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In alten Zeitungen geblättert

Berlin ohne Strom und Straßenbahnen

Vom 6. bis 11. November 1920 legte ein Streik der Elektrizitätswerker die Stromversorgung und den Straßenbahnverkehr in der Reichshauptstadt lahm. Über den ersten Streiktag, einen Sonnabend, konnte man in der »Vossischen Zeitung« lesen:
     Mit dem stumpfen Gleichmut, dem eine oft wiederholte Erfahrung auch gegen die härtesten Eingriffe in unsere Lebensführung erzeugt hat, sieht sich die Berliner Bevölkerung nach einer Ruhepause wieder ohne elektrisches Licht, ohne Strom und ohne Straßenbahn. Die radikalste Gruppe der Gemeindearbeiter, die Elektrizitätsarbeiter, haben gestern die Ablehnung des Schiedsspruchs, dem das Einigungsamt über die Lohnerhöhungen für die städtischen Arbeiter gefällt hatte, beschlossen und noch nachts in allen Werken die Arbeit niedergelegt. Infolgedessen erlosch gegen vier Uhr morgens das Licht und die Straßenbahnen konnten heute morgen ihren Betrieb nicht aufnehmen. Auf der Hoch-, Stadt- und Ringbahn gab es die von früher her bekannte Überfüllung und der wilde Fuhrwerksverkehr wagte sich wieder schüchtern, besonders im Westen, hervor. (...)
     Die Vorgeschichte des Streiks ist bekannt: Vor ein paar Wochen wandten sich die Arbeiter der Groß-Berliner Städtischen Betriebe mit Lohnforderungen an die Stadtverwaltung, deren Bewilligung einen jährlichen Mehraufwand von 300 Millionen Mark bedingt hätte.(...) Wie wir von unterrichteter Seite erfahren, mißbilligen die Führer der organisierten Arbeiterschaft ausnahmslos den Streik wegen seiner schweren wirtschaftlichen und innen- und außenpolitischen Folgen.

Auch in den breiten Massen der Arbeiterschaft hat Empörung Platz gegriffen über den übereilten Streik, zumal die Streikenden sogar den Krankenhäusern den elektrischen Strom sperren. Man hofft, daß unter dem Druck der gesamten Arbeiterschaft die Streikenden die Arbeit wieder aufnehmen werden. Sollte das nicht der Fall sein, so habe der Magistrat bereits in Erwägung gezogen, die Streikenden zu entlassen und sie zu ersetzen aus dem großen Heere der Arbeitslosen, von denen zahlreiche Arbeitsangebote vorliegen. (...)
     Berlin liegt wieder einmal im Dunkeln, die Millionenstadt ist durch ein paar tausend radikale Elektrizitätsarbeiter lahm gelegt. Die Hauptstraßen, die Leipziger- und die Friedrichstraße, der Potsdamer Platz und alle jene Hauptverkehrsadern, die elektrisch beleuchtet werden, sind ohne Licht und zwischen den finsteren Häusermauern wälzen sich die Zehntausende von Arbeitern, die der radikale Streikbeschluß aus den Betrieben auf die Straße jagte. Am Potsdamer Platz wird eine Dame überfahren und schwer verletzt; ein Opfer der Dunkelheit, des wilden Streiks. In den öffentlichen Gebäuden, in den Ämtern und Behörden, geht man mit Kerzen von Zimmer zu Zimmer, erledigt mühsam die dringendsten Dinge, auch in vielen Geschäften und Läden glimmen Kerzen; der Sonnabend, lebhaftester Geschäftstag, ist fast gelähmt. Die Postämter schließen, Briefe und Pakete bleiben liegen, große Betriebe schließen. (...)

Flughafen Tempelhof eröffnet

Am Dienstag, dem 8. Oktober 1923, wurde der Berliner Zentralflughafen eröffnet. Der »Berliner Lokal- Anzeiger« berichtete darüber in seiner Abendausgabe:
     Auf flugtechnisch historischem Boden, auf dem Tempelhofer Feld, wurde heute vormittag der Zentralflughafen Berlin dem öffentlichen Betriebe übergeben.

