46   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Nächstes Blatt
Ruth Freydank
Neubauten und Kunst beiderseits der Mauer

Berlin als Theaterhauptstadt

Die Wettbewerbssituation, in die sich beide Stadthälften durch ihre geografische Nähe auf so extreme Weise gebracht sahen, zwang zur Anspannung aller Kräfte. In beiden Teilen diente die gemeinsame Geschichte der politischen Motivation für ihr Handeln. So ging man in den fünfziger Jahren daran, einige der wichtigsten Theatergebäude Berlins wieder aufzubauen. Das entsprach dem Repräsentationsbedürfnis auf beiden Seiten, aber auch ganz praktischen Erwägungen.
     Wollte man seinen kulturellen Führungsanspruch geltend machen, so brauchte man Spielstätten. Dem Osten fehlte das repräsentative Opernhaus. Die Komische Oper Felsensteins wollte diese Rolle nicht übernehmen. Das alte Operngebäude Unter den Linden, 1941 als prominentestes Ziel der ersten Luftangriffe auf Berlin zerstört, 1942 wieder aufgebaut, war 1943 erneut den Bomben zum Opfer gefallen. Am 26. Juni 1951 beschloss die Regierung der DDR den Wiederaufbau des Opernhauses. Das Projekt war Teil des »Nationalen Aufbauprogramms Berlin«.

Das Opernhaus wurde zum Schwerpunkt der Wiederherstellung des historischen Stadtzentrums erklärt. Ziel war die Errichtung eines Ensembles von Gebäuden, die, zwischen Lustgarten und Friedrichstraße gelegen, optisch wieder eine städtebauliche Einheit ergeben sollten.
     Planung und Ausführung des Opernhauses standen unter der Leitung des Architekten Richard Paulick. Er strebte eine Wiederherstellung des äußeren Gesamteindrucks im Sinne Knobelsdorffs an. Das machte die konsequente Entfernung aller dem Gebäude seit der Jahrhundertwende angefügten, den ursprünglichen Stil des Hauses zerstörenden Elemente erforderlich, bei gleichzeitig vorsichtiger Anpassung an die technischen Erfordernisse des modernen Opernbetriebes. Anders als seinen Vorgängern gelang es Paulick, die Gedanken Knobelsdorffs weiterzuentwickeln. So wurden die für den heutigen Bühnenbetrieb unerlässlichen Seitenbühnen durch leichtes Variieren in der Anordnung der seitlichen Fenster und der Mittelrisalite optisch so zurückgenommen, dass der Eindruck der klassischen Strenge des ursprünglichen Baukörpers erhalten werden konnte. Das hatte einst dem Bauwerk den Ruhm eingebracht, zu den Spitzenleistungen der Berliner Baukunst gerechnet zu werden und eine der besten Arbeiten frühklassizistischer Architektur in Europa zu sein. Diesem Gesamteindruck diente weiterhin die Neugestaltung der Bekrönung des gesamten Baues.
BlattanfangNächstes Blatt

   47   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Voriges BlattNächstes Blatt

Massenandrang zur Eröffnung der Deutschen Oper im September 1961
Hier wurde unter Verwendung von Ideengut des Palladio eine Lösung für die Dachaufbauten gefunden, in die auch der Bühnenturm einbezogen wurde. Gegenüber seinen Vorgängern setzte man diesen um acht Meter niedriger. Paulick gelangte im Äußeren zu einer Lösung, die der Knobelsdorffschen Formensprache sehr nahe kommt. Im Inneren hingegen ist das Haus, bis auf den Apollosaal, eine Neuschöpfung, die in den gestalterischen Elementen den Einfluss der fünfziger Jahre nicht verleugnen kann.
BlattanfangNächstes Blatt

