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Kurt Laser
»Jud Süß« gleichzeitig in 26 Berliner Kinos

Film in der NS-Zeit

Ende 1932, Anfang 1933 erfaßte die Wirtschaftskrise auch die deutsche Filmindustrie in vollem Umfang. Die Massenarbeitslosigkeit hatte zu einer beträchtlichen Verringerung der Besucherzahlen in den Kinos geführt. Von dieser Krise waren in Berlin nicht nur die kleineren Firmen, sondern auch solche Unternehmen wie die Ufa, die größte Berliner und deutsche Filmgesellschaft, betroffen.
     In der Übertragung der Regierungsgeschäfte an Hitler und seine Partei, von der Ufa als nationale Erhebung des Vaterlandes gefeiert, sahen die Filmfirmen eine Möglichkeit, aus dem Tief wieder herauszukommen. In seiner Regierungserklärung am 23. März 1933 zum Ermächtigungsgesetz verkündete Hitler, daß der Film neben dem Theater, dem Rundfunk, der Literatur und der Presse der Erhaltung der im »Wesen unseres Volkstums liegenden Ewigkeitswerte« zu dienen habe.1)
     Die Nationalsozialisten hatten der Filmpropaganda schon vor 1933 besondere Aufmerksamkeit beigemessen. Nach der Übernahme der Regierungsgeschäfte wurden die Bemühungen verstärkt, den Film im Sinne der NS- Politik zu nutzen.

Bereits am 14. Juli 1933 entstand eine Vorläufige Filmkammer, die dann als Reichsfilmkammer im September des gleichen Jahres in die von Joseph Goebbels (1897-1945) geleitete Reichskulturkammer übernommen wurde.
     Doch die Filme, die z. B. im Dezember 1933 über die Leinwände der Berliner Kinos flimmerten, hatten keineswegs überwiegend nationalsozialistische Sujets zum Inhalt. Es waren Steifen wie »Das Lied vom Glück«, »Das verliebte Hotel«, »Des jungen Dessauers große Liebe«, »Stimme der Liebe«, »Es gibt nur eine Liebe«, »Gretel zieht das große Los«, »Inge und die Millionen«, »Keine Angst vor Liebe« oder »Mein Liebster ist ein Jägersmann«.
     Mit rein nationalsozialistischen Filmen hatte nicht einmal die Ufa gute Erfahrungen gemacht. Zwar schätzte Goebbels den unter der Regie von Hans Steinhoff (1882-1945) produzierten Film »Hitlerjunge Quex« als emotional wirksam ein, doch die Ufa- Direktoren wußten es besser. Für sie war dieser Streifen über den Hitlerjungen aus dem Proletarierviertel, den die Roten ermordeten, ein finanzieller Mißerfolg. Daran änderte auch die Mitwirkung des hervorragenden Schauspielers Heinrich George (1893-1946) nichts.
     Trotzdem wird in einem internen Vorstandsschreiben der Ufa eingeräumt: Der Fall »Hitlerjunge Quex« hat ganz deutlich gezeigt, daß die Herstellung eines politischen Filmes - und ein solcher ist er ja wohl unbestreitbar gewesen - auch Vorteile bringen kann.
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Man wird nur, durch Erfahrungen der Vergangenheit gewitzt, derartige Stoffe Hand in Hand mit der betreffenden Stelle der Regierung herstellen müssen, um von vornherein gegen nicht übersehbare politische Eingriffe gesichert zu sein. Doch: Wer sich der Förderung durch den Staat erfreuen will, wird auch das Seine dazu tun müssen, nach seinen Möglichkeiten dem Staate zu helfen, ohne daß dies ein finanzielles Opfer, das nach Lage der Dinge auch für die Ufa nicht mehr zu ertragen ist, zu bedeuten braucht.2)

