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Helmut Caspar
1701 - Von Brandenburg nach Preussen

Vorhaben für das Jubeljahr 2001

Das Preussen- Jahr 2001 wirft seine Schatten voraus, zahlreiche Ausstellungen werden in Berlin und Brandenburg, aber auch in Sachsen- Anhalt und Nordrhein- Westfalen die »Erhebung« des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg vor 300 Jahren, am 18. Januar 1701, zum König Friedrich I. »in« Preussen würdigen, begleitet von Konferenzen, Lesungen, Konzerte und Publikationen. In einem Kooperationsvertrag zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg werden die Ziele des Preußen- Jahrs beschrieben und die Finanzierung des ehrgeizigen Vorhabens in Höhe von etwa 17 Millionen Mark festgelegt. Ein hochkarätig besetztes Kuratorium sorgt für die wissenschaftliche Vorbereitung der Veranstaltungen und wirbt auch private Sponsorengelder ein. Planung und Durchführung sind bei beiden Kulturressorts, aber auch beim Museumspädagogischen Dienst Berlin, dem Museumsverband des Landes Brandenburg sowie anderen Einrichtungen angesiedelt. Sie bringen im Herbst einen umfangreichen Veranstaltungskalender analog eines Wegweisers durch das Fontane- Jahr 1998 heraus, das für das bevorstehende Preussen- Jahr Vorbild sein soll. Ziel ist es nach Worten der damaligen Berliner Kultursenatorin Christa Thoben, ein »zukunftsweisendes Verständnis von Geschichte zu vermitteln«, wobei die schlimmen Aspekte des Themas nicht ausgeklammert werden sollen. »Auf vielfältige Weise soll der Weg Brandenburgs nach Preußen, die Entwicklung des Absolutismus zur parlamentarischen Demokratie,

vom Agrarland zum Industriestaat dokumentiert werden.«

Viele Orte einbezogen

Auftakt wird eine Festveranstaltung am 18. Januar 2001 im Berliner Schauspielhaus sein, einen Tag davor öffnet das Schloss Oranienburg, 1999 Ort der vielbesuchten »Oranier«- Ausstellung, als neues Schlossmuseum. In Charlottenburg findet die von der Preussischen Schlösserstiftung und dem Deutschen Historischen Museum gemeinsam vorbereitete Ausstellung »Preussen 1701 - eine europäische Geschichte« statt. In ihr sollen die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in Brandenburg- Preussen, im Deutschen Reich und in Europa vor 300 Jahren dokumentiert werden. Da diese Schau keine Neuauflage der Preussen- Ausstellung von 1981 im Martin-Gropius- Bau sein soll, und in Charlottenburg nicht alle Aspekte des Themas abgehandelt werden können, will man die großen Potentiale des Landes Brandenburg an Ausstellungsflächen genutzt werden. An authentischen Örtlichkeiten werden die Universitätsgeschichte in Frankfurt an der Oder behandelt, wo bis Anfang des 19. Jahrhunderts eine Universität existierte, die zugunsten neuer Bildungsanstalten in Berlin und Breslau aufgelöst wurde, während in der ehemaligen Garnisonsstadt Prenzlau das »militärische Preussen« dokumentiert werden soll. Dazu bietet das im ehemaligen Dominikanerkloster untergebrachte stadtgeschichtliche Museum hervorragende Räumlichkeiten. Schul- und Bildungsgeschichte sollen in Reckahn bei Brandenburg auf dem Gut des ehemals sehr bekannten Schulreformers Eberhard von Rochow dargestellt und Aspekte der Kirchengeschichte im Kloster Heiligengrabe präsentiert werden.

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Abbau von Befangenheit

Zur Dreihundertjahrfeier der Erhebung des Kurfürstentums Brandenburg zum preußischen Königreich und zur Bundesgartenschau im Jahre 2001 wird im ehemaligen königlichen Kutschstall am Neuen Markt in Potsdam ein »Haus der brandenburgisch- preußischen Geschichte« eröffnet. Ausgestattet mit musealen Schaustücken, Bildern und Dokumenten sowie »neuen Medien«, soll das prächtige Gewölbe sowohl Dokumentationsstelle als auch Begegnungsstätte für Besucher aus aller Welt werden. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe und Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck erwarten von Ausstellungen, Gesprächsrunden und wissenschaftlichen Veranstaltungen in dem eindrucksvollen, zur Zeit allerdings noch stark renovierungsbedürftigen Säulenbau sowie in angrenzenden Barockhäusern einen »positiven Schub« in der Aufarbeitung der wechselvollen Geschichte Brandenburg- Preußens. Sie hoffen zugleich auf einen »Abbau von Befangenheit« gegenüber dem 1947 offiziell per Kontrollratsbeschluß aufgelösten Flächenstaat Preussen und nicht zuletzt eine spürbare Belebung des eher zufällig vom Bombenangriff am 14. April 1945 und späteren Abrissen verschont gebliebenen Areals in der Mitte der Landeshauptstadt, das bisher abseits der Touristenströme liegt und daher kaum bekannt ist.
     Die Kosten für Sanierung und Restaurierung des Kutschstallgebäudes, das in DDR- Zeiten ein großes Gemüse- und Kartoffellager war, werden mit 49 Millionen Mark angegeben, wobei das Land Brandenburg und eine Investitionsbank 35 Millionen Mark übernehmen. Den Rest steuert der Unternehmer Hasso Plattner, Chef des Softwarekonzerns SAP in Walldorf, bei. Die Planungen sind Teil der Mühen des Landes Brandenburg und der Stadt Potsdam um die Aufwertung des Neuen Markes, an dem auch verschiedene Forschungseinrichtungen der Universität Potsdam und der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften untergebracht sind.

Hier soll auch Tourismusförderung betrieben werden, außerdem will man das gastronomische Angebot spürbar erbessern.
     Rettung naht auch für das dem Kutschstall gegenüber liegende Kabinettshaus, das zu den schönsten Palais der Stadt zählt. Um 1764 für den preussischen Thronfolger und späteren König Friedrich Wilhelm II. errichtet, ist der repräsentative Bau seit Jahren einer der besonders schlimmen Pflegefälle in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Daß in dem repräsentativen Bau mit reichem plastischen Dekor und kräftigen Balkonträgern von der Hand des Bildhauers Friedrich Christian Glume d. J. auch der spätere König Friedrich Wilhelm III. geboren wurde, konnte den schleichenden Verfall weder in DDR- Zeiten noch im vereinigten Deutschland aufhalten. Der ehrgeizige Plan, in dem königlichen Stadtpalais das brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege nach seinem Wegzug aus der Berliner Brüderstraße unterzubringen, zerschlug sich aus Kosten- und Termingründen. Nach der auf zehn Millionen Mark berechneten Generalsanierung werden nun Tourismusunternehmen einziehen, derweil sich das Denkmalamt auf dem abgelegenen Militärstandort in Wünsdorf grault. Zu den jetzt abgeschlossenen Sanierungsmaßnahmen an dem schon seit Jahren verrammelten Kabinettshaus gehörten sowohl die Stabilisierung der maroden Fundamente als auch die Umklammerung der auseinander driftenden Umfassungsmauern durch Stahlanker. Schonend müssen die Bauleute mit dem noch erhaltenen Interieur umgehen. Dazu gehört auch eine »schön gewendelte Treppe«, wie der Dehio- Denkmalführer vermerkt. Bereits in einem Jahr sollen die Sanierung und Restaurierung des Gebäudes abgeschlossen sein, das wie durch ein Wunder den Bombenangriff vom 14. April 1945 überstanden hatte, während andere Gebäude in unmittelbarer Umgebung in Schutt und Asche fielen.
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Bernd S. Meyer
Willy Kressmann - Populist, Abweichler oder ...?

