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Kurt Laser
Der Film im Berlin der zwanziger und dreißiger Jahre

Auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb Berlin das Zentrum des deutschen Films. Daran änderte sich nichts, als 1919 die Münchener Lichtspielkunst AG (Emelka) entstand, aus der später die Bavaria- Film AG hervorging.
     In Berlin und Umgebung lagen die Hauptproduktionsstätten mit ihren modernen Ateliers, hier wirkten neben der dominierenden Universum Film AG (Ufa) Firmen wie Art-Film, Cserépy- Film, Friedrich Melnik-Film, Neptun-Film, Orbis-Film, Pan-Film, Pantomin-Film, Primusfilm, Rex-Film, Richard Oswald-Film, Sokal Film, Stern-Film, Terra, Uco-Film und die Deutsche Lichtbild- Gesellschaft (DLG). In dieser Stadt war die Masse der Filmverleih- und -vertriebsfirmen, der Import- und Exportbetriebe tätig. Hier gab es eine Reihe von Unternehmen, die Filmapparaturen herstellten und verkauften. In Berlin erschienen die meisten Filmfachzeitschriften.
     Die Filmmetropole Berlin in den zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre soll im folgenden durch einige kurze Streiflichter vorgestellt werden.

Von Caligari bis Metropolis

Zahllose Sittenfilme und Detektivabenteuer flimmerten nach Kriegsende über die Berliner Leinwände. Historische Kostümfilme mit großer Ausstattung wie »Madame Dubarry« (1919), »Anna Boleyn« (1920), »Danton« (1921), oder »Königin Luise« (1928) boten ein verfälschtes Geschichtsbild. Das galt in besonderen Maße für den Ufa- Schinken »Fridericus Rex. Ein Königsschicksal« (1922), dem in der Tonfilmzeit weitere Machwerke folgten.
     In den Stummfilmjahren produzierten die in Berlin ansässigen Firmen auch einige Filme, die ihren Platz in der Weltfilmkunst gefunden haben. Das galt nicht zuletzt für den expressionistischen Film.
     Der Prototyp dieser Kunstform war der in den Ateliers in Weißensee unter der Regie von Robert Wiene (1881-1938) gedrehte Film der Decla-Film- Gesellschaft »Das Cabinett des Dr. Caligari«. Er hatte am 27. Februar 1920 im Marmorhaus Premiere.
     Kurt Tucholsky (1890-1935) bekannte, dass er seit Jahren, seit den großen Wegenerfilmen, nicht so aufmerksam im Kino gesessen hatte, wie bei diesem Streifen. Unter dem Pseudonym Peter Panter schrieb er in der Weltbühne (Heft 11/1920) über diesen Stummfilm: »Mit unserer Phantasie kann kein Kino mit. Und dass in diesem Film, von einer geraubten Frau ein Schrei ertönt, den man wirklich hört (wenn man Ohren hat) - das soll ihm unvergessen sein.«