   48   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Der repräsentativen Wirkung diente auch die Neugestaltung der Plätze zu beiden Seiten des Gebäudes. Sie waren Bestandteil der Planungen. 1955 war der Bau vollendet. Anlässlich der als Staatsakt begangenen Wiedereröffnung am 4. September spielte man Wagners »Meistersinger von Nürnberg«. Es dirigierte Franz Konwitschny; Regie führte Max Burghardt.
     Bereits eineinhalb Jahre früher, am 21. April 1954, hatte im Ostteil der Stadt ein weiteres Theater seine Wiedereröffnung erlebt: die Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz. Das Haus war im November 1943 gleichfalls zerstört worden. Sein Wiederaufbau wurde in der sich zuspitzenden Situation der ersten Nachkriegsjahre zu einer kulturpolitischen Entscheidung ersten Ranges. 1914 war dieses Theater als letzter freistehender, repräsentativer Theaterneubau vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges inmitten des alten Scheunenviertels nahe dem Alexanderplatz eröffnet worden. Der Architekt Oskar Kaufmann hatte hier im Auftrage der Theaterbesucherorganisation »Freie Volksbühne« ein Theater errichtet, mit dem er in bewusster Abkehr vom historischen Schwulst und dem barocken Pathos der Hoftheatertradition, die den Theaterbau der letzten drei Jahrzehnte bestimmt hatte, eigene Wege zu gehen versuchte. Mit dem hier entstandenen Bau wurde ein neuer und gewichtiger Akzent im Bild der Stadt gesetzt.
Die Tatsache, dass dieses Theater auf Initiative einer kulturellen Massenorganisation mit den Beiträgen der Mitglieder entstanden war, hob es in eine Sonderstellung unter Berlins Theatern. Mit seinem Wiederaufbau konnte die östliche Seite nicht nur ihr kulturelles Engagement anhand eines städtebaulich bedeutsamen Bauwerks zur Schau stellen; man nahm auch die mit diesem Theater verbundene Tradition einer den breiten Massen verpflichteten Kulturarbeit für die eigene Kulturpolitik in Anspruch und demonstrierte damit Kontinuität.
     In zweijähriger Bauzeit wurde das Haus unter Leitung des Architekten H. Richter in seinem Äußeren unter Verzicht auf den figürlichen Schmuck und das hohe gewölbte Dach in vereinfachter Form erhalten, im Innern jedoch unter Aufgabe des ursprünglichen Rangtheaters in Anlehnung an sowjetische Vorbilder, speziell an die von Rudnew in Moskau vorgeführten Stilformen sowjetischer Baukunst, neu gestaltet.
     Im Westteil der Stadt setzten die von Fritz Bornemann Ende der fünfziger Jahre und Anfang der sechziger Jahre geschaffenen Theaterbauten neue städtebauliche und kulturpolitische Akzente. In den Jahren 1957 bis 1961 errichtete Bornemann »an der Stelle, an der 1912 Charlottenburger Bürger das Deutsche Opernhaus gegründet hatten, das am 23. November 1943 in Trümmer fiel, ... eine moderne, großzügige Opernbühne«,
BlattanfangNächstes Blatt

   49   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Voriges BlattNächstes Blatt
schreibt der langjährige Generalintendant des Hauses Götz Friedrich im Vorwort zu »25 Jahre Deutsche Oper«. In bewusster Abkehr von traditionalistischen Praktiken schuf Bornemann ein ganz auf seine Funktion zurückgenommenes Bauwerk, ohne indessen seine Beziehung zu expressionistischen Stilformen zu verleugnen, wie sie für den Theaterneubau nach dem Kriege im Westen Deutschlands an Beispielen wie dem Mannheimer Nationaltheater (Eröffnung 1953, Entwurf Mies van der Rohe) und dem Stadttheater Gelsenkirchen (Eröffnung 1959, Entwurf Werner Runau, Ortwin Rave und Max von Hausen) deutlich wurden. In dem allein von den Bedürfnissen des Zuhörens und Zuschauens dominierten Zuschauerraum wurde die demokratische Idee des Amphitheaters nun mit den Mitteln moderner Konstruktionstechnik weitergeführt. Mit dem Verzicht auf den selbstständigen Gestaltungswillen einer mit der Bühne konkurrierenden Innenarchitektur setzte sich Bornemann in Beziehung zu den Reformtheaterideen der zwanziger Jahre.
Staatspräsident Wilhelm Pieck (Mitte) besichtigt die wiederaufgebaute Staatsoper Unter den Linden
BlattanfangNächstes Blatt

