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Kurt Pätzold
Nicht Liebe oder Hass, sondern Kalkül

Hitler und die Reichshauptstadt

Kommt die Rede auf Hitler und Berlin, folgt unvermeidlich die Feststellung, er habe die Stadt nicht geliebt. Die Aussage scheint eine andere unerwähnt einzuschließen, die besagt, er habe irgendeine andere deutsche Stadt geliebt. Gedacht wird dabei vor allem an München, die »Hauptstadt der Bewegung«, oder an Nürnberg die »Stadt der Reichsparteitage«. In der oberbayerischen wie in der fränkischen Stadt hatte die faschistische Partei so viel früher schon festen Fuß gefaßt als in der Reichshauptstadt an der Spree. Erwähnt wird mitunter auch das niederösterreichische Linz. Welcher Name aber auch fällt, dieser »Führer«, freilich nicht er allein, hat alle diese Städte hochgradig zerstört, namentlich deren Zentren als Trümmerhaufen hinterlassen oder aber sie - wie die Stadt an der Donau - mit einer mehr oder weniger großen Zahl abscheulicher Bauten versehen. Was davon blieb, kann demonstrieren, was dem Diktator diese und weitere Städte in Deutschland waren: Bühnen und Kulissen für seine Auftritte als Parteiführer und Staatsmann und für das steinerne und martialische Zurschaustellen von Macht, immer mehr Macht und eben das Verlangen nach deren Vermehrung ins Gigantische, Beispiellose.

Zeugen des Größenwahns

Einige dieser Zeugnisse haben in Berlin den Bombenkrieg und die Erdkämpfe des Frühjahrs 1945 in einem Zustand überdauert, der ihre weitere Nutzung ermöglichte. Das gilt für den Riesenbau am Werderschen Markt, erbaut zwischen 1934 und 1938, der als Zentrale der Reichsbank diente und dessen erster Hausherr der Präsident von dessen Direktorium, kommisarischer Reichswirtschaftsminister und Generalbeauftragter für die Rüstung, Hjalmar Schacht, war. Am westlichen Ende der Leipziger Strasse blieb der 1935 und 1936 entstandene nicht minder protzige und weitläufige Sitz des Reichsluftfahrtministers und Oberbefehlshabers der Luftwaffe, Hermann Göring, erhalten, der von Schacht die Aufgabe der Zentralisierung und Forcierung der wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen übernahm. Ein Rest nur läßt, heute durch andere Bauten verdeckt und ein wenig versteckt, die Ausmaße des Baus erahnen, der für das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda 1938/39 am Wilhelmplatz errichtet wurde und in dem Josef Goebbels herrschte. Alle diese Zeugen von Größenwahn blieben indessen weit hinter den Vorstellungen des Diktators zurück, die sich auf Berlin nach dem »Endsieg« richteten.
     Der Mann und sein Leib- und Lieblingsarchitekt besaßen nicht die Spur von Achtung vor denen, die in Berlin einst gebaut und es jedenfalls in vielen seiner Teile auch zu einer sehenswerten Stadt gemacht hatten.

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Liebe hin, Haß her - es ist produktiver, Hitlers Rolle im Hinblick auf die Geschichte dieser Stadt zu bilanzieren. Sie ging zunächst aus der frühen Erfahrung hervor, daß es mit dem »Marsch auf Berlin«, der 1923 nach dem italienischen Vorbild angetreten werden sollte, nichts geworden war, weil das putschistische Unternehmen bereits in der Innenstadt Münchens ruhmlos geendet hatte. Als sich der NSDAP- Führer darauf von dem Gedanken, durch einen Gewaltstreich an die Staatsspitze zu gelangen, verabschiedete, stellte sich für ihn auch und gerade im Hinblick auf die Reichs- und preußische Hauptstadt die Frage, wie sich hier eine massenhafte Anhänger- und Wählerschaft gewinnen ließe. Angesichts der Stärke der sozialistischen, wenn auch gespaltenen Arbeiterbewegung und eines beträchtlichen Teils von katholischen Bürgern, die nach den Weisungen ihrer Kirchenoberen die Zentrumspartei wählten, war das ein schwieriges Unterfangen.
     Hitler schickte aus dem Ruhrgebiet einen seiner als Demagoge schon bewährten Unterführer, den Dr. Josef Goebbels, nach Berlin. Der trat seinen Gauleiterposten zunächst in Gemeinschaft für Berlin und Brandenburg am 1. November 1926 an und praktizierte eine Methode, die derzeit von Rechtsextremisten getreulich wieder kopiert werden kann.
Er suchte mit seinen anfangs noch kleinen Haufen vor allem Skandal zu machen, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen. Und er gab sich stärker noch als seine Komplicen in anderen Gauen als ein Revoluzzer, der in der Gesellschaft angeblich das Unterste zu oberst kehren wolle. Erst die Weltwirtschaftskrise mit ihren soziale, geistige und psychische Verheerungen anrichtenden Folgen trieb immer mehr Berliner diesen »Nationalsozialisten« zu. Goebbels, zugleich Reichspropagandaleiter seiner Partei, wurde einer der Erfolgreichsten in der nicht so sehr langen zweiten Reihe hinter jenem zur Erlöserfigur zurechtgemachten Hitler, der wußte, was ihm insbesondere auch sein »Doktor« wert war und ihn daher dann lebenslang mit immer neuen Gunstbeweisen pflegte.

