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Rainer Kubatzki
Irgendein Lager gleich um die Ecke

Zur Organisation der Zwangsarbeit in und um Berlin 1939 bis 1945

Als Ende April 1945 die Sirenen im Rüstungszentrum Reichshauptstadt verstummten, im Mai und Juni Tausende ausländische Arbeiter auf Berliner Bahnhöfen ihre Rückkehr ersehnten oder in Pulks auf den Ausfallstraßen in Richtung Heimat loszogen, so ungewiß ihr Schicksal dort auch sein würde, da schienen alltäglich gewordene Vorgänge in Berlin ins Vergessen zu sinken. Über den Arbeits- und Wohnplätzen lag die Asche des Krieges, darauf wucherte schnell Gras. Erst um 1985, rund 40 Jahre später, nachdem Politik, Forschung und öffentliches Bewußtsein Verdrängungen aufgaben, befaßten sich größere historische Recherchen über Berlin wieder mit diesen Vorgängen und charakterisierten sie als Zwangsarbeit, organisiert von den Nationalsozialisten für ihre bekannten politischen, »völkischen« und rassistischen Ziele, rekrutiert in vielen europäischen Ländern mit ökonomischen, sozialen und vor allem terroristischen Mitteln. Auch die Größenordnungen wurden wieder

aufgedeckt, wonach zwar zum 1. Januar 1941 in Berlin ohne Umland erst rund 19 000 ausländische Arbeiter eingesetzt waren, was einem Prozent der Beschäftigten entsprach. Zum 25. April 1941 waren es aber bereits rund 68 000, die 3,6 Prozent ausmachten. Die polizeilichen Anmeldungen weisen für den 1. Januar 1942 schon 144 000, für den September 1942 240 000 und für den 1. Juli 1943 342 000 aus. Ende Juni 1944 wurden 381 000 ausländische Arbeiter erfaßt. Hinzu kamen Kriegsgefangene und Häftlinge. Die meisten stammten aus der Sowjetunion und aus Polen, viele aus Westeuropa. Der Anteil der Frauen war hoch. Das Lebensalter lag durchschnittlich wenig über 20 Jahre. 1)
     Doch werden bis heute weder die ökonomische Bedeutung dieser Zwangsarbeit für die Rüstungsbranchen und ihr Nachkriegspotential noch die Leistungen beim Erhalt der städtischen Strukturen im Bombenkrieg überblickt. Immerhin treten in jüngsten Untersuchungen nun en detail die enorme Verbreitung der Zwangsarbeit in Stadt und Umland und ihre außerökonomischen Funktionen wieder zutage. 2) Während für die Stadt Essen zum Beispiel rund 300, für München 131 Lager 3) gefunden wurden, konnten für das Rüstungszentrum innerhalb des Berliner Autobahnringes für die Jahre von 1939 bis 1945 über 1 000 Standorte für Lager und Unterkünfte der Betroffenen mit Quellen belegt werden, wobei sich an einer Stelle oft mehrere befanden.
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Die Organisatoren und Nutznießer der Zwangsarbeit taten Sachzwängen zur Ausbeutung und Erhaltung der Arbeitskraft Genüge. Manche taten auch mehr, richteten Weihnachtsfeiern aus, steckten Verpflegung und Kohlen zu, besorgten gute Arbeitskleidung, versorgten Kranke. Andere taten das weniger oder gar nicht. Einige Organisatoren und Nutznießer bedienten die Stätten zur physischen Vernichtung von Menschen durch Arbeit und Terror. Die SS richtete dazu Außenlager der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück ein, die sich in den Industriekernen Spandau, Reinickendorf und Lichterfelde befanden. Dem gleichen Ziel dienten die Arbeitserziehungslager der Geheimen Staatspolizei auf dem Gelände des Rangierbahnhofes
1942/43 Barackenbauaktion der GBI: Baracken für osteuropäische Zwangsarbeiter (Familienlager, vorrangig für die Städtischen Wasserwerke) in der Landsberger Allee 76
Wuhlheide und in Großbeeren am Schleefweg sowie die Lager für den Zwangseinsatz jüdischer Menschen. Das Auspowern und der Terror gegen die Kriegsgefangenen, die hinter der Front in Sammellager kamen und von hier dem Rüstungszentrum zugeteilt wurden, ging unter Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht, Chef Kriegsgefangenenwesen, vom Stalag III D (Stammlager, Wehrkeis IIII Berlin- Brandenburg) aus, das sich in Lichterfelde an der Osdorfer Straße, Ecke Landweg befand. Von hier wurden Kommandos und Trupps zum Arbeitseinsatz auf über 50 nachgeordnete Kriegsgefangenenlager innerhalb des Autobahnringes verteilt. Der Stacheldraht war äußeres Zeichen für verkürztes Leben durch viel Arbeit, wenig Essen und tägliche Gewalt. Ähnlich schlecht stellten die Nationalsozialisten die Männer und Frauen aus der Sowjetunion und Polen.