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In unmittelbarer Nähe der Stelle, von der aus einmal die vom Verlag August Scherl angeregten und geförderten Flugversuche der Brüder Wright stattfanden, stiegen in der elften Stunde die stolzen Passagierflugzeuge der Junkerswerke und der Aero Lloyd auf, um ihren Weg nach München und Königsberg zu nehmen. Es ist allerdings nicht der erste Passagierflug, der vom Tempelhofer Feld seinen Ausgang nahm; aber es war doch der erste, nachdem das Tempelhofer Feld ganz offiziell zum Zentralflughafen Berlins avanciert ist und der erste, dem nunmehr die fahrplanmäßigen Flüge folgen werden. Von einer besonderen Eröffnungsfeier, der auch der Reichspräsident und die obersten Beamten von Staat und Reich beiwohnen wollten, war wegen der trüben politischen Verhältnisse Abstand genommen worden. Ganz inoffiziell waren nur Vertreter des Verkehrsministeriums und der Stadt erschienen. Den in schlichtesten Formen gehaltenen Akt leitete Stadtbaurat Dr. Adler mit einer Ansprache ein. Seiner eifrigen Werbetätigkeit ist es ja auch zu danken, daß die Stadt Berlin als Eigentümerin des Tempelhofer Feldes auch Besitzerin des Zentralflughafens geworden ist. (...) Eine Viertelstunde vor Elf stieg dann das erste Junkers- Flugzeug nach München auf, fünf Minuten später das zweite nach Königsberg. Die Motoren knatterten, die Propeller wirbelten mit weithin hallendem Rumoren dann rollten die Eindecker über den Boden und kurz darauf erhoben sie sich in die nebelfeuchte Luft. In München warten die Anschluß- Flugzeuge nach Genf, Wien und Budapest, in Königsberg die nach Moskau. Berlin- London wird vorläufig noch von Staaken aus betrieben. Die Riesenflugzeuge der englischen Fluggesellschaften können vorläufig noch nicht auf dem Tempelhofer Feld stationiert werden. Ein bißchen provisorisch ist es nämlich noch draußen. Zwei große Hallen sind zwar schon fix und fertig, auch ein Verwaltungsgebäude für die Flugpolizei, Zollerhebung und Ambulatorium ist da, aber mancherlei fehlt doch noch, vor allem die völlige Planierung des Geländes. (...) Funkturm als neues Wahrzeichen

Am Freitag, dem 3. September 1926, wurde anläßlich der Eröffnung der 3. Berliner Funkausstellung der Funkturm an der Masurenallee seiner Bestimmung übergeben. Das »Berliner Tageblatt« berichtete an diesem Tag in seiner Morgenausgabe:
     Irgendetwas ist ja immer am Kaiserdamm in Betrieb: Alpenländische Sommerschau, Wettsegeln, Reitturnier, Sängerfest oder Revue der Mannequins. Aber die »richtige« Saison beginnt eben erst mit der nun schon beinahe traditionell gewordenen Großen Deutschen Funkausstellung. Und heute soll es ja besondere Sensationen da draußen geben. Und so hatte man denn zu gestern Abend die Presse zu einer Vorbesichtigung eingeladen. (...)
     Der Besichtigung der Halle schloß sich die Besteigung des Funkturmes an. Schlank und elastisch strebt er am Scholtzplatz in die Höhe. 138 Meter hoch klettern seine Eisenlinien und man hat das Gefühl, als seien sie feiner und luftiger als die des Eiffelturmes in Paris. Ja, dieses neue Wahrzeichen Berlins hat auch seine künstlerisch- technischen Reize. (...) Der Architekt Julius Ballenstedt hat den Platz zu Füßen des Turmes, auf dem sich noch vor wenigen Wochen Baugerüste türmten, zu einem freundlichen Park umgeschaffen. Er ist der Startplatz zu der Fahrt in die Lüfte, die von heute an jeder Berliner antreten kann. Die erste Station des Fahrstuhls im Turmgestell ist das Restaurant in 50 Meter Höhe. Professor Heinrich Streumer, der auch die Funkhalle erbaute, ist der Schöpfer dieses Restaurants. Die vier großen Eisenstützen des Turms umklammern es fest und sicher und schmiegsam in seiner Architektur. Um die eisernen Pfeiler ist Holz gelegt, warm und dunkel getöntes kaukasisches Nußholz, und die Holzverkleidung umschließt so geschickt das Eisengerüst, daß wir nicht einen Moment daran dächten, innerhalb eines Eisenturms zu sitzen, wenn wir nicht den wundersamen Ausblick in das übersonnte Berlin hätten, das sich 50 Meter tief unter uns breitet und weitet.