Großveranstaltungen mit festem Ritual

Nachdem in Preußen das Redeverbot, das gegen den Putschisten Hitler ausgesprochen worden war, ihm aber erlaubte, in den - freilich wenigen - geschlossenen Veranstaltungen seiner Partei aufzutreten, nicht mehr existierte, war für den ersten Mann der Partei auch der Weg in die Versammlungssäle und -hallen Berlins frei. Den ersten dieser Auftritte absolvierte Hitler am 16. November 1926 im Sportpalast in der Potsdamer Straße.

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Danach begann die Kette jener Großveranstaltungen, vorzugsweise anberaumt am gleichen Ort, die nach einem festen Ritual geplant wurden und abliefen. Lange vor dem Eintreffen des Hauptredners war der Raum geöffnet. Auf Plakaten oder durch Annoncen wurde in den kalten Monaten angekündigt, daß er gut beheizt sei. Das lockte insbesondere jene, die in schlecht- oder unbeheizten Wohnungen leben mußten, frühzeitig herbei. Unterhalten wurden sie von einer Kapelle, die tatsächlich den Namen »Fuhsel« trug. Dann heizten Vorredner die Stimmung an. Schließlich kam ER. Hier wie andernorts kam es schon nicht mehr darauf an, was der Mann sagte. Es genügte, daß er erschien. Er, auf den alle Hoffnungen gerichtet und gehäuft worden waren. Hitler gab den Erlöser, und seine bequeme Botschaft fing Leichtgläubige ein, die auf ihre eigenen Kräfte nicht vertrauten und denen das »Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun« nichts zu sagen vermochte.
     Dann richtete sich Hitler in einer Zimmerflucht des Berliner Nobelhotels »Kaiserhof« eine Nebenresidenz zu jenem Braunen Haus in München ein. Sie war gleichsam nur einen Steinwurf vom Gebäude der »alten« Reichskanzlei und dessen bescheidenem, erst in den Jahren der Weimarer Republik erfolgten, ebenso schmucklosen wie architektonisch deplazierten Anbau im Nordteil der Wilhelmstraße entfernt.
Dort, im Zimmer, in dem einst Bismarck regiert hatte, wollte er sich und wollten seine Anhänger ihn sehen. Am 30. Januar 1933 konnte er im Ergebnis einer politischen Großintrige, deren Drahtzieher einflußreiche Persönlichkeiten der deutschen Großindustrie und des Großagrariertums gewesen waren, in das Zentrum der Macht als Reichskanzler einziehen. Dort nahm er auch seinen einzigen Wohnsitz und verzichtete darauf, in Berlin einen privaten Wohnsitz zu erwerben, der seiner ausgedehnten Stadtwohnung im Zentrum Münchens oder dem exklusiven Haus am Obersalzberg in Berchtesgaden vergleichbar gewesen wäre. Er legte Wert auf den Eindruck, ein »billiger« Kanzler zu sein, der in seiner Arbeit für das Volk ganz aufging, ein Privatleben nicht besaß und der obendrein noch auf sein Gehalt als Reichskanzler verzichtete und von seinen Einkünften als »Schriftsteller« lebte.