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Auch hier war, wenigstens in den ersten Kriegsjahren, Stacheldraht um die Lager. Zur »Behandlung« gehörten mindere Verpflegungssätze, Kleidungsmarkierung, Ausgehverbote und Kolonnenzwang, nicht zu reden von der Rekrutierung in den Heimatorten, die nur anfangs über Versprechungen und Dienstverpflichtungen, dann mit Geldentzug, Strafandrohungen und Aushebungen vollzogen wurde.
     Im Verhältnis dazu wurden Arbeiter aus West- und Südeuropa, sofern sie nicht Kriegsgefangene, Militärinternierte oder sonst straffällig waren, besser behandelt. Als im November 1940 mehrere Sonderzüge italienische Bauarbeiter nach Berlin brachten, spielte die Kapelle bei der Einfahrt in den Anhalter Bahnhof auf. Es gab Frühstück im Hotel, dann die Fahrt mit den Bussen der Berliner Verkehrsgesellschaft ins Lager. Löhne waren durch Verträge einheimischen Sätzen angeglichen. Deutschland war im Bunde mit Italien. Auch manche Werbeaktion wie die für belgische, niederländische oder exilrussische Kraftfahrer verlief freundlich und war doch nur eine andere, mildere Seite der Zwangsarbeit. Dafür sprechen die Zwänge, die Arbeiter in West- und Südeuropa zur Rekrutierung nach Berlin veranlaßten, darunter permanente Arbeitslosigkeit, große Familien, Ausweichen vor Militärdienst, Dienstverpflichtungen, Kürzungen der Stützbeträge und Arbeitsanordnungen.
Auch in den Lagern für Arbeiter aus West- und Südeuropa findet man deutlich erkennbar Zwang als Organisierungselement des Einsatzes, etwa Einpferchung, Abstrafordnung und Polizeiüberwachung. Außerdem kann die Massenflucht italienischer Arbeiter aus deutschen Firmen und Lagern ab 1941 kaum wegen besonderer Vergünstigungen ins Rollen gekommen sein, worauf in Italien im Übrigen Zwangswerbungen zur Erfüllung der Verträge (Produkte und Geld gegen Arbeitskäfte) einsetzten. Historisch rechtfertigt sich aber die Generalisierung unter den Begriff Zwangsarbeit erst durch den Vergleich mit der autonomen und staatlich regulierten Migration, wie sie bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg Arbeitskräfte in die Region Berlin brachte. Ihre traditionellen Triebkräfte waren der Arbeitskräfteüberschuss in dicht besiedelten Gebieten oder die Chancenlosigkeit für Familiengründungen und sozialen Aufstieg zu Hause, der garantierte Anspruch der Migranten auf Mobilität, Leistungslohn und persönlich freie Lebensgestaltung. Daraus folgte auch die wirtschafts-, bevölkerungs- und kulturbildende Kraft dieser Migration. Das alles trat mit der Zwangsarbeit außer Kraft. Das Gewaltmonopol des Staates, eine Voraussetzung der Zivilisation, mutierte also durch Diktatur und Kriegswirtschaft vielleicht gerade besonders monströs in großstädtischen Strukturen zur Haltung von Zwangsarbeitern.
