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Laurenz Demps
Wo soll der Reichspräsident seinen Amtssitz haben?

Auf den ersten Blick scheint es anachronistisch zu sein: Auf der Weidendammer Brücke, auf den beiden Adlern im Mittelteil, sitzt jeweils die deutsche Kaiserkrone. Beide sind dort bei der Restaurierung im Jahre 1985 angebracht worden. Sie gehörten zur Ausstattung des Brückenschmucks und verschwanden 1919 als Folge der Novemberrevolution. Dazu gibt es zwei Lesarten, die eine besagt, dass die Kronen 1919 restauriert werden sollten und es sich keiner wagte, nach der Revolution die Kronen anzubringen, die andere Lesart spricht von gewaltsamem Entfernen als Folge der Revolution. Als die Brücke unter Denkmalschutz gestellt wurde, musste der ursprüngliche Zustand wieder hergestellt, d. h. die Kronen wieder angebracht werden. Dem engagierten Handeln der Mitarbeiter der Brückenabteilung des Magistrats war es dann zu verdanken, dass ein Vorbild für die Kronen gefunden wurde und beide nachgearbeitet und angebracht werden konnten.

Die DDR war damit nicht kaisertreu geworden, sondern hatte den ursprünglichen Zustand des Brückendekors wieder hergestellt.
     Diese Anekdote weist auf den Umgang der Politik mit überkommenen Symbolen einer alten Herrschaft auf Baulichkeiten hin. Zum ersten Male trat dies in massiver Form nach der Revolution von 1918 auf. Die alte Herrschaft der Kaiserzeit war überwunden, aber ihre Symbole standen überall und an allen Orten.
     Wie sollte man mit ihnen umgehen - und akut für das Jahr 1919: Wo sollten die von der Revolution geschaffenen, demokratisch gewählten neuen Regierungsorgane ihren Platz finden? Die gesamte Herrschaft, das gesamte Weltbild des Kaiserreichs war gebrochen. Überall zeigten sich die Brüche, nichts gab es, an dem man sich festhalten konnte. Neue Symbole waren so schnell nicht zu schaffen, neue Orte des Regierungshandelns ebenfalls nicht. In den Zeiten der Diskontinuität hatte es aber eine Entscheidung zur Kontinuität gegeben. Zunächst war sie vielleicht noch nicht vom bewussten Handeln getragen, aber der Rat der Volksbeauftragten zog in die Alte Reichskanzlei, den Dienstsitz des kaiserlichen Reichskanzlers. Der Rat signalisierte so die Übernahme der politischen Macht und zugleich Kontinuität. Dann allerdings ging man nach der Wahl zur Nationalversammlung nach Weimar, weitere Entscheidungen hatten also Zeit.
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Aber Entscheidungen mussten getroffen werden, um Handlungsfähigkeit zu bewahren. Man übernahm - bis auf geringe Ausnahmen - den alten Regierungsapparat und nahm damit die Entscheidung vorweg, an welchen Orten der Ministerrat, der sich dann später in Reichsregierung umbenannte, seinen Dienstsitz zu nehmen hatte: eben in der Wilhelmstraße, an den Orten der alten Macht. Im Nachhinein hatte man den Eindruck, dass dies von vornherein feststand und es keine anderen Möglichkeiten gab. Die Besetzung der alten Orte der Macht geschah zögerlich und war nicht von größeren Auseinandersetzungen getragen. Zum Einen: es gab in Berlin zwar viele Möglichkeiten, die aus der Revolution und der Nationalversammlung hervorgegangene Regierung an einen völlig anderen Ort unterzubringen, aber das kostete Zeit und Geld. Erst einmal sollte alles provisorisch sein. Das Schloss zu beziehen ging nicht, da war man sich einig. Büroraum an anderen Orten zu beschaffen war schwierig, denn dann mussten die bisherigen Nutzer verdrängt werden, und das war teuer und kostete Zeit. Also blieb zunächst nur die Wilhelmstraße. Die Weimarer Verfassung schuf eine neue Institution, die des Reichspräsidenten. Wo sollte er untergebracht werden? An diesem Detail zeigte sich die gesamte komplizierte Situation. Man entschied sich sehr schnell, dass es am Besten wäre, den Dienstsitz des Reichspräsidenten ebenfalls in die Wilhelmstraße zu verlegen. Aber hier waren fast alle Gebäude durch die Ämter der bisherigen Regierung besetzt. Es blieben zwei Gebäude in der engeren Wahl: das Palais Schwerin - Wilhelmstraße 73, bis dahin Sitz des Ministeriums des Königlich Preußischen Hauses, und das Palais des Prinzen Karl - Wilhelmplatz 8, das weitestgehend ungenutzt war.
Das Palais des Prinzen Karl, Wilhelmstraße 8, hätte laut General- Kommando Lüttwitz »nicht verteidigt« werden können
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Am 5. September 1919 kaufte der Fiskus das ehemalige Palais Schwerin, Wilhelmstraße 73, und baute es für den Reichspräsidenten um
Beide Palais waren repräsentativ, lagen mit der Front zum öffentlichen Straßenland und boten die notwendigen Büroräume und, was ebenso wichtig war, auch Raum für Empfänge und gesellschaftliche Repräsentationen. Das General- Kommando Lüttwitz als höchste militärische Funktionsstelle in Berlin besichtigte das Palais und stellte am 4. September 1919 fest, dass das Palais des Prinzen Karl »nicht verteidigt« werden kann. Diese Einschätzung war offenbar eine Folge der Revolution und zugleich eine Vorbereitung auf mögliche weitere Auseinandersetzungen in dieser politisch bewegten Zeit. Es blieb also nur das Schwerinische Palais in der Wilhelmstraße 73 übrig.
