100   Geschichte und Geschichten Isadora Duncan  Nächstes Blatt
Dieter Götze
Berühmte Ausländer an der Spree:
Isadora Duncan

Sie war eine Persönlichkeit von großer Ausstrahlung, faszinierend und verführerisch, die 1878 in San Francisco geborene Tänzerin Isadora Duncan. Im Jahre 1899 war sie nach Europa gekommen und trat leidenschaftlich für eine Reform des künstlerischen Tanzes im Sinne des griechischen antiken Chortanzes ein, für einen ungekünstelten »natürlichen Ausdruckstanz«.
     Sie selbst tanzte zum Entsetzen eines konservativen Publikums nach Kompositionen von Beethoven und Schubert, nach Musik, die nicht für Tanz komponiert war. Aufsehen erregte auch ihre Mitwirkung bei den Bayreuther Festspielen, wo sie in der Venusgrotte des Wagnerschen »Tannhäuser« die Szene der Grazien tänzerisch inszenierte und selbst mitwirkte.
     1904 ließ sie sich in Berlin- Grunewald nieder und gründete hier mit ihrer Schwester Elizabeth in der Trabener Straße die »Duncanschule für Mädchen«, eine Tanzschule, die die Gesamterziehung von Körper, Geist und Seele anstrebte, wobei ein besonderer Akzent auf der musikalischen und gymnastisch- tänzerischen Bildung lag.

Unterstützt und gefördert wurde sie durch den Komponisten Engelbert Humperdinck (1854-1921), der im gleichen Haus wie die Duncans wohnte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde die Schule aufgegeben, und die Tänzerin ließ sich in England nieder. Ihre Sympathien für das bolschewistische Rußland führten sie nach 1917 nach Moskau und St. Petersburg, wo sie mit einer Vertanzung der »Internationale«, der Kampfhymne der revolutionären Arbeiterschaft, für Furore sorgte.
     Berlin hat Isadora Duncan nach dem Krieg an der Seite ihres Mannes, des genialen russischen Dichters Sergej Jessenin (1895-1925), erneut besucht. Der Journalist Fred Hildenbrandt, der ihr damals im Hotel »Continental« am Bahnhof Friedrichstraße einen Besuch abstattete, erinnert sich:
     »Sie lag, als ich eintrat, in einem langen feuerroten Morgenrock ausgestreckt auf dem Diwan, die rechte Hand auf die vergoldete Lehne gestützt. In der Nähe bemerkte ich, wie alt, unkorrigierbar schlaff und müde ihre an sich schönen Gesichtszüge aussahen. Die stark aufgelegte Schminke vermochte nichts zu verbergen. Sie streckte mir erschöpft die Hand entgegen. Sie sprach etwas Deutsch, und ihre Stimme hatte einen klagenden, leidenden Ton. Ich dachte, sie wolle mir Vorwürfe machen, weil ich auf ihren Tanz in meiner Besprechung nicht näher eingegangen war.
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Deshalb sagte ich: >Madame, ich fürchte, ich habe Ihr Mißfallen erregt.< >Noch nicht<, sagte sie leise, und nun wurde ihr Antlitz transparent für jenen Charme, um dessentwillen die Welt sie vergöttert hatte, >noch nicht. Haben Sie Beziehungen nach Indien? Ich möchte nach Indien und dort bleiben. Aber ich habe kein Geld. Ich kann nicht einmal die Hotelrechnung bezahlen.<«1)
     Das Ende Jessenins und der Duncan war tragisch: Jessenin beging 1925 Selbstmord, Isadora Duncan kam 1927 bei einem Autounfall an der Riviera ums Leben, als sich ihr Schal in den Speichen des Autos verfing und sie erwürgte.
     Eine Gedenktafel in der Trabener Straße 16 erinnert an die interessanten Berliner Jahre der Duncan, die in der Geschichte des Tanzes tiefe Spuren hinterlassen haben.

1     Fred Hildenbrandt, ... ich soll dich grüßen von Berlin, München 1979, S. 182

Bildquelle: Archiv LBV


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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 8/2000
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