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Vor diesen Zusammenhängen offenbart sich das nationalsozialistische Vokabular mit Fremdarbeitern, Arbeiterlager und Gemeinschaftslager als Ideologie. Amtlich und öffentlich sprach man im nationalsozialistischen Berlin auch vom Ostarbeiter-, Italiener- und Polenlager, je nach Herkunft der Betroffenen, unterschied man Frauen- und Familienlager, ging sonntags mal »Russen gucken« und Bordellbaracken besichtigen.
     Die Ziele der Zwangsarbeit wurden nicht nur an den Arbeitsplätzen in der Berliner Rüstungsindustrie, sondern auch daneben und danach in vielfältigen Formen praktiziert. Das zeigen die Anordnungen für besondere Kleidung, Kennzeichen, Kontaktverbote, Heiratsverbote, Kinderentzug und die Vielfalt der Lager. Sie bestanden in Wohnungen, auf kompletten Etagen und in Häusern, in alten Speichern, verschlissenen Werkhallen und ausgedienten Fabriken, auf Tanzsälen, in Gaststuben, Kneipen, Restaurants, Pensionen und Hotels, auch in Scheunen, in Ställen und tiefen Kellern, wenn nur darin Kriegsgefangene, Häftlinge und Arbeiter eingebuchtet werden konnten, das Lager von der Öffentlichkeit ab- und ausgegrenzt und amtlich genehmigt war. Besonders verbreitet war die genormte, verlängerbare Holzbaracke. Als Massenunterkunft, für Küchen, Aborte, Wachen, Waschräume, Verwaltungen und Krankenräume, wurde sie schlechthin zum Zeichen für ein Lager.
Es gab welche mit nur einer Baracke, andere mit 30 Baracken oder mehr, mit nur einer Wohnung, einem Schuppen oder einem Verlies. In kleinen Lagern gab es rund 5 bis 10 Plätze. Die meisten hatten um 100 bis 200, große 1000. 2000 bildeten eine Ausnahme. In Adlershof am Adlergestell und in Falkensee bei Berlin wurden Barackenlager für rund 3000 Menschen aufgebaut. Größere gab es nicht.
     Die Zwangsarbeiter, ihre Arbeitsstätten und die Lager waren über alle Verwaltungsbezirke verstreut. Außer in altbürgerlichen Wohnkernen wie in Zehlendorf und Mitte lag in der ganzen Stadt praktisch irgendein Lager gleich um die Ecke. Meistens folgte die Zwangsarbeit aber den Produktionsstätten der Rüstungsindustrie. Deshalb befanden sich sehr viele Lager bei oder direkt in den Industrieschwerpunkten von Spandau und Reinickendorf. Nach Zahl und Größe gab es Verdichtungen in Köpenick, Treptow, Steglitz, Charlottenburg und weiteren Industriebezirken. Im Stadtkern befanden sich vor allem Unterkünfte in Wohnungen und Häusern. Die Lager waren an die städtischen Verkehrswege angebunden, einige mit langen, versteckten Behelfszufahrten, etwa im Forstgelände, die meisten mit kurzen Wegen zu den Arbeitsplätzen. Typisch war die separierte Lagerfläche, sichtbar abgesondert vom Stadtleben durch Einzäunungen, Zufahrten und Tore, selten durch Wachtürme.
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Bei den Außenlagern der Konzentrationslager, bei den Arbeitserziehungslagern und den Kriegsgefangenenlagern war der Stacheldraht bis 1945 obligatorisches Zeichen der gewaltsamen Einvernahme. Die innere Struktur der Lager, gleich ob für Zivilpersonen, Kriegsgefangene oder Häftlinge, zeigte überwiegend unregelmäßigen, einfachen Aufbau mit Anpassung an die Umgebung. Wohnbaracken standen etwa um eine Küchenbaracke gruppiert oder in einer Zeile. Größere Lager wiesen durch Lagerstraßen, Barackenreihen und getrennte Arbeiterund Verwaltungsareale eine Struktur auf. Beim Bauen verbliebene Baumbestände und Grünflächen wurden geschont, manchmal vergrößert oder neu angelegt. Versteckte Blumengärtchen wurden geduldet. Es gab Zisternen, mitunter Brunnen, viele über- und unterirdische Vorratslager für Kartoffeln und Kohlen. Stromkästen, Wasserrohre und Abwasserleitungen waren Provisorien, aber funktionsfähig. Der Wasseranschluß erfolgte an die zentrale Leitung. Vereinzelt leiteten Lager Abwässer in nahe gelegene Gräben und Seen, was der polizeilichen Genehmigung bedurfte.
