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Klaus Duntze
Der Sand soll blühen

Die Gärten Friedrich Wilhelms I.

»Das Kriegsgesetz, ich weiß es wohl, muss herrschen. Aber die lieblichen Gefühle auch!« In jenes Wort im »Prinzen von Homburg«1) hatte Heinrich von Kleist (1777-1811) die preußische Ambivalenz von Kultivierung und Militarisierung gebracht. Die Umsetzung aber in Alltag und Politik unterlag mit erstaunlicher Regelmäßigkeit dem Gegensatz von Vätern und Söhnen: Hatte der Große Kurfürst im Widerspruch zu seinem schwachen, repräsentationsverfallenen Vater in einem Gewaltakt die Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu überwinden begonnen, so kehrte sich Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, König ab 1713) mit äußerster Härte und Konsequenz gegen die Prunksucht seines Vaters, der die Würde eines ,Königs in Preußen2) mit hohen Schulden und politischen Abhängigkeiten erkauft hatte. Noch am Todestage König Friedrichs I. (1657-1713, Kurfürst ab 1688, König ab 1701) strich er den ganzen Hofetat auf ein Drittel zusammen, entließ fast alle Minister und Höflinge, löste Kapelle und Theater auf, ließ Silber einschmelzen, Kunstwerke und Statuen zu Geld machen, verzichtete auf alle königliche Repräsentation;

allein der Königin Sophie Dorothea (1687-1757) beließ er mit dem Schlösschen Monbijou ein Refugium in bescheidenem Luxus. Ein Besessener. Aber besessen von der Aufgabe, das zurückgebliebene, schlecht verwaltete Land mit seinen verstreuten Provinzen und der ungeheuren Hypothek Preußens in einen geordneten, wohnlichen und lebensfähigen Zustand zu versetzen. So schlug das Pendel aus von den lieblichen Gefühlen, die sein Vater und sein Hof ohne Rücksicht auf das Land befriedigte, zum Kriegsgesetz, nicht nur des Sparens und des Zwangs, sondern eben auch des Militärs als der einzigen verlässlichen Größe, ideell wie materiell, die die innere und äußere Sicherheit des viel umworbenen und viel gefährdeten Landes garantierte.
     Nirgends sinnfälliger war dieser Umschwung, dieser radikale Pendelausschlag zu ersehen als in der Planierung der Lustgärten an den Schlössern zu Berlin und Potsdam zu kahlen Exerzierplätzen, ohne Baum und Strauch, nur Sand. Aber selbst unter dieser brutalen Vergewaltigung von Mensch und Natur in den militärischen Drill - der Gleichschritt des alten Dessauers (Leopold I., Fürst von Anhalt- Dessau, 1676-1747), sein Exerzierreglement als die große Errungenschaft! -, selbst unter dieser martialen Begradigung hatte der König Träume, die weit über die im täglichen Exerzieren zur Schau gestellte Nüchternheit hinausgriffen.
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Seine aus allen Landen Europas zusammengepressten »Langen Kerls« waren ihm Göttersöhne, die er, so konsequent wie er sie teuer zusammenkaufte, wohl ausstattete und mit stattlichen Bauernmädchen verheiratete - sie sollten einen neuen Menschenschlag erzeugen, gesund, tüchtig, selbstbewusst und der inneren und äußeren Erneuerung des Landes in unbedingtem Gehorsam hingegeben. Ein Traum - was sonst. Aber ein verräterischer: Dieser arbeitsbesessene, bis zur Brutalität jähzornige Monarch sehnte sich nach einem Paradies auf Erden, in dem auch Kriegsgesetz und liebliche Gefühle versöhnt sein würden unter dem gnädigen Auge Gottes, als dessen erster Diener für Land und Staat er sich verstand.
     Der Weg dahin schien ihm unsagbar schwer, oft unerreichbar weit, doch ihn zu bahnen, seine Untertanen zum Mitgehen, zum Mittun zu zwingen, den höchsten Minister ebenso wie den geringsten Kossäten, ja die Bettler und Marktweiber in den Städten, das war ihm unverrückbare, selbstverständliche Pflicht. Und nichts konnte ihn so sehr erbittern als Pflichtvergessenheit und Lässigkeit bei Beamten, Soldaten, Handwerkern, Bauern. Sie mussten doch sehen, dass das Land diesen unbedingten Einsatz brauchte, sie mussten doch erkennen, dass es ihrem Herrscher in aller Härte und Unerbittlichkeit