Ein Seminar zum Wirken des Kreuzberger Nachkriegsbürgermeisters

Im Kreuzberg- Museum fand am 21. und 22. Januar d. J. ein Seminar unter dem Titel »Wiedervereinigung ist auch Kleinarbeit«statt. Das Berliner August-Bebel- Institut und das Museum luden zur Beschäftigung mit Berliner und Kreuzberger Geschichte während der Zeit des Kalten Krieges und mit dem damals bekannten Kommunalpolitiker Willy Kressmann ein. Kressmann war Kreuzbergs sozialdemokratischer Bezirksbürgermeister von 1949 bis 1962. Er prägte in den Jahren von der Berlin- Blockade bis kurz nach dem Mauerbau maßgeblich Kreuzberger Kommunalpolitik und wirkte damit auch auf die Berlin- Politik der Berliner SPD, der er damals angehört hatte. Kressmann wurde 1907 in Berlin Prenzlauer Berg geboren und starb 1986 in Bayern. Einige Parallelen zur frühen politischen Biografie des sechs Jahre später geborenen Willy Brandt(1913-1992) sind unverkennbar, auch sie wurden im Seminar deutlich herausgearbeitet.
     Kreuzbergs gegenwärtiger Bezirksbürgermeister Dr. Franz Schulz konnte an die hundert Gäste begrüßen, neben den Fachhistorikern auch viele Zeitzeugen, darunter ehemalige Mitstreiter, zeitweilige Widersacher und manche Interessierte; Frauen und Männer, die sich bald vierzig Jahre nach dem Ausscheiden Kressmanns aus der aktiven Kommunalpolitik immer noch lebhaft an das Wirken dieses Mannes und an seine starke Ausstrahlung erinnern.
     Historikerin Kerstin Kohtz, die das Seminar leitete und abwechselnd mit Martin Düspohl, dem Leiter des Kreuzberg- Museums, auch moderierte, übernahm die biografische Einleitung.

Dieter Hanauske (Historische Kommission) sprach über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Kreuzbergs von der Währungsreform bis zum Mauerbau, Harold Hurwitz (Freie Universität Berlin) schilderte die politische Situation der »Frontstadt« und die Rolle Kressmanns im Spannungsfeld zwischen »großer« und »kleiner« Politik. Günter König, ehemaliger Mitarbeiter und späterer Nachfolger als Kreuzberger Bürgermeister, gab Beobachtungen und Wertungen aus der Nahdistanz, während sich Siegfried Heimann (Freie Universität) und Stefan Krautschick (Leiter der Pressestelle Kreuzberg) mit dem »Fall Kressmann« des Jahres 1962 befaßten.

Jungsozialist, Emigrant, Volkstribun

Mit Privat- und Archivfotos illustrierte Kerstin Kohtz ihren Lichtbildervortrag über die erstaunlichen Wechsel in Willy Kressmanns politischer Biografie. Die führt ihn zunächst von einer Drucker-Lehre in die Vorwärts- Druckerei und in die SPD. Es folgt ein erster Parteiausschluß, 1931 die Teilnahme an der Neugründung des SJV (Sozialistischer Jugendverband Deutschlands) und die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) Beiden Organisationen gehörte auch Willy Brandt an. Kressmann wurde Chefredakteur des »Jungprolet«. Ein damaliges Foto zeigt ihn beim Zelten mit Edith Baumann (1909-1973, Kandidatin des SED- Politbüros 1958-1963, Sekretärin des (Ost-) Berliner Magistrats ab 1963), der späteren Ehefrau Erich Honeckers (1912-1994). Mit der Machtübernahme der Nazis ging Kressmann in die Illegalität, im September 1933 ins Exil über Prag, Wien und 1934 bis 1936 in die Schweiz, lehrte dann in Dänemark an einer Volkshochschule. Zurückgekehrt in die tschechoslowakische Hauptstadt, floh er beim Einmarsch der Wehrmacht zuerst nach Warschau, zu Kriegsbeginn 1939 dann über Skandinavien nach England.

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Im Vereinigten Königreich wurde er 1940/41 als Deutscher auf der Isle of Man interniert, später schlug er sich in England mit Jobs wie etwa Kammerjäger durch, politische Kontakte seien in dieser Zeit nicht nachzuweisen gewesen. Im Mai 1947 kehrte Kressmann nach Berlin zurück, wurde hier alsbald beim Gesamtberliner Magistrat persönlicher Mitarbeiter des SPD- Wirtschaftsstadtrates Gustav Klingelhöfer(1888-1961). Noch vor der Spaltung des Magistrats wechselte Kressmann in die Kreuzberger Verwaltung, wurde dort zum SPD- Bürgermeister gewählt, eine Funktion, die er bis zu seiner Abwahl und dem Ausschluß aus der SPD im Jahre 1962 behielt. Von 1959 bis 1962 war er in dritter Ehe mit der bekannten Architektin Sigrid Kressmann verheiratet, ging nach Verlust sämtlicher Funktionen, nach Scheidung und baldiger Neuverheiratung mit seiner nun vierten Ehefrau nach Bayern, wo er sich mit Franz Josef Strauß arrangierte und sogar im Berliner Wahlkampf gemeinsam mit ihm gegen die SPD auftrat.

Kreuzberger Festliche Tage 1955: Willi Kressmann mit Ehrenjungfrauen
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Mitglied der CSU beziehungsweise CDU sei er jedoch nie geworden. In Berlin blieb er bis in die achtziger Jahre auch durch gelegentliche Berichte in der Boulevardpresse in Erinnerung, wurde 1985 sogar noch mit dem Bundesverdienstkreuz (Begründung: Verdienste in der Kommunalpolitik!) ausgezeichnet. Von der SPD sei er allerdings nie rehabilitiert worden.