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   190   Dokumentiert Aus alten Zeitungen  Voriges BlattNächstes Blatt
Und am Abend? Die tausend und abertausend Lichter der Großstadt werden märchenhaft wirken. (...)
     Weiter ging die Fahrt in die luftige Höhe. Endstation ist die Plattform, auf der 50 Personen ihre Schwärmereien über den einzigartigen Ausblick, der sich hier, 120 Meter hoch über die große Stadt öffnet, vereinen. (...) Von der eigentlichen Eröffnung des Turms berichtete der »Berliner Lokal- Anzeiger« in seiner Abendausgabe vom 3. September:
     Das Ausstellungsgelände am Kaiserdamm lag - als man gegen elf Uhr anfuhr - in grellem Sonnenglanz. Ein kurzer Blick in die Funkhalle, in der Fieberstimmung intensiven Schaffens lag, dann wieder hinaus zum Festplatz am Fuße des wolkentragenden Funkturmes. (...) Böllerschüsse dröhnten und knatterten. Pulverrauch drang schwarz in die Luft. Dann übernahm Direktor Schick vom Messeamt den Funkturm. Er nannte ihn die Siegessäule des Westens, die friedlichen Sieg menschlichen Geistes über Raum und Zeit künde. Der Turm sei der Mittler deutscher Kultur. Er trage zugleich den Gedanken der Berliner Ausstellungen und Messen in alle Welt hinaus. (...)
     Über neue Errungenschaften der Funktechnik informierte der »Lokal- Anzeiger« dann in seinem Ausstellungsbericht vom 5. September:
     Das erste, was uns bei der Betrachtung der ausgestellten Gegenstände auffällt, ist die starke Arbeitsteilung in der Funkindustrie. Viele Firmen fertigen heute, wohl in der Absicht, sich für den Export einzustellen, bestimmte Einzelteile, während andere unter Benützung derselben Empfangsgeräte bauen, die natürlich eine bessere Beschaffenheit gegen früher aufweisen. Die einfachen Empfangsgeräte, die neben den Detektor noch auftreten, sind meist Audion- Rückkopplungs- Empfänger mit Mehrfach- Niederfrequenz- Verstärkung.
Bei allen Apparaten sieht man auf Einfachheit der Bedienung. Die größeren Empfänger sind auf Empfang von 200-2 000-4000 Meter eingerichtet. Manche gehen bis 10 Meter herab, abgesehen von Kurzwellenempfängern an und für sich. Die Umschaltung wird oft nicht durch Spulentausch, sondern durch eigene Umschalter ermöglicht. Man befleißigt sich allgemein, sich jetzt von den Batterien als Stromquellen freizumachen (...) Die Lautsprecher gestatten meist die Vermeidung bestimmter Tonfrequenzen, auch ohne Schalltrichter, wozu nach Befinden noch »Tonveredler« treten. Noch wäre die Bildtelegraphie (System Carolus) zu erwähnen. Derartige Apparate werden von Telefunken bereits in kompendiösen Behältern hergestellt. Wünschenswert wäre es, die Wirkung den Ausstellungsbesuchern vorführen zu können.

Sensationsprozeß um Schülertragödie

Am 9. Februar 1928 begann in Moabit der Prozeß gegen den 19jährigen Oberprimaner Paul Krantz. Er wurde des Mordes an seinem »Nebenbuhler« und der Verabredung zur Ermordung seiner Freundin Hilde Scheller beschuldigt, die als Zeugin am Prozeß teilnahm. Für die »Vossische Zeitung« berichtete ihr berühmter Feuilletonist und Gerichtsreporter Sling (eigtl. Paul Schlesinger) am nächsten Morgen:
     Unter ungeheurem Andrang von Zuschauern und einem großen Aufgebot von Zeugen und Sachverständigen begann gestern Vormittag vor dem Schwurgericht des Landgerichts II der Prozeß gegen den Oberprimaner Paul Krantz, der beschuldigt wird, an der Ermordung des Kochlehrlings Stephan durch den Oberprimaner Günther Scheller, der nach der Tat durch Selbstmord geendet ist, mitgewirkt zu haben. Die Anklage lautet auf Mord und Verabredung zum Mord.