König Friedrich Wilhelm I., Stich nach einem Gemälde von Weidemann

 
um nichts anderes ging als ihr Wohl, das Wohl aller! Dass er Schrecken verbreitete, wo er sich auf den Straßen und im Lande sehen ließ, erbitterte ihn so sehr, dass er einen vor ihm Flüchtenden mit Stockschlägen traktiert haben soll unter dem Ruf: »Lieben sollt ihr mich, nicht fürchten!«
     Liebliche Gefühle für einen militärversessenen Despoten? Die Untertanen waren überfordert,

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Fürst Leopold von Anhalt- Dessau, nach einem Standbild von Johann Gottfried Schadow

murrten, wehrten sich, der Adel gegen die Beschneidung seiner Privilegien, der Beamtenstand gegen die Abschaffung der Selbstbedienung im Amt, das Landvolk gegen die Frondienste, die hohen Pachten und die Aushebung der Söhne zum Militär,

die Soldaten gegen den unmenschlichen Drill und die brutalen Militärstrafen, selbst die eigene Familie, die Königin und ihre Kinder, gegen die puritanische, kulturfeindliche Hofhaltung, die den brandenburg- preußischen unter den europäischen Höfen der Lächerlichkeit preisgab. Aber der König gab nicht nach, keinem Stande gegenüber, und sollte Brandenburg- Preußen darüber zur Galeere werden. Zuweilen schien es, dass Friedrich Wilhelm allein für dieses ehrgeizige, aber einzig konsequente Ziel der Landesverbesserung und Modernisierung des Staates eintrat, der Fürst von Anhalt- Dessau vielleicht noch, sein Freund und Militärberater, und einige wenige aus dem Adel und bei den bürgerlichen Beamten, die einsichtig und bereit waren, Gemeinnutz konsequent vor Eigennutz des Standes und der Person zu stellen. »Parohll auf dieser weldt ist nits als mühe und arbeit, und wo man nit selber, mit permission zu sagen, die nase in allen dreck selber stecket, so gehen die sachen nit wie es gehen soll, den auf die meiste bedinte sich nit zu verlassen, wo man nit selber danach sehet.« Und dabei war angesichts der riesenhaften Probleme des Landes keine Zeit zu verlieren - keines der unzähligen Edikte des Königs, das nicht das Cito! Cito! (Schnell! Schnell!) als Vermerk vor seiner Unterschrift trug. Und den Viertelstundenschlag des Potsdamer Glockenspiels ließ er noch halbieren; alle siebeneinhalb Minuten schlug das Werk, schallte der königliche Mahnruf über die Stadt: der Traum vom Paradies verdrängt - Cito! Cito! Keine Zeit, freundlich zu sein.
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Jagdschloss Stern, Gouache, Johann Friedrich Nagel, um 1788
Diese Stadt Potsdam. Ein Fischernest mit einem heruntergekommenen kurfürstlichen Schloss, zwischen Sümpfen und Gewässern, vom König aber ausersehen als Gegenresidenz zum ungeliebten Berlin, als erste Garnison des Landes, als Soldatenstadt vor allem für seine Leibgrenadiere, die göttergleichen Riesen. Ein Kraft- ja Gewaltakt auch dieser Stadtbau.
     Hunderttausende von Eichenpfählen in den Sumpf gerammt, einmal, zweimal, wenn die Wasser sie wieder hochdrückten, das Bassin, den Stadtkanal angelegt zur Entwässerung, das Holländerviertel aus dem Boden gestampft, jedes Haus mit Einliegerwohnung