Hans Albers spielte den harten Frontoffizier

Mit dem Film »Flüchtlinge« glaubte die Ufa dagegen ein gutes Geschäft machen zu können. Der Inhalt entsprach dem neuen Geist, der jetzt in Deutschland herrschte: Eine Gruppe Wolgadeutscher kehrt im Jahre 1928 aus dem Fernen Osten der Sowjetunion unter Führung eines erfahrenen, harten und rücksichtslosen Frontoffiziers, gespielt von Hans Albers (1892-1960), nach Deutschland zurück.
     Am 1. Mai 1934 überreichte Goebbels den Schöpfern dieses Films den Staatspreis. Ein ähnliches Thema behandelte »Ein Mann will nach Deutschland« (1934). Hier führte der bedeutende Theater- und Filmkünstler Paul Wegener (1874-1948) Regie.

In dem von Steinhoff inszenierten historischen Drama »Der alte und der junge König« (1935) stehen der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., verkörpert von Emil Jannings (1884-1950), und die radikale Durchsetzung des Führerprinzips im Mittelpunkt.
     Ähnlich ist es bei dem 1937 mit dem bei der Tobis-Magna- Filmproduktion in Anlehnung an das Drama »Vor Sonnenuntergang« von Gerhart Hauptmann (1862-1946) entstandenen Film »Der Herrscher«. Unter der Regie von Veit Harlan (1899-1964) spielte wiederum Emil Jannings die Hauptrolle. Aus dem Verleger Clausen bei Hauptmann ist im Film ein Industrieboss geworden.
     In den Filmen von Karl Ritter (1888-1977) verbindet sich das Führerprinzip mit den Prinzipien der Überlegenheit der nordischen Rasse. Der Frontsoldat ist der Schöpfer der nationalen Wiedergeburt Deutschlands. Das zeigte sich u. a. in den Filmen »Verräter« (1936) »Unternehmen Michael« (1937), »Urlaub auf Ehrenwort« (1938) und »Pour le mérite« (1938).
     Doch in der Gunst des Publikums standen in der Spielzeit 1935/36 Filme wie »Schwarze Rosen«, ein Abenteuerfilm aus der Zarenzeit, der Operettenfilm »Allotria oder Krach im Hinterhaus«, eine Sittenkmödie von Veit Harlan, in der Gunst des Publikums vorn.
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Später waren es das Remake des »Indischen Grabmals«, die Filme »Heimat«, nach dem Drama von Hermann Sudermann (1857-1928) und »Es war eine rauschende Ballnacht«.3)
     Filme zu produzieren, erfordert erhebliche Kapitalaufwendungen, die in der Regel nur von finanziell leistungsfähigen Firmen aufgebracht werden konnten. So hatten sich schon relativ früh die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und auch Industriekonzerne in das Filmgeschäft eingeschaltet. Doch die Verwertung der Ware - anders sahen die Finanzgewaltigen weder den Film, noch die darin agierenden