     Ökonomisches Kriterium für die Zwangsarbeit war die Einbindung in die kriegswirtschaftlichen Strukturen des Rüstungszentrums Reichshauptstadt. Erst mit Rüstungsaufträgen oder kriegswichtigen Aufgaben, etwa dem Luftschutz für die Großstadt, konnten Anforderungen für Arbeiter und Verpflegung, für Baracken, Einrichtungen und Baukräfte beantragt werden.
Über dieses Volumen, gleich ob für die Produktion von Kabeln bei Ziehl & Abegg in Weißensee oder ein Bunkerbauprogramm für Berlin, entschieden zuerst und grundsätzlich die oberen Kommandoebenen für den Wehrkreis III Berlin und Brandenburg , einer von 14 Wehrkreisen des Reichsgebietes. Die personelle Verantwortung lag seit August 1939 beim Oberpräsidenten der Provinz Mark Brandenburg, dem Gauleiter Emil Stürtz, dem formal auch die Berliner Verwaltung mit dem Stadtpräsidenten Julius Lippert, der 1940 abgeschoben wurde, sowie Joseph Goebbels als Gauleiter (seit 1926!) unterstanden. Stürtz erhielt außerdem ab 1. September 1939 die Berufung als Reichsverteidigungskommissar für Berlin- Brandenburg.
      Praktisch vorbereitet wurden die Entscheidungen über Rüstung und Arbeitskräfte bis Mitte 1940 in einem Führungsstab Wirtschaft, in dem Militärs, Wirtschafts- und Polizeiführer und Baubeauftragte Sitz und Stimme hatten. Zugeordnet war ein noch 1939 formiertes Landeswirtschaftsamt und ein Landesarbeitsamt Brandenburg- Berlin. Die Kompetenzen änderten sich aber mehrmals. So übernahm ab 17. September 1942 für den Wehrkreis III eine Rüstungskommission, auch Rüstungsinspektion III genannt, die Grundsatzentscheidungen über die Kriegswirtschaft, wobei Goebbels endlich am 1. Dezember 1942 Stürtz als Reichsverteidigungskommissar für Berlin ablösen konnte.
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Die Kommission als militärwirtschaftliches Organ des Oberkommandos der Wehrmacht, angeleitet vom Wehrwirtschaftsamt der Militärführung, gliederte sich in fünf Rüstungskommandos, in denen Wehrwirtschaftsoffiziere für bestimmte Gebiete zuständig waren und über die Aufträge und den Arbeiterbedarf befanden. Dabei entschied das Arbeitsamt Berlin als örtliche Arbeitseinsatzbehörde über Zeitpunkte und Größenordnungen mit. Da die benötigten Arbeiterscharen aus Stadt und Land wegen der Dienst- und der Wehrpflicht nicht mehr zugeteilt werden konnten, teilte es die im besetzten oder verbündeten Ausland angeworbenen oder gewalttätig aufgebrachten Arbeiter- Kontingente für die Reichshauptstadt auf. Die daraus folgenden Aktionen der Zwangsarbeit sind beschrieben worden.4) Nicht nur in dieser zivilstaatlichen Steuerung der Berliner Rüstungsund Kriegswirtschaft war die Zwangsarbeit immer im Kalkül. Für jede Firma, die große oder kleine Aufträge mit Arbeiterzuweisung haben wollte, war sie relevant, genauer: als Quelle für Arbeit und Gewinn interessant.