für einen Grenadier, das riesige Militärwaisenhaus, die Garnisonkirche gleich zweimal (die erste trug der schwankende Boden nicht), die Stadtmauer als Akzisegrenze und Desertationswehr, nach einigen Jahren wieder abgerissen, um neue Stadtviertel vor die alten zu schieben, das Jägertor als einer der wenigen Schmuckbauten, und jeden Morgen in der Frühe die Trommeln vor dem Schloss, as Exerzitium der Grenadiere: »Gleichschritt! Gleichschritt! Rasches Feuern! Geschwindes Laden! Geschlossen anschlagen! Wohl antreten! Wohl ins Feuer sehen! Alles in tiefster Stille!«
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Das Jägertor in Potsdam, D. Degen um 1735
Später, als die früh rekrutierten Bauernkinder in seiner Armee heimisch geworden waren, als die große Heerschau auf dem Tempelhofer Feld die Früchte seiner Anstrengungen glänzend sichtbar machten, flossen die Visionen ihm zusammen: »Die Eichen und die Lorbeerbäume Arkadiens und die Lebensbäume aus dem Garten Eden hätten an den breiten Wegen stehen müssen, die seine strahlenden Kohorten durchzogen. Aber eben, weil nur Birken und Kiefern und Wacholderbüsche über die Felder von Tempelhof verstreut waren, eben weil er der König des Sandes war, hatten seine Fürstenaugen jenes Göttergeschlecht von der armen Erde der Mark Brandenburg begehrt und das Gebot daraus gelesen, dass unter den Händen der Könige der Sand beginnen müsse zu blühen.«
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Diese Stadt Potsdam. Sie brauchte Menschen. Nicht nur Soldaten, auch Handwerker, vor allem für den Bedarf der Armee, Tuchmacher, Büchsenmacher, Kanonengießer, Händler. Und Lebensmittel aus dem Umland. Der Motor Armee drängte auf die Verbesserung der Erträge, machte die Kultivierung des Landes, die Kolonisierung der Brachen und wüsten Marken zur Notwendigkeit. Preußische Werber suchten in ganz Europa nach Fachleuten aller Handwerke und der Landwirtschaft; Brandenburg und vor allem die Provinz Preußen wurden zum Schmelztiegel aller Völkerschaften, Sprachen und Konfessionen, überschattet, umfangen, eingebunden in das alles umfassende Ziel: Der Sand soll blühen und neue, gesunde, glückliche Menschen tragen. Potsdam, die neue Stadt, als Vorbild und Experimentierfeld: »Er aber wollte das Faule, das Träge, das Tote vernichten, und aus dem drohenden Sumpf sollte ihm der blühendste und schönste Teil der neuen Stadt erstehen: lichte, große, ja festlichere Häuser denn zuvor in einer lieblichen Plantage. Nun durften wieder Gärten sein in Brandenburg. Nun forderte die Vollkommenheit des Bildes das erste, starke Blühen von dem todesschwangeren Grunde. Und solche Forderungen stellte er, der die unzähligen Statuen von Sandstein in den Gärten seines Vaters verwittern und zerbröckeln und die Zierteiche verschilfen ließ; er, der für die Erhaltung der aus den Wipfeln geschnittenen Tore und Ehrenpforten nicht sorgte und nicht danach fragte, dass die prächtigen, für die Gartenwagen aufgeschütteten Dammwege vergingen.«
     Unbescheidene Träume eines bescheidenen, für seine Person so bedürfnislosen Monarchen.
Haupttruppenparade auf dem Tempelhofer Feld, Schaumünze, Peter Werner, 1733
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Die vertriebenen Salzburger
 
