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Maria Curter
Friedrichshain hat seinen Leuchtturm wieder

Als vor gut vier Jahren der Letzte - die »Gesellschaft für lichttechnische Erzeugnisse mbH« (G. L. E.) - das Licht in der ehemaligen Lampenstadt ausmachte, waren sich Bauherren und Investoren noch unschlüssig, wie die ehemalige innerstädtische Industriebrache OSRAM/ NARVA im Stadtbezirk Friedrichshain künftig heißen soll. Mittlerweile ist die unweit der Oberbaumbrücke gelegene »Oberbaum City« bekannt und zu einem ansehnlich sanierten Geviert zwischen der Stralauer Allee, der Lehmbruck- und Rudolfstraße sowie dem Warschauer Platz geworden. Im Juni diesen Jahres wurde das letzte der vier denkmalgeschützten Gebäude seiner Bestimmung übergeben. Und Friedrichshain hat nach vierjähriger Finsternis seinen Leuchtturm wieder. Weithin sichtbar strahlt der fast schwebende fünfgeschossige Glasaufsatz auf Berlins erstem Hochhaus aus dem Jahre 1909.
     Heute findet man hier kaum noch einen Parkplatz, obwohl drei der vier Gebäudekomplexe über eine Tiefgarage mit mehr als 300 Stellplätzen verfügen.

Knapp 70 Firmen mit etwa 2 200 Beschäftigten haben sich inzwischen auf dem Gelände des ehemaligen ersten Berliner Wasserwerkes vor dem Stralauer Tor an der Endstation der ersten Berliner U-Bahn- Linie - der U1 - »Warschauer Straße« in drei roten Backsteinkomplexen und einem hellgrauen monolithischen Putzbau niedergelassen.
     Innerhalb von sieben Jahren wurden die vier Gebäude der einstmaligen Lampenstadt (vgl. BM 6/1996) mit einem Kostenaufwand von mehr als einer Milliarde Mark denkmalgerecht saniert und liebevoll restauriert.
     Die Wiederbelebungsversuche, nach mehrfachen Projektänderungen, scheinen, wenn auch noch nicht abgeschlossen, zu gelingen.
     Es war ein herber Einschnitt in das Leben des Stadtbezirkes Friedrichshain, als Ende 1992 die Lampenproduktion seines größten Arbeitgebers mit 5 000 Beschäftigten eingestellt wurde. Als dann die »Sirius Immobilien- und Projektentwicklungsgesellschaft mbH München« mit der »HVB Projekt GmbH« und der »Roland Ernst Städtebau- und Projektentwicklungsgesellschaft mbH« die Brache als Investor und Bauherr übernahmen, sollte sie zu einem modernen Dienstleistungs-, Wohn- und Gewerbestandort gestaltet werden.
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Das Projekt sah u. a. vor, die vier Fabrikgebäude denkmalgerecht zu sanieren, an der Lehmbruckstraße etwa 330 freifinanzierte Wohnungen zu errichten, an der Stralauer Allee/ Ecke Warschauer Platz ein Bürohaus zu bauen und nördlich zwischen Bahngelände und Rudolfstraße Räumlichkeiten für produzierendes Gewerbe zu schaffen. Auf der Fläche von etwa 46000 m2²sollten bis zum Jahr 2001 zwischen 4000 und 6000 Arbeitsplätze wieder entstehen.
     Als die letzten NARVA- Mitarbeiter, die »Gesellschaft für lichttechnische Erzeugnisse mbH« (G. L. E.), Ende März 1996 aus dem Gebäude III auszogen, war das Gebäude I, der ehemalige Verwaltungssitz von OSRAM und NARVA, bereits einige Zeit saniert, aber kaum vermietet. Inzwischen haben sich in diesem Gebäude - nach Entwürfen des Architekten Hermann Dernburg 1914 fertiggestellt - rund 20 Firmen wie DEKRA und Olivetti mit Ausbildungs- und Schulungszentren, eine Energieagentur, der Grundblatt Verlag, einige Call Center sowie mehrere Ingenieurbüros und Multimedia- Unternehmen niedergelassen.
     Im September 1997 konnte das als Geschäftshaus und Fabrik nach Entwürfen von Theodor Kampffmeyer zwischen 1907 und 1909 entstandene fünfgeschossige Gebäude V, Warschauer Platz 17-18, Rotherstraße 16-19 und Naglerstraße 17-18 nach der Verjüngungskur seiner neuen Bestimmung übergeben werden.

Der »Leuchtturm« des Gebäudes III

 
Die beiden inneren Betriebshöfe mit gelb geputzten Flächen und mit gelben Klinkern verzierten Fassaden sind zu indirekt von unten beleuchteten Lichthöfen umgestaltet worden, durch die man auch abends schlendern kann. Auch die an der Rotherstraße entstandenen Arkaden mit Geschäften, einer Gaststätte und Ausstellungsräumen laden zum Bummeln ein.