»Texas-Willy«

Harald Hurwitz von der Freien Universität beleuchtete differenziert die politische Situation der damaligen »Frontstadt« und die daraus resultierende Festungsmentalität in der regierenden SPD, die sich einerseits gegen die Politik der Sowjetunion und der von ihr abhängigen SED und ihre Herrschaft im Osten, andererseits aber auch gegen manche Aspekte der Berlin- Politik der Regierung Adenauers richtete. Kressmann habe mitten in diesem Spannungsfeld oft sein eigenes politisches Süppchen gekocht, das ihn mit seiner Politik der kleinen Schritte öfters auch gegen die Zentrale stellte.
     In einem Vortrag, den Kressmann 1957 im Auditorium maximum der Universität München hielt, und von dem Kopien des Typoskripts vorliegen, vertritt er vollinhaltlich die damalige Haltung der SPD in der Wiederbewaffnungsfrage und besteht, dies weniger im Einvernehmen mit der Hauptlinie seiner Partei, auf kleinen Schritten bei der Alltagspolitik mit dem Osten. In der ersten Hälfte seiner Rede befaßt er sich ausführlich mit dem 17. Juni 1953 und damit mit dem Tag der Ohnmacht des DDR- Staates, bekennt sich so vehement zur Ablehnung jeglicher Form des Kommunismus. Andererseits wendet er sich, begründet aus eigener leidvoller Erfahrung des Widerstands und der Emigration gegen die westdeutsche Wiederbewaffnung, versteht die damalige Angst der Sowjetunion:

» Es ist die große Sorge meiner Generation, die nun zweimal 1914-1918 und 1939-1945, diese Zeiten erlebt hat, daß wir Deutsche, wenn wir erst einmal den Stahlhelm wieder aufhaben, nicht wissen, wohin wir marschieren. Es ist unsere Sorge, daß eine Armee trotz aller Kontrolle auch durch das Parlament wieder ein Staat im Staate wird.
     Können Sie es den Sowjets verdenken, - was immer dieses sowjetische System Häßliches und Furchtbares in seinem eigenen Lande verursacht, wie stark auch ihre Unterdrückung in ihren Satellitenstaaten ist -, können Sie es den Sowjets verdenken, daß sie Sorge davor haben, daß ein ... bewaffnetes Deutschland sich wieder gegen sie richten könnte?«1). In seinen weiteren Ausführungen bekennt er sich schon damals zu einem europäischen Sicherheitssystem, das die deutsche Wiedervereinigung und damit auch Berlin einbezieht. Der Kreuzberger Bezirksbürgermeister habe sich selbst auch stets als überregional wirkender Politiker verstanden, unabhängig davon, ob man in seiner Partei diese Einschätzung teilte.
     Der ehemalige persönliche Mitarbeiter Kressmanns, Günter König, bis Anfang der neunziger Jahre selbst Kreuzberger Bezirksbürgermeister (SPD), erinnert sich an die schillernde Persönlichkeit seines Chefs, dem das »Bad in der Menge« und die Anerkennung der Einwohner viel bedeutet habe. Er sei nach heutigen Begriffen ein Populist gewesen. Ob er bei der von ihm miterfundenen Kreuzberger Festwoche mit Ehrenjungfrauen im Festzug lief, ob er wegen des von seiner ersten, dort wie hier bejubelten Amerikareise mitgebrachten und oft getragenen Hutes den Spitznamen »Texas-Willy« bekam, oder ob er durch seine Freundschaft mit dem Hohenzollern- Prinzen Louis Ferdinand Kreuzberger Kindern über die Prinzessin Kira- Stiftung Erholungsaufenthalte in Hechingen ermöglichte - Kressmann habe stets nach dem Motto gehandelt: Tue Gutes und laß es alle wissen!
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Berühmt seien auch seine Gratulationen für Bürger über 85 gewesen, die er stets zu ihren Geburtstagsfeiern besuchte. Im Laufe der Jahre habe er so mindestens jedem fünften Einwohner Kreuzbergs irgendwann einmal die Hand geschüttelt. Kressmann richtete einen Rathaus- Kummerkasten ein, zu dem nur sein Büro einen Schlüssel hatte. Er habe alle Briefe gelesen und sei sich nicht zu schade gewesen, sich selbst um kleine Bittstellerprobleme zu kümmern. Seine Kontrollen in Abteilungen des Bezirksamts waren berüchtigt.
     »Was hat denn der Kressmann wieder angestellt«, das sei aus Senat und SPD- Landesvorstand immer wieder mal in Kreuzberg angefragt worden. Auch die Amerikaner, in deren Sektor Kreuzberg bekanntlich lag, achteten auf »Texas-Willy«, den mittleren Bezirksfunktionär. 1957, in der Auseinandersetzung Franz Neumanns mit Willy Brandt sei der Kreuzberger kurzzeitig sogar als (von vornherein chancenloser) Mitbewerber für den Posten des Regierenden Bürgermeisters ins Spiel gebracht worden. Trotz der Ähnlichkeiten von Brandts und Kressmanns Jugendbiografie und gleicher Parteizugehörigkeit hatten beide wenig miteinander zu schaffen, seien sie doch in Charakter und politisch - taktischem Geschick total unterschiedlich gewesen. Kressmann habe sich weder in einen möglichen linken noch in den rechten SPD Flügel einordnen lassen, er sei stets ein Individualist und Pragmatiker gewesen, der sich allerdings auch gern selbst überschätzt habe. In der SPD galt er als eine exotische Figur. Von Willy Brandt sei der Satz überliefert: »Kressmann ist nicht zu fassen!«. Zu seiner Person habe auch gehört, daß er den Mut besaß, bis1961 regelmäßig in Ostberliner Abteilungsversammlungen der SPD aufzutreten. Einmal habe sein Erscheinen vor einer Kneipe in der Eberty- Ecke Matternstraße einen riesigen Auflauf verursacht, berichteten Zeitzeugen.
Seine Versuche, auf der Bezirksebene mit Amtsstellen von Mitte, Treptow oder Friedrichshain direkt zu verhandeln, sei vom Senat immer wieder zurückgepfiffen worden, und als er 1960 beim Besuch einer sowjetischen Lehrerdelegation vor dem Kreuzberger Rathaus die sowjetische Fahne aufzog, da war das ein handfester SPD-Skandal.

Wirtschaftsförderung und Bürgernähe

Dieter Hanauske (Historische Kommission Berlin) referierte über die wirtschaftliche Situation Kreuzbergs von der Währungsreform bis zum Mauerbau. 1950 nach der Berlin- Blockade, bevor der Marshallplan und die Bundeshilfe griff, hatte Kreuzberg 28 Prozent Arbeitslosigkeit, nach den Kriegszerstörungen und durch Neueinwohner immense Wohnungsprobleme, dadurch steigende Mieten. Kressmann versprach, daß in Häusern, die nicht dem Standard entsprachen, die Mieten auch nicht erhöht werden durften. Also gab es die sogenannten Kressmann- Mieten, die allerdings insgesamt nur etwa 100 Wohnungen betrafen. In den fünfziger Jahren wurde in Westberlin der Wohnungsneubau zu 90 Prozent als sozialer Wohnungsbau realisiert, in Kreuzberg betraf das vor allem die stark zerstörte südliche Friedrichstadt In den Bereichen der Luisenstadt reichte es lange nur zu notwendigsten Reparaturen an der kriegsgeschädigten Substanz. Schon damals begleitete die Diskussion um Stadterneuerung, um großflächigen Abriß und modernen Neubau alle Stadtsanierungsmaßnahmen, und erst lange nach Kressmanns Weggang wurde nach massiven Protesten der Bewohner die Kreuzberger Kahlschlag- Sanierung gestoppt.
     Im Zuge der Ost-West- Auseinandersetzung, die sich auch ganz direkt bei der Währungsproblematik zeigte, kam der Kressmann- Aufruf »Rettet die Kreuzberger Wirtschaft!«

