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Ruth Freydank
Der Planwagen der Courage

Berlin als Theaterhauptstadt/ Die Entwicklung im Osten

Im Osten ging es um die Durchsetzung des sozialistischen Realismus. Die Werke sowjetischer Dramatiker wurden zum Vorbild erklärt. Theater und Autoren waren aufgefordert, dem nachzueifern und sich der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft zuzuwenden. Die so zustande gebrachten dramatischen Ergebnisse waren eher untaugliche Versuche. Die Dramatisierung der Wirklichkeit, wenn sie durch ein parteipolitisches Programm gefiltert wird, muß unweigerlich zu einer apologetischen Verklärung der Wirklichkeit und zur bloßen Illustration der offiziellen Doktrin führen. Mit seiner Veräußerlichung drohte dem Theater im Osten die innere Erstarrung. Wenn dennoch gerade hier Bewegung in die Szene kam und von der Bühne herunter wieder Wesentliches geschah, so stehen dafür die wiederholten Kurskorrekturen der führenden Staatspartei, die, sich den Wendungen der internationalen Politik anpassend, in ihrer Kulturpolitik trotz restriktiver Bedingungen auch wieder Freiräume zuließ.

Sie ermöglichten das Theaterexperiment eines Walter Felsenstein und eines Bertolt Brecht. Der Kritiker Friedrich Luft schrieb in seinem Vorwort zu »25 Jahre Theater in Berlin« dazu: Beide, Brecht und Felsenstein, haben gesorgt, daß Berlin als Theaterstadt weit über die Grenzen Europas hinaus gewirkt hat.
     Walter Felsenstein hatte 1947 das in der Behrenstraße gelegene Metropol- Theater, Berlins mondäne Operettenbühne, an der einst Fritzi Massary, Guido Thielscher und Joseph Giampietro Triumphe gefeiert hatten, von der sowjetischen Militärverwaltung zur Verfügung gestellt bekommen. Seine glanzvolle Inszenierung von Offenbachs »Pariser Leben« im tristen Nachkriegswinter von 1945 am Hebbel-Theater hatte die Besatzungsmächte so zu überzeugen vermocht, daß man diesen Mann für Berlin zu halten wünschte. Das Metropol-Theater war eine der wenigen Bühnen, die von den Luftangriffen und den letzten Kampfhandlungen weitgehend verschont geblieben waren. So ließ sich die Bespielbarkeit des Hauses mit verhältnismäßig geringem Aufwand wieder herstellen.
     Felsenstein eröffnete seine Komische Oper am 23. Dezember 1947 mit der »Fledermaus« von Johann Strauß. Mit der Namensgebung setzte er einen deutlichen Akzent für die von ihm geforderte Rückgewinnung der Oper als Gattung des Theaters.
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In Anlehnung an die Opera comique suchte er die weitgehend in der Konvention als »kostümiertes Konzert« erstarrte Gattung zu erneuern. Ausgehend von der inneren Logik der Fabel, fand er neue Wege in der szenischen Darstellung und verlieh dem musikalischen Werk künstlerische Wahrhaftigkeit und theatralische Wirksamkeit. Mit dieser auf die Bühnenwirksamkeit der Oper orientierten Arbeit knüpfte Felsenstein an die Regieleistungen Max Reinhardts im Großen Schauspielhaus und an die von Hans Gregor an, der 1905 Berlins erste Komische Oper an der Weidendammer Brücke gegründet hatte. Sie alle waren ursprünglich Schauspielregisseure. Mit der Betonung der Oper als Drama rückten sie die Rolle des Sänger- Darstellers und des Ensembles wieder in das Bewußtsein einer musikalisch interessierten Öffentlichkeit, die durch das Starunwesen kritischer Maßstäbe verlustig gegangen war. Aufführungen wie »Das schlaue Füchslein« (1956), »Ritter Blaubart« (1963) oder »Der Fiedler auf dem Dach« (1971) brachten Felsenstein nicht nur internationale Anerkennung, er machte die Oper wieder populär.
Das Berliner Ensemble noch ohne eigene Spielstätte; bei der Probe im Deutschen Theater Engel, Brecht, Dessau und die Weigel (v. l. n. r.)
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Helene Weigel als jüdische Frau in »Furcht und Elend des Dritten Reiches«, 1957

Mit diesen Inszenierungen gewann er Publikumsschichten, die den als klassisch deklarierten Werken eher fernstehen. Hier liegen die theaterhistorisch wohl wichtigsten Impulse, die Felsenstein mit der von ihm entwickelten Konzeption dem Musiktheater gegeben hat.

