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Karl Lärmer
Johann Kunckel, der Alchimist von der Pfaueninsel

In dem Maße, in dem die Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft unterhöhlt und schließlich ersetzt wurde, Reichtum sich nicht mehr vor allem in Grundeigentum, sondern zunehmend in Gold und Geld manifestierte, erhöhte sich das Interesse der Herrschenden an der Alchimie. Schienen doch Alchimisten in der Lage zu sein, mit Hilfe des Steines der Weisen nicht nur das Lebenselixier zu brauen, sondern unedle Metalle in Edelmetalle zu transmutieren. Edelmetalle wurden im Frühkapitalismus, also zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, nicht zuletzt durch die Entstehung selbst interkontinentaler Märkte zu einem unverzichtbaren Wirtschaftsinstrument. Alchimisten waren deshalb an europäischen Fürstenhöfen begehrt. Natürlich gab es unter ihnen eine Vielzahl von Scharlatanen. Doch alle bedeutenden Chemiker dieser Zeit, auch Johann Kunckel (um 1638-1703), glaubten an die Möglichkeit der Transmutation.1 Selbst der aufgeklärte preußische König Friedrich II. (1712-1786, König ab 1740), gab noch 1751 10 000 Taler für Transmutationsversuche aus.

Die Potentaten strebten nach Wegen, die es ihnen auf scheinbar einfache Weise gestatteten, jene Mittel zu erlangen, derer sie bedurften, um die wachsenden Staatsausgaben, zu denen auch die des Hofes zählten, zu bestreiten. Die Tätigkeit von Alchimisten führte aber auch dazu, dass ihre Arbeitsergebnisse zum Teil der technologischen Weiterentwicklung dienten, so u. a. in der Metallurgie, in der Färberei, in der Porzellan- und Glasproduktion. Es waren Alchimisten, die z. B. Verfahren zur Produktion von Schwefelsäure, von Ammoniak oder des Berliner Blaus aufspürten. Deshalb schrieb 1865 einer der großen Chemiker des 19. Jahrhunderts, Justus von Liebig (1803-1873), u. a.: »Unter den Alchimisten befand sich stets ein Kern echter Naturforscher, die sich in ihren theoretischen Ansichten häufig selbst täuschten, während die fahrenden Goldköche sich und andere betrogen.«2 Liebig nannte in diesem Zusammenhang drei Namen: Johann Rudolf Glauber (1604-1668), der sich um die Entwicklung von Schmelzöfen verdient machte, den Porzellantechniker Johann Friedrich Böttger (1682-1719) und den Glastechnologen Johann Kunckel. Ihre Leistungen, so Liebig, können »den größten Entdeckungen unseres Jahrhunderts gleichgestellt werden«.3
     Die Alchimie wurde vom Hochadel aus ökonomischen Erwägungen gefördert und von der feudal- klerikalen Ideologie begünstigt.
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Man glaubte an Wunder, an Zauberei und Hexerei ebenso wie an die Wunderkraft z. B. von Reliquien. Dieser Glaube bewirkte allerdings oft genug, dass Alchimisten gefährlich lebten. Hatten sie sich in die Hände eines Herrscherhauses begeben, so mussten sie damit rechnen, isoliert, bewacht, kontrolliert und bei Erfolglosigkeit unter Umständen bestraft zu werden. So ließ die österreichische Kaiserin Maria Theresia (1717-1780, Kaiserin ab 1740) einen Alchimisten foltern, um ihn zur Preisgabe des vermeintlichen Geheimnisses zu zwingen.4 In anderer Weise gewalttätig verfuhr der sächsische Kurfürst August der Starke (1670-1733, Kurfürst ab 1694) mit dem Alchimisten Böttger. Er ließ ihn auf die Festung Königstein bringen und unter militärischer Bewachung experimentieren. Er drohte Böttger mit der Todesstrafe, wenn es ihm nicht gelänge, Gold zu machen. Böttger konnte seinen Kopf retten, da es ihm 1707 glückte, das erste weiße Porzellan, auch weißes Gold genannt, in Europa herzustellen.5 So gesehen war die Behandlung des Goldmachers Kunckel am sächsischen Hof ausgesprochen gnädig. Kunckel, Sohn eines Alchimisten und Hüttenmeisters, diente seit 1659 als Alchimist und Apotheker am Hof des Herzogs von Sachsen- Lauenburg und erwarb in dieser Zeit durch Reisen u. a. nach Venedig, der ehemaligen Hochburg der europäischen Glasmacherkunst, erste Einblicke in die Technologie der Glasmacherei.
Johann Kunckel von Löwenstern