An Verschwendungssucht übertraf Hitler alle

Nichtsdestoweniger war und blieb er auch im engeren Sinne - zu schweigen von den Folgen seiner und seiner Mitführer Politik - der kostspieligste Kanzler, den das Deutsche Reich seit seiner Gründung 1871 besessen hatte. An Verschwendungssucht übertraf er sie alle.

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Das bezeugen augenfällig die Abbildungen der 1939 eingeweihten Reichskanzlei in der Wilhelm- und Voßstraße, in deren Bunker sich Hitler schließlich umbrachte. Diese Wirklichkeit wurde nicht nur durch den Kontrast verdeckt, den beispielsweise bei ihren gemeinsamen öffentlichen Auftritten der putzsüchtige Göring neben dem so viel einfacher kostümierten Hitler erzeugten. Der »Führer« tat auch selbst, was ihm angemessen schien, sich als bescheiden und anspruchslos darzustellen. Als er Anfang 1939 bei einem Richtfest zu den Erbauern der Reichskanzlei sprach, vergaß er nicht zu erwähnen, dass die Ausmaße dieses Gebäudes nicht auf ihn zugeschnitten wären, sondern einzig die Bedeutung des »Dritten Reiches« ausdrückten. Dieser Kommentar schien ihm auch geboten, war doch der Wohnungsneubau in Berlin und nicht nur hier als Folge dieser Bautätigkeit und mehr noch der Verwendung von Arbeitskräften und Rohstoffen für Aufrüstungsbauten (Kasernen, Westwall, Flugplätze, Erweiterung von Rüstungsbetrieben) auf einem Tiefpunkt angelangt.

Größte Militärparade, die in der Neuzeit stattfand

Ein Foto, das Hitler auf einem Spaziergang im Tiergarten zeigen würde? Oder ein anderes, das ihn am Müggel- oder am Wannsee bei einer zufälligen Begegnung mit Berlinern festgehalten hätte?

Er gar inmitten eines Volksfestes? Nichts dergleichen. Seine Auftritte fanden statt auf dem eigens für diesen Zweck entworfenen und angebauten Balkon am Erweiterungsbau der Reichskanzlei an der Wilhelmstraße, in der Straße Unter den Linden, wenn dort der »Helden« gedacht wurde, in den Sälen und Hallen der Reichskanzlei, in Theaterbauten, beispielsweise als darin Görings Hochzeit pompös gefeiert wurde, auf der Tribüne des faschistischen Reichstages, der in der Krolloper zusammentrat , und schließlich 1939 auf der eben fertiggestellten Ost-West- Achse, die am 20. April - zu Hitlers 50. Geburtstag - die größte Militärparade erlebte, die in der Neuzeit stattgefunden hatte und deren Sprache eindeutig war: der Aufbau der Wehrmacht sei vollendet, hieß es dazu großsprecherisch. Zu sehen war er auch auf dem Tempelhofer Flugfeld, wenn es zu Massenkundgebungen genutzt wurde oder Hitler dort auf dem Luftwege eintraf, wofür durch einen in den Jahren 1936 bis 1941 geschaffenen Riesenbau, dem Empfangsgebäude des Flughafens, eine weitere Kulisse geschaffen wurde.

Kein Interesse für sportliche Veranstaltungen

Aus diesen »Erscheinungsweisen« fiel womöglich nur sein Auftauchen an den Stätten der Olympischen Spiele 1936 heraus, einem zwischen 1934 und 1936 errichteten Komplex von Gebäuden und Wettkampfstätten.

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Doch dorthin führte den Mann, der jeder körperlichen Anstrengung abgeneigt war, und der sich auch als Zuschauer sonst für sportliche Veranstaltungen nicht interessierte, nichts anderes als das politische Kalkül. Es bot ihm dieses »Fest der Jugend« doch die willkommene Gelegenheit, sich zusätzlich als ein Politiker der Völkerverständigung und Völkerversöhnung zu präsentieren. Sein Stellvertreter in Parteiangelegenheiten, Rudolf Heß, wußte und sagte es einer geschlossenen Versammlung von Parteiführern auch: Es wäre der Beschluß, diese Olympiade in Berlin stattfinden zu lassen, im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nie gefaßt worden, wenn Hitler damals schon in Berlin regiert haben würde. - Hitler hat nur wenige Politiker von internationalem Rang empfangen und nur einen in Berlin. Neville Chamberlain, den britischen Premierminister, und Edouard Daladier, den Regierungschef der Republik Frankreich, begrüßte er 1938 in München. Sein einflußreichster Gast kam im Herbst 1940 nach Berlin. Das war der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare der UdSSR, Wjatscheslaw Molotow, der diesen Besuch in seiner Eigenschaft als Außenminister und als Gegenvisite zu dem Besuch des deutschen Chefs des Auswärtigen Amtes Joachim von Ribbentrop antrat. Molotow sollte über Pläne getäuscht werden

