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Norbert Podewin
Der erste Präsident der Republik

Der Politiker Friedrich Ebert (1871-1925)

Erstaunlich eigentlich - dieser 28. Februar wurde kein Medienereignis. Und das angesichts dreier oberster Repräsentanten an der Spitze dieser Berliner Republik - Bundespräsident, Bundestagspräsident und Bundeskanzler, die aus nichtigeren Anlässen recht gern die Bildschirme füllen. Gesteigert wird das Ganze noch dadurch, dass es ein sozialdemokratisches Triumvirat ist, das historischem Nachdenken aus dem Wege ging. So blieb es der Deutschen Post vorbehalten, auf den 75. Todestag Friedrich Eberts mit einer Briefmarke landesweit aufmerksam zu machen. Trotzdem - die SPD vor allem bleibt auch weiter gefordert, über das historische Erbe ihres früheren Parteivorsitzenden und ersten Präsidenten der Republik von Weimar öffentlich nachzudenken.
     Der Lebensweg des am 4. Februar 1871 in Heidelberg Geborenen schien im wilhelminischen Deutschland dauerhaft festgeschrieben; der Sohn eines sich und die Seinen kümmerlich ernährenden Schneidermeisters war unwiderruflich »dritter Stand«.


Friedrich Ebert

 
Diese Geburtsschranke empfand der junge Ebert als ungerecht; das Eintreten für soziale Gerechtigkeit blieb lebenslang sein Impetus. Die Sattlerlehre brach er kurz vor dem Abschluss ab, weil unbeschränkte Lehrherrenwillkür von ihm nicht unwidersprochen blieb. Wanderjahre während der Agonie des »Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« schärften den Blick für die Welten zwischen »oben« und »unten« und

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die Unvermeidlichkeit, dagegen organisiert anzugehen.
     Folgerichtig wurde er so Ende der achtziger Jahre Gewerkschaftler und mit dem Fall des Sozialistengesetzes auch Mitglied der Bebel/ Liebknecht- Partei.
     In Bremen, wo er 1891 heimisch wurde und eine Familie gründete, fand er bald auch durch die SPD eine Beschäftigung: Redakteur der »Bremer Bürger- Zeitung«, Arbeitersekretär, Abgeordneter der Bremer Bürgerschaft. Der Sachteil des »Erfurter Programms« von 1891 der wieder legalen SPD (u. a. allgemeines gleiches Wahlrecht, direkte Gesetzgebung durch das Volk, Beseitigung aller gesetzlichen Ungleichheiten der Frau, Religion als Privatsache und Weltlichkeit der Schulen) waren für Ebert Herzenssache und tägliches Kampfprogramm.
     Die Erringung der politischen Macht zur revolutionären gesellschaftlichen Umwandlung zwecks Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung war für ihn nur auf evolutionärem, legalem Weg über Wahlen denkbar. Revolution in Form gewaltsamer Machtergreifung verband sich bei Friedrich Ebert mit Unordnung, Aufruhr, Chaos. Derlei stieß ihn als Teilnehmer des Dresdner SPD- Parteitages von 1903 ab, wo der Streit über den Revisionismus - praktiziert vor allem durch Mitglieder der Reichstagsfraktion mittels fragwürdiger Kompromisse gegenüber dem herrschenden System - teilweise tumultartig ausartete.
Hier setzte der inzwischen zum Bremer Parteivorsitzenden Gewählte im Folgejahr Zeichen: Die Hansestadt bot unter Eberts und Bebels Leitung ein Bild vollendeter parteilicher Einigkeit: vom Begrüßungschor, dem Wald der Traditionsfahnen, der Erholung spendenden Schiffsfahrt zur Tagungsmitte - Einigkeit war die Parole.