Szene aus »Verräter«, Regie Karl Ritter 1937
Schauspieler - barg größere Risiken in sich, als der Verkauf anderer Produkte. Dieses Risiko wollten die Unternehmen von Anfang an minimieren und möglichst auf den Staat, d. h. die Steuerzahler abwälzen.
     Am 1. Juni 1933 wurde daher in Berlin die Filmkreditbank gegründet, über die aus dem Staatshaushalt die Finanzierung der Filmherstellung mit bis zu 70 % des Produktionsbudgets gesichert werden konnte. 1937 finanzierte die Filmkreditbank etwa zwei Drittel aller Filme.4)
Die Bank arbeitete jedoch nur mit mäßigem Gewinn, da die 1937/38 entstandenen reichsmittelbaren Filmunternehmen ihre Filme in der Regel über die 1938 entstandene Film-Finanz GmbH finanzierten.
     Die Bildung der reichsmittelbare Firmen hing mit einer erneuten Wirtschaftskrise der deutschen Filmwirtschaft Mitte der 30er Jahre zusammen. Begonnen wurde mit der Firma Tobis, in Berlin neben der Terra-Film der Hauptkonkurrent der Ufa.
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Die Berliner Firma Tobis-Tonbild- Syndikat war Teil eines internationalen Konzerns, dessen Spitze die Internationale Tobis Matschappij, die sogenannte Intertobis bildete. Da diese Gesellschaft faktisch eine Monopolstellung in Bezug auf Filmpatente hatte, in für die Filmindustrie wichtigen Ländern eigene Tochtergesellschaften unterhielt und an einer Reihe von Gesellschaften beteiligt war, bestand in Deutschland starkes Interesse an der Firma.
     1935 wurde der Erwerb der Aktienmehrheit der Intertobis durch die Cautio Treuhand GmbH in Berlin eingeleitet. Sie kaufte von holländischen Banken zunächst 78 % der Aktien und erhöhte 1938/39 ihren Anteil an der Intertobis auf 97 %.5) »Der ausländische Besitz dieser wichtigen Patente«, schrieb Traub 1943 in seinem Ufa-Buch, »gelangte dank der Zielstrebigkeit der nationalsozialistischen Regierung unter deutsche Verwaltung.«6)
     Der Tobis-Konzern war schon vor 1933 bestrebt, vom reinen Patentlizenzgeschäft (verwaltet von der Tobis Industriegesellschaft mbH) unabhängiger zu werden und die filmindustrielle Basis des Unternehmens auszubauen. Diesem Ziel dienten die Berliner Tochtergesellschaften Rota-Film AG (ab 1936 Tobis-Rota- Film AG) und Tobis- Melofilm GmbH, die sich mit der Herstellung, dem Vertrieb und der Vermietung von Filmen und sonstigen kinematografischen Artikeln, dem Erwerb und Betrieb von Filmtheatern befaßten, an Filmfirmen beteiligt waren und damit
im Zusammenhang stehende Handelsgeschäfte aller Art betrieben. Die Rota unterhielt in Berlin, Frankfurt/ Main, Düsseldorf, Leipzig, Hamburg und München Nebenstellen.
     Aufgabe der Europa-Film- Verleih AG und der Neues Lichtspiel- Syndikat GmbH (NLS) waren die Herstellung, der Vertrieb und Verleih von Filmen, der Verkauf von kinematografischen Artikeln, der Erwerb und Betrieb von Lichtspielhäusern sowie die Beteiligung daran und die dazugehörigen Handelsgeschäfte aller Art. Die NLS hatte neben der Zentrale in Berlin Filialen und Auslieferungsstellen in Hamburg, Düsseldorf, Saarbrücken, Leipzig, Berlin, Königsberg, Frankfurt/Main und München.
     Für den Export und Verleih deutscher Filme ins Ausland wurde am 6. April 1933 die Cinéma Film AG gegründet.
     Die Tobis-Jofa- Tonfilm- Atelier GmbH (Jofa) besaß in Berlin- Johannisthal zehn eigene Ateliers. Im April 1934 kamen zwei Ateliers im Grunewald hinzu. Außerdem kaufte die Jofa im gleichen Monat von der Städtischen Flug- und Luftschiffhafen- Gesellschaft Staaken den Fundus des Staakener Filmateliers. Dem Konzern standen mit diesen Ateliers und den Nachsynchronisierungsräumen die damals modernsten Anlagen der Branche zur Verfügung. Sie wurden in Bezug auf Größe und Fundus zu diesem Zeitpunkt in Deutschland nur von den Ufa- Ateliers in Neubabelsberg übertroffen.
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Was die technischen Einrichtungen betraf, war die Jofa der Ufa sogar überlegen, da die Johannistaler Filmateliers erst 1931/32, die der Ufa aber bereits 1929 eingerichtet wurden. Der Name der Gesellschaft wurde 1934 in Tobis- Atelier GmbH geändert.
     Für das Ateliergeschäft war aber auch die Sascha- Filmindustrie AG von Bedeutung, durch die die Tobis in Wien eine beherrschende Stellung im Ateliergeschäft und in anderen Bereichen der Filmbranche erreichte. Bis Anfang 1934 wurde das Vita- Atelier am Rosenhügel in Mauer bei Wien zu einem der modernsten Tonfilmateliers Europas umgebaut.7)
     Nach der Übernahme der Mehrheitsanteile der Intertobis durch die Cautio Treuhand GmbH wurde