     Unterdessen machte eine weitere Bühne im Ostteil Berlins auf sich aufmerksam. Am 11. Januar 1949 öffnete sich im Deutschen Theater für »Mutter Courage und ihre Kinder« zum erstenmal die berühmte Brecht-Gardine. Stück und Inszenierung schockierten das Publikum. Bertolt Brecht, der 1948, nachdem er zunächst in Zürich Station gemacht hatte, nach Berlin zurückgekehrt war, stellte mit diesem Stück das von ihm und Helene Weigel gegründete Berliner Ensemble der Öffentlichkeit vor. Bis die Truppe 1954 im alten Schiffbauerdamm- Theater ihr eigenes Haus beziehen konnte, blieb sie Gast des Deutschen Theaters.
     Brecht hatte dieses Werk während des Exils in Skandinavien vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geschrieben, als eindringliche Warnung vor seinen Folgen, wie seine Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann berichtet. Die historischen Ereignisse ließen die dichterische Vision zur sich tausendfach wiederholenden Realität werden. Das deutsche Publikum von 1949 sah sich mit den Folgen seiner jüngsten Vergangenheit konfrontiert, die es angesichts der immer noch einem riesigen Trümmerfeld gleichenden Stadt nur allzu deutlich vor Augen hatte. Das Stück thematisiert den Krieg. In der Geschichte der Courage und ihrer Kinder wird durch die Erzählweise Brechts dieser zum eigentlichen Gegenspieler der »Heldin« des Stückes.
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Die Kritik war verunsichert. Sie reagierte überwiegend ablehnend. Man suchte vergeblich nach der gewohnten Vorbild- Ästhetik. Marxistisch orientierte Autoren nannten das Stück pazifistisch und depressiv; sein Verfasser wurde als Vertreter einer spätbürgerlichen Dekadenz abgewertet. Gleichzeitig löste das von Brecht mit dieser Inszenierung vorgeführte dramaturgische Konzept seines epischen Theaters die Formalismus- Debatte in der DDR aus, für die Namen wie Paul Rilla, Fritz Erpenbeck und Herbert Ihering als prominente Beispiele angeführt seien. Ernst Busch als Galilei, 1957
Brecht hingegen glaubte sich in seiner Methode der politischen Aktivierung des Zuschauers bestätigt zu sehen, wie seine Beurteilung der Aufführung - poetisch verkürzt - deutlich macht:
    Das Theater des neuen Zeitalters
ward eröffnet als auf der Bühne
des zerstörten Berlin
der Planwagen der Courage rollte.
Nun aber ein halbes Jahr später
im Demonstrationszug des 1. Mai
zeigten die Mütter ihren Kindern
die Weigel und lobten den Frieden.
     Die Realität gestaltete sich hingegen anders. Das Publikum des Brecht-Theaters waren nicht die so viel beschworenen werktätigen Massen. Das Echo jener ersten Berliner Inszenierungen blieb weitgehend auf den engen Zirkel eines theaterinteressierten intellektuellen Publikums beschränkt. Die politische Führung des Ostens mißtraute dieser Art von Theater eher; der Westen sah in Brecht vor allem den Parteigänger der Kommunisten.
     Die Theater im Westen nahmen von diesem Autor kaum Notiz.
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Brecht blieb in dieser letzten Periode seines Lebens - er starb 1956 -, die als die produktivste für seine Theaterarbeit anzusehen ist, ein Außenseiter.
     Erst als die zahlreichen Gastspiele des Berliner Ensembles insbesondere in Venedig und Paris Brecht die internationale Anerkennung brachten, änderte sich auch in Deutschland auf beiden Seiten die Haltung gegenüber seinem Werk. Ruhm und Einfluß auf die Entwicklung des modernen Theaters erlangte Brecht erst nach seinem Tode. Sein Haus am Schiffbauerdamm, nun unter der alleinigen Leitung Helene Weigels, wurde zum Anziehungspunkt für die internationale Elite des Theaters und für die junge Generation unter den Regisseuren. Mit herausragenden Inszenierungen von »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« (1959) durch seine Schüler Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth und »Coriolan« (1964) in der Regie von Wekwerth und Joachim Tenschert stellte die Bühne in dieser Phase ihrer Geschichte die Lebendigkeit der Brechtschen Theaterarbeit unter Beweis. Die politische Führung der DDR erklärte den Autor nun zu einem der ihren. Sein Theater wurde dem offiziellen Repräsentationsbedürfnis einverleibt und gehörte zu den führenden Bühnen der DDR.
     Hier tat man alles, um seinen Teil der Stadt zur Hauptstadt auszubauen. Die Berliner Theater profitierten materiell davon. Ihre bevorzugte Stellung trug der Stadt jedoch auch Kritik und ein mit Neid gepaartes Mißtrauen der sich vernachlässigt und zurückgesetzt sehenden »Provinz« ein. Für die Theater bedeutete dieser staatlich verordnete Zentrismus, daß ihm von dort immer wieder neue Kräfte und Begabungen zuflossen. Diese Konzentration war einer der Gründe, daß trotz der jahrelangen Abwanderung gerade der guten Kräfte in den Westen Theater in der hier gezeigten Qualität gemacht werden konnte.
     Dem politisch motivierten Anspruch auf Berlin als Hauptstadt der DDR setzte die politische Führung der Bundesrepublik ihre aus dem Grundgesetz abgeleitete These von Berlin als Hauptstadt der nach wie vor ungeteilten Kulturnation entgegen, die mit einem langfristig angelegten Finanzierungsprogramm sichergestellt wurde. So blieb Berlin, trotz der Spaltung Deutschlands und seiner eigenen Spaltung als städtischer Organismus, deutlich getrennt in zwei ideologische Lager, ungeliebt von den anderen, die kulturelle Hauptstadt Deutschlands.

Foto: Eva Kemlein
Bildquelle: Stadtmuseum Berlin

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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