     August Bebel (1840-1913) war nachhaltig beeindruckt: Dieser Organisator musste in die Zentrale. Das war nicht unbedingt Eberts Wunsch, doch der Appell an sein Pflichtgefühl wirkte - Ende 1905 kam er nach Berlin. Hier in der Lindenstraße 69 saßen vier »Alte«: Ignaz Auer (1846-1907), Alwin Gerisch (1857-1922), Hermann Molkenbuhr (1851-1927) und Wilhelm Pfannkuch (1841-1923), allesamt Betroffene des Sozialistengesetzes und altersmäßig vom »Neuen« durch ein Vierteljahrhundert getrennt, in einem kargen Raum zusammen. Es gab weder Telefon noch Schreibmaschine oder Aktenablage, man wolle doch der Polizei im neuerlichen Verbotsfall keine Handhaben bieten. Eberts Einwand, diese Zeit sei definitiv vorbei, wurde belächelt: »Hättest du unsere Erfahrungen!« Aber man überantwortete dem Neuling gern den »Geschäftskram«, während man selber agitieren ging. Der Aufbau eines stabilen organisatorischen und landesweiten Apparates, der zentrale Vorgaben »durchstellte«, Zweifler »bearbeitete« und Geschlossenheit auch trotz interner Gewissenskonflikte erreichte, war - und bleibt bis heute - Friedrich Eberts Hauptverdienst.
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Seinem Wirken verdankt man, dass seit 1907 genaue Angaben zur Partei- und Gewerkschaftsstruktur vorliegen: 36 hauptamtliche Bezirkssekretäre, erstmalig 41 auf sein Drängen hin eingesetzte Wahlkreissekretäre, 885 besoldete Redakteure. Die Zahl der Sekretäre der Zentrale wurde bis 1913 auf 11 erhöht; die Parteiverzahnung hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionäre stärkte den Einfluss weiter. Den Aufbau einer Jugendorganisation der Partei betrieb er vehement und hatte mit dem ihm ergebenen Max Peters (1887-1962) einen Gewährsmann als Vorsitzenden.
     Ebert, der »Genosse im Hintergrund«, wurde innerhalb weniger Jahre so unverzichtbar, dass ihn der Gewerkschaftsführer Carl Legien (1861-1920) 1911 zum Abschluss des Jenaer Parteitages als gleichberechtigten Vorsitzenden neben August Bebel vorschlug - Ebert lehnte ohne Angabe von Gründen ab und empfahl Hugo Haase (1863-1919). Nach Bebels Tod siegte 1913 das Pflichtgefühl; er nahm den Platz neben Haase ein. Er hatte bis zum Vorabend des Weltkrieges den entscheidenden Anteil daran, dass Vorentscheidungen der immer mächtiger werdenden Reichstagsfraktion bzw. des Vorstandes im hauptamtlichen Apparat »durchgestellt« und letztlich - oftmals gegen das persönliche Gewissen der Basis - auch von der Mitgliedschaft sanktioniert und verteidigt wurden.
Dass die SPD beide große Zerreißproben - die Zustimmung zu den Kriegskrediten im August 1914 sowie Revolution und Nachkriegskrise - als Massenpartei überstand, ist wesentlich Eberts Verdienst. W. I. Lenin (1870-1924) schätzte diese Organisationsarbeit außerordentlich; als er im Exil vom Kriegsausbruch und der Zustimmung der deutschen Genossen hörte, erklärte er letzteres spontan als gegnerische Provokation.
     Den Krieg wollte Ebert nicht, aber er sah ihn als Abwehr vor drohender »russischer Knutenherrschaft«, die sein Parteifreund Ernst Heilmann (1881-1940) am 1. August publizistisch schreckend ausmalte. Die Internationale hatte sich in Parteien ihrer »Vaterländer« aufgelöst, und so blieb nur die Forderung nach einem Frieden derVerständigung. »Von dieser allgemeinen Zielsetzung aus haben wir dem Vorschlag des Petersburger Arbeiter- und Soldatenrats auf Frieden ohne Annexionen und Kontributionen auf der Grundlage nationaler Selbstbestimmung unsere Zustimmung gegeben«, erklärte die SPD- Delegation unter Eberts Leitung am 12.Juni 1917 in Stockholm, wo eine Friedenskonferenz der Sozialistischen Internationale geplant war - und nicht zustande kam.
     Was sich dann im Osten anschloss - Lenins Revolution - war in Eberts Selbstverständnis »Chaos«; das galt es von Deutschland fernzuhalten.
