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Hans-Peter Doege
Zivilcourage in schweren Zeiten

Widerstandskämpferin Ottilie Pohl (1867-1943)

Ottilie Levit wurde am 14. November 1867 in Schönwalde in der Niederlausitz geboren. Nach dem Besuch der Volksschule lernte sie in der Putz- und Federbranche. Danach arbeitete sie als Putzmacherin. Da sie für sich in ihrem Ort keine Zukunft sah, ging sie in die Großstadt, nach Berlin. Ob sie hier als Putzmacherin arbeitete oder einer anderen Tätigkeit nachging, ist nicht bekannt.
     1893 heiratete sie Wilhelm Pohl, im April 1915 zog das Ehepaar mit den zwei Kindern Fritz (geboren 1895) und Gertrud (geboren 1900) in eine Zwei-Zimmer- Wohnung in der Beusselstraße 43. Dort versorgte Ottilie Pohl bis zum Tode ihres Mannes im Oktober 1915 den Haushalt, wobei sie zeitweise auch Heimarbeiten verrichtete.
     Während des Bismarckschen Sozialistengesetzes (1878-1890) arbeitete sie in einem Arbeiterbildungsverein für Mädchen und Frauen mit. Nach dem Fall des Gesetzes wurde Ottilie Pohl sofort Mitglied der SPD und Beauftragte der Partei in Berlin- Moabit. Als überzeugte Kriegsgegnerin engagierte sie sich gegen den Krieg


Ottilie Pohl

und verbreitete gemeinsam mit ihrem Sohn Fritz die »Spartakusbriefe« und andere Flugschriften der Spartakusgruppe. Während des Ersten Weltkrieges, 1917, wurde sie Mitglied der USPD. 1920 wurde sie als USPD- Abgeordnete in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Als Rednerin ist sie hier zwar nicht aufgetreten, aber sie arbeitete in verschiedenen Ausschüssen mit, so unter anderem in der Armen- und der Schulkommission, zugleich war sie Mitglied der Steuerdeputation und der städtischen Deputation für das Straßenreinigungswesen.

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Ottilie Pohl saß lange Zeit im Aufsichtsrat der Konsumgenossenschaft. Während des BVG- Streikes vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten half sie in der Solidaritätsküche, die Streikenden zu verpflegen.
     Zu dieser Zeit hatte sie eine Anstellung als Bürogehilfin beim Magistrat. Nachdem diese Stelle 1924 abgebaut wurde, war sie auf die Unterstützung ihres Sohnes Fritz angewiesen. 1932 wurde ihr von der Reichsversicherungsanstalt eine Rente zugesprochen, zu der 1938 noch eine kleine Witwenrente kam.
     Nach 1933 stieß Ottilie Pohl zu einer illegalen »Rote Hilfe«Gruppe in Moabit. Diese überwiegend aus Frauen bestehende Gruppe unterstützte Opfer der faschistischen Verfolgung, sie sammelte Geld, Kleidungsstücke, Lebensmittel und versuchte so, den Angehörigen der Untergetauchten oder im Gefängnis Sitzenden zu helfen. Auch die in der Illegalität lebenden Widerstandskämpfer wurden unterstützt. Ottilie Pohl hat sie des öfteren in ihrer Wohnung verborgen.
     Die »Rote Hilfe«- Gruppe tarnte sich als Kaffee- oder Nähkränzchen und hielt ihre Treffs an unterschiedlichsten Orten ab, teils in Lauben von Helfern oder in deren Wohnungen.
     Im Juni 1940 verschaffte Ottilie Pohl dem illegal nach Deutschland eingereisten KPD- Instrukteur Rudolf Hallmeyer Unterkunft bei Bekannten.
Hallmeyer sollte neue Verbindungen schaffen und eine Bezirksleitung der Partei aufbauen. Obwohl er fast täglich sein Quartier wechselte, wurde er am 24. August 1940 verhaftet. Am 28. August 1940 wurden auch Ottilie Pohl und einige Helfer ihrer Gruppe festgenommen. Da sie vorher nicht straffällig geworden war, hielt das Kammergericht eine Gefängnisstrafe von acht Monaten für die inzwischen 73jährige für ausreichend. Bis Ende 1941 mußte sie ihre Haft im Frauengefängnis in der Kantstraße absitzen. Rudolf Hallmeyer wurde wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zum Tode verurteilt.
     Ohne Zögern nahm Ottilie Pohl nach ihrer Freilassung die illegale politische Arbeit wieder auf, es blieb ihr jedoch nur noch wenig Zeit. Wenige Tage nach ihrem 75. Geburtstag, am 19. November 1942, stand die Gestapo vor ihrer Tür. Sie wurde wegen ihrer jüdischen Abstammung abgeholt. Am nächsten Tag deportierte man sie mit dem 75. Alterstransport in das KZ Theresienstadt.
     Man hörte nichts mehr von Ottilie Pohl, sie wurde im Dezember 1943 in Theresienstadt ermordet. Ihre spärliche Wohnungseinrichtung und ihre Habseligkeiten wurden eingezogen. Ihre Wohnung in der Beusselstraße wurde am 13. April 1943 auf ihren Wert geschätzt und dann geräumt. Für den Betrag von 102 RM wurden die Möbel an einen Altwarenhändler verkauft.
     1947 erhielt die Tiergartener Ludendorffstraße, den Namen Pohlstraße. Am Haus Beusselstraße 43 ist eine Gedenktafel angebracht.
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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