Dieses Zusammentreffen blieb eine folgenlose Episode, die später nur durch Mißinterpretationen aufgewertet wurde. Molotow kam, um die Bereitschaft zu verdeutlichen, dass die Sowjetunion sich weiter aus dem Kriege heraushalten wolle, entwickelte, was Stalin und ihm als berechtigte Sicherheitsinteressen des Landes erschien und suchte zu ergründen, welche Pläne die deutsche Führung hegte. Gerade darüber wollte der Gastgeber den Mann aus dem Kreml täuschen. Hitler hatte seinen Generalen, die über den Angriffsplänen gegen die UdSSR saßen, bereits vor dem Zusammentreffen mitteilen lassen, sie hätten ihre Arbeit weiter unbeirrt zu verrichten. Nein, weltdiplomatischer Glanz wurde der deutschen Hauptstadt in jenen Jahren nicht aufgeschminkt. Immer häufiger blickte das Ausland aber seit der Mitte der dreißiger Jahre, als Hitler 1935 vor dem Reichstag die Wiedereinführung der Wehrpflicht verkündete, besorgt auf dieses Machtzentrum.
     Für Hitler war und blieb Berlin nur eine neben anderen Stätten seines Wirkens. Für seinen Regierungsstil brauchte er ohnehin keine auch Behaglichkeit atmenden Arbeitsräume, in denen er sich wie manche seiner Vorgänger durch Aktenberge hätte arbeiten können.

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Kein zweiter europäischer Politiker hielt sich so viel wie er in militärischen Komplexen, bei Manövern, auf Erprobungsplätzen von Waffen, bei Stapelläufen von Kriegsschiffen und in Rüstungswerken auf. Allein die Meldungen, die es erlaubten, seinen Tagesablauf zu verfolgen, hätten verläßliche Schlüsse auf sein politisches Totalprogramm, weltweite Eroberung durch Krieg, zugelassen.

Hunderttausende strömten zu den inszenierten Aufmärschen

Und die Berliner und Hitler? Das Thema harrt noch weiterer Ausleuchtung. Die Bilder von den unter den Hakenkreuzen jubelnden Berlinern geben einen Teil der Wirklichkeit und sind zugleich auf ihre Motive hin zu entschlüsseln. Ja, von den etwa vier Millionen seiner Einwohner sind zu den Aufmärschen und zu den immer wieder inszenierten Spalieren an die Straßenränder Hunderttausende geströmt, nicht anders als in anderen deutschen Städten. Manche dieser Fotografien und der Tondokumente bezeugen eine aufgeregte und hysterisch agierende Masse, denkt man an die durch die Straßen hallenden Rufe »Duce! Duce! Duce!«, die den 1937 Berlin besuchenden italienischen Diktator Benito Mussolini begleiteten, oder vergegenwärtigt man sich die Szenen, die sich abspielten, als die »heimkehrenden« Truppen bewillkommnet wurden, nachdem Frankreich siegreich geschlagen war.

Da drückte sich Siegesbegeisterung, nationalistische Hochstimmung ebenso aus wie Friedenshoffnung, Bewunderung über den »Blitzkrieg«, Erleichterung wegen der geringen Zahl an Opfern, an Toten, Verwundeten, Vermißten, und auch neu gefestigter Führerglaube. Zu solchen Inszenierungen mußten nicht alle Stadtbewohner zusammenströmen, um den gewünschten Eindruck und die beabsichtigten Rückwirkungen zu erzeugen.
     Eine sich seit 1930 unausgesetzt vergrößernde Mehrheit auch der Berliner hatte sich jedenfalls darüber, wer ihre Interessen verfocht und mit welchen Methoden das geschehen könnte, gründlich geirrt.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/2000
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