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Horst Wagner
Hofball bei Zille

»Hofball bei Zille« - so lautete die Schlagzeile der Annoncen, die an mehreren Tagen vor dem großen Ereignis in allen bedeutenden Berliner Tageszeitungen geschaltet waren. Für Sonnabend, den 21. März 1925, »pünktlich 9 1/2 Uhr«, wurde ins Große Schauspielhaus (den späteren Friedrichstadtpalast) eingeladen und angekündigt, der Meister persönlich habe die Ausstattung der gesamten Räume übernommen. Sechs Orchester wurden angekündigt, Claire Waldoff werde auftreten, und das Zillestück »Mein Milljöh« käme zur Uraufführung. Gesellschaftstoilette oder Zillekostüm wurden gefordert sowie ein Eintrittspreis von 12.50 bis 50,- Mark einschließlich Wohlfahrtszuschlag verlangt.
     »Sehr verdächtige Gestalten strömten gestern Abend zum Großen Schauspielhaus«, berichtete danach der »Berliner Lokal- Anzeiger«, »Typen, wie sie Meister Zilles Griffel schildert. Der ganze Norden und Osten Berlins schien sich ein Rendezvous gegeben zu haben, um den Hofball bei Zille mitzumachen.« Zwar habe man auch »Gentleman- Einbrecher in Frack und Smoking« gesehen, »aber sie störten die Stimmung nicht ...«