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Ein langwieriges Unternehmen sei beispielsweise die Ansiedlung der Berliner Blumengroßmarkthalle gewesen. Kressmanns damaliger Bürgermeister- Stellvertreter und Stadtrat für Wirtschaft Gerhard Schulze(CDU), heute Vorsitzender des Vereins zur Erforschung und Darstellung der Geschichte Kreuzbergs erinnerte sich, daß es in einem Fall auch schneller ging. Ganze zehn Minuten habe der Besuch und die unbürokratische Ausstellung des notwendigen Gewerbescheins an den Verleger Axel C. Springer gedauert, der im ehemaligen Zeitungsviertel an der Kochstraße seine Berliner Zentrale errichten wollte.
     Zur Wirtschaftsförderung zählten diverse eigenwillige Aktionen Kressmanns, darunter seine Volksabstimmung zur Aufhebung des Ladenschlusses in Kreuzberg, ein Auftritt vor einer Kinoveranstaltung mit der drastischen Warnung »Frauen, wenn ihr in den Osten zum Friseur geht, fallen Euch die Haare aus!«, seine spontane Wegezoll- Aktion gegen Ostautos in Kreuzberg, als auf den Verbindungsautobahnen Gebühren für Westbenutzer eingeführt worden waren. Die tägliche Kartenabrechnung der Grenzkinobesitzer fiel in das Ressort Wirtschaft des Bezirksamtes, denn hier kamen die Subventionen des Senats für diesen speziellen Wirtschaftszweig der Viersektorenstadt an und wurden direkt ausgezahlt. Und nach dem 13. August 1961, als diese Aufgabe wegfiel, mußten »Abwesenheitsträger« für Handwerksbetriebe beschafft werden, deren im Osten wohnende Eigentümer nicht mehr kommen konnten.

Der »Fall Kressmann«

Siegfried Heimann von der Freien Universität und Stefan Krautschick, Leiter der Pressestelle im Bezirksamt Kreuzberg, untersuchten in zwei unterschiedlichen Beiträgen minutiös den »Fall Kressmann«, der im Jahre 1962 weit über Berlin hinaus Aufmerksamkeit erregte. Es begann damit, daß Kressmann bei seiner nicht eindeutig als offiziell eingeordneten zweiten USA-Reise im Juni 1962 auf einer Pressekonferenz in New York sinngemäß äußerte, daß Berliner Polizisten an der Mauer nicht immer sofort zurückschießen sollten.

Mehrere Nachrichtenagenturen, darunter Reuters und ADN, brachten den Satz in unterschiedlicher Interpretation. Dem darauf folgenden Mediengetöse sei Kressmann nicht mehr gewachsen gewesen. Er habe sich unwissentlich in die interne Diskussion um eine neue Entspannungspolitik nach dem Mauerbau eingemischt, für die Brandt eigene Interpretationshoheit beanspruchte. Partner, die bis dahin loyal mit Kressmann zusammengearbeitet hatten und seine bisherigen Eskapaden lächelnd oder manchmal auch zähneknirschend akzeptiert hatten, seien von ihm abgerückt. Seine damalige Ehefrau, die Architektin Sigrid Kressmann, die später mit dem Skandal um dem »Steglitzer Kreisel« eigene Berühmtheit erlangte, habe öffentlich geäußert, das Verhalten ihres Mannes sei »geschäftsschädigend«. Schnell hatte sich gezeigt, daß Kressmann in den oberen Gremien seiner Partei keine Freunde hatte. Es folgte ein sich über mehrere Monate hinziehendes Trauerspiel, in dem der Landesvorstand auf verschiedene, nicht jedesmal unbedingt als demokratisch legitimiert einzustufende Weise versucht habe, Kressmann loszuwerden. Das war schwierig und sei in der Kreuzberger SPD, wo er nach wie vor als Hausmacht eine große Gemeinde von Bewunderern besaß, erst mit relativ knapper Mehrheit gelungen, als die Mitglieder mit massiver Agitation, die Momente der Einschüchterung nicht ausschloß, vom Landesvorstand bearbeitet worden waren. Die Ablösung als Bürgermeister sei dann relativ glatt gegangen, erfolgte in der BVV, in der die SPD die absolute Mehrheit besaß, schließlich einstimmig, auch wenn mehrere Bezirksverordnete schriftlich erklärten, daß sie diesen Beschluß nur gegen ihre eigene Überzeugung mittrügen. Als Hauptgrund des BVV- Verfahrens gegen den Bezirksbürgermeister sei damals die Nichtrealisierung eines Beschlusses über die Umsetzung von Regalen mit der kostenlosen Informationsliteratur in den am stärksten von Besuchern frequentierten Bereich des Rathauses verwendet worden. Kressmann, zuletzt eine untragbare politische Belastung für seine Partei, sei rückstandsfrei entsorgt worden. Die SPD habe sich danach nie wieder öffentlich mit dem Thema Kressmann befaßt.
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Person der Zeitgeschichte

Aus heutiger Sicht habe Willy Kressmann, der nach objektiver Einschätzung niemals mehr als ein Berliner Lokalpolitiker gewesen sei, im Spannungsfeld der Berliner Nachkriegspolitik ohne wirklich eigenes Konzept jahrelang zwischen dem Alt-SPDler Franz Neumann und dem Deutschland- und Weltpolitiker Willy Brandt gestanden. Der mußte und konnte sich schließlich 1957 bei seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister und zum Berliner SPD Chef mit Taktik und Härte zunächst gegen eine einheimische Fronde innerhalb seiner Partei insbesondere in den Bezirken durchsetzen, wobei nach einhelliger Meinung der Zeithistoriker ihm der damals junge Klaus Schütz »als Stabsoffizier« zur Seite gestanden habe. Bald nach dem Mauerbau mußte sich Brandts bis dahin konfrontative Politik gegenüber dem Osten in einem langen schmerzhaften Lernprozeß auf die Entspannungslinie des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy ausrichten. Ein Haudegen aus der Frontstadtzeit, ohne das nötige politische Fingerspitzengefühl, wie es Willy Kressmann nun einmal gewesen war, durfte da nicht mehr als unberechenbarer Störfaktor auftauchen. So fiel sein politisches Ende genau in den Wechsel der Berlin- und Deutschlandpolitik, den die SPD damals vollzog. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß das ein Jahr später realisierte Passierscheinabkommen mit Ostberlin letztlich fast der immer wieder versuchten kleinteiligen Politik Kressmanns entsprach, die Brandt jahrelang bekämpft hatte. Aber zu dieser Zeit war der Kreuzberger Volkstribun von seiner früheren Partei schon längst mit dem Mantel des Vergessens bedeckt worden. In einer abschließenden Podiumsrunde diskutierten die

Referenten über Möglichkeiten, wie und ob Kressmann für eine gerechte Bewertung seines Wirkens nach einem zeitlichen Abstand von fast 40 Jahren » noch zu retten sei«. Eine künftige Kressmann- Ausstellung wäre dafür gut geeignet. Das Kreuzberg Museum wird auf der Basis der aufschlußreichen Beiträge des Seminars weiteres Material für eine solche historisch- kritische Ausstellung sammeln.

