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Maria Curter
Ford produziert in Berlin

Die Inflation war gerade auf dem Höhepunkt und die Weltwirtschaftskrise noch nicht in Sicht, als der zweite städtische Großhafen - der Westhafen - am 3. September 1923 eröffnet wurde und das erste Großkraftwerk Berlins - das Kraftwerk »Georg Klingenberg« in Rummelsburg - am 19. Dezember 1926 den ersten Strom lieferte. Durch die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges war die Auslastung des schon

1893 konzipierten Westhafens nicht gewährleistet. Bei seiner Eröffnung waren sowohl die Einfuhren als auch die Ausfuhren der Berliner Häfen je ein Viertel geringer als zehn Jahre zuvor. Der Warenumschlag stockte. Es bestand ein Überangebot an Lagerraum in Berlin. Zur rentableren Bewirtschaftung der Hafen- und Lagerkapazitäten war schon im März 1923 die BEHALA (Berliner Hafen- und Lagerhaus A.-G.) gegründet worden.
     Von den drei großen Berliner Autoherstellern »Nationale Automobil- Gesellschaft« (NAG - Oberschöneweide, Ostendstraße), »AGA Automobil- Vertriebs- Gesellschaft MbH« und »Dinos- Automobilwerke« (Charlottenburg, Fritschestraße 27/28),
Das A-Modell, von dem mehr als 25000 in Berlin gefertigt wurden
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In den angemieteten Hallen des Westhafens begann Ford seine Produktion in Berlin
die nach dem Ersten Weltkrieg die Personenkraftwagen »Aga«, »Alfi«, »Cyklon«, »Dinos«, »Klingenberg« sowie Lastwagen und Omnibusse fertigten, hatte »Dinos« 1924 die Produktion eingestellt. Und 1926 ging die AGA (Lichtenberg, Herzbergstraße 82-86), die insgesamt 15000 Limousinen, Lieferwagen und offene sportliche Zweisitzer baute, mit rund 1 850 Beschäftigten in Konkurs.
     In dieser Zeit entschloss sich der amerikanische Industrielle Henry Ford (1863-1947), ausgerechnet in Berlin Automobile zu bauen. In ganz Deutschland waren damals knapp 426000 Kraftfahrzeuge unterwegs. Jährlich produzierten etwa 200 einheimische Hersteller ungefähr 39000 Gefährte,
als am 18. August 1925 die deutsche Niederlassung der »Ford Motor Company A.G.« ins Berliner Handelsregister eingetragen wurde.
     Zunächst führte die »Ford Motor Company« etwa 1000 Traktoren aus ihren Niederlassungen in den Niederlanden und Dänemark nach Deutschland ein. 1926 mietete sie Hallen im Berliner Westhafen und richtete dort ein Ersatzteillager und einen Montagebetrieb ein.
     Aus den in Holzkisten angelieferten Teilen aus Übersee montierten ab 8. April 1926 zunächst 30 Mitarbeiter täglich 50 sogenannte T-Modelle.
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Fordwerbung aus den 20er Jahren

Es war das erste - seit 1911 von Ford in den USA - in Fließbandproduktion hergestellte Auto. Das mit einem Vierzylindermotor ausgestattete Gefährt mit einer Leistung von 20 PS konnte eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km pro Stunde entwickeln.

Bis zum 31. August 1927 wurden 3770 der standardmäßig schwarz lackierten sogenannten »Blechlieseln« im Westhafen montiert. Das billigste Modell kostete 2750 Mark. Dann wurde die weitere Montage zunächst eingestellt und die Halle vorübergehend stillgelegt. Ford hatte beschlossen, die Weltproduktion vom T-Modell auf das sogenannte A-Modell umzustellen. Die Entwicklungsarbeiten verzögerten sich, sodass erst im darauffolgenden August 1928 die Autoproduktion im Westhafen wieder aufgenommen wurde. Das neue Modell verfügte über ein Dreigang- Wechselgetriebe, hydraulische Stoßdämpfer und eine Vierradbremse, Drahtspeichenräder, Scheibenwischer, Benzinuhr, Rückspiegel und sogar einen Öldruckmesser. Der 3,2-Liter- Vierzylindermotor hatte eine Leistung von 40 PS und kam immerhin schon auf 105 km pro Stunde. 1929 wurden rund 1000 Ford dieses Typs von zeitweise 230 Mitarbeitern hergestellt. Mit einer täglichen Produktion von 64 Autos war aber die Leistungsgrenze der Berliner Fertigung im Westhafen erreicht. Im selben Jahr beschloss die »Ford Motor Company« ein Automobilwerk in Deutschland zu errichten und wählte Köln als künftigen Standort. 1930 kaufte die Firma ein 68 Morgen großes Gelände im Kölner Stadtteil Niel, und am 2. Oktober legte Henry Ford dort den Grundstein für das Werk.
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Das T-Modell, von dem mehr als 3000 in Berlin gefertigt wurden
Am 11. November 1930 rollte der 25000. Wagen des Typs A vom Berliner Montageband. Ein knappes halbes Jahr später, am 15. April 1931, schloss der Berliner Montagebetrieb im Westhafen seine Pforten. Ab Mai 1931 rollten die ersten Ford-Autos in Köln vom Band.
     Von nun an war die NAG in Oberschöneweide alleiniger Berliner Autohersteller. Doch es dauerte nur noch drei Jahre, bis auch dieses Unternehmen die PKW- Produktion einstellte.
Innerhalb von mehr als 30 Jahren erblickten bei der NAG 36 verschiedene Autotypen das Licht der Welt, darunter Autos, die 1921 mit 140 km/h Siege auf der neu eingeweihten AVUS errangen. Mit der Schließung der »Nationalen Automobil- Gesellschaft« ist die Geschichte des Automobilbaus in Berlin beendet.

Bildquellen: Ford

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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