»Die Damen hatten sich zurecht gemacht als Fischerliese oder Bollenjuste«, beschreibt Hans Ostwald in seinem Zillebuch das Milieu auf diesem ersten Zilleball der 20er Jahre. Andere seien als Harfenjule erschienen oder »in allen möglichen und unmöglichen Hosenkostümen«, als Matrose, als Strolch oder Badeengel aus dem Freibad. Die Herren seien als Apachenjüngling, Saloneinbrecher, »alte Penner« oder »Budiker in Hemdsärmeln und blauer Schürze« erschienen. An der Rutschbahn hätten sich die männlichen Gäste über das gefreut, »was Mädchen sonst nicht zeigen, aber was sie hier nicht verstecken«.1) Auch das uraufgeführte Stück »Mein Milljöh« von Hans Brennert, das ein Volksfest auf einem »Hof im Gelben Anton in Berlin O.« schilderte, brachte natürlich Zillegestalten auf die Bühne. Im Personenverzeichnis standen Matrosenkarl und Rosenfrieda, Pyjamajule und Radieschen, Schrammelfreddy, Bollenjule und Honigbiene sowie Pinselheinrich persönlich.
     Über den echten Zille, den Namensgeber und Schirmherren des Balles, bemerkte der Reporter des »Berliner Tageblatts« in schönstem Berlinisch: »Awa det Scheenste am Abend, det war janz hinten, in eener Losche, da saß son janz stilla, janz bescheidena oller Mann in jrauen Haaren, mit'n jrauen Anzuch, der kieckte sich, janz in die Ecke jedrückt, den Zimt an. Det war der Meester Zille selba, janz valejen, det die son Radau um ihn machen.«
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Weiter hieß es im Ballbericht des »Berliner Tageblattes«: »Jeschwooft wurde bisn Morjen, et warn massenhaft Leute zujejen, uff Zillen uffjemacht, ick erwähne nur Ejon Erwin Kisch, der det verrückte Buch von den rasenden Reporter jeschrieben hat ... Im jrauen Morgen dusselte man iwa die Bricke, lang die Friedrichsstraße, allens, wat man da sah, war von Zillen entworfen, un vejniejt det eene Ooche in die Morjenröte, det andere schon im Bette, singt man det scheene Lied: Der Kellner hat's Delirijum, die Wirtin latscht ins Hemde rum, die Jäste, die sin knille.«
     Die Zillebälle wurden zu einer festen Berliner Tradition dieser Zeit. Sie knüpften an die Karikaturistenbälle der Vorkriegsjahre an, die meist im Admiralspalast an der Friedrichstraße stattfanden und bei denen Meister Zille und seine Figuren nicht fehlen durften. Der zweite »Hofball bei Zille« der 20er Jahre fand dann am Sonnabend, dem 20. Februar 1926, in dem für 10000 Besucher ausgelegten Sportpalast an der Potsdamer Straße »zum Besten des Wirtschaftsverbandes Bildender Künstler« statt. Star des Abends war wieder Claire Waldoff. Hauptgewinn der Tombola ein Blüthner- Flügel. »Um neun Uhr begann der große Zustrom«, berichtete der »Lokal- Anzeiger«, »und ließ bis in den frühen Morgen nicht nach. Immer neue Autos rollten vor die Rampe des Sportpalastes heran und ihnen entstiegen die einzelnen Zilletypen: die Kaschemmenjungen und Kaschemmenmädchen,
Bierkutscher, Winkeladvokaten, Bettler und Strolche ... Ein unerhörtes Gedränge wogte auf allen Gängen. Ein halbes Dutzend Musikkapellen spielte Jazzmusik, Balalaika und sonst dergleichen. Es war unmöglich zu tanzen. Um 12 Uhr kam Zille auf einem Kremser in die große Arena gefahren. Die Begeisterung schrie ihn, der den Versuch machen wollte, ein paar Worte zu sprechen, einfach nieder. Ein Zille- Denkmal wurde enthüllt ... Jubel und Trubel bis in den frühen Morgen.« Den dritten Zilleball gab es dann am 5. Februar 1927, wieder ein Sonnabend, und wieder im Sportpalast. Diesmal erschien Claire Waldoff als Harfenjule, Zillekostüme waren Zwang, wer keines hatte, musste sich für fünf Mark ein Notkostüm ausleihen.
     Heinrich Zille, der 1924 auf Vorschlag Max Liebermanns Mitglied der Preußischen Akademie der Künste geworden war, hatte ein ambivalentes Verhältnis zu diesen seinen Namen tragenden und ihn feiernden Bällen. Einerseits fand er es gut, dass die Einnahmen daraus eine Hilfe für seine Kollegen und auch für seine Modelle darstellten. Andererseits fühlte er sich missverstanden, sogar missbraucht. »Nein, das war ja gar nicht mein Ball«, soll er nach dem zweiten erklärt haben. »Hat es in 30 Jahren Ackerstraße jemals so viele rote Halstüchel, jemals so viele Ballonmützen gegeben wie in der einen Sportpalastnacht? Es ist auch gar nicht wahr, dass ich ein Humorist bin. Meine Bilder sind zum Weinen statt zum Lachen gemacht.
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Ich habe immer im Schatten August Bebels gemalt, und obschon ich nie Politiker war, hat damit die deutsche Revolution angefangen, dass ich die Dächer von den Mansarden abdeckte und die Welt der armen Leute, die Schlafburschen, die Engelmacherinnen, die Ausgestoßenen zeigte. Wenn ich zu bestimmen hätte, wo mein Denkmal hinkäme, möchte ich es lieber vor dem Zentralarbeitsnachweis als auf einem Ball im Sportpalast haben.«2) Und Otto Nagel bemerkte einmal: »Zu den Zille- Bällen kamen keineswegs die Menschen aus seinem >Milljöh<, sondern als Proletarier und arme Leute verkleidete Schwerverdiener, und der Sekt floß in Strömen.«3) Mit ironischem Unterton sang Claire Waldoff:
     »Selbst Berlin WW
     liebt jetzt Dein Milljöh.
     Und in jedem Stall
     gibt's 'n Zilleball.
     Selbst Frau Hofrat Trumm
     läuft als Nutte rum.«

Dieses Couplet mag Claire Waldoff auch als Geburtstagsständchen zum Siebzigsten des Meisters am 10. Januar 1928 gesungen haben: Auf dem aus diesem Anlass am 4. Februar 1928 ebenfalls im Sportpalast stattfindenden vierten und in dieser Form letzten »Hofball bei Zille«. Wieder viele Reiche und Schöne als Volksfiguren, Gauner und Elendsgestalten verkleidet. Und wieder »Pinselheinrich« als stiller Beobachter in einer Eckloge.

Erich Weinert hatte ihm zum 70. Geburtstag ein Gedicht gewidmet, dessen letzte Strophe lautet:
     »Kann ich Dir mit einem Glückwunsch nützen,
     Weiter fall ich Dir nicht mehr zur Last,
     Daß Du endlich vor den Flimmerfritzen
     Und den Zillebällen Ruhe hast.«

Ein Jahr später, am 9. August 1929, ist Heinrich Zille in Berlin gestorben.

Quellen:
1 Siehe Hans Ostwald: Das Zillebuch, Berlin 1929, S. 78 ff
2 Zitiert nach: Gerhard Flügge »'ne dufte Stadt ist mein Berlin«, Berlin 1974, S. 97
3 Ebenda, S. 91 f

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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