Quelle:
1) W. Kressmann Berlin - Schnittpunkt zweier Welten Vortrag an der Universität München am 17. Januar 1957, Auditorium Maximum Zitiert nach dem Typoskript
Bildquelle: Kreuzberg- Museum

 
Hilmar Bärthel
Köpenicker Ereignisse im Zeitalter der Technik

Herausgeber: Bezirksamt Köpenick von Berlin Verlag VorDruck, Berlin 1999

Zum erstenmal legt - wenigstens unserem Wissen und dem Vergleich mit der Berlin- Bibliographie nach - ein Berliner Verwaltungsbezirk eine fundierte Übersicht über die Genesis seiner Infrastruktur vor. Was den Bewohner eines Stadtteils bzw. der Gesamtregion Berlin in seinem täglichen Leben als selbstverständlich erscheint und ohne jede ängstliche Nachfrage nach einem Leben ohne diese Selbstverständlichkeiten genutzt wird, wird hier auf seine Entstehungsgeschichte und seine Entwicklung hin ausgeleuchtet:

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abgesehen von der Vielzahl der mitgeteilten Fakten - und der Unterstreichung des nicht unbedingt neuen Aspekts, Stadtgeschichte als Kulturgesschichte zu begreifen - besteht der unbestreitbare Wert der Arbeit darin, daß für ein heutiges Berliner Verwaltungsgebilde neben der üblicherweise die Geschichtsdarstellung beherrschenden Verwaltungsgeschichte die Geschichte jener Alltags- Lebensbereiche aufgearbeitet wurde, die für uns Heutige so selbstverständlich geworden sind, daß der unproblematische Griff zu ihrer Nutzung keinerlei gedankliche Assoziationen mehr auslöst: die »gute alte Zeit« mußte bekanntlich ohne sie auskommen! Ihre Bedeutung für eine alltägliche Lebensqualität wird immer erst schlaglichtartig ins Bewußtsein gerufen, wenn sie - wie etwa durch die Orkanschäden in Südfrankreich zum Jahresende 1999 - massiert ausfallen. Ob man allerdings von der Zeit nach Abschluß der Industriellen Revolution in Deutschland (in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts) einfach generell vom »Zeitalter der Technik« sprechen kann, wagt der Rezensent trotz gängiger Standardwerke, die sich des Begriffs schon im Titel bedienen, nicht so ohne Weiteres zu entscheiden: ist die Hebung der Infrastruktur auf das heute gewohnte Niveau einfach mit der Durchsetzung der Technik gleichzusetzen? Technik hat doch schon in der Steinzeit ihre Rolle im Spannungsbogen zwischen dem Menschen, der Natur und der Aneignung der letzteren durch den Menschen gespielt ...
     Wenn ein Autor jemals für eine detaillierte Untersuchung des im Vorliegenden behandelten Gegenstands prädestiniert war, dann ist es der stramm auf sein 80. Lebensjahr zugehende mehrfach diplomierte und promovierte Hilmar Bärthel: er war seit 1961 für fast genau drei Jahrzehnte an der Bauakademie der DDR und im Magistrat von Berlin für den Ausbau und Unterhalt des gesamten städtischen Untergrunds verantwortlich. Mit der »Geschichte der Gasversorgung in Berlin«, im Auftrag der GASAG geschrieben und 1997 publiziert,
legte er sein erstes Standardwerk als Rentner vor, dem alsbald mit »Wasser für Berlin« die Geschichte der Wasserversorgung folgte. Köpenick faszinierte ihn ob der durch die Fülle an Standorten gegebenen Einzigartigkeit einer weitgehend ineinander greifenden Technik- Geschichte.
     Die vorliegende Arbeit ist nichtsdestotrotz kapitelweise nach den einzelnen Sektoren gegliedert, die wir in ihrer Gesamtheit als Technikgebundene Infrastruktur verstehen. Die einzelnen Kapitel befassen sich mit Straßen, Brücken, Wasser- und Schienenwegen; mit der Gasversorgung; mit der Elektrizitätsversorgung; mit der Wasserversorgung und der Abwasserbehandlung; mit der Fernwärmeversorgung. Das sind - so wird der Nachdenkende feststellen - noch nicht alle Sektoren der »technischen« Infrastruktur: es fehlt die Fernsprechversorgung, der neuerdings auch die kabelgebundene Fernsehversorgung zuzuzählen ist. Das Fehlen dieses Bereichs mag auf die schlechtere Aktenlage zurückzuführen sein - die Umstrukturierungen, die die deutsche Post im letzten Jahrfünft über sich ergehen lassen mußte, haben sich nicht günstig auf die Übersichtlichkeit und Zugänglichkeit von deren Archiven ausgewirkt. Bärthel hat dafür ein Kapitel beigefügt, das den Beitrag Köpenicks zur generellen Entwicklung von Funkwesen, Rundfunk und Fernsehen zum Inhalt hat. Und da erfährt der Leser Erstaunliches: die erste deutsche Groß-Sende- und -Empfangsstation stand 1902 in Oberschöneweide auf dem heute denkmalgeschützten Kraftwerk Oberspree in der Wilhelminenhofstraße, die weltweit erste Serienproduktion von Radargeräten erblickte das Licht der Welt 1936 in Berlin- Oberschöneweide, Gaußstr. 2 bei der Fa. GEMA (ab 1938 nach Köpenick, Wendenschloßstr. 142 verlegt). Auch der erste Fernsehsender der DDR, auf dem Turm des Berliner Stadthauses postiert und zu Weihnachten 1951 in Betrieb gegangen, wurde in Berlin- Oberschöneweide projektiert und gebaut:
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   108   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattNächstes Blatt
im Werk für Fernmeldewesen in der Ostendstraße, damals (bis 1952) eine Sowjetische Aktiengesellschaft, dann VEB, heute als Samsung Elektronische Bauelemente GmbH in südkoreanischem Besitz.
     Es fehlt desgleichen das wichtige - und immer wichtiger werdende - Gebiet der Abfallentsorgung, auf dem Köpenick durchaus einiges vorzuweisen hat - z.B. den großen Betriebshof der Berliner Stadtreinigung in der Oberspreestraße. Die interessanten Ausführungen (S. 64) über die 1904 im Test erfolgte und ab 1906 wirtschaftlich betriebene Klärschlammverbrennung zur Gewinnung von Elektrizität hätten auch bei einem solchen Kapitel angesiedelt werden können.
