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Hans Aschenbrenner
»... ich hab dich spielen gesehen«

Die einmalige Serie von Hertha BSC 1926 bis 1931

Nürnberg, Fürth und Hamburg hießen die fußballerischen Zentren der zwanziger Jahre. Sie blieben es so gut wie unangefochten, bis plötzlich mit Hertha BSC ein neuer Herausforderer auf den Plan trat. Die Blau-Weißen aus dem Berliner Norden nahmen Anlauf zu einer Serie, die in der Geschichte des deutschen Fußballs ihresgleichen sucht. Sechsmal in Folge, von 1926 bis 1931, kamen sie ins Endspiel. Viermal wurde die Hertha im letzten Moment gestoppt, bis sie 1930 und 1931 zweimal Deutscher Meister wurde.
     Im fünften und sechsten Versuch schaffte sie es, den begehrten Meistertitel an die »Plumpe« zu holen, jenen legendären Platz mit der so typischen hitzigen Atmosphäre, wo die Zuschauer bis unmittelbar ans Spielfeld heranrückten. Das Fußballfeld an der »Millionenbrücke« - vom Bahnhof Gesundbrunnen gab es zu ihm sogar einen direkten Ausgang - wird man heute vergeblich suchen. Längst sind an seine Stelle Wohnhäuser getreten, nur ein Denkmal erinnert noch an die alte Stätte des Hertha-Ruhms.