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In die oberen Geschosse, ehemalige Produktionsstätten, Versuchslabore und Kultursäle, zog das Internationale Design Zentrum ein. Auf etwa 800 m² kann es sich hier mit Konferenzen und Ausstellungen präsentieren, wird kreativ gearbeitet. »Dieser Ort inspiriert. Hier wird der Schlussstrich unter das alte Berlin (West) gezogen - das neue Berlin ist da!« bemerkte die Geschäftsführerin Dr. Angela Schönberger, die vom Kurfürstendamm hierher zog. Werbeagenturen, Druckereien, Hardware- und Softwarefirmen, Ingenieurbüros sowie Multimediaentwickler sind weitere Mieter.
     Die Sanierung des hellgrauen monolithischen Putzbaus - Gebäude IV - dauerte am längsten und war recht kompliziert.
Der nach Entwürfen von Wilhelm Walther zwischen Ehrenberg- und Naglerstraße, südlich der Rotherstraße errichtetete fünfgeschossige Fabrik- und Verwaltungsbau ist der größte Komplex und nahezu quadratisch. Er verfügt über vier ehemals befahrbare Innenhöfe. Dieser Gebäudekomplex muste völlig skelettiert werden, um zum Teil aus OSRAM- Zeiten stammende Schadstoffe zu entfernen. Nur die Grundmauern blieben stehen. Das Innere des Gebäudes wurde mit einer neuen Tragwerkskonstruktion versehen und direkt mit den Grundmauern verbunden. Dort, wo sich einst das Drahtwerk befand und sich die Lampenkarusselle drehten, stehen seit Ende 1998 mittelgroße Büros zur Verfügung. Im Erdgeschoss wurde eine

Gebäude III während der Sanierung
Mischung aus Geschäften, Restaurants, Arztpraxen und kleinräumigen Büros geschaffen. Ein besonderer Reiz geht heute von den Innenhöfen mit ihren roten Klinkerfassaden aus, die mit ungewöhnlichen Brunnen versehen sind. Garten- und Landschaftsarchitekt Gustav Lange, der die gesamte Außengestaltung des Geländes vornahm, ließ helle Tuffsteinblöcke aus Slowenien kommen, die je 3,5 Meter im Quadrat messen, und läßt sie mit Wasser sanft berieseln. Mittlerweile sind sie mit Algen und Moosen bewachsen und geben jedem Hof trotz Gleichförmigkeit der Blöcke etwas Unverwechselbares.
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Hier, im ehemaligen Gebäude IV, arbeiten jetzt Möbeldesigner, Ingenieur- und Übersetzungsbüros, Beratungsgesellschaften, Handels- und Personaldienstleister.
     Am schwierigsten war der Spagat zwischen Denkmalschutz, Auflagen des Stadtbezirkes und der Wirtschaftlichkeit des Bauens bei der Rekonstruktion des Gebäudes III für die Investoren. Der zwischen 1907 und 1909 nach Plänen von Theodor Kampffmeyer entstandene Bau südlich der Depothallen der Hochbahn umfaßt einen elfgeschossigen Turm mit dem gläsernen Aufsatz, der als Dauerbrennlabor diente und

Gebäude V - Warschauer Platz/ Ecke Rotherstraße
weithin leuchtete und, östlich davon, ein fünfgeschossiges Fabrikgebäude. Hier wurden jahrzehntelang Quecksilberdampf- Hochdrucklampen von NARVA gefertigt. Um die Schadstoffe zu entfernen, wurde auch dieses Gebäude bis auf die Grundmauern entkernt und von innen heraus neu errichtet.
     Der fünfgeschossige und 21 Meter hohe Glasaufsatz wurde dem Grundriss des Turmes angepasst und ruht auf einem Betonkern. Die Investoren hätten gerne noch ein Geschoss mehr aufgesetzt, aber das Bezirksamt war dagegen. Problematisch war die Beschaffung von Ziegelsteinen, die in Farbe und Form heute so nicht mehr produziert werden.
In Glindow bei Berlin fand man schließlich einen Hersteller, der die Steine mit leichtem Grünstich und in den alten Maßen (1 cm höher und länger) von Hand für einen fünfmal höheren Preis als heutige Steine fertigte. Insgesamt 1100 Fenster in 30 verschiedenen Ausführungen wurden neu eingesetzt. Der Innenhof, dessen Fassaden ebenso wie bei Gebäude V mit gelben Klinkern verziert sind, wurde mit grauen Granitplatten ausgelegt. Und vor dem Gebäude wird künftig eine Akazie blühen. Hauptmieter auf 9 000 m² Fläche ist die Multimedia- Firma Pixelpark, die mit etwa 400 Mitarbeitern aus Alt-Moabit hierhergezogen ist.
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Innenhof Gebäude V

Firmen, die im kreativen Bereich tätig sind, ziehen historische Standorte gläsernen einförmigen Palästen vor.
     Was die Ansiedlung von Dienstleistungen betrifft, so ist die Wiederbelebung und Umnutzung der ehemaligen Industriebrache gelungen. Auf der freien Fläche zwischen Ehrenberg- und Lehmbruckstraße grünt neben einem Parkplatz noch Rasen. Auf dieser ursprünglich für Wohnungen vorgesehenen Fläche, die hier nicht benötigt werden, wird in den nächsten Jahren ein Parkhaus mit Büros errichtet, was die Bewohner des angrenzenden Wohngebietes annehmen. Die Investoren gehen davon aus, dass bis zum Jahre 2002 auch die anderen geplanten Neubauten fertig sein werden, ein Einkaufszentrum, ein weiteres Bürogebäude sowie Hallen für produzierendes Gewerbe. Somit werden etwa 6000 Arbeitsplätze entstanden sein.

Bildquellen:
Archiv Peter Thieme,
Archiv Norbert Kersten

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2000
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