     Wenn die staatlich- wirtschaftliche Spitze des Wehrkreises über die Rüstungsvorhaben und Arbeiterbedarf entschieden hatte, prüften und bewilligten Entscheidungsträger für Baumaterial, Verpflegung, Bewachung und andere Bereiche die Vorhaben im einzelnen. Dazu gehörte der Generalbevollmächtigte für die Regelung des Bauwesens, kurz GB Bau.
Für Berlin setzte er dazu ab Januar 1940 einen Baudirektor Usinger als Beauftragten ein, der bei der Obersten Bauleitung der Reichsautobahnen, saß. Er ordnete zum Beispiel den Bau von Unterkünften für die Zwangsarbeiter in Dringlichkeitsstufen ein. Innerhalb jeder Stufe rangierten die Vorhaben wiederum mit Kennummern, die auf den Anträgen für Arbeiterlager vermerkt und im Baugeschehen verkürzt wurden, etwa auf Lager 398. Ein Bevollmächtigter für den Holzbau wurde bei der Intensivierung der Rüstung im zweiten Kriegsjahr in die Organisierung der Zwangsarbeit eingeschaltet. Der Reichswirtschaftsminister ernannte dafür am 30. Juni 1941 als ersten Bevollmächtigten einen Ingenieur Künzel, auch als Oberstarbeitsführer beim Reichsarbeitsführer erwähnt. Er wurde von Berlin- Grunewald, aus der Schinkelstraße 1-7, tätig. Die Stelle sollte den schnell wachsenden Bedarf an Baracken regeln.
     Beim Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt, eine staatliche Reichsbehörde, kurz GBI genannt, wurden alle Bauanträge für Unterkünfte und Lager baupolizeilich geprüft, die Standorte bis zum Autobahnring geplant, baupolizeilich abgeschätzt und freigegeben. Die Baugruppen Wilhelmi und Hetzelt vom GBI, nach den leitenden Ingenieuren benannt, die mit Baufirmen kooperierten, leiteten den praktischen Aufbau von Lagern ein, was die Beschaffung von Baustoffen, Treibstoff und Transportmitteln aus Kontingenten einschloß.
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Die Lenkung lag bei der Hauptabteilung II/6, die seit ihrer Gründung bis 1945 von dem Baurat Heinrich Rönneburg geleitet wurde. Im Frühjahr 1945 selbst in einer seiner Baracken vor dem Krieg Schutz suchend, sammelte er im Juni 1945 die erste Abwicklungstruppe für den GBI. Der GBI war mit rund 80 Lagern, in denen die bei ihm mit umfangreichen Luftschutz- und anderen Bauten beschäftigten Arbeiter untergebracht wurden, größter Bauorganisator der Zwangsarbeit. Sein Dasein ging unmittelbar auf die imperialen Bauansprüche Hitlers auf Berlin zurück, die er seit 1933 immer genauer der sehr interessierten, mit Geld rechnenden Stadtverwaltung mitteilte. Die Hauptstadt »Germania« sollte von zügig herangeführten Arbeiterkolonnen binnen 20 Jahren herausgestampft werden, finanziert mit jährlich rund 60 Millionen Mark aus einem staatlichen Neugestaltungsfonds. Am 30. Januar 1937 wurde gegen allerhand Bedenkenträger die Ernennung des Architekten Albert Speer mit dem Titel Generalbauinspektor in direkter Unterstellung unter Hitler bekanntgegeben. Von Hitler im Reichstag präsentiert, erhielt Speer das Entscheidungsrecht in allen wichtigen Baufragen für Berlin, dann auch für das Umland, was fortan bis 1945 die Lager einschloß, und schließlich für andere Städte. Der Architekt baute den GBI noch 1938 mit einer Planungsstelle, einem Hauptamt, einer Generalbauleitung und einer Durchführungsstelle auf. Nach 1940 wurden Luftschutzbauten zum Kriegsauftrag des GBI.