sondern ein blühendes und ertragreiches Mustergut, darin fruchtbarer als die Stadtschlösser, die immer nun auch mehr nützlichen statt repräsentativen Zwecken dienen mussten: moderne Hofapotheke und Sitz der neu geschaffenen Zentralbehörde, des »General- Ober-Finanz- Kriegs- und Domänen- Direktoriums« im Berliner Schloss, Wache und Militäreinrichtungen in Potsdam. Und seinen gelangweilten oder auch schockierten Gästen zeigte der König mit Stolz seinen Küchengarten in Potsdam, den er »Marly« nannte
Ein einziges Schloss hat er gebaut, kaum ein Schlösschen zu nennen, das Jagdschloss Stern am Wegestern in der Parforceheide unweit von Drewitz. Im holländischen Stil, könnte Vorbild für die Bürgerhäuser des Holländischen Viertels in Potsdam sein, ein kleiner Saal, eine Küche, ein paar Schlafkammern, ein Abtritt auf dem Hof, ein Jagdschloss, kein Lustschloss, wie es Könige vor, neben und nach ihm sich bauen ließen; für die Bauhütte hielt man es, der Schlossbau müsse nun noch folgen. Friedrich Wilhelms Naturverbundenheit war derber als höfische Gartenlust und Schäferseligkeit: kaltes Wasser am Morgen, wofür er die Wasserkünste der aufgelassenen Lustgärten in die Schlösser leiten ließ, derbes Essen und Trinken, und vor allem die Jagd auf alles, was floh und flog. Doch sein Sommersitz Königs Wusterhausen war mehr als ein Jagdschloss, kein wüstes Haus mehr, nach des großen Ludwigs von Frankreich Vorbild - ihm waren seine Kohlköpfe, Radieschen und jungen Obstbäume lieber und wichtiger als Bosketten aus Buchsbaum, zu Figuren geschnittene Bäume und Hecken, Springbrunnen, Statuen und Tulipane.
     Den Menschen Heimat zu geben war das Ziel. Aber kann man ein Paradies mit Gewalt verordnen, Glück verschreiben und erzwingen? Ost- Preußen, die königliche Provinz, war in einem desolaten Zustand: von Naturkatastrophen gezeichnet, von den Tataren ausgeraubt, von der Pest gewürgt, von der Habgier des Adels und der Verwaltung zum nackten Elend heruntergewirtschaftet - Friedrich Wilhelm sah sich in der Pflicht, dem Lande aufzuhelfen, es wieder bewohnt und fruchtbar zu machen wie ehedem unter den Herren des Deutschen Ordens.
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Das »Retablissement«, die Sanierung Preußens, kostete ihn nicht nur schlaflose Nächte und Millionen seiner sauer zusammengesparten Taler; Rückfälle durch Überschwemmungen, Dürren und Missernten ließen ihn an dem Erfolg immer wieder fast verzweifeln, auch und vor allem aber die Dumpfheit, Müdigkeit und Uneinsichtigkeit der übrig gebliebenen Bewohner erregten immer wieder seinen doch so ohnmächtigen Zorn: Wenn sie sich weigerten, die besseren Techniken der Landbebauung und der Viehzucht anzuwenden, die der König mit Neusiedlern und deutscher Verwaltung nach Preußen brachte, und statt dessen eigensinnig an den althergebrachten Bräuchen festhielten.
     Erst die Ansiedlung Tausender von Glaubensflüchtlingen aus dem Salzkammergut, die der Erzbischof von Salzburg ohne Hab und Gut aus dem Lande jagte, brachte einen spürbaren Fortschritt in der Gesundung des Landes, aber auch dieser teuer mit Menschenleben erkauft. Denn die traditionsbewussten Bergbauern aus der Steiermark taten sich schwer in diesen schwermütigen Landstrichen von Litauen, Tilsit und Memelland. Bei aller Privilegierung gegenüber den Einheimischen - Verzicht auf Pacht und Frondienst für viele Jahre, Garantie ihrer Bräuche und ihrer Konfession, Freistellung vom Militärdienst, Beihilfen zum Hausbau und zur Anschaffung von Geräten und Vieh - war der Aufbau der eigenen Existenz doch von unerwarteter Härte.
Und der gastfreundliche König schenkte ihnen nichts von den vertraglich festgelegten Pflichten. Erst nach zehn Jahren und mehr war der Erfolg zu spüren, waren auch die Adligen in die Pflicht genommen, wurde »das Preußische« zum Synonym für Ordnung, Pflichtbewusstsein und Gehorsam. Getreuer Helfer wiederum der Freund Leopold von Anhalt- Dessau, der als Landwirt in Preußen die Herrschaft Bubainen und Norkütten zum Mustergut und Lehrstück für erfolgreiche Bewirtschaftung aufbaute. Auch das Gestüt Trakehnen wurde in Weiterführung der landeseigenen Pferdezucht zu einer bald weltberühmten Musteranstalt, für die der König sich nicht scheute, sein gutes Geld auszugeben; später schenkte er Trakehnen dem Kronprinzen als Anerkennung und Ansporn, das ferne Preußen auch zu seiner, des zukünftigen Königs Anliegen zu machen. Ostpreußen, das nur mühsam aus tiefstem Elend zu gewinnende, das schwermütig- herbe Paradies wurde Friedrich Wilhelm zur tiefsten Bestätigung seines königlichen Auftrages, Land und Menschen zu mehren. Die anstelligsten Mägde von seinen Domänen holte er zur Ausbildung als Bäuerinnen in seine Mustergüter, stattete sie mit einem reichen Brautschatz aus, förderte Werbung und Heirat, schuf neue Siedlerstellen und verpflichtete die Brautleute, sechs Obstbäume um ihr Anwesen zu pflanzen und einen Waldpfennig an den Schulzen zu entrichten, um die Aufforstung zu fördern.
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Bedürftigen jedoch wurde er erlassen: »Denn ich will lieber ein Prämium setzen, dass sie heiraten, als sie, weil sie heiraten, Geld geben lassen.« »Menschen achte vor den größten Reichtum«, schrieb er in seinem dem Thronfolger gewidmeten politischen Testament.