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Das Regime war zu Teilen dankbar. »Gottlob, dass ich in den Sozialdemokraten Männer auf meiner Seite habe, auf deren Loyalität wenigstens gegen mich ich mich vollkommen verlassen kann. Mit ihrer Hilfe werde ich hoffentlich im Stande sein, den Kaiser zu retten«, schrieb Prinz Max von Baden (1867-1929).
     Doch als die Hoffnung trog, kam es zu der geschichtlich grotesken Einmaligkeit, dass dieser kaiserliche Reichskanzler am Morgen des 9. November seinen Nachfolger in Gestalt Friedrich Eberts berief; die Nachfolge dauerte ganze sechs Stunden.
     Wenig später demonstrierten Massen gegen den Krieg auf den Straßen, der Kaiser hatte noch nicht abgedankt, und die spontane Ausrufung der neuen Staatsform »deutsche Republik« durch Philipp Scheidemann (1865-1939) stand erst bevor. Der sah es durchaus realistisch: »Wer jetzt die Massen vom Schloss her >bolschewistisch< oder vom Reichstag zum Schloss hin >sozialdemokratisch< in Bewegung bringt, der hat gesiegt.« Zornrot reagierte der neue Kanzler: »Was aus Deutschland wird, ob Republik oder sonst was, das entscheidet eine Konstituante!« Sein vehementes Eintreten für eine Nationalversammlung an Stelle spontan entstandener Arbeiter- und Soldaten- Räten war ein bewusster Entscheid für den Abbruch der bürgerlich- demokratischen Revolution.
     Die Republik von Weimar - vor allem Eberts Einfluss drängte die Abgeordneten aus dem unruhigen proletarischen Berlin in die stille Dichterresidenz - stellte jedoch weder die Massen noch die lediglich ihres Hauptes beraubten Monarchisten zufrieden.
Auf der Linken versuchte die USPD mit der jungen noch schwachen KPD im Fahrwasser im Januar nochmals, das Feuer anzufachen; es wurde blutig ausgetreten und endete mit der Ermordung Rosa Luxemburgs (1871-1919) und Karl Liebknechts (1871-1919) durch uniformierte Landsknechte, die zum juristischen Nachspiel geradezu getragen wurden.
     Auf der Rechten putschten Militärs um den Reichswehrgeneral v. Lüttwitz (1859-1942) und den der Republik verpflichteten hohen Beamten Wolfgang Kapp (1858-1922) am 13. März 1920. Die Regierung floh nach Dresden, dann nach Stuttgart, einen Aufruf zum Generalstreik hinterlassend. Es war vor allem den Gewerkschaften zu danken, dass dieser (übrigens letzte politische) Streikaufruf das öffentliche Leben vom 15. März - einem Montag - an lahm legte. Spontan bewaffneten sich in Teilen des Landes - so in Berlin, dem Ruhrgebiet, Teilen Thüringens - Arbeiter und bildeten Schutztrupps. Am 17. März gaben Kapp und Lüttwitz auf und flohen. Ihre bewaffneten Korps stellten sich problemlos in den Dienst der gerade noch befehdeten Republik - und wurden angenommen. Gemeinsam mit regulären Reichswehreinheiten »räumten sie auf«, wo Waffen nicht sofort niedergelegt und die Streikforderungen der Gewerkschaften eingefordert wurden.
     Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund verlangte programmatisch: entscheidenden Einfluss auf die »Umgestaltung der Regierung in Reich und Ländern sowie auf die Neuregelung der wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzgebung«; schnelle Entwaffnung
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   65   Porträt Friedrich Ebert  Voriges BlattNächstes Blatt
und Bestrafung der Putschisten; Sofortiger Rücktritt von Reichswehrminister Gustav Noske (1868-1946) sowie zweier weiterer preußischer Minister; Säuberung der Verwaltungen im staatlichen und industriellen Bereich von Reaktionären; schnelle Demokratisierung der Verwaltung sofortiger Ausbau der Sozialgesetzgebung und reale Gleichberechtigung von Arbeitern, Angestellten und Beamten; sofortige Sozialisierung des Bergbaus und der Energieerzeugung;8) Enteignung von Grundbesitzern, die Lebensmittellieferungen sabotierten;9) Auflösung konterrevolutionärer Formationen und Übernahme von Sicherungsaufgaben durch die organisierte Arbeiterschaft.
