, Acta Nr. 292, Bl. 33
17GStA Potsdam RfVuP, Acta Nr. 278, Bl. unleserlich
18Paul Rose, Über meine Intendanz zweier Theater der Reichshauptstadt Berlin, maschinenschr. Manuskr. o. J. (unveröffentl.), S. 28 f.
19Gustaf Gründgens, a. a. O., S. 38
20GStA Potsdam RfVup, Acta Nr. 817, Bl. 1
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/2000
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