Der Thronfolger

Zwei Söhne waren dem König gestorben, bevor Friedrich (1712-1786, König ab 1740) zur Welt kam; der Dritte wurde der Erste. Und entsprach, je älter er wurde, doch immer weniger den Erwartungen, Hoffnungen und Forderungen seines Vaters. Der sah nur die Pflicht, die Aufgabe, die sein Vermögen überstieg und die ihm ohne einen gleichgesinnten Nachfolger von sündhafter Vergeblichkeit schien - wozu hatte er Land und Leute bis aufs Blut geschunden, wenn nicht für Brandenburg- Preußens Aufstieg, Wohlfahrt und Sicherheit? Wo doch jeder Blick in die Geschichte des Landes und des Herrscherhauses lehrte, wie schnell die mühsamen Errungenschaften vertan sind von schwachen Herren und pflichtvergessenen Knechten! All die Mühe, die eigene wie die des Landes, darf nicht umsonst gewesen sein; der König kann nicht mit gutem Gewissen vor seinen himmlischen Richter treten, wenn er das Regiment nicht in guten Händen zurückgelassen hat.

Dem Sohn, dem Thronfolger, gilt seine Sorge, all die Härte, mit der er ihn erziehen lässt, die Ausbrüche dem so anders Gearteten gegenüber, die verzweifelte Brutalität, mit der der Vater die Einsicht, wenigstens den Gehorsam des Sohnes erzwingen will, die drakonischen Strafen, mit denen er den Fluchtversuch des Thronfolgers an ihm und seinen Helfern ahndet, sie sind der verzweifelten Hoffnung geschuldet, dass der Sohn den Vater versteht, sein Werk anerkennt, es annimmt und weiterzuführen bereit wird. Die Haft in Küstrin, die Hinrichtung des Freundes Katte, die anzuschauen Friedrich gezwungen war, der Verwaltungsdienst »von der Pike auf«, schließlich die Wiedereinsetzung in sein Offizierspatent und das Kommando über die Neuruppiner Garnison haben den Sohn dem Vater langsam zugewendet, dem Vater die Möglichkeit gegeben, den Sohn nach vorsichtiger Versöhnung mit wachsender Großzügigkeit zu bedenken: dem Kronprinzen zu gestatten, das Schlösschen Rheinsberg als die eigene Welt zu gestalten, Hof zu halten mit der ihm verordneten Frau und den Freunden seiner Wahl, Idylle und Atempause vor dem Aufgehen in der Herrscherpflicht. Rheinsberg, Remusberg, Traumwelt, Paradies von des Vaters Gnaden, von Friedrich Wilhelm erkauft durch eigenen Verzicht.
     Aus der Leidenschaft für sein Land, aus der Sorge um seinen Bestand war der Konflikt mit dem so anders gearteten Sohn Friedrich erwachsen.
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   33   Probleme/Projekte/Prozesse Der Sand soll blühen  Voriges BlattNächstes Blatt