»Der alte und der junge König«, 1935
das Produktionsgeschäft zunächst auf die Tobis- Industrie GmbH (Tiges) übertragen, die dann am 27. November 1937 in die Tobis- Filmkunst GmbH, Berlin, umgewandelt wurde. Gegenstand dieses Unternehmens waren die Herstellung, der Verleih und Vertrieb von Filmen aller Art (Spiel-, Kultur- und Werbefilme und Wochenschauen), die Vermietung von Atelieranlagen und der Betrieb der Kopieranstalt in Berlin- Köpenick. Für den Filmverleih standen die aus der Europa- Filmverleih AG hervorgegangenen Tobis- Filmverleih GmbH und die Syndikat- Film GmbH zur Verfügung, der Auslandsvertrieb blieb bei der Tobis- Cinéma Film AG.
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Zur Tobis- Filmkunst GmbH gehörten weitere Tochtergesellschaften, wie die Degeto Kulturfilm GmbH für die Produktion und den Verleih von Kulturfilmen, die Ross Bromsilber Vertriebs GmbH und die Rotophot Bromsilber Vertriebs GmbH für die Herstellung und den Vertrieb von Filmpostkarten.
     Im Ausland war die Firma beteiligt an der Tobis Filmverleih GmbH in Prag und der Polski Tobis Sp. in Warschau.8)
     Im Zusammenhang mit der Sanierung des Tobis- Konzerns erwarb die Cautio 1937/38 Anteile an der Tobis-Sascha- Filmindustrie AG und an der Tobis-Sascha- Filmverleihund Vertriebs GmbH in Wien. Dabei handelte es sich um Ausgliederungen des Verleih- und Vertriebsgeschäftes aus der Sascha-Film in Wien. Am 16. Dezember 1938, nach dem Anschluß Österreichs, wurde aus diesen Firmen die reichsmittelbare Wien-Film GmbH mit einem Gesellschaftskapital von 400 000 RM gegründet.
     Die Konzentration der deutschen Filmwirtschaft ließ 1937 und in den folgenden Jahren weitere reichsmittelbare, d. h. mit Staatsmitteln arbeitende Firmen, entstehen. Aus den aufgelösten Firmen Terra- Filmverleih GmbH und Tobis-Rota Film Verleih GmbH, der früheren Tobis Rota Film AG, bildete die Ufa am 1. Juli 1937 in Berlin mit einem Kapital von 5 Millionen RM die Terra- Filmkunst GmbH.
     49 % der Aktien gehörten der Cautio Treuhand GmbH, d. h. dem Staat, 51 % der Ufa. Die Terra- Filmkunst GmbH stellte Spiel-, Kurzton- und Kulturfilme her.
Doch die Ufa, die zu 72,5 % dem Verlagskonzern Scherl gehörte, ging ebenfalls an die Cautio über. Alfred Hugenberg (1865-1951) trat die Aktien zum Nominalpreis ab und legte sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender nieder. Seine Stelle nahm der bisherige Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, Staatsrat Dr. h. c. Emil Georg von Stauß (1877-1942), ein, Vizepräsident des Großdeutschen Reichstages, der im Auftrag der Deutschen Bank die Geschicke der Ufa bereits seit ihrer Gründung mitbestimmt hatte. Auch die dem IG-Farben- Konzern gehörenden Ufa- Aktien in Höhe von 2 Millionen RM wurden von der Cautio aufgekauft.9)
     Als weitere staatsmittelbare Firma wurde im Februar 1938 die Bavaria Filmkunst GmbH gegründet. Sie gehörte wiederum der Cautio. Obwohl die Produktion in München blieb, war die Firma dadurch faktisch auch zu einer Berliner Einrichtung geworden, da die Leitung von hier aus erfolgte.
     Die Konzentration ging weiter. Am 2. September 1941 wurde auf Veranlassung von Goebbels die Berlin- Film GmbH gegründet, deren Aufgabe es war, die letzten noch freien kleinen und mittleren Produzenten der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.
     Ab 1. September 1941 durften 17 Berliner Produktionsunternehmen keine Spielfilme mehr herstellen. Einzelne Firmen, wie die Epoche-Color- Film AG, waren noch zugelassen für Kultur- und Werbefilme, oder die Hispano- Film- Produktion GmbH und die Atlas- Filmproduktion für die Synchronisation fremdsprachiger Filme.
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Aufgelöst wurden 18 weitere Firmen, deren Inhaber danach zum Teil als Produktionsleiter bei den reichsmittelbaren Firmen tätig werden konnten. Die Althoff- Ateliers in Babelsberg wurden zur Hauptproduktionsstätte der Berlin- Film, der außerdem noch Ateliers in Amsterdam und Den Haag zur vorrangigen Benutzung zugesprochen wurden. Als Auffanggesellschaft für aufgelöste kleinere Produktionsfirmen fungierte auch die 1942 in Berlin gebildete Mars- Film GmbH.10)