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   191   Dokumentiert Aus alten Zeitungen  Voriges BlattNächstes Blatt
Moabit hat in den letzten Jahren selten einen so großen Tag erlebt wie diesen. Der überfüllte Zuschauerraum, die Anteilnahme zahlreicher ausländischer Pressevertreter, lassen das Interesse der gesamten Öffentlichkeit sehr deutlich spüren. Aber man kann sich doch des Eindrucks kaum erwehren, daß dieses Interesse mehr von außen hereingetragen wird als das es im inneren Interesse an der Frage selbst begründet wäre. Gewiß eine schwere Bluttat, zwei Revolverschüsse haben zwei junge Menschenleben vernichtet, und trotzdem will es scheinen als sei das durch die Tat plötzlich aufgehellte Milieu für die Neugierde der Welt viel wichtiger als die Tat selbst.
     Nüchterner haben sich wohl selten Geschehnisse dargestellt, von denen wir wissen, daß sie in einem Rausch von Alkohol, Liebe und Todessehnsucht vor sich gegangen sind. (...) Die Geschlechtlichkeit dieser jungen Menschen war zu einem Brand aufgelodert, der einfach alles um sie her auffraß, um sie schließlich selbst zu vernichten. Es war nicht nur die Liebe des einen Individuums zum anderen, obgleich man gerade von dem Angeklagten Paul Krantz sagen kann, daß er individueller Zuneigung fähig war und daß er durchaus von der Leidenschaft bewegt war, das Mädchen, daß sich ihm ergeben hatte, allein zu besitzen. (...) Hilde gab sich Paul Krantz hin, gehörte ihm während einer Nacht, um in der nächsten Nacht ihren älteren Freund Stephan wieder an sich zu locken. Dieser Krantz, durch die Treulosigkeit Hildes verärgert, tut aber nichts, um das Stelldichein mit Stephan zu stören. Er tröstet sich inzwischen mit Elli, die eigentlich dem Günther gehört (...) Daß der Feind den Feind töten will, daß der Liebhaber die treulose Geliebte erschießt, wäre nicht so absonderlich, aber im selben Augenblick ist auch schon die Idee des Doppelselbstmordes da, der Entschluß gefaßt. Aber noch ist Nacht. Das Schlafzimmer, in dem Hilde und Stephan sind, ist verschlossen. Man hat Zeit, man schreibt Abschiedsbriefe, auch an das Weltall, dem gegenüber man offenherzig erklärt, man sei doch nur ein winziges Teilchen des Universums.
Man werde den Verlust von diesen paar Menschenseelen nicht spüren. (...) Es dämmert, die Seelen werden nüchterner. Paul Krantz so sagt er jetzt will von dem Plane nichts mehr wissen. Günther sagt: »Du bist wohl feige.« Es klingelt, Hilde kommt aus dem Schlafzimmer um zu öffnen. Elenor kommt. (...) Die Fenster zum Schlafzimmer sollen offen gestanden haben und Krantz glaubte, Stephan habe sich durch das Fenster hinaus ins Freie begeben. Günther kommt zurück und geht noch einmal ins Schlafzimmer. Diesmal folgt Krantz. Von Stephan ist nichts zu sehen. Eben, als sie sich zum Gehen anschicken, sieht plötzlich Günther den durch einen Bademantel verhüllten Stephan. Günther erschießt erst Stephan und dann sich selbst. Paul Krantz kniet nieder und will den Revolver aufheben. Hilde nimmt ihn weg. Man ruft nach einem Arzt. Krantz sagt, es sei zwecklos, gibt aber nun Hilde und Elenor Anweisungen, sie sollen nicht sagen, daß ihm der Revolver gehört. Und er erklärt das. Er habe sich moralisch mit verantwortlich gefühlt an dem Geschehenen, er habe Angst gehabt, daß nun alles heraus käme, auch die vielfältigen erotischen Beziehungen. Er sagt das ruhig und klar in seiner artigen und respektvollen Manier. Immer aber in dem Bewußtsein und mit der Hoffnung, daß die moralische Verantwortung, die er anerkennt, nicht identisch sei mit der strafrechtlichen.
     Über das Ende dieses Prozesses, der fast zwei Wochen lang im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Berliner Zeitungen stand, schrieb die »Vossische Zeitung« in ihrer Ausgabe vom Dienstag, dem 21. Februar 1928:
     Der Mordprozeß Krantz ist Montagnachmittag durch einen Freispruch beendet worden. Pünktlich um 5 Uhr nachmittags betrat der Gerichtshof unter Vortritt des Landgerichtsdirektors Duft zur Urteilsverkündung den Saal. Der Angeklagte erhebt sich, wird aber aufgefordert, wieder Platz zu nehmen. Unter allgemeiner Spannung gibt der Vorsitzende das Urteil bekannt: Der Angeklagte wird wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Gefängnisstrafe von drei Wochen verurteilt und von den übrigen Punkten der Anklage freigesprochen.
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   192   Dokumentiert Aus alten Zeitungen  Voriges BlattNächstes Blatt
Die Strafe gilt durch die Untersuchungshaft als verbüßt. (...) Mit diesem Urteil findet ein Strafverfahren zunächst prozessual seinen Abschluß, das in seltenem Maße die Aufmerksamkeit weitester Kreise der Öffentlichkeit erregt hat, nach Ansicht des Gerichtes auch in der Tat erregen durfte, denn es sind hier neben den strafrechtlichen Dingen des Prozesses auch eine ganze Reihe von Dingen auf dem Gebiet der Moral, der Pädagogik und der Psychologie und schließlich auch auf dem Gebiete des Strafprozeß- Rechtes zur Sprache gekommen. (...) Was die Tat anbelangt, so gliedert sie sich in drei selbständige Handlungen: Einmal den unerlaubten Waffenbesitz. Was hier die Schuldfrage selbst anlangt, so ist darüber nichts weiter zu sagen. Denn der Angeklagte gesteht ein, daß er ohne einen Waffenschein zu besitzen, eine Waffe mit sich herumgetragen hat. Die zweite Tat: die Verabredung zum Morde an der Hildegard Scheller. Was diesen Vorwurf anbelangt, so hat der Angeklagte hier eingestanden, daß er in der Tat zu nächtlicher Zeit zusammen mit Günther Scheller, verabredet hatte, nicht nur sich beide zu erschießen, sondern auch Stephan und Hildegard Scheller. Dabei ist festgestellt worden, wie sich in der Hauptverhandlung ergeben hat, daß nicht der Angeklagte Krantz als die treibende Kraft der ganzen Sache anzusehen ist, sondern der eigentlich notorisch Tätige Günther Scheller war. (...)