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Ein Provinzgeschäft sei es nicht, meinte er und fürchtete, es sei nicht einmal ein Berliner Geschäft. Aber es ist für ihn ein guter Film, von dessen Art es mehr geben sollte.
     Wie Hans Janowitz, zusammen mit Carl Mayer (1894-1930), Autor des Drehbuches, später in seinen Erinnerungen schrieb, wollten sie mit diesem Film das unmenschliche Staatssystem des kaiserlichen Deutschland anprangern. Eine Staatsautorität, die sich auf uns berief und uns zwang, an einem unsinnigen Krieg teilzunehmen, liegt außerhalb der Vernunft,1) stellte er fest. Doch durch eine Rahmenhandlung verkehrte der Regisseur Robert Wiene (1881-1938) die Absicht der Drehbuchautoren in ihr Gegenteil. Die Geschichte war nun das Phantasieprodukt eines Irren, den der Arzt Dr. Caligari wieder in die Zelle zurückbringt.
     Für den expressionistischen Stil stehen auch die Filme von Regisseuren wie Karl-Heinz Martin (1988-1948) »Von morgens bis Mitternacht« (1920), Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) »Nosferatu« (1922), Paul Leni (1885-1929) »Das Wachsfigurenkabinett «(1924), Fritz Lang (1890-1976) »Der müde Tod« (1921) und »Dr. Mabuse, der Spieler« (1922) und in gewisser Weise sogar der zweiteilige Nibelungen- Film (1924).
     Murnau vollzog mit seinem Film »Der letzte Mann« ebenso wie Lupu Pick (1886-1931) mit »Scherben« (1921) und »Sylvester« (1924),
Leopold Jessner (1878-1945) und Paul Leni mit »Hintertreppe« (1921) faktisch zur gleichen Zeit den Übergang zum Kammerspielfilm. Sie schilderten das Schicksal der »kleinen Leute«, die tragisch endeten, wenn sie nicht wie beim »letzten Mann« zu einem märchenhaften Happyend kamen.
     Das Leben in der pulsierenden Metropole fingen die Dokumentarfilme »Berlin - Symphonie einer Großstadt« (1927) von Walter Ruttmann (1887-1941) und »Menschen am Sonntag« (1930) realistisch ein. Robert Siodmaks (1900-1973) Filmreportage mit Spielhandlung schilderte ein erholsames Wochenende von Berliner Angestellten.
     Das Großstadtmilieu spielte auch in den Filmen »Die Straße« (1923) von Karl Grune (1890-1962), »Die freudlose Gasse« in der Regie von Georg Wilhelm Papst (1885-1967) und in dem 1928 von Joe May (1880-1954) gedrehten Streifen »Asphalt« eine wichtige Rolle. Literaturverfilmungen mit hohem künstlerischen Anspruch wie Murnaus »Faust« (1926) und »Tartüff« entstanden sogar bei der Ufa. Nimmt man nur die phantastische Ausstattung und die damals dem modernsten Stand entsprechende Tricktechnik, könnte man auch Fritz Langs 1927 mit einem Kostenaufwand von fünf Millionen Mark gedrehten Film »Metropolis« dazu rechnen. Doch inhaltlich ist es eine triviale, die Klassenaussöhnung feiernde Geschichte.
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Seeckt beschneidet Potemkin

Filme, die versuchten, die Realität darzustellen und Wege zeigten, sie zu verändern, stießen nicht gleichermaßen auf das Wohlwollen der Oberen.
     Wie kaum ein anderer Film wirkte in dieser Zeit und auch später Sergej Eisensteins (1898-1948) »Panzerkreuzer Potemkin« auf Millionen Menschen in aller Welt. Es mag an der meisterhaften Form liegen, dass ihn Filmjournalisten 1958 in Brüssel zum »Besten Film aller Zeiten« erklärten, dass Nazipropagandachef Goebbels nach einem »nationalsozialistischen Potemkin« verlangte.