Die Volksunterhaltung hat wichtige Aufgaben zu erfüllen

Das Berlin- Sujet spielte im Produktionsprogramm der Berlin- Film GmbH nur eine untergeordnete Rolle, obwohl sie die Pflegestelle einer bodenständigen Filmkunst sein sollte.11) Die wirkliche Aufgabe dieser Gesellschaft wurde deutlich in einem Schreiben der Berlin- Film vom 21. Juli 1942 an die Althoff- Film- Atelier KG, Potsdam- Babelsberg, mit den Worten umrissen, dass der »deutsche Film in Propaganda, Volksbildung und Volksunterhaltung kriegswichtige Aufgaben zu erfüllen hat. Der Film dient der Stärkung der inneren und der äußeren Front. Der Film ist ein wichtiges Mittel der Propaganda zur Kräftigung des Siegeswillens des deutschen Volkes.«12)
     Sicher wurde hier die kriegsentscheidende Bedeutung des Films überschätzt.

Aber es zeigte sich doch, welche Rolle Spielfilme und Wochenschauen für die Beeinflussung der Bevölkerung spielten.
     Die deutsche Filmindustrie hatte propagandistisch den Krieg mit vorbereitet und unterstützte ihn nun mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln. Dazu zählte auch das unsägliche antisemitische Machwerk der Terra Filmkunst GmbH »Jud Süß« unter der Regie von Veit Harlan. Der Film, in dem auch Heinrich George und Werner Krauss (1884-1959) Hauptrollen spielten, wurde am 24. September 1940 in 26 Berliner Kinos gleichzeitig aufgeführt, nachdem er bereits kurz vorher auf dem Festival in Venedig einen Hauptpreis errungen hatte.
     Vor der jüdisch- bolschewistischen Gefahr warnten auch der Spielfilm »Die Rothschilds« und der als Dokumentarfilm deklarierte Hetzstreifen »Der ewige Jude«, die beide ebenfalls 1940 aufgeführt wurden.
     Haß gegen Polen und Serben wegen angeblicher antideutscher Greuel sollten die Filme »Heimkehr« und »Menschen im Sturm« erzeugen. Antienglische Tendenzen zeigten »Der Fuchs von Glenarvon«, »Mein Leben für Irland« und »Carl Peters«, der ein verfälschtes Bild über den als Hänge-Peters berüchtigten Gouverneur von Deutsch- Ostafrika zeichnete. In »Ohm Krüger« wurden die von den Engländern während des Burenkrieges in Südafrika eingerichteten Konzentrationslager ins Spiel gebracht.
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Den antisowjetischen Streifen »GPU« hatte Karl Ritter, der sein Filmhandwerk sonst durchaus verstand, so dilettantisch inszeniert, daß er als einziger Film dieser Art nicht als politisch wertvoll eingestuft wurde.
     Aber gerade in Kriegszeiten sollten unpolitische Lustspiel- und Revuefilme wie »Operette« (1940), »Münchhausen« (1943), zum 25- jährigen Jubliäum der Ufa mit Hans Albers in der Hauptrolle, oder »Die Frau meiner Träume« (1944) mit Marika Rökk (geb. 1913) Ablenkung bringen. 1942 waren 80 Prozent der aufgeführten Filme reine Unterhaltungsfilme, in den folgenden Jahren stieg dieser Anteil sogar noch.
     Dabei erreichten einige Filme, besonders unter Regie von Helmut Käutner (1906-1980), sogar künstlerisches Niveau. Dazu zählten »Kleider machen Leute« (1940) nach der Novelle von Gottfried Keller (1819-1890), »Romanze in Moll« nach Motiven einer Novelle von Guy de Maupassant (1850-1893) und »Große Freiheit Nr. 7«, der im Reichsgebiet verboten wurde.