Die Remusinsel im Park von Rheinsberg
Unter dieser verzehrenden Leidenschaft und Sorge hatte sich auch des Königs Gesundheit und Spannkraft verzehrt. Müde geworden in seinen Pflichten, trug er sich mit dem Gedanken an Demission und Rückzug nach Holland, seinem Traumland von Jugend an, seinem bürgerlichen Arkadien.
     Ein Abschnitt in Jochen Kleppers Roman »Der Vater« verdeutlicht die Spannung von Sehnsucht nach Ruhe und Verzicht um des Sohnes willen: »Er wollte abdanken und nach Holland gehen. Er hatte ein Haus in
Hoenslardyck gekauft ... Er hielt es nicht mehr aus, den Dienst zu tun im Angesicht des Königs von Preußen3), der kein Erbarmen über Müdigkeit und Schmerzen kannte. Er vermochte nicht mehr zu ertragen, was aus der Qual, der Überreiztheit immer wieder folgte: der Zorn, das Misstrauen, die ohnmächtige Verzweiflung! Darüber würde er seine Seele verlieren! ... Er hatte ein holländisches Herz von Jugend auf. Er wiederholte diese erste Reise seiner Jugend und kaufte das Haus in Hoenslardyck.
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   34   Probleme/Projekte/Prozesse Der Sand soll blühen  Voriges BlattNächstes Blatt
Sobald die Zeit wiederkäme, in Wesel die Dreijahresrevue abzuhalten, sollte vorher der Befehl an seinen Gesandten nach dem Haag ergehen, den heute schon eingeschickten, aber noch versiegelten Umschlag für die Renovation des Alten Hofes im Haag - der sollte die Winterwohnung werden - und des Hauses in Hoenslardyck ausführen zu lassen. Nach der Revue wollte er dann vor die Front hintreten, die Abdankung auszusprechen und Besitz und Regierung an seinen Sohn zedieren …der letzte (Anlass zu diesem Entschluss): Mein Sohn hat einen Hof; den habe ich ihm geschenkt; dort weiß ich ihn gern. Aber sie säen Zwietracht und Verdacht zwischen seinen Hof und meinen Hof. Ich habe keinen Anlass zum Verdacht; von Rheinsberg gehen keine Briefe in die Welt; es kommen keine fremden Gesandten auf das Schloss meines Sohnes. Ich schüttle die Verleumder ab - bis sie wieder an meinem Bette bei mir stehen, wenn ich unsäglich leide. Und ich werde wieder leiden, mehr und mehr, und den Verleumdern immer wieder Glauben schenken. Ich muss gehen ...
     Auf der Wende vom Spätsommer zum Frühherbst war das Kronprinzenpaar voraus nach Rheinsberg gegangen, den König und die Königin dort zu empfangen und erstmalig zu bewirten. Obwohl der König von der zwölf Meilen langen Fahrt ungewöhnlich angestrengt war, ließ er sich doch alles, was nun überhaupt nur noch zu sehen war, sogleich am Abend seiner Ankunft zeigen;
so freudig war er überrascht, welch völlige Veränderung mit dem verfallenen Schloss, dem verwilderten Garten und dem armseligen Fischerflecken am Grienericksee vor sich gegangen war. Allüberall hielt König Friedrich Wilhelm Umschau. Ah, dies also war der zweite Turm, der Klingenberg? Ausgezeichnet, ausgezeichnet, welches Ebenmaß sich nun ergab! Und der Turm fand wirklich Verwendung? Ein Observatorium kam unter sein Dach? Und ins mittlere Stockwerk ein Rundsaal für physikalische Instrumente; dazwischen eine kleine Druckerei? Ein außerordentlich bemerkenswerter Turm! So ging es mit Fragen und staunenden, anerkennenden Rufen.