 

Um 1670 übernahm er die Leitung des Kurfürstlichen Laboratoriums in Dresden.6 Hier befasste er sich u. a. mit dem Problem der Transmutation. Als er allerdings 1677 das ihm zugesicherte Jahresgehalt von 1 000 Talern anmahnte, meinte der Kurfürst: »Kann Kunckel Gold machen, so bedarf er keines Geldes, kann er solches nicht, warum sollte man ihm Geld geben?«7

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Die Pfaueninsel, gezeichnet von Loeillot, um 1830
Kunckel zählte zu jenen Alchimisten, die sich nicht einseitig auf Transmutationsversuche konzentrierten, sondern ihre Fähigkeiten der gewerblichen Entwicklung nutzbar zu machen suchten. Seine Stärke lag auf dem Felde der Glastechnologie. Nach seinen Dresdner Erfahrungen folgte er gewiss gern dem Ruf des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1620-1688, Kurfürst ab 1640), nach Brandenburg zu kommen.8 Rubinglas von der Pfaueninsel

Als Kunckel im August 1678 in der Drewitzer Glashütte die Arbeit aufnahm - diese Hütte stellte als Einzige auch schon Kristallglas her - bestanden daneben lediglich in Marienwalde (Neumark), in der Reginthinischen Heide bei Marienwalde und in Grimnitz kurfürstliche Glashütten, die allerdings nur einfaches Glas zu produzieren vermochten.9