Blutige Maifeier in Berlin

Unter dieser Überschrift berichtete das »Berliner Tageblatt« über den 1. Mai 1929:
     Der 1. Mai hat in Berlin zu folgenschweren Zwischenfällen geführt. Es war zu erwarten, daß die Kommunisten sich dem Demonstrationsverbot des Polizeipräsidenten gewaltsam widersetzen würden.

Die Schutzpolizei war auf höchste Alarmstufe gestellt und hatte den Befehl, rücksichtslos alle Ansammlungen schon im Keime zu ersticken. Das tat sie auch gründlich. Oft allerdings mit einem derartigen Übereifer, daß auch harmlose Passanten mit dem Gummiknüppel mißhandelt wurden. (...) Am Wedding, in der Gegend der Kösliner Straße, nahmen die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Polizei im Laufe des Nachmittags den Charakter von Unruhen an. (...) Die Straßen wiesen hier viel Flaggenschmuck auf. Ein großes Banner trug die Inschrift: »Du vernichtest nimmer unsern Geist, wenn du auch Zörgiebel heißt!« Als die Ansammlungen dann immer größer wurden, sandte die Revierpolizei ihre Beamten auf einem Lastkraftwagen nach der Wiesenstraße. Ein Leutnant und 25 Mann gingen gegen die Leute mit dem Gummiknüppel vor. Es gab zahlreiche Verhaftungen. Als die Menge eine immer drohendere Haltung einnahm, schossen die Polizisten, gaben etwa hundert Schüsse ab und verletzten eine ganze Anzahl von Personen. (...) Gegen 3 Uhr nachmittags - das Rettungsamt hatte inzwischen mehrere Verletzte nach dem Virchow- Krankenhaus gebracht, rückte dann der Leutnant mit seinen 25 Mann wieder in der Wiesenstraße an und nahm Aufstellung an der Reinickendorfer Straße. Von hier aus wurden dann die Leute etwa zwei Stunden hindurch von einer Straßenecke nach der anderen getrieben, wobei die Beamten kräftig von dem Gummiknüppel Gebrauch machten. (...) Unterdessen hatten sich aber radaulustige Elemente in der Wiesen- und Kösliner Straße angesammelt, die bei erneuten Einsätzen der Polizei gegen abend die Beamten sofort mit Schüssen empfingen. Die Polizeibeamten griffen ebenfalls zur Schußwaffe; jetzt kam es zu einem regelrechten Feuergefecht. (...) Etwa 1 500 Schüsse fielen auf beiden Seiten. (...) Die bisher bekannte Zahl der Toten beträgt 10, die der Schwerverletzten etwa 60.
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   193   Dokumentiert Aus alten Zeitungen  Voriges BlattNächstes Blatt
Leider muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß sich die Zahl der Toten noch erhöhen wird, da mehrere Schwerverletzte hoffnungslos darniederliegen. Unter den Toten befindet sich ein noch unbekannter Mann, der einen Bauchschuß erhalten hatte. Es handelt sich um einen Krüppel, dessen rechter Unterschenkel vor mehreren Jahren amputiert worden ist.