     Bemerkenswert war, dass niemand der radikalen Experimenten durchaus abholden ADGB- Führer diese Forderungen mit dem Votum von Parlamentswahlen verknüpft hatte. Doch genau dafür entschied sich faktisch die SPD- Führung mehrheitlich. Der Wahltermin 6. Juni ließ keine Zeit für eine kritische Bestandsaufnahme. Deutlich geschwächt wurde die SPD, während rechte Parteien wie Deutsche Volkspartei und Deutschnationale Volkspartei beträchtlich zulegten; die unvollendete Revolution war ein zweites Mal parlamentarisch beerdigt worden.
     Friedrich Eberts Vergabe des Regierungsauftrages an den Parteifreund Hermann Müller (1876-1931) blieb formal,
er bekam keine Mehrheit. Die brachte dann Konstantin Fehrenbach (1852-1926, Zentrumspartei) zustande; Sozialdemokraten waren nunmehr - und das bis 1928 - in der von ihnen maßgeblich geschaffenen Republik nicht mehr gefragt.
     Ein »Bauernopfer« musste den Massen gebracht werden, so sehr sich der Reichspräsident gegen den Sturz seines Freundes Gustav Noske wehrte, hatte der doch durchaus in seinem Sinne gewirkt. Erst als Otto Wels (1873-1939) als Partei- und Carl Legien (1861-1920) als Gewerkschaftsführer unter Hinweis auf landesweit kochende Empörung bei Ebert persönlich die Vertrauensfrage stellten, bekam Noske den präsidialen Abschied am 22.März; als Oberpräsident von Hannover fand sich ein Ruheposten, den Noske grollend besetzte. Im Lande trat gespannte Ruhe ein; im linken wie im rechten Lager brauchte man Zeit zur Sammlung für neuen Ansturm gegen die ungeliebte Republik. Die Zahl ihrer Verteidiger in der bürgerlichen Mitte war schwach.
     Gegen den Reichspräsidenten als zentrale Repräsentanz setzten die Konservativen in der nun einsetzenden Periode eine Flut publizistischer Verleumdungen in Gang. Mit Schmähungen und Lügen überhäuft, sah sich der Reichspräsident - von juristischen Beratern gedrängt - bis Ende 1924 in etwa 120 Beleidigungsklagen und -Prozesse gedrängt, in ca. 50 Verfahren stand ein Ergebnis noch aus.
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Höhepunkt dieses Jahres wurde ein Prozess, in dem ein obskurer »Redakteur« den bereits mehrfach erhobenen Begriff »Landesverrat« aufgriff. Den Tatbestand habe Ebert im Januar/Februar 1918 mit seinem Eintritt in die Streikzentrale der Munitionsarbeiter erfüllt. Die von Ebert als Nebenkläger präsentierten Gegenbeweise und Zeugen, der Schritt habe dem raschen Abbruch gedient, verwarf das Gericht. Sein Vorsitzender Bewersdorff verurteilte zwar den Beleidiger zu 3 Monaten Gefängnis, richtete aber faktisch Ebert mit der Urteilsbegründung, »dass nämlich der Nebenkläger durch seine Beteiligung am Berliner Massenstreik im Januar 1918 Landesverrat begangen habe, erweislich wahr ist«.
