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Heinz Knobloch
Wieder verliehen: Der Max-Herrmann- Preis

Der Verein der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin e. V. verleiht den Max-Herrmann- Preis am 10. Mai dieses Jahres an die Historikerin Cécile Lowenthal-Hensel, den Lesern der »Berlinischen Monatsschrift« seit Jahren als Autorin bekannt. Gewürdigt werden ihre große Unterstützung des 1965 eröffneten Mendelssohn- Archivs, vor allem durch die von ihr gegründete und viele Jahre geleitete Mendelssohn- Gesellschaft, ihre wichtigen Forschungsarbeiten zu den Familien Mendelssohn und Hensel. Gewürdigt wird auch, daß sie Bibliothek und Nachlaß ihres 1994 verstorbenen Mannes Ernst Gottfried Lowenthal der Staatsbibliothek als Schenkung übereignete. Zu dem bedeutenden Berliner Literatur- und Theaterwissenschaftler Max Herrmann, der 1942 in Theresienstadt ums Leben kam, schrieb der Schriftsteller Heinz Knobloch vor eineinhalb Jahren:

Jedes Jahr im Mai kam Unter den Linden im Sitzungszimmer der Generaldirektion der Deutschen Staatsbibliothek eine Anzahl Mitarbeiter und Gäste zusammen.

Meist am 10. Mai, weil sich der Tag der Bücherverbrennung jährte - deren Schauplatz in Sichtweite -, oder am 14. Mai, weil an diesem Tag im Jahre 1865 der Mann geboren worden war, mit dessen Namen sich ein Preis des Hauses verband: Max Herrmann. Er ist der Begründer der deutschen Theaterwissenschaft. Wer sein Dasein und Wirken an der Berliner Universität würdigen wollte, brauchte viele Zeilen. Hans-J. Weitz hat es 1965 am 100sten Geburtstag im »Tagesspiegel« getan und bislang kaum bekannte Einzelheiten aus dem Leben des Gelehrten mitgeteilt, der als Extraordinarius 1923 ein Theaterwissenschaftliches Institut hatte einrichten dürfen.
     Max Herrmann war Herausgeber von sechs wissenschaftlichen Zeitschriften: vierzehn Jahre leitete er die »Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte«, fünfzehn Jahre lang war er der erste Vorsitzende der »Gesellschaft für Theatergeschichte«, zwanzig Jahre erster Vorsitzender der »Gesellschaft für deutsche Literatur«. In diesem Amt begründete und verwaltete er eine Sammlung, die sogenannte »Bibliothek deutscher Privat- und Manuskriptdrucke«. Diese von ihm in vierzigjähriger ehrenamtlicher Tätigkeit zusammengebrachte und katalogisierte Sammlung, die seit 1905 in der Bibliothek benutzbar aufgestellt war, umfaßt seltene, nicht im Handel erschienene Schriften. Achtzig Prozent davon hatte diese Bibliothek vorher nicht besessen.
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1938, bei Auflösung der »Gesellschaft für deutsche Literatur«, wurde diese Sammlung Eigentum der Staatsbibliothek.
     1930 war Herrmann noch Ordinarius eines Lehrstuhls geworden, spät genug. Bald änderten sich die Verhältnisse, und mit Datum vom 1. Mai 1933 schrieb Max Herrmann an das Preußische Kultusministerium: »Hierdurch spreche ich die ergebene Bitte aus, mich freundlichst noch auf kurze Zeit zu beurlauben, so lange nämlich wie in der Universität die von der deutschen Studentenschaft erlassene Erklärung >Wider den undeutschen Geist< öffentlich aushängt.«
     Man beachte sein »für kurze Zeit«; er glaubte an die gewohnte, beständige Ordnung und an den Rechtsstaat, in dem er aufgewachsen war und sich als Sohn jüdischer Eltern seinen Stand als anerkannter Wissenschaftler erarbeitet hatte. »Meinem Ehrgefühl, das in meiner allzeit gehegten und bekundeten nationaldeutschen Gesinnung tief verwurzelt ist, widerstrebt es auf das entschiedenste, meine akademische Tätigkeit in einem Hause auszuüben, in welchem über die Angehörigen einer Gemeinschaft, zu der ich durch meine Geburt gehöre, öffentlich gesagt wird: >Der Jude kann nur jüdisch denken; schreibt er deutsch, dann lügt er< - widerstrebt mir um so entschiedener, als ich gerade das Wesen deutschen Geistes den Studenten zu verkünden habe. Ich schreibe deutsch, ich denke deutsch, ich fühle deutsch, und ich lüge nicht.« Nach 42jähriger Tätigkeit als Hochschullehrer mußte Professor Max Herrmann die Berliner Universität verlassen.