Pergamon-Museum eröffnet

Am 1. und 2. Oktober 1930 fand in Berlin das »Säkularfest der Preußischen Museen« statt, in dessen Rahmen das Pergamon- Museum seiner Bestimmung übergeben wurde. Die »Vossische Zeitung« schrieb darüber am Mittwoch, dem 1. Oktober:
     Dem Tag, da vor hundert Jahren das Museum Schinkels am Lustgarten, das heutige Alte Museum, geweiht wurde, kann die Verwaltung der Staatlichen Kunstsammlungen Preußens mit der langerwarteten Eröffnung der monumentalen Neubauten auf der Museumsinsel begehen. So bringen die festlichen Veranstaltungen von heute und morgen eine Doppelfeier, die in der Geschichte der deutschen Kunstpflege denkwürdig bleiben wird. Ein Riesenwerk, an dem zwei Dezennien Mühe und Leistung, Kampf und Ärger hatten, ist abgeschlossen. Wir haben es aufsteigen sehen, mit Stolz, mit Bewunderung, auch mit Sorgen. Zahllose Streitfragen, die es heraufbeschwor, haben die Fachwelt, vielfach mit ihr die Öffentlichkeit, leidenschaftlich erregt. Nun, da es vollendet oder fast vollendet vor uns steht, da die Summe einer so ungeheuren Aufbietung verschiedenartigster Kräfte gezogen ist, wird jeder vor dem Anblick und Eindruck des Ganzen die Einzelheiten vergessen, wird er das positive Ergebnis als eine Tat deutscher Kulturarbeit feiern, die in diesen Zeiten schweren Druckes, dunkler Spannungen, unserem Volk von der Welt der Bildung als doppelten Verdienst angerechnet werden und den Männern, die es schufen, für alle Zukunft rühmenden Dank sichern wird. (...)

(...)
Was vor hundert Jahren in gehaltener Würde begann, hat sich in großartiger Entfaltung abgerundet die Straßenübergänge, die vom Lustgarten bis zur Inselspitze eine fortlaufende Verbindung herstellen sind mehr als ein Verkehrsmittel. Sie deuten symbolisch an, wie sich jetzt ein vielgliedriger Organismus zu einer Einheit zusammenschließt. (...) Von weitem schon wird in dem zurückliegenden Bautrakt, dem Kernstück der Ehrenhofanlage, der Raum signalisiert, den man das Herz des ganzen neuen Bezirks nennen kann: der Saal des pergamonischen Altars mit seinen kolossalen Maßstäben, 47 Meter Breite, 30 Tiefe und 18 Höhe ist er, amerikanisch zu reden, »der größte Museumssaal der Welt«. (...)
     Von der Einweihung des Pergamon- Museums berichtete die »Vossische Zeitung« dann am Freitag, dem 3. Oktober:
     Der Mittwoch gehörte dem Säkularfest der Preußischen Museen, der Vergangenheit - der gestrige Tag galt den eben geborenen jüngsten Schöpfungen der Berliner Kunst- Akropolis, den Gegenwarts- und Zukunftsgedanken, die sich daran knüpfen. Die internationale Schar hervorragender Museumsmänner und Kunsthistoriker, die bei den Veranstaltungen dieser Jahrhundertfeier durch Meinungsaustausch und kollegiale Beziehungen nun schon zu einem freundschaftlichen Gelehrtenkreis zusammengewachsen ist, vereinigte sich zur Mittagsstunde in dem mächtigen Hauptsaal der Neubauten vor der Freitreppe des pergamonischen Altars. (...) In kurzen, mit Wärme und Geist formulierten Worten begrüßte Generaldirektor Dr. Waetzoldt die Versammlung. An den Stufen des griechischen Heiligtums, das ein Dankaltar gewesen, legte er den Dank für die Toten nieder, die an diesem Werk mitgeschaffen, und für die Lebenden, die es zu Ende führten, in erster Linie für Ludwig Hoffmann, den Architekten des Hauses. (...) Kultusminister Grimme übergab im Namen des Staates der Generalverwaltung den Komplex der neuen Baulichkeiten zu treuer Pflege.
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Das Kunstwerk, das dem Alltag entrückt sei, aber ihm doch erst Sinn und Deutung gäbe, solle nun in diesen weiten Hallen zur Volksgesamtheit sprechen und in lichten wie dunklen Tagen eine Quelle der Freude werden, die Goethe die Mutter aller Tugenden genannt hat.