     Das Bedauern über das Ausklammern der beiden zuletzt genannten Infrastruktur- Bereiche kann sich jedoch in Grenzen halten angesichts der ausgiebigen Behandlung der vom Autor ausgewählten Sachgebiete. Glaubte man, mit der (leider bis heute ungedruckten!) HUB- Dissertation von Bernd Rühle »Die Entwicklung Berlin- Köpenicks zum Industriestandort vom Beginn der Industriellen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges« (1984) beim Blick in die Köpenicker Geschichte die Verschmelzung von Einst und Jetzt in Stadtbild und Gebäudegeschichte auf eine in anderen Bezirken Berlins noch nicht erreichte Höhe gebracht zu sehen, so beweist Bärthel, daß immer noch mehr Details auszugraben sind: der Unterabschnitt über den einst blühenden Fährverkehr (S. 13) z.B. reißt völlig vergessen geglaubte Einzelheiten über eine bedeutende Seite der Nahverkehrskommunikation aus dem Dunkel der Vergangenheit wieder in das Licht des historischen Besinnens. Dasselbe gilt für die Nachzeichnung der Geschichte der Gasversorgung auf dem Territorium des heutigen Bezirks: hier und da erinnert noch ein unter Denkmalschutz gestellter Gasometer an die Zeit vor der Ferngasversorgung - aber wer kann denn noch nachvollziehen, welche grundlegende Veränderung der Lebensweise mit der Einführung von Gaslicht, Gaskochern und Gasheizung erfolgte, sobald eine Gemeinde sich zum Wagnis einer eigenen Gasanstalt entschloß?
Und da etliche der heute zum Bezirk zählenden Orte als selbständige Gemeinden im damaligen Berliner Speckgürtel potent genug waren, die nötigen Finanzen aufzubringen, gab es schließlich im jetzigen Bezirksterritorium nicht weniger als sechs Gaswerke, die alle ihr eigenes Rohrsystem schufen und unterhielten. Müggelheim hingegen als armes Bauerndorf (sein Sprung zum Anschluß an die anderen Ortsteile fand makabrerweise erst durch den Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg statt) war darauf angewiesen, daß erst nach der Schaffung Groß-Berlins die Berliner Städtischen Werke GASAG ein Einsehen hatten und 1929 (!) das unrentable Verlegen einer Gasleitung in den abgelegenen und bevölkerungsarmen Ortsteil finanzierten.
     In Bezug auf den Elektrizitätssektor hält Bärthel vorab zwei wichtige Erinnerungen bereit: erstens, daß der Bezirk mit den Bauten des 1895-1897 entstandenen Kraftwerks Oberspree in der Oberschöneweider Wilhelminenhofstraße über ein technisches Denkmal sui generis verfügt - nämlich der ersten deutschen Überlandkrafzentrale; zweitens, daß das alte Kraftwerk Rummelsburg im Bezirk Köpenick liegt, wenn auch in dessen westlichster Ecke - das wird in Köpenick immer wieder vergessen und taucht bei Stadtführungen in keinem Fall auf.
     Auch das für uns Selbstverständliche ist bekanntlich nicht als göttliches Gnadengeschenk über unsere Vorfahren gekommen, sondern als das Ergebnis des Wirkens von Menschen, die durch bestimmte Motive gedrängt waren; dabei wirkte geschäftssinniges Gewinnstreben ebenso motivierend wie kommunalpolitische Wahrnehmung von Verantwortung vor den Einwohnern - die ja zugleich auch Wähler waren. Diese Überlagerung und Überkreuzung von Unternehmermentalität und kommunalpolitischem Engagement wird vom Autor besonders in dem Kapitel zur Gasversorgung dankenswerter Weise mit konkreten Unternehmer- Namen verbunden: für Spindlersfeld mit Wilhelm Spindler, für Köpenick und Friedrichshagen mit August und Alexander Budde, für Rahnsdorf mit Emil Weiß.
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Die reine kommunalpolitische Interessenseite hat Bärthel in zwei eigens angehängten Lebensbildern beispielhaft fokussiert - in dem Köpenicker Stadtrat Hugo Schüßler (1847-1908) und dem Köpenicker Stadtbaurat Hugo Kinzer (1874-1929). Er hätte gleiches auch anhand ihrer Friedrichshagener Kollegen Wilhelm Klut (1848-1909) und Felix Stiller (1874-1928) tun können.
     Bärthels Arbeit stellt auch einen bedeutenden Beitrag zum Begreifen der heutigen industriegesellschaftlichen Kulturlandschaft dar, in der wir uns bewegen. Die Aufhellung der im 19. und 20. Jahrhundert von Menschen vorgenommenen Ummodelung der um 1800 vorgefundenen Natur (schade, daß bei der Behandlung der Wasserwege nicht auf die einstigen Verladeplätze mit der üblichen Bezeichnung »Ablage« eingegangen wird, zumal einige noch heute in der Form von Badestellen erhalten sind) kann das dringend nötige ökologische Bewußtsein wohl auch nicht hervorrufen, aber doch stimulieren: so, wie es in in den beiden letzten Jahrhunderten gegangen ist, wird es mit dem Wechselspiel zwischen Natur und Technik gewiß nicht ewig weitergehen, da doch die Minimierung der Prozessoren eine entscheidende Wende bringen kann; denn die Investitionen in die Infrastruktur müssen künftig nicht immer und immer wieder natürlichen Grund und Boden verschlingen. Man hätte sich gewünscht, daß in dieser Richtung die Beweisführung etwas ausgebaut worden wäre.
     Die Auflage für ein solches Werk in der Höhe von nur hundert Exemplaren ist natürlich zu bedauern, aber die schmale Finanzdecke des Bezirksamts fordert eben Opfer.
Ohne das Sponsoring von GASAG, Berliner Wasserbetrieben und der Straßen- und Tiefbau- Firma A. Wagner (die einzigen, die auf eine weit gefächerte Sponsoring- Bitte des Bezirksamts reagierten) wäre selbst diese Auflage nicht zu realisieren gewesen. Wenn man weiß, daß angesichts solcher Finanzlage eine Mehrheit der Köpenicker BVV einen Beschluß durchpeitschte, das aus der DDR stammende Mahnmal für die Opfer der Köpenicker Blutwoche durch eine andere Lösung zu ersetzen, weil manchen Leuten eine Faust als Symbol des Gedenkens mißfällt, dann fehlen einem nüchternen Geist doch die Worte ...
Kurt Wernicke

 
Die Sitzungsprotokolle des Magistrats der Stadt Berlin 1945/46. Teil II: 1946.

Bearbeitet und eingeleitet von Dieter Hanauske, Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, Band 2, Teil II.
Herausgegeben von Jürgen Wetzel, Berlin 1999

Von Quelleneditionen erwartet man vor allem, daß wichtige historische Dokumente vollständig und wertungsfrei dargeboten, für Forschung und Publizistik leicht zugängig gemacht und aufbereitet werden. Der vorliegende Band 2 der Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin wird diesbezüglich höchsten Ansprüchen gerecht.