Mag sich jedoch die Gegend noch so sehr verändern, so bleibt doch jene Zeit im Gedächtnis, als Hertha samt Fußball- Idol Hanne Sobek (1900-1989) hier beheimatet war.
     »Blauweiße Hertha, ich hab dich spielen gesehen ...«, so schwärmten die Berliner Fußball- Lokalpatrioten in höchsten Tönen. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet: Hertha hat in Düsseldorf im Endspiel am 22. Juni 1930 den norddeutschen Meister Holstein Kiel mit 5 : 4 Toren besiegt. Am späten Nachmittag des folgenden Tages stand die Stadt Kopf, geriet in einen wahren Fußballrausch. Auf dem Bahnhof Friedrichstraße waren Bahnsteige und Ausgänge längst belagert; überall blauweiße Fahnen und Fähnchen, Wimpel, Girlanden, Schilder mit der Aufschrift »HERTHA- B.S.C. Deutscher Meister«. Auch die Straßenzüge um den Bahnhof herum waren heillos verstopft; Straßenbahnen, Omnibusse, Autos hielten. Die Begeisterung steigerte sich noch, als der Schnellzug pünktlich 10 Minuten nach sechs Uhr einlief. Auf ihren Schultern trugen Enthusiasten und Freunde die Spieler vom Bahnsteig herunter, Fußball- Prominenz gratulierte.
     In offenen Autodroschken, voran eine Musikkapelle, ging es dann durch die nördliche Friedrichstraße, Elsässer- und Brunnenstraße dem Klublokal, den Atlantic- Festsälen am Bahnhof Gesundbrunnen entgegen. Vorbei an mit den Klubfarben geschmückten Häuserfronten, Transparenten mit der Aufschrift »Ha-Ho-He, Hertha BSC!«.
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Immerhin war es zu diesem Zeitpunkt schon 19 Jahre her, dass ein Berliner Verein sich »Deutscher Meister« nennen und seinen Namen in den Wanderpokal gravieren lassen konnte. 1911 hatte Viktoria 89 den VfB Leipzig im Finale in Dresden mit 3 : 1 bezwungen (und damit zum zweiten Male den Meistertitel errungen - vgl. BM 4/2000, Seite130 ff.). Die Fußball- Meisterschaften wurden nach der dem Krieg geschuldeten Zwangspause seit 1920 wieder ausgetragen. Zweimal kamen Berliner Mannschaften ins Endspiel: FC Vorwärts Berlin unterlag 1921 in Düsseldorf dem 1. FC Nürnberg mit 0 : 5; Union Oberschöneweide verlor zwei Jahre später (im »Deutschen Stadion« im Grunewald) gegen den Hamburger SV mit 0 : 3 Toren.
     Mitte der 20er Jahre reifte endlich wieder eine Berliner Mannschaft, die es künftigen Bewerbern um den Meistertitel nicht so leicht zu machen versprach. Es war eine Riesenaufgabe für das emporstrebende Team, galt es doch, wie sich im Nachhinein zeigen sollte, geradezu ein Triumvirat »aufzubrechen«, das den höchsten Titel in Erbpacht genommen hatte: vornweg der 1. FC Nürnberg, fünffacher deutscher Meister von 1921 bis 1929, dem Jahr vor Herthas erster Meisterschaft; dazu die SpVgg. Fürth und der Hamburger SV mit je zwei Titeln in dieser Zeit.
     Schon 1925 nahmen die Blau-Weißen, denen sich Sobek (von Alemannia 90) und Ruch (von Union 92) angeschlossen hatten, an der Deutschen Meisterschaft teil.
Nach Siegen beim Ostpreußen- Meister VfB Königsberg und gegen TURU Düsseldorf in Fürth schied man erst nach einem 0 : 1 nach Verlängerung gegen den FSV Frankfurt aus, der damit ins Endspiel einzog. Hertha hatte an die Tür der ganz Großen im deutschen Fußballgeschehen geklopft, ein wenig auf sich aufmerksam gemacht.
     Jetzt konnte es eigentlich nur noch besser werden. Die Basis dafür war, dass die Elf von 1925 bis 1931 in Folge Berliner Meister wurde. Erster und Zweiter durften damals zur Deutschen Meisterschaft.
     Ins Finale gelangte Hertha BSC im Jahre 1926 durch Siege über den VfB Königsberg, den FSV Frankfurt, den Hamburger SV. Das Endspiel gegen die Spielvereinigung Fürth (in Frankfurt/ Main) ging klar mit 1 : 4 verloren. Hanne Sobeks Kommentar: »Wir trösteten uns mit der Feststellung, daß wir von den vielen deutschen Mannschaften immerhin Zweite geworden und noch sooo jung waren.« 1927 verlor Hertha im Endspiel (im Grunewaldstadion) gegen den 1. FC Nürnberg mit 0 : 2 Toren. Auf dem Weg dorthin wurde nach dem VfB Königsberg mit Holstein Kiel (4:2, auf dem Preußenplatz in Tempelhof) und der SpVgg. Fürth (2 : 1, auf dem VfB-Platz in Leipzig) durchaus Fußballprominenz geschlagen.
     Einen besonders guten Lauf gegen in- und ausländische Gegner hatte die Hertha 1928. In der Deutschen Meisterschaft besiegte man die Sportfreunde Breslau (7 : 0, auf dem Sportplatz in Witzleben), Holstein Kiel (4:0, in Kiel),