Zuckmayers »Hauptmann von Köpenick«

Am Donnerstag, dem 5. März 1931, fand im Deutschen Theater die Uraufführung von Carl Zuckmayers Schauspiel »Der Hauptmann von Köpenick« mit Werner Krauss in der Titelrolle statt. In der Rezension des »Berliner Tageblattes« aus der Feder von Fritz Engel hieß es dazu:
     In dieser Premierenwoche, nach langen Abenden der Theaterei, der Gefühlsschöntuerei, des albernen Tändelns zwischen Männchen und Weibchen, alles zusammen Stickluft der Lebensferne: nun Tür auf, Fenster auf und ein Hauch, ein sehr energischer, der Wirklichkeit, des tatsächlichen Da-Seins, kommt erfrischend auf uns zu. »Ein deutsches Märchen«, nein ein Stück unseres Lebens tritt her. Mag sein, kein Ewigkeitswert; aber ein Jahrzehntewert gewiß. Eine Mahnung, die immer wieder ausgesprochen werden muß. (...) In der Mitte dieser Wilhelm Voigt, heute schon ganz klein a.D., im letzten Ruhestand mit Aufenthaltserlaubnis in einem blumenlosen Grab irgendwo. Vor 30 Jahren: ein Held? Ein Verbrecher? Ein Eulenspiegel. Wir sehen einen Einzelnen, dem die Ordnung, pedantisch übersteigert und verallgemeinert zum Schicksal wird, der ihr dann nicht Barrikaden mit Rebellengeheul entgegenbaut, der sie nur dort kitzelt, wo sie ihn selbst gereizt hat, am nervus ordinis, an der Disziplin, an der Entpersönlichung des Einzelmenschen. (...)

Das ist in den vielen Bildern des Stückes die einheitliche Linie. Das ist der Sinn: dieses Volk, dieses Land, ist ganz und gar militarisiert; ist Kaserne; der Stern, zu dem man betet, ist der Gardestern. Uniform ist alles. Der Schutzmann ist ein Gott. Der höhere Zivilbeamte, der es nicht zum Reserveleutnant, der kleine, der es nicht zum Vizespieß gebracht hat, sie bleiben unter pari. Wohin Wilhelm Voigt blickt, wohin er kommt: er sieht die Menschen im Stechschritt, Augen rechts, nach oben. Dabei packt er sie. Er wird sich in der Grenadierstraße militärisch einkleiden, wird sich zwölf Grenadiere von der Straße holen und das Rathaus in Köpenick besetzen. Man weiß ja, wie es war. (...) Man spürt, wie Zuckmayer den Fall geweitet und vertieft hat. Er schreibt nicht nur die Chronik des Schusters, wie Wilhelm Schäfer sie sehr schön dem Lebenslauf abgewonnen hat. Zuckmayer stellt eine Epoche hin, mit einem Helden, der sich selber auslacht, einem guten Kerl, der ein krankes Mädel pflegt, der nach alter Schusterweise ein bißchen philosophiert und von der Welt nichts fordert, als daß sie ihn atmen läßt. Ein sehr gelinder Michael Kohlhaas, der nur einmal von den Rechten des Menschen spricht, ganz unpathetisch, ohne zu äußern, daß sie droben hängen, unveräußerlich. (...) Und Werner Krauss als Wilhelm Voigt. Das zuchthausbleiche Gesicht, die eingeknickte Proletennase, die schüchterne Bewegtheit der Glieder, eine getretene, sich windende Kreatur. Es ist ein Spiel von tiefstem Humor. (...)

Zusammengestellt von Horst Wagner

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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