     Auch die Stadtverwaltung Berlins mit den Bezirksbürgermeistern gehörte zu den Organisatoren der Zwangsarbeit. Das Hauptplanungsamt, die Rechtsstellen und die Wirtschaftsabteilungen bereiteten dem GBI Standortentscheidungen vor, übernahmen baupolizeiliche Prüfungen für die Lager und vermieteten dafür städtischen Grundbesitz. Die Stadt war auch selbst Bauherr für Lager und setzte Zwangsarbeiter ein. In die Organisierung griffen das Reichssicherheitshauptamt mit verschiedenen Dienststellen des Sicherheitsdienstes der SS und der Geheimen Staatspolizei ein, vor allem das Referat IV, Berlin C 2, Oranienburger Straße. Das entstand erst 1941 auf direkte Weisung Hitlers, weil ihm Benito Mussolini massive Beschwerden italienischer Bauarbeiter über miserable Behandlung schickte. In den Lagerbau schalteten sich ausländerpolizeiliche Dienststellen für Osteuropäer und Juden ein. Luftfahrtministerium und Luftgaukommando III und IV in Berlin- Dahlem machten Luftschutzbestimmungen geltend. Finanzminister und Preiskommissar gaben der Zwangsarbeit Steuer- und Kostensätze vor. Die Zentralinspektion der Deutschen Arbeitsfront, allein mit der Betreuung aller in das Reichsgebiet geholten Arbeitskräfte beauftragt, außerdem auch Bauherr für einige Berliner Lager, befand ebenfalls über die Zwangsarbeit mit.
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Die Deutsche Reichsbahn und die Deutsche Post organisierten sich Zwangsarbeiter. Hunderte Berliner Rüstungsfirmen machten davon Gebrauch.
     Von der privatwirtschaftlichen und gemeinnützigen Verwertung hatten am Ende viele Einwohner etwas auf dem Teller, ob sie es wollten oder nicht. So kann man auch aus dieser Sicht den Vorgängen entnehmen, warum in einer hochentwickelten Großstadt mit den Mitteln der Zivilisation, unter Inanspruchnahme ziviler Tugenden, organisiert von staatlichen, kommunalen und wirtschaftlichen Institutionen, arbeitsteilig funktional differenziert und diszipliniert, eine Arbeitssklaverei möglich wurde. Sie offenbart eine erbärmlich dünne Kulturschicht, die damals keinen Damm gegen den Gewaltexzeß bilden konnte. Die Auswirkungen der Berliner Zwangsarbeit auf die Bevölkerung und auf die Betroffenen selbst harren noch einer ausführlichen sozialgeschichtlichen Darstellung.

Quellen:
1 Laurenz Demps unter Mitarbeit von Reinhard Hölzer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterlager in der faschistischen Reichshauptstadt Berlin 1939 bis 1945, in: Miniaturen zur Geschichte, Kultur und Denkmalpflege Berlins, Nr. 20/21, Berlin 1986, S. 5 f.

2 Winfried Meyer, Klaus Neitmann (Hrsg.), Zwangsarbeit während der NS-Zeit in Berlin und Brandenburg - Formen, Funktion, Rezeption. Sammelband der wissenschaftlichen Tagung in Sachsenhausen 1998. Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 7, hrsg. vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv und der Historischen Kommission zu Berlin, Berlin 2000 (für Herbst 2000 im Verlag Berlin- Brandenburg angekündigt). - Rainer Kubatzki, Standorte und Topographie der Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeiterlager in Berlin und im brandenburgischen Umland. 1939 bis 1945. Dokumentation, Berlin 2000 (vom Berlin Verlag Arno Spitz für Sommer 2000 angekündigt)
3 Andreas Heusler, Zwangsarbeit in der Münchner Kriegswirtschaft 1939 bis 1945, hrsg. von der Landeshauptstadt München, München 1991, S. 9
4 Helmut Bräutigam, Fremdarbeiterlager in Berlin 1939 bis 1945, in: Wolfgang Ribbe (Hrsg.), Berlin- Forschungen IV. Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 70, Berlin 1989, S. 235-280

Bildquelle: Heimatmuseum Lichtenberg

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/2000
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