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Erweisen sich schon die lückenlos wiedergegebenen Sitzungsprotokolle des Magistrats der Stadt Berlin aus dem Jahre 1946 als reichhaltige Fundgrube für die weitere Erforschung der Berlin- Geschichte, so wird deren Aussagekraft noch durch die gesamte Anlage dieser Publikation wesentlich erhöht. Die historische Einleitung bietet zunächst einen kurzen, doch sehr gehaltvollen Überblick über die in ihre größeren Zusammenhänge eingebetteten politische Vorgänge in Berlin während dieser relativ kurzen Zeit. Überzeugend charakterisiert der Verfasser » ... das Jahr 1946 - nicht nur für Deutschland insgesamt, sondern auch für die Entwicklung in Berlin - als ein Jahr des Übergangs. Die internen Auseinandersetzungen zwischen den Alliierten nahmen zwar zu, >das Eintrachtgebot der Siegermächte< wurde nach außen hin aber noch aufrechterhalten« (S. 2) Ebenso nachvollziehbar beschreibt der Verfasser den »Prozeß der sektoralen Auseinanderentwicklung« (S. 3) in Berlin, wobei sich der sowjetische Sektor immer deutlicher von den drei westlichen Sektoren abhob, zwischen denen allerdings auch noch erhebliche Unterschiede bestanden. Relativ breiten Raum widmet er den parteipolitischen Verhältnissen, insbesondere der Entstehungsgeschichte der SED, die in Berlin »grundsätzlich anders als in der Sowjetischen Besatzungszone« verlief, (S. 5) den damit verbundenen Vorgängen und den sich daraus ergebenden Folgen. Als ein Ereignis, dessen »politische Bedeutung ... weit über diejenige bloßer lokaler Kommunalwahlen hinaus« ging, ( S. 8) schildert er die Wahlen vom 20. Oktober 1946 in Berlin und deren Auswirkungen.
     Der zweite Abschnitt der historischen Einleitung behandelt die personellen Veränderungen im Magistrat während des Jahres 1946. Hier wird vor allem gezeigt, daß die SED nach ihrer Gründung die politische Vorherrschaft im Magistrat innehatte. Das entsprach jedoch - wie deren Wahlniederlage im Oktober 1946 zeigte - nicht dem realen parteipolitischen Kräfteverhältnis in Berlin und wurde mit der Wahl des neuen Magistrats am 5. Dezember 1946 korrigiert.
     Der dritte Abschnitt der historischen Einleitung ist der Tätigkeit des Magistrats im Jahre 1946 gewidmet. Dabei beschränkt sich der Verfasser weitgehend auf sachliche Feststellungen, die bei künftigen historischen Analysen beachtet werden sollten. Insbesondere hebt er hervor: »Angesichts des fast vollständigen Neuaufbaus des Berliner Verwaltungsapparates in personeller, struktureller und funktionaler Hinsicht war es praktisch unvermeidlich, daß vielerlei Mängel in der Verwaltungsarbeit auftraten. Dies galt auch für den Magistrat als Spitze der Verwaltung. Seine Mitglieder leisteten bis zum Ende ihrer Amtszeit ein ungeheuer großes persönliches Arbeitspensum. Sie waren aber größtenteils in ihr Amt berufen worden, ohne Verwaltungserfahrung zu haben.« (S. 19) Anhand der im Hauptteil der Publikation wiedergegebenen Dokumente zeigt der Verfasser, daß sich der Berliner Magistrat im Jahre 1946 trotz aller Mängel in seiner Tätigkeit weitgehend auf die von den Nöten der Nachkriegszeit diktierten Aufgaben konzentrierte. Wie immer man dies künftig beurteilen mag, so kann dem Magistrat doch nicht abgesprochen werden, daß er sich mit hohem Engagement um Lösungen für die vielen, kaum überschaubaren Probleme bemühte, wobei die beschrittenen Wege angesichts der komplizierten Situation naturgemäß oft heiß umstritten waren.
     Im letzten Teil der historischen Einleitung wird die Ablösung des bisherigen und die Bildung des neuen Magistrats nach den Wahlen vom 20. Oktober 1946 detailliert geschildert. Während diese Darstellung insgesamt auch manche bisher wenig bekannte Tatsachen enthält, erlangt sie ihren besonderen Wert jedoch vor allem dadurch, daß alle angeführten Fakten mit höchster wissenschaftlicher Akribie durch umfangreiche Quellenangaben, und zwar fast ausschließlich die jeweiligen Primärquellen, belegt werden. Das unterstreicht ihren wissenschaftlich fundierten Charakter und bietet dem Leser darüber hinaus noch weitere Informationen.
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Außerdem zeichnet sich diese historischen Einleitung noch durch einen anderen Vorzug aus: Sie konzentriert sich auf die exakte Darstellung historischer Tatsachen, Ereignisse und Zusammenhänge, die für das Verständnis der Dokumente wichtig sind, aber sie enthält sich weitgehend ihrer Bewertung von einem politischen Standpunkt aus. Damit wird in geradezu beispielgebender Weise praktiziert, was man von einer wissenschaftlichen Quellenedition erwartet.
     Die im Hauptteil lückenlos wiedergegebenen Sitzungsprotokolle des Magistrats sind wichtige Quellen für die weitere Erforschung der Geschichte Berlins sowohl in ihrer Gesamtheit als auch ihrer einzelnen Bereiche. Sie erleichtern es wesentlich, die Tätigkeit des Magistrats selbst zu analysieren und ausgewogen zu bewerten, wenngleich dafür diese Dokumente allein natürlich nicht ausreichen. Schon eine erste Durchsicht zeigt, daß die Ernährungsfrage, insbesondere die Zuteilung der überaus knappen Lebensmittel an die Bevölkerung nach fünf Gruppen von Lebensmittelkarten, ein Hauptthema der Magistratssitzungen war. Auch Finanzfragen nahmen in den Magistratssitzungen offenbar einen vorderen Platz ein, ging es doch hier um den Haushaltsplan und damit um die Aufteilung der Mittel auf die einzelnen Magistratsabteilungen und die Verwaltungsbezirke. Daneben bildeten das Bau- und Wohnungswesen, die Enttrümmerung, die Wohnraumbewirtschaftung, die Gebäude- und Wohnungsinstandsetzung immer wiederkehrende Themen. Auf dem Gebiet der Wirtschaft befaßte sich der Magistrat vorrangig mit der Linderung des enormen Rohstoffmangels und mit der Stromversorgung, zumal die häufigen Stromabschaltungen das gesamte Leben stark beeinträchtigten.
Daneben standen wiederholt die sehr umstrittene Schulreform, die Bekämpfung von Epidemien wie auch die Probleme der Massen von Flüchtlingen, Evakuierten und Heimkehrern auf der Tagesordnung. Schließlich sei in dieser bei weitem nicht vollständigen Nennung von Tätigkeitsfeldern nur noch die »Vorläufige Verfassung von Groß-Berlin« genannt, wofür der Magistrat der Alliierten Kommandantur zwei Entwürfe lieferte.
     Ein großer Vorzug dieser Quellenedition besteht in den sehr vielen und zum Teil recht detaillierten Anmerkungen zu einzelnen Aussagen der Sitzungsprotokolle. Darin werden - wiederum auf Primärquellen gestützt - in den Sitzungsprotokollen enthaltene Angaben erläutert, genannte Dokumente zitiert und Zusammenhänge mit anderen Materialien gezeigt. Der Informationsgehalt dieser Publikation wird dadurch wesentlich erhöht, und sie weist sich selbst als ein Ergebnis intensiver und akribischer Forschungsarbeit aus.
     Schließlich erhöht ein umfangreicher Anhang den Wert dieser Publikation. Er enthält außer dem ausführlichen Quellen- und Literaturverzeichnis die Kurzbiographien der 1946 amtierenden Magistratsmitglieder, eine Bildsammlung, ein Verzeichnis der erwähnten Befehle der Alliierten Kommandantur, ein Orts-, ein Personen- und ein Sachregister.
     Insgesamt ist diese Quellenedition ein ebenso nützliches wie gelungenes Werk, das von seinen Nutzern zweifellos hoch geschätzt werden wird.
Günter Möschner
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Werner Gahrig:
Unterwegs zu den Hugenotten in Berlin. Historische Spaziergänge