Szene aus: »Das Kabinett des Dr. Caligari« (1920)
So war es nicht verwunderlich, dass militaristische Kreise in Deutschland unruhig wurden, als die in Berlin ansässige Prometheus- Film-GmbH, die Filmverleih- und Vertriebsorganisation der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) den Eisenstein- Film in ihr Verleihprogramm für 1926 aufnahm. Besonders gefährlich erschien der Panzerkreuzer Potemkin der Reichswehrführung. Der Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt (1866-1936), war sich seiner Sache ziemlich sicher. Er wusste, dass die beiden von den Militärs entsandten Vertreter in der Filmprüfstelle jeden Film begutachten durften, bevor er in die Lichtspieltheater kam. Am 24. März 1926 verbot die Filmprüfstelle Berlin dann auch die Aufführung des »Panzerkreuzer Potemkin«. Doch die Prometheus- Film protestierte, und die Film- Oberprüfstelle musste den Film schließlich zur Aufführung freigeben.
     Jetzt schaltete sich Seeckt persönlich ein und schrieb am 10. April 1926 an den sozialdemokratischen preußischen Innenminister Carl Severing (1873-1952): Die Oberfilmprüfstelle Berlin hat, wie mir soeben gemeldet wird, heute entgegen dem entschiedenen Einspruch unserer beiden Vertreter den Film »Das Jahr 1905 (Panzerkreuzer Potemkin)« freigegeben. Ich sehe in der Zulassung dieses Agitations- und Zersetzungsfilms nach wie vor eine außerordentlich schwere und unnötige Belastung der militärischen Disziplin wie der öffentlichen Ruhe und Ordnung.
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Ich bin mir Ihrer Zustimmung und Unterstützung gewiss, wenn ich daher die Bitte an Sie richte, durch alle irgendwie möglichen Mittel - etwa durch Befassung des Oberreichsanwalts mit der Angelegenheit - die Aufführung zu verhindern.2) Doch selbst Seeckt konnte zunächst nicht mehr erreichen, als ein Verbot des Films für Reichswehrangehörige und Jugendliche.
     Am 29. April 1926 fand im Berliner Apollo- Theater in der Friedrichstraße 218 die deutsche Erstaufführung statt. Die »Rote Fahne«, das Zentralorgan der KPD, berichtete am 1. Mai emphatisch über dieses Ereignis: Die Spannung der Zuschauer entlädt sich in tosendem, in brausendem Beifall (Auch in jenem Zuschauer, der nicht zum Proletariat gehört). Man ist aufgewühlt bis ins Innerste. Jeder Nerv vibriert. Das war ein Erlebnis.Der Film trat seinen Siegeszug durch Berlin und andere deutsche Städte an. Vom 8. Mai 1926 an wurde er täglich in 15 Berliner Filmtheatern gespielt. Einige Kinobesitzer zeigten ihn an Sonnabenden und Sonntagen des großen Erfolgs wegen in täglich vier Vorstellungen. Ihr finanzieller Erfolg überwog etwaige politische Bedenken.
     Der Erfolg des Films ließ seine Gegner nicht ruhen. Am 11. Mai 1926 verlangten die Deutschnationalen im Preußischen Abgeordnetenhaus sein Verbot. Ihre Bemühungen führten zunächst nicht zum gewünschten Ergebnis.
Das Land Württemberg setzte schließlich ein Signal: Hier wurde der Film im Juni 1926 verboten, und der württembergische Innenminister erklärte, er werde nicht eher ruhen, bis das Filmverbot in ganz Deutschland durchgesetzt sei. Am 12. Juli gab die Film- Oberprüfstelle seinem Drängen und den Protesten der thüringischen, hessischen und mecklenburgischen Regierungen nach und sprach ein Verbot für ganz Deutschland aus. Der bekannte Theater- und Filmkritiker Alfred Kerr (1867-1948) schickte daraufhin von seinem Urlaubsort in Spanien eine Mitteilung an das »Berliner Tageblatt«, dass er künftig auf seine Mitgliedschaft in der Film- Oberprüfstelle verzichte.
     Doch die Rechnung ging nicht auf. Es entwickelte sich eine mächtige Protestbewegung, die immer breitere Schichten erfasste. Bereits am 28. Juli 1926 musste der Film wieder freigegeben werden, allerdings um 100 Meter gekürzt.

Hugenberg rettet die Ufa

1925 geriet der größte deutsche Filmkonzern, die Ufa, in finanzielle Schwierigkeiten. Jetzt erkannte die US- amerikanische Konkurrenz ihre Chance, auf dem deutschen Markt weiter vorzudringen. So gründeten die Paramount - die Verleihfirma der Famous-Goldwyn- Corporation -

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und die Metro-Goldwyn- Corporation zusammen mit der Ufa eine gemeinsame Verleihfirma, die Parufamet, an der die Ufa mit 50 Prozent beteiligt war. Durch diesen Vertrag verpflichtete sie sich, von jedem amerikanischen Partner 20 Filme zu übernehmen und in ihren Theatern zu spielen. Paramount und Metro-Goldwyn sicherten dafür die Abnahme von zehn Ufa-Filmen pro Jahr für den Markt der USA zu. Außerdem räumte die Universal Pictures Corporation der Ufa einen 275000-Dollar- Kredit unter der Bedingung ein, dass sie insgesamt 50 Filme dieser Firma in Deutschland vorführte.

Szene aus »Die Dreigroschenoper« (1931)
Die beiden Verträge ermöglichten es den US-Firmen, etwa die Hälfte der in Deutschland überhaupt einspielbaren Leihmieten allein über die Ufa-Theater zu bekommen. Ziel ihrer Arrangements mit der Ufa und mit anderen Berliner Firmen war es, die deutsche Filmindustrie in finanzielle Abhängigkeit zu bringen und die damals durchaus vorhandene Konkurrenz entscheidend zu schwächen. Die Hoffnung der Ufa, durch die Vorführung ihrer Großfilme auf dem amerikanischen Markt die dringend benötigten Devisen einzuspielen, erfüllte sich allerdings nicht.
     Es kamen nur wenige Ufa-Filme in die amerikanischen Kinos. Der Ufa drohte der Ausverkauf.
Da trat Alfred Hugenberg (1865-1951) als »nationaler Retter« in Erscheinung. Er stand zu diesem Zeitpunkt an der Spitze eines wirtschaftlich erfolgreich arbeitenden Pressekonzerns und konnte ohne größere Schwierigkeiten die Mittel für den Ufa-Kauf aufbringen.
     In dem neugewählten Aufsichtsrat der Ufa übernahm Hugenberg nach der gelungenen finanziellen Transaktion den Vorsitz, der Direktor der Deutschen Bank, Emil Georg von Stauß (1877-1942), blieb als Stellvertreter weiterhin in führender Position. Die Geschäftsführung übernahm Ludwig Klitzsch (1881-1954), der Generaldirektor des Hugenbergschen Scherl- Verlages.
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Hugenberg und Klitzsch brachten auch die aus der Deutschen Lichtbild- Gesellschaft (DLG) hervorgegangene Deulig Film AG und deren erfolgreiche Deulig- Woche mit in die Filmehe.3)