     Ebert, zutiefst getroffen und schwer erkrankt - eine dringende Operation wurde von ihm immer neu verschoben -, ging in die Berufung. Am 23. Februar 1925 erklärte er dem zum Krankenhaus drängenden Freund Gustav Noske: »Es geht nicht, ich muss um meine Ehre kämpfen. Oder nein - um die Ehre des Staatsoberhauptes.« Fünf Tage später hatte der Tod in letzter Instanz entschieden. Landgerichtsrat Dr. August Bewersdorff erhob bald darauf sein makabres »Urheberrecht«: er sei es gewesen, der »den Kerl zur Strecke gebracht« habe. Reichskanzler Luther (1879-1962) hielt am 1.März eine an Peinlichkeit grenzende Trauerrede:
Ebert habe auch im höchsten Staatsamt »seinen Standpunkt als Sozialdemokrat niemals verleugnet«: Gleichsam entschuldigend fragte der Kanzler nach: »Aus dieser Tatsache kann im Rahmen der Reichsverfassung doch wohl ein grundsätzlicher Einwand gegen seine Eignung als Reichspräsident nicht hergestellt werden.« Das »Kapitel Ebert« wurde bald darauf ein zweites Mal »beerdigt«: Am 26. April 1925 erhielt der siebenundsiebzigjährige Paul v. Hindenburg (1847-1934), sich ungebrochen in Treue zum gestürzten Monarchen verstehender Erbwahrer, im 2. Wahlgang mit 14,7 Millionen Stimmen das Mandat als Präsident einer Republik, deren Untergang er beschleunigen half. Eberts Wirken ist bis heute Gegenstand zeitgeschichtlichen Interesses. Die Urteile jedoch folgen Schillers Wallenstein- Deutung; »Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.« Dass ihn die Nazis als »Novemberverbrecher« stigmatisierten und seinen ältesten Sohn im KZ Oranienburg 1933 mit Tonsur höhnend vorführten, bedarf keiner Erklärung. Der kritische Marxist Arthur Rosenberg (1889-1943) warf in seiner »Geschichte der Weimarer Republik« - 1935 im Exil erschienen - Ebert insbesondere vor, eine Volksbewaffnung zwecks Entmachtung der kaiserlichen Militärs gescheut zu haben, doch »eine solche Volksbewaffnung unterblieb,
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denn sie hätte den Popanz der >Ruhe und Ordnung< gestört, den die regierenden Männer über alles verehrten«.
     Aus den eigenen Reihen wurde Kritisches verklausuliert: »Als die deutsche Republik im Jahre 1918 alle Möglichkeiten zur Entwicklung des sozialen Volksstaates öffnete, begannen in Eberts politischem Charakter und in dem seiner Partei sich konservative Züge stärker auszuprägen, als manchem unserer Freunde lieb und verständlich war«, schrieb 1945 sein Parteifreund Wilhelm Sollmann (1881-1951).
     Johannes Rau betonte 1989: »Es unterliegt keinem Zweifel, dass Ebert und die von ihm repräsentierte Mehrheitssozialdemokratie den revolutionären Umsturz, der sich von Anfang November 1918 im Reichsgebiet ausbreitete, nicht gewollt und nicht bewusst herbeigeführt haben. Es steht jedoch fest, dass er und seine politischen Freunde keine Revolution im Sinne einer radikalen politischen und sozialökonomischen Umwälzung, keinen radikalen Neubeginn in diesem Sinne angestrebt haben. Das lag außerhalb des Einstellungs- und Erwartungshorizonts, der sich bei diesen Männern in der Zeit des Kaiserreichs herausgebildet hatte.« Die 1991 herausgegebene »Kleine Geschichte der SPD« skizziert den Evolutionär: »Er setzte auf die Erringung der politischen Macht durch den Stimmzettel. Beharrliche Reformarbeit, Wahrung der Parteieinheit und Vorsicht prägten seine politische Taktik.«
Allenthalben klingt an, dass in Umsetzung des geltenden »Erfurter Programms« von 1891 im revolutionären Ansturm 1918 mehr zu erreichen gewesen wäre als nur der Sturz der Monarchie und die Durchsetzung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts in allen deutschen Ländern.
     Für die DDR- Geschichtsschreibung galt Ebert als maßgeblicher SPD- Opportunist, der parlamentarisch- demokratische Illusionen verbreitete, wodurch »die Mehrheit der Arbeiterklasse nicht die Grundfragen des Staates und der Revolution (verstand) und damit auch die Hauptaufgaben nicht, die in der Novemberrevolution zu lösen waren«. Hat Friedrich Ebert für die heute regierende Sozialdemokratie Bewahrenswertes hinterlassen? Die Frage blieb am 28. Februar unbeantwortet. Das kommende Jahr bietet neuen Anlass: Am 4. Februar jährt sich der Geburtstag des ersten Präsidenten der Weimarer Republik zum 130. Male.

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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