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Die Neubelebung bzw. Gründung dieser Glasmanufakturen nach dem Dreißigjährigen Krieg war der Initiative Friedrich Wilhelms geschuldet. Er versuchte auch so, die immer noch nicht überwundenen ruinösen Folgen des Krieges zu dezimieren. Gleichzeitig konnte er dadurch den Glasbedarf des Hofes und für die von ihm ins Werk gesetzten Schlossbauten etc. decken, denn der Hof musste kostenfrei beliefert werden. Diese Gründungen bildeten ein Stück merkantilistischer Wirtschaftspolitik, die u. a. darin bestand, einheimische Rohstoffe im Lande zu verarbeiten und möglichst viele Fertigerzeugnisse zu exportieren bzw. Importe zu minimieren. Flankiert wurde diese Zielsetzung durch seit 1656 mehrfach erneuerte Glasimportverbote, um besonders der existenzbedrohenden Konkurrenz aus Böhmen zu begegnen.10
     Die Voraussetzungen für die Glasproduktion waren in Brandenburg günstig. Holz bzw. Holzkohle zum Beheizen der Schmelzöfen gab es ebenso wie die Rohmaterialien Sand, Quarz, Kiesel, Glasscherben etc. Soda konnte durch das Verbrennen von Strandpflanzen und Teilen anderer Pflanzen gewonnen werden. Die für die Farbgebung des Glases notwendigen Ausgangsstoffe wie z. B. Braunstein, Kupfer- und Eisenoxide oder auch Kobaltoxide waren beschaffbar. Die Anwerbung versierter böhmischer Glashüttenmeister stieß auf keine Schwierigkeiten.11
Hatte der Große Kurfürst bis zum Ende der 70er Jahre des 17. Jahrhunderts die Glasproduktion schlechthin gefördert, so begann er sich nun in besonderer Weise der Herstellung hochwertigen Glases anzunehmen. Folgerichtig verpachtete er seine in der Provinz gelegenen Glashütten an Private. Davon ausgenommen blieb nur jener Betriebsteil der Drewitzer Hütte, in dem Kristallglas hergestellt werden konnte. Zum Leiter bestellte Friedrich Wilhelm gegen ein Jahresgehalt von 500 Talern Kunckel. Als 1679 am Hakendamm in Potsdam eine weitere Kristallglashütte den Betrieb aufnahm, wurde die Leitung wiederum Kunckel, der in der Folgezeit zum Teilhaber und schließlich zum Pächter aufstieg, übertragen. In dieser Schaffensperiode gelang es Kunckel, das grundsätzlich schon bekannte Verfahren der Rubinglasproduktion technologisch umzusetzen.12 Dadurch schuf er ein Glas, das in Brandenburg als Luxusartikel ebenso gefragt war wie als Exportgut. Zum anderen veröffentlichte er 1679 unter dem Titel »Ars vitraria experimentalis oder die vollkommene Glasmacherkunst« ein Buch, das das erste seiner Art im deutschen Sprachraum war und bis in die Neuzeit als Standardwerk galt.
     Die Wertschätzung, die Friedrich Wilhelm der Arbeit Kunckels entgegenbrachte, fand ihren Ausdruck u. a. in der Verleihung des Titels Geheimer Kammerdiener und dem damit verbundenen Salär.
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Darüber hinaus schenkte er ihm 1685 die heutige Pfaueninsel zum Aufbau einer Rubinglashütte und eines geheimen Labors. Dadurch wurde die Produktionskapazität für hochwertiges Glas im Lande erhöht. Zum anderen erhielt Kunckel die Möglichkeit, wie es in der Schenkungsurkunde heißt, »ungestört und unbeobachtet« experimentieren zu können.13 Die Wahl der Insel als Standort der Glashütte kann natürlich mit Geheimhaltungsabsichten zu tun haben. Es ist aber denkbar, dass man einfach dem Beispiel ausländischer Städte folgte, die wegen der von Glashütten ausgehenden hohen Brandgefahren Hütten außerhalb der Stadtmauern bzw. von Wohnzentren anzusiedeln pflegten.
     Auf den Geheimhaltungsaspekt deutet hin, dass das Betreten bzw. Verlassen der Insel unter Strafe gestellt wurde. Ausgenommen von diesem Verbot war natürlich der Kurfürst. Er suchte oft die Insel auf, nicht nur, um sich über den Fortgang der Arbeiten Kunckels zu informieren, sondern um selbst zu experimentieren. Auch Kunckel konnte die Insel verlassen, denn er ließ Rubinglas nicht nur in der Hütte der Pfaueninsel, sondern auch in der Kristallglashütte am Potsdamer Hafendamm, deren Leiter er war, produzieren. Außerdem besaß Kunckel ein Wohnhaus in der Berliner Klosterstraße, etwa dort, wo sich heute die Parochialkirche befindet.
     Bestand für Kunckel Bewegungsfreiheit, so wurden seine Arbeitskräfte isoliert.
Damit seine Leute, wie das in einer Urkunde nachlesbar ist, »nicht gezwungen seien, des Backens und Brauens, des Mahlens und Schrotens halber, die Insel zu verlassen«, war Kunckel gehalten, auf der Pfaueninsel eine Windmühle, eine Bäckerei, eine Brauerei und eine Branntweinbrennerei einzurichten.14 Wenn Kunckel relativ schnell zu einigem Wohlstand gelangte, so nicht zuletzt deshalb, weil er von allen Diensten und Abgaben befreit war, finanzielle Zuschüsse von Friedrich Wilhelm erhielt und ihm ein Produktions- und Verkaufsmonopol für Rubinglas eingeräumt worden war.15
     Zu den Leistungen Kunckels auf der Pfaueninsel gehörten neben der Einführung der Rubinglasproduktion vor allem seine Experimente mit Metalloxiden, um farbiges Glas herstellen zu können. Auch dies gelang. Dadurch wurde es möglich, buntes Zier- und Gebrauchsglas, darunter Glasperlen, zu produzieren. Zu den Käufern der Glasperlen zählte u. a. die Brandenburg- Guineasche Compagnie, die die Perlen zu ihren afrikanischen Niederlassungen bringen ließ, um sie dort im Handel mit der einheimischen Bevölkerung als Zahlungsmittel zu nutzen.16 Nicht minder wichtig war, dass es Kunckel vermochte, eine klare, leicht zu bearbeitende Glasmasse in einer Qualität herzustellen, die in der Güte den böhmischen Erzeugnissen entsprach. Er befreite dadurch die märkische Glasproduktion von einem diesen Wirtschaftsteil erheblich belastenden Problem.
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Wenn märkisches Glas nun auch Weltruf zu erlangen begann, die Exportfähigkeit deutlich stieg, so hatte Kunckel dazu einen maßgeblichen Beitrag geleistet.
     Dennoch ging in der zweiten Hälfte der 80er Jahre des 17. Jahrhunderts der Aufstieg Kunckels in Brandenburg seinem Ende entgegen. Im Mai 1688 starb der Große Kurfürst. Kunckel verlor dadurch seinen naturwissenschaftlich- technisch interessierten Förderer, einen Mann, der die Produktion von hochwertigem Glas nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch als Freund des Schönen finanziell unterstützt hatte. Es handelte sich dabei um Gelder, wie Friedrich Wilhelm gesagt haben soll, die er vorher am Spieltisch und für Feuerwerke vertan hatte.17
     Im Mai des folgenden Jahres brannten Kunckels Glashütte und sein Laboratorium bis auf die Grundmauern nieder. Er war wirtschaftlich ruiniert. Dazu kam, dass ihm wegen angeblicher Veruntreuung ein Prozess gemacht wurde. Wenn ihm auch keine Schuld nachgewiesen werden konnte, so fiel er dennoch bei dem Nachfolger des Großen Kurfürsten, bei Friedrich III. (1657-1713, Kurfürst ab 1688), in Ungnade. Als Kunckel nach dem Tod Friedrich Wilhelms von Beratern Friedrichs III. gefragt wurde, welchen Nutzen seine Arbeit bringe, erklärte er:

Porträt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm mit chinesischer Umschriftung

»Der hochselige Herr Kurfürst war ein Liebhaber von seltenen und kuriosen Dingen und freute sich, wenn etwas zu Stande gebracht wurde, was schön und zierlich war. Was dieses genützt hat, diese Frage kann ich nicht beantworten.«18 Diese Aussage genügte offenbar nicht, denn Friedrich III., der sich um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes durchaus verdient machte, wandte sich von Kunckel ab.

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Moralisch beschädigt, wirtschaftlich ruiniert und verschuldet, zog es Kunckel vor, sein Berliner Stadthaus zu verkaufen, seine Schulden zu begleichen und 1692 als armer Mann, aber vor allem unendlich reich an chemo- technologischer Erfahrung, Brandenburg wieder zu verlassen, um nach Stockholm zu gehen. Das Kurfürstentum verlor mit ihm ein naturwissenschaftliches Juwel. Sein Sachverstand erlaubte es Kunckel in Schweden, angemessene Anerkennung zu finden. Der Ernennung zum Königlichen Bergrat folgte die Erhebung in den Adelsstand. 1703 starb er als Kunckel von Lövenstjern. Heute erinnert an sein Leben und Wirken in Berlin- Brandenburg auf der Pfaueninsel ein schlichter Naturstein, der seinen Namen trägt.

Quellen:
1 Wilhelm Strube, Der historische Weg der Chemie, Bd. 1, Leipzig 1981, S. 82
2 Justus von Liebig, Chemische Briefe, Bd. II, Leipzig- Heidelberg 1865, S. 64
3 Ebenda 4 H. Kopp, Geschichte der Chemie, Bd. II, Braunschweig 1848, S. 212
5 Wilhelm Strube, a. a. O., S. 84
6 Autorenkollektiv unter Leitung von Walter Conrad, Wer-Was-Wann? Entdeckungen und Erfindungen in Naturwissenschaft und Technik, Leipzig 1980, S. 110
7 Hans Joachim Neumann, Friedrich Wilhelm. Der Sieger von Fehrbellin, Berlin 1995, S. 150
8 Ebenda, S. 81
9 Ebenda

10Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (künftig GstA PK), I. HA Rep. 9, Nr. 15, Fasz. 2 a, Bl. 36
11Der Große Kurfürst. Sammler- Bauherr- Mäzen. Ausstellung vom 10. Juli bis 9. Oktober 1988. Neues Palais in Sanssouci, hrsg. von der Generaldirektion der Staatlichen Schlösser und Gärten, Potsdam- Sanssouci 1988, S. 81
12Ebenda, S. 82
13GstA PK, I. HA Rep. 9, CC 4 Bl. 29 f.
14Ebenda
15Ebenda
16Wolf Friedrich Siedler, Auf der Pfaueninsel, Spaziergänge in Preußens Arkadien, Berlin 1987, S. 17
17Hans Joachim Neumann, a. a. O., S. 152
18Zitiert nach: Wolf Friedrich Siedler, a. a. O., S. 17

Bildquellen:
H.-J. Neumann, Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst, Berlin 1895;
S. H. Spiker, Berlin und seine Umgebung, Berlin 1832
Katalog der Ausstellung: »Der Große Kurfürst, Sammler- Bauherr- Mäzen« vom 10. Juli bis 10. Okt. 1988 im Neuen Palais, Potsdam- Sanssoussi

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/2000
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