     Fortan begann er, 68jährig, an einem Buch zu arbeiten, das unter kaum vorstellbaren Schwierigkeiten entstand. Eine Zeitlang durfte er noch die Universitätsbibliothek benutzen, dann nur die Staatsbibliothek, die den Bestand einer ganzen Sammlung »seinem unermüdlichen Fleiß verdankt«, wie Ruth Mövius berichtet, eine seiner Schülerinnen, die ihn bis in seine letzten Berliner Tage unerschrocken begleitete. Von ihr wissen wir, daß Max Herrmann den Lesesaal nicht mehr betreten durfte, aber »- eine Sondervergünstigung - noch Bücher ausleihen«.
     Er arbeitete an einem Werk, das seinem Leben noch einmal Ziel und Inhalt gab. Zwanzig Jahre nach seinem Tode erschien es unter dem Titel »Die Entstehung der berufsmäßigen Schauspielkunst im Altertum und in der Neuzeit«, herausgeben von Ruth Mövius, die zu den wenigen Menschen gehörte, die das Ehepaar Herrmann bis zur Deportation unterstützten. Herrmanns Frau Helene, mit ihrer Schwester in Auschwitz umgebracht, war eine bedeutende Germanistin. »Ich beneide ihn«, sagte sie über ihren unermüdlich tätigen Mann noch im Winter 1941, das »hält ihn aufrecht.«
     Max Herrmann durfte, nachdem ihm auch das Mitnehmen von Büchern verboten worden war, in der Ausleihe einige Bücher einsehen. Am Stehpult, Ruth Mövius, oft an seiner Seite, hat den Weg des mittlerweile halbblinden Gelehrten in die Staatsbibliothek beschrieben, den Fußweg, denn er durfte als Jude keine Verkehrsmittel benutzen.
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Ausruhen kam nicht in Frage, weil Träger des gelben Sterns sich nicht auf eine Bank setzen durften. »Und so kam er«, berichtet Ruth Mövius, nach mehr als zweistündigem Weg völlig erschöpft in der Ausleihe an. Ich sehe ihn noch, tief aufatmend, in eines der Ledersofas sinken - wenige Sekunden später kam ein Beamter der Ausleihe auf ihn zu und erklärte dem Fünfundsiebzigjährigen, er möchte aufstehen, als Jude habe er nicht das Recht, irgendwo im Haus der Staatsbibliothek zu sitzen.«
     Dies bedrückende Erbe im eigenen Hause veranlaßte 1979 die Generaldirektorin Friedhilde Krause, einen Preis für Mitarbeiter zu stiften. Den konnte erhalten, wer Leser besonders hilfreich, freundlich und engagiert betreut hatte. Auch besondere Leistungen in der Öffentlichkeitsarbeit konnten so geehrt werden. Eine kleine Jury entschied.
     Außer der Laudatio gab es einen Kurzvortrag, der das Wirken Max Herrmanns würdigte oder ein Thema berührte, das unser Wissen um seine letzten Tage ergänzte. Einmal konnte ich, den Reisepaß nach West-Berlin auch dafür genutzt habend, über die erfolgreiche Suche nach der »Vermögenserklärung« berichten. Am 7. September 1942, einen Tag vor Beginn der Deportation, besitzen Max und Helene Herrmann: »1 Stuhl, 1 Schreibtisch, 1 Sessel, 2 Couchgestelle, 2 Tischdecken, 15 Servietten, 1 Kaffeedecke, 1 gestickte Decke, 2 Bettlaken,
2 Bezüge, 2 Kopfkissenbezüge, 1 Spitzenbettdecke, 1 Bademantel, 1 Handtuch, 2 Teewärmer, 8 Küchentücher«, all das sind Sachen, die nicht mitgenommen werden dürfen. Ferner »2 Damenhüte, 2 Herrenhüte, 2 Oberhemden«. Aber wer kennt und nennt später den Wert der Möbel und den einer Gelehrtenbibliothek, längst in einem Speicher untergestellt, als sie in die Eislebener Straße umzogen? An diesem 7. September, als seine Frau diese Art Testament für die Gestapo auflistet, diktiert Max Herrmann auf der Straße »mit fester Stimme die Einteilung, die seinem Werk gegeben werden sollte, die Bücher, die zu einer eventuellen Weiterarbeit benutzt werden müßten«, so Ruth Mövius, der er am 29. August im Hausflur das Manuskript übergeben hatte. Etwa 600 eng beschriebene Seiten. Schulheftseiten, die sie ihm gebracht hatte, als Juden kein Schreibpapier mehr kaufen durften.