   50   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Bornemanns Grundhaltung der Zurücknahme des Architekten und der Betonung von dessen dienender Funktion fand in dem 1961 bis 1963 im Auftrage der Freien Volksbühne e. V. erbauten Theater an der Schaperstraße seine Bestätigung und Vollendung.
     Der zwar zentral, aber dennoch abseits vom Verkehr gelegene Bau gliedert sich ganz in die Landschaft des ihn umgebenden Parks ein. Mit Blick auf seinen Auftraggeber sah der Architekt seine Aufgabe darin, »vom Funktionellen und vom Theaterbetrieb her ein Haus zu schaffen, das wirtschaftlich disponiert in seinen technischen Anlagen, insbesondere in seiner variablen Bühnentechnik, ohne jeden überspitzten Aufwand ganz der künstlerischen Entwicklung im Bühnenbereich sich verpflichten möchte und ... in der Bausubstanz entsprechend maßstäblich gehalten werden konnte«. Es galt, »von der Beziehung Bühne- Zuschauer her einen Innenraum als Gefäß zu konzipieren, das ganz der Communio zwischen beiden dienen soll und somit den Forderungen von Sicht und Akustik voll zu entsprechen hat und den nahtlosen bzw. flexiblen Übergang vom Bühnenbereich zum Zuschauerraum erreichen kann«. So charakterisierte der Architekt in der »Bauwelt« sein Anliegen.
     Die Grundsteinlegung des Hauses der Freien Volksbühne am 6. Oktober 1963 und die Eröffnung der Deutschen Oper am 24. September 1961 standen als kulturpolitische Ereignisse ganz im Zeichen des Mauerbaus.
Die August- Ereignisse von 1961 wiesen beiden Häusern eine neue Rolle zu. Es ging nicht mehr darum, ein erweitertes Angebot für das Theaterpublikum der eingeschlossenen Stadt zu erreichen. Vielmehr galt es, deren kulturelle Leistungsfähigkeit vor allem nach außen unter Beweis zu stellen. Die in diesem Zeitraum wiedererrichteten bzw. neu erbauten Theater waren der sichtbare Ausdruck der politischen und ideologischen Polarisierung in dieser Stadt.
     In diesem historisch bedeutsamen Zeitabschnitt einer erneuten Verschärfung der politischen Situation gewann die Theaterkunst in Berlin auch wieder nationalen wie internationalen Rang. In einem provisorisch als Theater hergerichteten Saal der Arbeiterwohlfahrt am Halleschen Ufer startete eine Gruppe junger Schauspieler, von denen die meisten noch kurz vor dem Mauerbau aus dem Osten in den Westen gewechselt waren, ein eigenes Unternehmen, das am 21. September 1962 mit der deutschen Erstaufführung von Ariano Suassunas Volksstück »Das Testament des Hundes oder die Geschichte der Barmherzigen« an die Öffentlichkeit trat und die Aufmerksamkeit der Kritik auf sich lenkte. Die als private Theatergründung etablierte Truppe entwickelte einen Spielplan mit ausgeprägt sozialkritischer Tendenz. Ausgestattet mit relativ geringen Subventionen durch den Berliner Senat, konstituierte sich hier ein auf der kollektiven Verantwortung aller Beteiligten beruhendes Theatermodell.
BlattanfangNächstes Blatt

   51   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Mit der Aufnahme Peter Steins und der um ihn versammelten Schauspieler und Theaterleute gewann die Schaubühne dann auch die künstlerischen Potenzen, die ihren Namen in der Welt des Theaters zu einem Begriff machten und Berlins Anspruch als Theaterstadt ein weiteres Mal unter Beweis stellten.
     Stein eröffnete die Ära seiner künstlerischen Leitung am 8. Oktober 1970 mit der Inszenierung von Brechts »Die Mutter«. Programmatisch weniger wegen der von Gorki und Brecht beabsichtigten revolutionären Postulate, vielmehr als ein Bekenntnis zu Stil und Inszenierungsweise des Brecht- Theaters.1) Mit der Entdeckung neuer oder vergessener Autoren und der Weiterentwicklung der von Brecht erarbeiteten Inszenierungsgrundsätze brach Stein mit den Tabus im herkömmlichen konservativ bestimmten Betrieb der meisten bundesrepublikanischen Stadttheater. Er hob die Bühne inhaltlich und formal wieder in den Rang des Zeittheaters.

Heiner Müller in einer Regiebesprechung zum »Lohndrücker«, 1958
BlattanfangNächstes Blatt