     Hier gab es eine eigenartige Situation. Das Palais war Privatbesitz des Königlichen Hauses.
Beim ersten Vorstoß im Sommer 1919 zeigte sich die Bereitschaft zum Verkauf des Palais an die Reichsregierung. Die Behörde des Königs, die den umfangreichen Besitz der einst regierenden Familie verwaltete, zog aus und fand ihren neuen Sitz im Niederländischen Palais in der Straße Unter den Linden. Darauf reagierte die Öffentlichkeit, und die Berliner Zeitungen berichteten unter dem Tenor: »Der Reichspräsident geht zur Untermiete zum Kaiser!« Sofort wurden alle weiteren Verhandlungen eingestellt.
     Nun zog die Reichsregierung von Weimar nach Berlin zurück, und der Reichspräsident hatte keine Dienstwohnung. Provisorisch zog er in die Dienstwohnung Wilhelmstraße 73, die zum Bereich des Innenministeriums gehörte.
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Der Amtsinhaber protestierte, da er nun keine Dienstwohnung mehr hatte. Gleichzeitig drängte das Auswärtige Amt, es wollte mehr Diensträume haben und schlug einen Austausch von Dienstgebäuden vor, so dass das Gebäude des Reichsamtes des Innern zum Bereich des Auswärtigen Amtes kommen sollte. Mit der Auflösung des preußischen Generalstabes war das Dienstgebäude am Königsplatz frei geworden. Kurzerhand wurde das Reichsamt des Innern aus der Wilhelmstraße verlegt und das Gebäude Wilhelmstraße 74 dem Auswärtigen Amt zugeschlagen. Aber noch immer hatte der Reichspräsident keinen Amtssitz, denn der Chef des Auswärtigen Amtes wollte natürlich das gesamte Gebäude in seinen Besitz bekommen. Schweren Herzens kaufte dann der Reichsfiskus am 5. September 1919 das ehemalige Schwerinsche Palais und baute es zum Dienstsitz des Reichspräsidenten um. In die Öffentlichkeit wurde der Vorgang zunächst nicht getragen. In der Nationalversammlung wurde am 22. Oktober der Vorwurf der Verschwendung erhoben, denn man ging davon aus, dass das alte Palais abgerissen und an seine Stelle ein Neubau treten sollte. Niemand konnte sich vorstellen, dass der republikanische Reichspräsident seinen Sitz in einem Adelspalais nähme.
     Das nunmehrige Reichsministerium fühlte sich am Königsplatz zu weit von der Zentrale der Macht entfernt und drängte auf Rückkehr in die Wilhelmstraße.
Gedanken eines großen Austausches von Büroflächen wurden erwogen, bei denen z. B. das Hotel Kaiserhof gekauft und dem Innenministerium übergeben werden sollte. Diese Pläne scheiterten 1925. Neue tauchten auf, deren Kern darin bestand, die Wilhelmstraße als Regierungssitz überhaupt aufzugeben und auf dem Gelände westlich des Reichstages und der Spree, auf einem demokratischen Forum, Neubauten für alle Verfassungsorgane zu errichten. Pläne, die nicht realisiert wurden.
     Die Wilhelmstraße blieb Regierungssitz. Eigenartigerweise gab es kaum Probleme, die alten Dienstgebäude in ihrem Äußeren an die veränderten politischen Verhältnisse anzupassen. Die alten Adelspalais trugen keine Insignien der alten Macht, so dass Veränderungen kaum notwendig wurden. Einzig und allein das Preußische Staatsministerium, Wilhelmstraße 63, ein Neubau der Jahrhundertwende, zeigte überreichen Schmuck, der sich auf das Preußische Königshaus bezog. Insbesondere das Giebelfeld über dem Hauptportal zeigte Königsadler und Krone. Kurzerhand wurde dieser Schmuck herausgeschlagen und das Giebelfeld leer gelassen. Der gesamte Vorgang der Nutzung der alten Gebäude durch die neue Macht unterlag kaum einer öffentlichen Reaktion oder einem ausgeprägten öffentlichen Interesse. Die reichlich vorhandenen Dokumente enthalten wenig über die Motive der Handelnden.
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Entwurf für ein »Reichshaus« am Königsplatz, später Platz der Republik (Zeichnung von O. Kohtz, 1920)
Möglicherweise - so kann man spekulieren - steckte hinter dem Vorgang die Haltung, eine neue Politik an den Orten zu vertreten oder »zu machen«, in denen das »Alte morsch« zusammengebrochen war. Zugleich aber fiel dabei doppelter Glanz auf die Verantwortlichen. Einerseits der Glanz der älteren Geschichte Preußens (z. B. der Befreiungskriege) und der Glanz herausragender Architekturleistungen eines Wiesend oder Schinkel (1781-1841). Letzterer war gleich mehrfach durch Bauten und vor allem durch die Gestaltung qualitätsvoller Innenräume an diesem Ort vertreten. Das Konzept Eberts, Kontinuität bei der Nutzung der Dienstsitze zu bewahren, ging auf. Andere politische Vorgänge beanspruchten in viel höherem Maße das Interesse der Öffentlichkeit. Einzelnen Kritiker wurde bedeutet, dass dies alles nur provisorisch sei und - wenn man Geld hätte und aus der Nachkriegssituation heraus wäre - sowieso alles neu gebaut werde. Es bewahrheitete sich der Satz, dass nichts so stabil ist wie ein Provisorium.

Bildquelle: Archiv LBV

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 6/2000
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