Der Superkonzern »Ufi«

Den deutschen Aggressionen folgte die Expansion der Filmindustrie. Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei entstand am 21. November 1941 aus zusammengeraubtem Eigentum der ehemaligen tschechoslowakischen AB Filmfabrikations


Emil Jannings in: »Der Herrscher«, Regie Veit Harlan, 1935

AG die Prag-Film AG. Im November 1941 wurde in Berlin die Zentralfilmgesellschaft Ost gegründet, die für die Filmpropaganda in den besetzten sowjetischen Gebieten zuständig war und Atelieranlagen in Riga, Reval und Kiew mit Beschlag belegte. Als Tochtergesellschaften wurden in Riga die Ostland- Filmgesellschaft und in Kiew die Ukraine- Filmgesellschaft gegründet.13)

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Die wichtigsten Filmgesellschaften im Westen, die von Berlin aus gesteuert wurden, waren die Continental- Films á responsabilité limitée in Paris, die Société Bruxelluise de Cinéma Bruciné in Brüssel und die Ufa- Filmstad N. V. in Den Haag.14)
     Für die Erfordernisse des Krieges reichte die jährliche deutsche Filmproduktion inzwischen nicht mehr aus. Das war der wesentliche Grund für die 1942 erfolgte Neuorganisation der deutschen Filmwirtschaft. Als Dachgesellschaft und Führungsorgan für den am 10. Januar 1942 in Berlin gebildeten Superkonzern fungierte die Ufa-Film GmbH, kurz Ufi genannt. Ihr unterstanden direkt die Produktionsfirmen Ufa- Filmkunst GmbH, Tobis- Filmkunst GmbH, Terra- Filmkunst GmbH, Bavaria- Filmkunst GmbH, Wien-Film GmbH, Prag-Film AG, Berlin- Film GmbH und Deutsche Zeichenfilm GmbH.
     Bei der Universum- Film AG, die der Ufa-Film GmbH unmittelbar unterstellt war, konzentrierten sich jetzt im wesentlichen die wirtschaftlichen und technischen Aufgaben. Sie verfügte über die Ateliers, die Kopieranstalten der AG für Filmfabrikation (Afifa) in Berlin- Tempelhof und der Tobis- Tonbild- Syndikat AG in Berlin- Köpenick, über die deutschen Filmpatente und war für die Kultur- und Werbefilmproduktion zuständig.
Der Universum- Film AG waren u. a. die Deutsche Filmvertriebs GmbH und die für die Filmpropaganda so unerhört wichtige Deutsche Wochenschau GmbH unterstellt, außerdem die Deutsche Schmalfilmvertriebs GmbH (Descheg) mit der Degeto Schmalfilm GmbH, das Tobis- Tonbild Syndikat, die Ufa- Handels GmbH, die den Vertrieb sämtlicher deutschen Filme für das Inland übernahm, während die Auslandsabteilung der Universum- Film AG für den Export der Filme ins Ausland zuständig war. Zum Superkonzern gehörten die Ufa- Buchverlag GmbH, deren Aufgabe es war, eigene Filmromane herauszugeben, die Rotophot Bromsilber Druck GmbH, die Film-Foto- Verlags GmbH, die Bavariaton- Verlag GmbH, München, die Wiener Bohème Verlags GmbH, die Film-Ton- Verlag GmbH und die Berliner Künstlerbühnen GmbH.15)
     Eingegliedert war auch die am 14. November 1941 mit einem Kapital von 10 Millionen RM neugeschaffene Deutsche Filmtheater GmbH in Berlin, der die repräsentativsten Kinos, vorwiegend die der ehemaligen Ufa, zugewiesen wurden. 1943 zählte der Ufa- Konzern 1,2 Milliarden Zuschauer.
     1942/43 war die Verstaatlichung der gesamten deutschen Filmindustrie in einem einzigen gigantischen, in der Reichshauptstadt Berlin angesiedelten Trust abgeschlossen.
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Die deutschen Filmproduzenten konnten ihre Filme voll auf dem einheimischen Markt amortisieren. Durch die Okkupationspolitik bot sich auch die Möglichkeit für den Filmeinsatz in anderen Ländern Europas. Faktisch beherrschte die deutsche Filmindustrie den überwiegenden Teil des europäischen Marktes.
     Doch der Traum von der Weltherrschaft war bald ausgeträumt. Zu den Wunderwaffen, die den Endsieg bringen sollten, gehörte auch der von Veit Harlan gedrehte Durchhalte- Film der Ufa »Kolberg«. Er kostete 8 ½ Millionen Mark. 4 000 Kadetten der Kriegsmarineschule wurden nicht an die Front geschickt, sondern spielten als Statisten in dem Film mit. Es wurden 10 0000 Uniformen genäht, und 6 000 Pferde kamen zum Einsatz. Vielleicht war verdrängt worden, daß die kleine pommersche Garnison Kolberg zwar bis Kriegsende gehalten werden konnte, der demütigende Tilsiter Frieden am 9. Juli 1807 aber die Niederlage Preußens im Krieg gegen Frankreich besiegelte.
     Als der Film »Kolberg« am 30. Januar 1945 in der französischen Festung La Rochelle und in Berlin in einer Doppelpremiere aufgeführt wurde, bereitete die Rote Armee bereits den Sturm auf die Reichshauptstadt vor.