Der Phoebus-Skandal

Ich habe im Mai von der Liebe geträumt - so warb die Phoebus Film AG im August 1927 in großen Lettern für ihren neuen Film. Schon der Titel künde vom Kitsch, schrieb »Die Rote Fahne« am 21. August. Man wisse nicht, worüber man sich mehr wundern soll, über den Mut, so etwas zu bieten, oder über das bürgerliche Publikum, das sogar Beifall klatschte. Mit hübschen Landschaftsaufnahmen könne man die schlecht gespielte Liebesgeschichte, die natürlich glücklich endet, nicht retten.
     ,Mit ihren künstlerisch wertlosen Filmen - von dem 1927 entstandenen witzigen Streifen »Die Hose« nach der Komödie von Carl Sternheim (1878-1942) einmal abgesehen - wäre die Phoebus- Filmgesellschaft kaum in die Schlagzeilen geraten. Doch der Name Phoebus stand 1927/28 im Mittelpunkt einer aufsehenerregenden Korruptionsaffäre, die im Reichstag enthüllt wurde. Sie schlug so hohe Wellen, dass Reichswehrminister Otto Geßler (1875-1955) im Januar 1928 seinen Hut nehmen musste.

Anfang August 1927 brachten es Berichte des »Berliner Tageblatt« und anderer Zeitungen ans Tageslicht. Die Marineabteilung des Reichswehrministeriums hatte jahrelang aus dem Geheimfonds des Marineamtes über eine Tarnfirma, die Lignose AG, mindestens 6 bis 8 Millionen RM für die Filmpropaganda abgezweigt. Über die Verwendung dieses Fonds wurde der Reichstag nicht informiert. Durch die Filmfirma getarnt, gab es wiederum illegale Zahlungen des Reichswehrministeriums, um die geheime Aufrüstung im In- und Ausland zu finanzieren. Der in diese Manipulationen verwickelte Kapitän Lohmann von der Marineabteilung sorgte aber nicht nur für die Finanzierung der Phoebus Film AG, sondern dachte auch an seinen eigenen Vorteil. Von den Nettoeinnahmen des Berliner Filmtheaters Marmorhaus steckte er regelmäßig zehn Prozent in die eigene Tasche. Eine Untergesellschaft des Reichsmarineamtes, die Navis GmbH, kaufte das Haus Lützowufer 3 in Berlin für 900000 RM. Seiner Freundin, der ehemaligen »zaristischen Exzellenz« Elke Ekimoff, richtete Lohmann hier eine 12-Zimmer- Wohnung ein. Frau Ekimoff, die außerdem von der Phoebus über einen längeren Zeitraum 1000 RM im Monat für »Repräsentationszwecke« erhielt, stellte der Navis drei Zimmer der Wohnung zur Verfügung.
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Die in Berlin SW 48, Friedrichstraße 225, ansässige Phoebus Film AG hatte Filialen in Leipzig, Hamburg, Frankfurt/Main, Düsseldorf, München und Königsberg/Pr., im Ausland in Paris, London, Rom und Bukarest. Die Gesellschaft besaß eigene Ateliers in der Hasenheide und verfügte in Berlin, Dresden, Köln, Kiel, München, Dortmund und Nürnberg immerhin über elf Kinos mit insgesamt 15 186 Plätzen. Doch weder die militaristischen Schinken, noch solche belanglosen Streifen aus der eigenen Produktion wie »Die weiße Schwester«, »Weibsteufel«, »Der Mann ohne Nerven«, oder »Schneller als der Tod« konnten den Zusammenbruch der Firma aufhalten. Sie ging schließlich in den Besitz der gleichfalls mit Reichsbeteiligung arbeitenden Münchner Lichtspielkunst AG (Emelka) über.