Edition Ost Berlin 2000

Thematisch abgegrenzte Stadtführer sind auf dem Berliner Buchmarkt keine Neuerung mehr: es gibt z.B. sehr seriöse Architektur-, Kunst- und Literaturführer, von denen geleitet man gezielt die Stadtregion durchwandern kann. Gahrig hat dieses Prinzip nun auf das Thema »Hugenotten« angewandt, und man stellt erstaunt fest, daß bei all der reichlich vorhandenen Literatur zu den Berliner Hugenotten es doch tatsächlich das erste Mal ist, daß ein Autor den im Stadtbild vorhandenen - und den leider nicht mehr vorhandenen, nur noch an der Adresse auszumachenden! - Spuren hugenottischen Wirkens nachgeht. So ist ein Stadtwanderungsprogramm entstanden, das als Angebot zur Versenkung in einen besonderen Aspekt Berliner Zuwanderungsproblematik zu verstehen ist. Auch ist die Bezeichnung »Spaziergänge« wörtlich zu nehmen: mit Gahrigs Buch in der Hand kann man sich sogar den Berliner öffentlichen Nahverkehrsmitteln anvertrauen, denn der Verfasser gibt genaue Hinweise auf die Nutzung von Verkehrsverbindungen, um zum jeweils nächsten Besichtigungsort zu gelangen.

     Neue wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt Gahrig nicht - das ist aber auch gar nicht sein Anliegen. Er wertet die umfangreich vorliegende, wenngleich nicht selten weit verstreute, Literatur über das Wirken von Hugenotten und Hugenottennachkommen in der Geschichtsregion Berlin aus und gibt dankenswerterweise gleich bei den so eruierten Fakten die jeweilige Quelle unmittelbar im Text an (auch diese Aufmachung unterstreicht, daß bei der Abfassung des Werkes keine wissenschaftlichen Ambitionen vorlagen - der Interessierte findet so aber leichter Zugang zu weiterführenden Informationen). Wir haben es also im eigentlichen Sinne des Wortes mit einer Kompilation zu tun - aber einer absolut gekonnten! Denn mit den vom Verfasser durch die Verkettung von Stadtbildbegehung und Auswertung vorliegender wissenschaftlicher Forschung gesetzten Maßstäben wird beim Wecken und Bedienen von Interessen auf dem Feld einer spezifischen Spurensuche ein ungewöhnliches Niveau erreicht: Gahrig vermittelt nicht bloß einfach Wissen er liefert auch einen überzeugenden Beitrag zu dem auch heutzutage wieder brandaktuellen Problem des Nehmens und Gebens bei massenhafter Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen.
     Denn obgleich Gahrig keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern will, kommt er doch nicht umhin, in Vorwort den gegenwärtigen (durch den 300. Jahrestag des Edikts von Potsdam vor anderthalb Jahrzehnten wieder besonders ins Blickfeld der Berliner Öffentlichkeit in damals beiden Teilen der zerrissenen Stadt gerückten und damit auch erneut angehobenen) Stand der Aufarbeitung hugenottischen Anteils an der Entwicklung Berlins zu skizzieren.
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Er gibt freimütig zu, daß ihn der Begriff der »Akkulturation« (offenbar nach französischem Vorbild geprägt 1992 von U. Fuhrich-Grubert in ihrem Buch über die Institutionen der Französischen Kirche in Berlin bis 1945) fasziniert, der auf das gegenseitige Durchdringen der Lebenswelten von Einheimischen und Zuwanderern abzielt. Und von dieser Position aus kommentiert er immer wieder bei den von ihm vorgestellten Stätten (die auch Charlottenburg, Spandau, Köpenick, Steglitz, Tegel, Pankow, Französisch- Buchholz und Kaulsdorf einschließen) den geistig- kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Beitrag hugenottischer Berliner zur Entwicklung der Orte und Regionen, die ihnen nach ihrer Zuwanderung als politische Asylanten zur neuen Heimat wurden - wobei er nicht bei den ersten hundert Jahren stehenbleibt, sondern auch das 19. und 20. Jahrhundert in seine Betrachtungen einbezieht, also eine Zeit, in der die Nachkommen der Hugenotten durch besagte »Akkulturation« längst integriert waren.
     Leider ist der sehr schön illustrierte und - dank eines Sponsoring durch das Unternehmen Gaz de France Deutschland GmbH - erstaunlich preiswerte Band mit einer Anzahl von Druckfehlern behaftet, die sich auch bei Jahreszahlen (Zahlendreher!) unangenehm bemerkbar machen. Kleinere Lapsus verdienen, mit Milde übergangen zu werden; aber die Verwechslung von John-Foster- Dulles- Allee mit der Straße des 17. Juni als heutiger Name der einstigen Charlottenburger Chaussee (S. 224) muß doch angemerkt werden.
Mit Schmunzeln konstatiert der Rezensent, daß bei der akribischen Spurensuche nach Orten, wo Hugenotten und manchmal auch einfach Berliner französischer Herkunft wirkten (z. B. Chamisso, der aber »als Franzose enge Kontakte zu Angehörigen der französischen Kolonie in Berlin unterhielt« (S. 263); auch bei der Würdigung Leonhard Eulers bleibt unklar, ob ihn eine hugenottische Herkunft zierte ...) schamhaft das ominöse, aber berühmte Etablissement der Madame Bernard, Friedrichstr. 63 (Ostseite, zwischen Kronen- und Mohrenstraße) ausgeklammert wird, aus dessen exquisitem Angebot sich sogar Napoleon während seines Berliner Aufenthalts 1806 bediente ...
Kurt Wernicke
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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