     Der letzte Weg führte über die Große Hamburger Straße zum Anhalter Bahnhof, wo der Wagen mit dem Altentransport, zumeist hundert Insassen, an den fahrplanmäßigen Zug nach Dresden angehängt wurde. Endstation Theresienstadt. Dort starb Max Herrmann, der sich einen Band Goethes Gedichte eingesteckt hatte, am 16. November 1942.
     So wurde Jahr um Jahr mit einer Gedenkstunde an diesen Leser, Nehmer und Geber erinnert. Stellvertretend für eine nicht zu zählende Reihe deutscher Juden.
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Damals solche Auszeichnung zu gründen und zu behaupten, war mutig. Unter den vormaligen Verhältnissen kam diesem Preis auch die Bedeutung seiner Einzigartigkeit zu, die weit über das Gebäude Unter den Linden hinaus reichte und international bekannt und beachtet wurde.
     Die Deutsche Staatsbibliothek unter den Linden hat mit Ausstellungen auf das Max-Herrmann- Schicksal aufmerksam gemacht. Am Grab seiner Eltern auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin- Weißensee erinnert eine Inschrift an Max und Helene Herrmann.
     Im Neubaugebiet Marzahn erhielt 1984 eine neu angelegte Straße den Namen Max Herrmanns - 1991 befürchteten wir, sie könnte ein Opfer der nicht immer intelligent betriebenen Umbenennungen werden, denn Herrmann mit Nachnamen hieß ein Mitglied des SED- Politbüros. Es gibt die Max-Herrmann- Straße noch heute.
     Den nach ihm benannten Preis jedoch nicht mehr. Das bundesdeutsche Recht erlaubt keine derartigen Zuwendungen an Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, zu dem ja die in Bibliotheken Tätigen gehören. Der Preis, wenn wir von Geld reden, brachte der Ausgezeichneten - zumeist war es eine Frau - außer einer Urkunde 500 DDR-Mark. Ihrerzeit eine erfreuliche Summe. Sie kam aus dem Prämienfonds für alle Mitarbeiter des Hauses, wurde also nicht vom Staat zur Verfügung gestellt. Dieser Preis war eben etwas Besonderes, das es sonst nirgends gab.
     Ein Gedenken an Dr. Ruth Mövius, die Ende 1989 in Magdeburg starb. Ohne sie wüßten wir kaum etwas über die schweren Jahre der Familie Herrmann bis zur Deportation. Jedes Jahr brachte Ruth Mövius zur Feierstunde Aufzeichnungen und andere Papiere mit und übergab sie der Staatsbibliothek, wo sie der Forschung bereit liegen. Mehr noch, sie erzählte Erinnerungen: unerschrocken und heimlich war sie dem Transport zum Anhalter Bahnhof gefolgt und hatte sich dort im Gedränge verabschieden können. Als Schrecklichstes für sie aber blieb und stand wie soeben erlebt wieder in ihrem Gesicht: »Das Krachen, mit dem die Ladeklappen des Lastwagens zum Aussteigen geöffnet wurden ...«
     Nun fragt der kleine Moritz, dessen Logik wir schon immer Einsichten verdanken, nun fragt der kleine Moritz: Wenn es dem Hause nicht erlaubt ist, mit Geld das Andenken seines jüdischen Lesers Max Herrmann zu ehren, dann müßte es doch ohne Geld gestattet sein ... Sollte sogar das der Staatsbibliothek verwehrt bleiben, wozu haben wir unseren Verein seiner Freunde ...?
     Als ein Mitglied schlage ich vor, den Max-Herrmann- Preis neu zu gründen und ihn jährlich zum Jahrestag der Bücherverbrennung zu verleihen für »freundlicher Umgang mit denen, die Bücher brauchen«.
     (Mit freundlicher Genehmigung aus den »Veröffentlichungen der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin«, Bd. 1, 1999)
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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