Quellen und Anmerkungen:
1 Zitiert nach: Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films, Band 3. 1934 1939, Berlin 1979, S. 250
2 Bundesarchiv (im folgenden BArch), Filmarchiv (im folgenden FA), Nr. 129, unpaginiert

3 Vgl. Toeplitz, a. a. O., S. 254, 279 f.
4 Vgl. Ludwig Klitzsch, Die Entwicklung der deutschen Filmwirtschaft, in: Jahrbuch der Reichsfilmkammer 1937, Berlin- Schöneberg 1937, S. 169
5 Vgl. BArch, Rechnungshof des Deutschen Reichs (im folgenden RH), Nr. 6984, Bl. 85
6 Hans Traub, Die Ufa. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Filmschaffens, S. 107
7 Vgl. BArch, Deutsche Revisions- und Treuhand AG, Nr. 2683, Bl. 3 f.
8 Vgl. BArch, RH, Nr. 6984, Bl. 86 r.
9 Vgl. ebenda, Bl. 87
10Vgl. Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films, Band 4. 1939-1945, Berlin 1983, S. 225
11BArch, RH, Nr. 6984, Bl. 93 r.
12BArch, FA, Nr. 126, unpaginiert
13Vgl. BArch, RH, Nr. 7037, Bl. 2-8
14BArch, RH, Nr. 6984, Bl. 95, 95 r.
15Vgl. Der Deutsche Film 1942/43. Erste Staffel. Übersicht über die Filmproduktion, Struktur des Filmschaffens in Deutschland. Herausgegeben von der Deutschen Filmvertriebs- Gesellschaft mbH, Berlin, o. J., S. 115; Haus Traub, a. a. O., S. 113 ff.

Bildquellen: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 9/2000
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