Der Tonfilm tritt seinen Siegeslauf an

Bereits im November 1922 gab es in der »Alhambra« am Kurfürstendamm die erste Probevorführung eines Tonfilms auf der Grundlage des von drei jungen Ingenieuren entwickelten Tri-Ergon- Verfahrens. Doch zu diesem Zeitpunkt war noch niemand zur wirtschaftlichen Umsetzung des Verfahrens bereit. Das Patent wurde verkauft.
     Doch als am 6. Oktober 1927 »The Jazz Singer« der Warner Brothers seine New Yorker Premiere hatte, begann eine neue Epoche in der Geschichte des Films. Im Juni 1929 wurde der Film auch in Berlin gezeigt.

Ufa- Generaldirektor Klitzsch, der 1929 zu Verhandlungen in den USA weilte, erkannte die Zeichen der Zeit. Er setzte durch, dass seine Firma forciert zur Tonfilmproduktion überging. Die Aufnahmen zu der noch als Stummfilm begonnenen »Melodie des Herzens« wurden unterbrochen, und bereits im Dezember 1929 hatte die Tonfilmfassung in Berlin Premiere. 1930 war das neuen Tonatelier der Ufa mit vier Hallen fertig.
     Auf dem Gebiet des Tonfilms hatte die Ufa allerdings mit der Tobis-Tonbild- Syndikat AG einen Konkurrenten. Diese Firma war als Zweigunternehmen der Schweizer Schallplatten- und Patenthaltungsfirma Tri-Ergon- Musik-AG, St. Gallen, entstanden und am 12. Mai 1927 als Tri-Ergon- Musik-AG in Berlin mit einem Kapital von 50000 RM gegründet worden. Sie betätigte sich anfangs nur auf dem Gebiet der Schallplattenproduktion. Ihre große Stunde als Tonfilmunternehmen schlug im August 1928, als die Schweizer Muttergesellschaft in St. Gallen, der holländisch- deutsche Küchenmeister- Konzern, die Aktiengesellschaft für Industrie und Technik und andere Unternehmen ihre verschiedenen in- und ausländischen Schutzrechte, die sich auf die wertvollsten europäischen Tonfilmverfahren mit Ausnahme der Siemens- und AEG-Patente erstreckten, zur einheitlichen und vorteilhaften kommerziellen Ausnutzung in einer Hand vereinigten. Für diese Aufgabenstellung bestimmten sie die Berliner Tri-Ergon- Musik-AG, deren Aktienkapital am 30. August 1928 auf 12 Millionen RM erhöht wurde.
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Gleichzeitig erfolgte eine Namensänderung, zunächst in Tonbild- Syndikat AG und dann am 19. Januar 1931 in Tobis- Tonbild- Syndikat.
     Die Position des Konzerns auf dem Patentgebiet wurde durch zwei Abkommen ausgebaut, die mit der deutschen Klangfilm GmbH am 13. Februar 1929 und mit den amerikanischen Großelektrokonzernen General und Western Electric am 22. Juli 1930 abgeschlossen wurden. Eine neue Firma, die Tobis- Klangfilm, wurde ins Leben gerufen. Der Tobis standen nunmehr die Patente der Klangfilm GmbH, und damit von Siemens, AEG und Polyphon, ebenso zur Verfügung wie die der amerikanischen Großelektrokonzerne.
     Doch die Ufa erwarb durch einen Vertrag mit der Tobis- Klangfilm das Recht, Tonfilme herzustellen, ohne für jede Einzelproduktion Lizenzen beantragen zu müssen. Ähnliche Verträge schlossen auch die Hauptkonkurrenten der Ufa auf dem Gebiet der Filmproduktion Terra und Emelka ab. Kleinere Firmen hatten da weit schlechtere Karten.
     Als der Tonfilm sich durchzusetzen begann, war die Lage der Ufa wesentlich besser als zwei Jahre vorher. Das Berichtsjahr 1930/31 war für die Firma das erste volle Tonfilmjahr. Die Ausrüstung der Theater mit Tonfilmwiedergabemaschinen machte Fortschritte. Die Ufa- Produktion 1930/31 umfasste 20 tönende Spielfilme, 21 so genannte Tonkulturbilder mit 46 fremdsprachigen und 13 stummen Fassungen sowie 187 Wochenschauen, davon noch 149 stumme und 38 Tonfassungen.