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Wacker München (2:1), um dann aber im Endspiel im Altonaer Stadion dem Hamburger SV vor 42 000 Zuschauern 2:5 zu unterliegen.
     Die knappeste und auch unverdienteste der vier Endspielniederlagen setzte es 1929. Nach Siegen über Preußen Hindenburg (8 : 0), Schalke 04 (4 : 1, in Dortmund) und den 1. FC Nürnberg (3 : 2, in Chemnitz) ging das Endspiel gegen die SpVgg. Fürth, das ausgerechnet im Nürnberger Stadion stattfand, wo die »Kleeblättler« quasi ein Heimspiel hatten, knapp mit 2 : 3 verloren. Eine Berliner Zeitung versah ihren Spielbericht mit dem folgenden kritischen Kommentar: »Die einseitige Haltung des süddeutschen Publikums, das auch einige Geschmacklosigkeiten nicht unterlassen konnte, bewies, daß ein neutraler Platz unbedingt nötig gewesen wäre.«
     Es war nicht die Sache der Hertha, klein beizugeben. Der Funke zur Anhängerschar war längst übergesprungen. 1930 zog die Mannschaft nach Siegen gegen Beuthen (3 : 2), Köln-Sülz 07 (1 : 1, 8 : 1 im Wiederholungsspiel), den 1. FC Nürnberg (6 : 3, auf dem VfB-Platz in Leipzig, wobei viele Anhänger im Sonderzug und teils per Auto in die Pleißestadt gereist waren) ins Endspiel ein. Die Elf von Tennis Borussia, die als Vizemeister Berlins am Meisterschaftsgeschehen teilnahm, war weniger erfolgreich, verlor sie doch gleich in der Vorrunde gegen die SpVgg. Fürth 1 : 4.
     Das Endspiel zwischen Hertha und Kiel am 22. Juni 1930 vor 40 000 Zuschauern im Düsseldorfer Rheinstadion wurde dann zum regelrechten Tore- Thriller.
Sobek gelang es, eine schnelle 2 : 0- Führung des Gegners binnen weniger Minuten auszugleichen. Wieder Kiel vorn, erneuter Ausgleich, und erst dann ging erstmals Hertha in Front. Die Kieler verloren dann einen ihrer besten Spieler durch Platzverweis, schafften trotzdem noch das 4 : 4. Vehement feuerte das Publikum sie an, doch drei Minuten vor Schluss fiel dann das fünfte Tor für die Berliner, als Ruch flach an dem sich vergeblich streckenden gegnerischen Torwart einschießen konnte. Ob sich jahrelange »Endspiel- Erfahrung« gar ausgezahlt hatte?
     Als Erste gratulierten die fairen Kieler, ansonsten gab es viele unschöne Szenen nach Spielschluss. Die Hertha- Spieler versöhnte der »große Bahnhof«, der ihnen Tags darauf von den Berlinern bereitet wurde. Ein journalistischer Augenzeuge hat die Bedeutung jenes Augenblicks besonders treffend festgehalten: »Seit 1926 lief Berlins Meister Sturm gegen diese Phalanx. Viermal hintereinander musste er kapitulieren vor Fürth, vor Nürnberg, vor HSV ..., vor Fürth ..., und dieses Jahr hätte eigentlich wieder Nürnberg ... Und weil nun der Bann gebrochen ist, weil endlich geschafft, was vier Jahre zum Greifen nahe winkte - darum diese Begeisterung. Versteht man sie jetzt?«
     Die Berliner Meisterschaft 1930/31 - die Spiele in den Regionen begannen stets im Herbst des letzten Meisterjahres und konnten sich bis ins späte Frühjahr hinziehen - sah die Mannschaft ebenfalls als klaren Sieger.
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Anfang Mai 1931 gab es im »Deutschen Stadion« im Grunewald vor etwa 50000 Zuschauern einen 7 : 1 Kantersieg gegen Tennis Borussia. TeBe, um hier auch einmal den »ewigen Zweiten« ins Spiel zu bringen, besiegte dann in der Deutschen Meisterschaft den VfB Liegnitz 6 : 1, scheiterte aber im Zwischenrundenspiel im Frankfurter Stadion am späteren Endspielteilnehmer München 1860 vor nur 4000 Zuschauern mit 0 : 1. Hertha BSC legte ganz anders los, bezwang in der Meisterschafts- Endrunde nacheinander den VfB Bielefeld (5 : 2), die SpVgg. Fürth (3 : 1) und im Halbfinale den Hamburger SV (3 : 2 nach Verlängerung). Das Endspiel gegen 1860 München fand am 14. Juni 1931 im Köln- Müngersdorfer Stadion statt. Als Ehrenpreis stiftete der Scherl- Verlag einen Tonfilm des Spiels. Mit 3 : 2 Toren behielt Hertha BSC letztendlich die Oberhand. Diesmal fiel das Siegtor sogar erst 60 Sekunden vor Schluss durch Kirsei auf Sobeks Vorlage. Leider wurde auch der zweite Titelgewinn von Pfeifkonzerten des Publikums begleitet, dessen Sympathien den phasenweise überlegen spielenden Münchenern gehörten.
     Als zweite Mannschaft nach dem 1. FC Nürnberg hatten die Herthaner das Kunststück fertig bekommen, den Titel erfolgreich zu verteidigen. Neun Spieler konnten sich mit zwei Meisterkränzen schmücken: Sobek, Gehlhaar, Hahn, Kirsei, Lehmann, Müller, Ruch, Völker, Wilhelm. Vier Spieler wirkten einmal am Titelgewinn mit:

Hertha-Legende Hanne Sobeck (Sobek) erhält am 9. Februar 1976 aus der Hand des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz das Bundesverdienstkreuz.

 
Appel, Leuschner, Radecke und Stahr. Viel Lob erfuhren von den Kritikern vor allem Torwart Gehlhaar, Mittelläufer Müller und die traumhaft eingespielten Stürmer Ruch, Sobek, Lehmann, Kirsei und Hahn.

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Ruch, Sobek und Kirsei bestritten alle sechs Endspiele. Hanne (Hans, Johannes) Sobek (viel später Sobeck geschrieben, was sich erhalten hat), war die Seele des Hertha-Spiels, der Hertha- Spielkultur. Der gebürtige Mirower (Mecklenburg) stürmte zehnmal für Deutschland, und er brachte es auf 104 Einsätze in der Berliner Stadtelf. Erneut bereiteten die Berliner der Hertha- Mannschaft am Tag nach dem Finale einen begeisterten Empfang, als sie auf dem Bahnhof Friedrichstraße eintraf. Wieder wurden die Spieler begeistert auf den Schultern der Anhänger getragen, und auch Sobek, der sich nach allen Seiten grüßend davonstehlen wollte, wurde schnell auf halbem Wege abgefangen. Vor dem Bahnhof warteten diesmal Autobusse.
     Die »Vossische Zeitung« beschrieb in ihrer Ausgabe vom 14. Juni 1931 noch einmal treffend eine Mannschaft, von der zu vieler Leidwesen abzusehen war, dass sie in dieser Zusammensetzung wohl nicht mehr allzu lange existieren und so überaus erfolgreich spielen dürfte: »Hertha- B.S.C. ist Deutschlands kampfstärkste Elf, ein in jahrelanger Kameradschaft organisch gewachsenes Mannschaftsgefüge. Man wird nicht ohne Verdienst und Leistung, ohne eiserne Nerven und unermüdliche Begeisterung siebenmal nacheinander Berliner Meister, man kommt sonst nicht sechsmal nacheinander ins Endspiel um die Deutsche`.
Hertha hat wiederholt in entscheidenden Spielen der Stärke des Gegners wie der Missgunst des Schicksals standgehalten, hat Nürnberg und Holstein nach 0 : 2 gegen sich, geschlagen, nie das Herz, nie den Kopf verloren. Die Elf bringt keine Gipfelpunkte vollendeter Fußballeinheiten, aber sie ist technisch gut, taktisch sehr gut (der Sturm!) und eine Einheit!«
     Eine andere Charakterisierung findet sich reichlich 60 Jahre später in einem Beitrag anläßlich der 100. Wiederkehr der Gründung der Hertha in »Berlin '92. Das Jahr im Rückspiegel«. Dort heißt es: »Hertha BSC, das war ein Stück des swingenden, aber auch erfolgshungrigen Berlins, eine Paraderolle der Spreemetropole.« Aus dem behäbigen Rhythmus des ansonsten längst vergessenen Haveldampfers »Hertha« samt seines Blau-Weiß, den vier junge Männer am 25. Juli 1892 auf einer Bank in der Stralsunder Straße zum Namensgeber ihres künftigen Vereins erkoren, war das Berliner Tempo der zwanziger Jahre geworden. Wenn der Berliner Traditionsklub Hertha BSC über die Zeiten unter den großen deutschen Vereinsmannschaften einen Platz nicht ganz, aber doch ziemlich weit vorn erworben hat, so ist das in allererster Linie der Erfolgself in der Zeit von 1926 bis 1931 zu verdanken.
     In den darauffolgenden Jahren bestimmten dann wieder mehrere Mannschaften das Berliner Fußballgeschehen. Die Glanzzeiten waren erst einmal vorbei.

Bildquelle: Landesbildstelle

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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