   52   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Voriges BlattNächstes Blatt
Die Gründung der Schaubühne war institutionell und künstlerisch Folge und Ergebnis des mit der 68er Bewegung verbundenen Politisierungsprozesses der westdeutschen Gesellschaft. In dem Maße, wie diese Bewegung allmählich zu verflachen begann, schwand auch die intendierende künstlerische Kraft dieses Theaters.
     Im Ostteil sahen sich die Theater immer enger in das ideologische System der sozialistischen Gesellschaft eingebunden. Neben der künstlerischen und administrativen Reglementierung stand unverändert die Forderung nach dem Gegenwartsstück, das zum Beitrag des Theaters bei der Erziehung des sozialistischen Menschen deklariert wurde und in kollektiver Gemeinsamkeit zwischen Autor und Ensemble zu »entwickeln« sei. Um die »Unzulänglichkeiten«, die in der »Förderung der sozialistischen Gegenwartsdramatik« an den »führenden Berliner Sprechtheatern« festzustellen waren, zu überwinden, wurde im April 1969 der Beschluss gefasst, »für sämtliche Berliner Theater eine einheitliche staatliche Leitung durch den Magistrat von Groß-Berlin zu schaffen«. Diese Entscheidung war mit konkreten Festlegungen verbunden, die erkennen lassen, dass Einflüsse der durch die 68er Bewegung ausgelösten Diskussion im Osten Deutschlands um eine Demokratisierung der Gesellschaft und ihrer Institutionen aufgefangen und im Sinne des gesellschaftlichen Systems der DDR kanalisiert werden sollten.
»Die Intendanten und Chefdramaturgen kommen in regelmäßigem Turnus mit den Verantwortlichen für Kultur beim Magistrat zusammen. Die Theaterleitungen legen ihre Spielpläne dem Magistrat vor und verteidigen sie sozusagen öffentlich. Die Stadtverordnetenversammlung wird einmal im Jahr zur Situation der Theater der Hauptstadt Stellung nehmen. Eine ehrenamtliche Arbeitsgruppe, die sich aus Theater-, Musik- und Literaturwissenschaftlern sowie Kritikern und Publizisten zusammensetzt, soll neue wissenschaftliche Vorgaben für die Verbesserung der Theaterarbeit erarbeiten. Die Volksbühne hat den Auftrag erhalten, ein Leitungsmodell für ein modernes sozialistisches Theater zu entwickeln, dessen Kern die Entfaltung der sozialistischen Demokratie im Theater und im Verhältnis zur Öffentlichkeit ist«, kommentierte Ernst Schumacher in seinen 1975 herausgegebenen »Berliner Kritiken« diesen Beschluss.
     Ausgehend von der vereinfachenden These, wonach Theater die überzeugende Kraft habe, menschliches Handeln in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu beeinflussen, förderte man großzügig Autoren und Theater. Man übersah jedoch die im Abbildcharakter des Theaters begründete Problematik. In dem Maße, wie sich DDR- Autoren der Gestaltung ihrer Realität zuwandten, offenbarten sie auch die innere Widersprüchlichkeit dieses Systems.
BlattanfangNächstes Blatt

   53   Probleme/Projekte/Prozesse Berlin als Theaterhauptstadt  Voriges BlattArtikelanfang
Je weniger im Verlaufe der siebziger und achtziger Jahre eine wissenschaftlich begründete Analyse der Gesellschaft möglich wurde, umso ausschließlicher bildeten Literatur und Theater die einzigen Freiräume, wo in der Sprache der Kunst eine Auseinandersetzung mit den Zwängen und Widersprüchen der realsozialistischen Wirklichkeit stattfinden konnte.
     In seinen besten Leistungen, die das DDR- Theater hervorbrachte, wurde es zum Partner des Publikums, das sich anderer Artikulationsmöglichkeiten weitgehend beraubt sah. Von offizieller Seite gedrängt, sahen sich die Theater in den entstandenen Konflikt mit einbezogen. Dort, wo dies als künstlerische Herausforderung verstanden wurde, führte es zu bedeutenden Inszenierungen, die jedoch unter den einengenden Bedingungen einer staatlich verordneten Kontrolle und Selbstkontrolle nur schlaglichtartig Wirkung zeigen konnten.
     Das unmittelbare Beteiligtsein des Theaters hatte seine Politisierung zur Folge. Das wurde unübersehbar in dem Aufruf des Deutschen Theaters in den Oktobertagen des Jahres 1989. Die Künstler verließen die Bühne und gingen auf die Straße.
Es war jedoch ein historischer Irrtum, wenn viele unter ihnen glaubten, dass es für das heruntergewirtschaftete und in seinen moralischen Werten verkommene sozialistische System die Chance einer Erneuerung gäbe. Die Geschichte seiner vierzigjährigen Existenz auf Deutschem Boden endete mit dem völligen Zusammenbruch.

Anmerkungen:
1 Peter Iden schrieb in der »Frankfurter Rundschau«: »Die Lektion dieser Aufführung ist (aber) eine für das Theater. Es könnte keine erhalten, die eindringlicher wäre.«

Bildquelle: Stadtmuseum Berlin, Foto Eva Kemlein

BlattanfangArtikelanfang

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2000
www.berlinische-monatsschrift.de