Diese stummen Wochenschauen wurden noch beibehalten, weil eine Reihe kleinerer Theater sich nicht kurzfristig auf Ton umstellen konnten.4) Sechs Prozent Dividende im ersten vollen Tonfilmjahr berichteten der Berliner- Börsen- Courier und andere Berliner Blätter. In den vorangegangenen fünf Geschäftsjahren von 1925/26 bis 1929/30 war das Aktienkapital dividendenlos geblieben. Das Filmfachblatt Licht Bild Bühne schrieb, die Bilanz mache, wie seit Jahren nicht mehr festzustellen, einen äußerst flüssigen Eindruck schon dadurch, dass nicht nur die Schulden bei den Banken beglichen waren, sondern die dort vorhandenen Guthaben allein am Bilanzstichtag 7,5 Millionen RM ausweisen. Die Bilanzziffern im Einzelnen brächten den Nachweis, dass die Krisenzeit der Ufa als überwunden gelten könne.5) 1931 gehörten zum Ufa-Konzern 71 Tochtergesellschaften: sechs Produktionsfirmen, fünf Verleihunternehmen, 37 Theatergesellschaften, 19 Auslandsgesellschaften und vier sonstige Firmen.
     Der Tonfilm bot der Ufa die Möglichkeit, solche beim Publikum in Deutschland erfolgreichen Musikfilme herzustellen wie »Die Drei von der Tankstelle« (1930) oder »Der Kongreß tanzt« (1931). Aber auch ein künstlerisch anspruchsvoller Film wie »Der blaue Engel« (1930) mit Marlene Dietrich (1900-1992) und Emil Jannings (1884-1950) entstand in den Ufa-Ateliers.
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Der sozialkritische Gehalt des Romans »Professor Unrat« von Heinrich Mann (1871-1950) war allerdings gemildert worden.
     Filme, die die Realität in der Zeit der Wirtschaftskrise widerspiegelten, sich gegen Militarismus und Kriegshetze wandten, entstanden aber vorwiegend bei anderen Produktionsgesellschaften, so »Westfront 1918« (1930) »Die Dreigroschenoper« (1931), »Kameradschaft« (1931) und »M« (1931) bei der Nero-Film, »Cyankali« (1930) nach dem Theaterstück von Friedrich Wolf (1888-1953), »Dreyfus« (1930) bei der Richard- Oswald- Film, »Berlin - Alexanderplatz« (1931) bei der Allianz- Tonfilm, »Mädchen in Uniform« (1931) bei der Deutschen Film- Gemeinschaft und »Der Hauptmann von Köpenick« (1931) bei der Roto-Film. In diesem Zusammenhang ist vor allem »Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt« (1932) der Prometheus- Film zu nennen, die bereits 1929 mit den Stummfilmen »Mutter Krausens Fahrt ins Glück« und »Jenseits der Straße« hervorgetreten war. Mit »Kuhle Wampe«, nach der Liquidation der Prometheus Film von der Praesens- Film fertiggestellt, erreichte der proletarische Film seinen Höhepunkt in Deutschland.
     Doch dominierend blieb die Ufa. Sie wurde zur stärksten Filmmacht in Europa und zur einzigen ernsthaften Konkurrentin der US-Firmen. Mit nationalistischen, zum Teil Preußens Glorie verherrlichenden Filmen wie »Das Flötenkonzert von Sanssouci« (1930), »York« (1931) »Der schwarze Husar« (1932), unterstützte diese Filmgesellschaft den Propagandafeldzug der Nazibewegung.
Noch 1932 wurde »Morgenrot« fertiggestellt, ein schauspielerisch hervorragend besetzter Propagandastreifen, der den sinnlosen Opfertod der U-Boot- Besatzungen während des Ersten Weltkrieges verherrlichte. Der Satz des U-Boot- Kapitäns in diesem Film: »Leben können wir Deutsche vielleicht schlecht, aber sterben können wir jedenfalls fabelhaft«, gefiel dem gerade zum Reichskanzler ernannten Adolf Hitler bei der Berliner Uraufführung am 1. Februar 1933 besonders.

Quellen:
1 Zitiert nach Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films, Band 1, 1895 - 1928, Berlin 1972, S. 215
2 Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland, Bd. 1, Berlin 1975, S. 331 f.
3 Vgl. Jürgen Spiker, Film und Kapital. Der Weg der deutschen Filmwirtschaft zum national- sozialistischen Einheitskonzern, Berlin 1975, S. 43 ff.
4 Vgl. Berliner Börsen- Zeitung Nr. 435 v. 19. 9. 1931
5 Vgl. Licht Bild Bühne, Nr. 225 v. 19. 8. 1931, 1. Beilage

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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