     ... die Gärten, die sie (die Kronprinzessin) anlegen dürfe. Gleich führte sie den Herrn Vater hierhin und dorthin. Schöne, klare, große Blumen, sorgsam behütet, leuchteten unterhalb eines lichten Säulenganges von attischer Anmut am Ufer des Sees. Der leichte Nebel über dem Schilf war lind und ohne Kühle. Auf dem klaren, zitternden Wasser lagen am Steg die beiden schönen Lustschiffchen, von dem jungen Schlossherrn für solche Gäste erbaut, die an einer Wasserfahrt auf seinem See Vergnügen fanden und dann im Walde Bubero am jenseitigen Ufer sich ergehen wollten. Die Gärten, die sich längs des Sees erstreckten, hätten aber ihre Vollkommenheit noch nicht erreicht; sie wären erst seit gar zu kurzem angelegt und weithin noch Entwurf.
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Vom Morgen bis zum Abend begegnete dem König auf allen seinen Wegen in Rheinsberg immer wieder ein >Hoenslardyck< seines Sohnes! Und aus tiefstem Herzen leistete er den völligen Verzicht auf seinen Traum, damit es noch erhalten bliebe, das Haus der ernsten Studien, der Gastlichkeit und der vertrauten, bergenden Nähe: das Haus, in dem der junge Fürst, die junge Fürstin sich auf ihr Amt bereiteten, ein Amt von grenzenloser Weite und Schwere. Der Vater gönnte dem Sohn vor dem Antritt seiner Königsherrschaft die freundliche Flucht, die er sich selbst nach einem Vierteljahrhundert seines Herrscheramtes versagte, nach einem Vierteljahrhundert, das ihn die Worte sprechen lehrte: ,Ein König muss mehr leiden können als andere Menschen.4)«
     Rheinsberg musste noch sein; und darum musste Hoenslardyck versinken. Rheinsberg erschien ein noch kaum begonnenes Bild; noch waren Rheinsbergs Gärten nur Entwurf, und die herbstliche Erde wurde erst fürs kommende Frühjahr bestellt. Hoenslardyck aber war im Bild völlig durchlebt, bis hin zu den Vespern im alten Hof und zu den Gastmahlsgesprächen, zu denen der Schaffner kluge und erfahrene Leute aus der ganzen Gegend an die Tische unter mächtigen Bäumen holte.«
     Soldatenkönig? Als »Wirt in Preußen« hat er sich gesehen, Hausvater, absolutistisch gewiss, aber voll brennender Liebe für sein Land. Keine Zeit, kein Raum für die lieblichen Gefühle, die doch verschlossen in seinem Herzen, in seinen Träumen gegenwärtig waren.
Seinem Sohn, dem endlich gewonnenen, übergab er die sorgsam bereiteten Morgengaben für eine glücklichere, eine blühende Zukunft: geordnete Verwaltung, statt Schulden einen reichen Staatsschatz und die formidable Armee5) als Instrument der Sicherung und des Friedens - nur gerechte Kriege solle der Nachfolger damit führen, um sich Gottes Segen nicht zu verscherzen. Aber was sind gerechte Kriege? Für ein Land zwischen Großmächten, für einen König gelten andere Gesetze. Friedrich Wilhelm, der sein privates Arkadien dem Sohn, dem Nachfolger, opferte, blieb der Traum für sein Land, blieb die Hoffnung: Der Sand soll blühen.

Quellen:
1 Gerd Heinrich, Geschichte Preußens. Frankfurt/M., Berlin, Wien 1984, S. 146
2 Jochen Klepper, Der Vater, Stuttgart, Hamburg,
o. J. S. 197
3 Jochen Klepper, a. a. O. S. 640 f.
4 Jochen Klepper, Der Vater, a. a. O. S. 409
5 Reinhold Schneider, Die Hohenzollern, Frankfurt/M., Hamburg 1958, S. 66
6 Jochen Klepper, a. a. O. S. 768 ff. Bildquelle: Eduard Vehse, Illustrierte Geschichte des preußischen Hofes, Bd. I, Stuttgart 1901;
Mit freundlicher Genehmigung: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin- Brandenburg (Abb. 3 und 4)

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/2000
www.berlinische-monatsschrift.de