81   Im Detail Zucker-Steer  
Hubert Olbrich
Rarität in Berlin

Zucker-Steer von 1741

Das im Zucker- Museum ausgestellte Zuckermaß aus dem 18. Jahrhundert ist eine Rarität ganz besonderer Art. Das farblose Becherglas (H x Ø = 19 x 14 cm) mit etwas ausgeschwungenem Rand und Zinnmontiertem Fuß zeigt auf der Schauseite des Glaskörpers einen stilisierten Stock- Anker mit breit übergelegter Aufschrift »STEER ZUCKER«. Auf dem Ankerschaft sind untereinander die Buchstaben »G« und »R« als Monogramm angeordnet; auf der Mitte der Ankerarme steht die Jahreszahl 1741. Das gestrichen randvolle Glas fasst genau 1500 g Zucker.
     Es handelt sich hier um ein im süddeutschen Raum, in Tirol und Oberitalien gebräuchlich gewesenes Zuckermaß. In Österreich ist die Bezeichnung »Steer« mindestens seit dem frühen 14. Jahrhundert nachgewiesen; sie wurde dort abgelöst, als die metrischen Maße und Gewichte am 1. Januar 1873 verbindlich eingeführt wurden. Der Gebrauch der alten Einheiten war ab 1. Januar 1876 verboten. Die Einheit »Steer«, »Staar«, »Stär« oder »Ster« bzw. »stère« (französisch), »stere« (englisch, niederländisch) verschwand; die damit verbundenen regionalen Besonderheiten waren bald vergessen.

Erhalten blieb der Begriff »Ster« zuletzt als Verkaufseinheit für Holz; ein Ster bzw. »Raummeter« (rm) geschichtetes Holz umfasst auch die holzleeren Zwischenräume und entspricht etwa 0,7 Festmeter. Die Bezeichnung Ster war insoweit hier bis 31. Dezember 1977 gesetzlich noch als besonderer Name zugelassen.
     Beim alten Hohlmaß und Gewicht gab es übrigens beträchtliche landschaftliche Unterschiede: nicht nur lokale Abweichungen, z. B. in Florenz, Brixen, Sterzing, Bruneck oder Partschins, sondern auch Unterschiede nach der Art des zu messenden Inhalts. Das Futtersteer wog beispielsweise schwerer als das Korn- Steer. Die Schwankungen im Volumen lagen überwiegend zwischen 25 bis 30 Liter. Für eine so kostbare Substanz wie den Zucker war die Steer- Einheit sehr viel kleiner im Volumen bzw. Gewicht. Mit einem Maßinhalt für 1500 g Zucker ist ein »Steer Zucker« wahrscheinlich der kleinste dieser historischen Hohlmaßgruppe: ein Spiegel für die Kostbarkeit des im 18. Jahrhundert durchweg aus Übersee importierten Kolonialzuckers, der in europäischen Zuckersiedereien einer reinigenden Umkristallisation unterzogen wurde, bevor er sein wohlhabendes Publikum fand.
     Zum Zucker- Steer im Berliner Museumsbesitz ist ein Vergleichsstück bisher nirgends aufgetaucht. Das Exponat gilt als außerordentliche Rarität.

Zucker-Museum, Amruner Str. 32


 

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 7/2000
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