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Hans Hauser
Fortuna auf die Kuppel

Das alte Stadthaus erhält seinen Skulpturenschmuck zurück

Das Alte Stadthaus, eines der auffälligsten öffentlichen Bauwerke in der Mitte Berlins, bekommt seine alte Gestalt zurück. Anstelle des flachen Notdachs aus der Nachkriegszeit krönt ein mächtiges Walmdach den Sitz der Innenverwaltung. Schon bald wird der etwa 80 Meter hohe Turm eingerüstet. Statt der achtzehn Meter hohen Stange, an der von 1951 bis 1990 die DDR-Fahne flatterte, wird auf die Kuppel wie zur Erbauungszeit 1902 bis 1911 eine Fortunafigur aufgesetzt werden. Letztmalig ist die Existenz der ursprünglichen Kupfertreibarbeit für das Jahr 1962 bezeugt, danach verliert sich ihre Spur.
     Das 1902 bis 1911 nach Plänen des Berliner Stadtbaumeisters Ludwig Hoffmann als Vierflügelanlage auf leicht trapezförmigem Grundriß zwischen Jüdenstraße, Parochialstraße, Klosterstraße und Stralauer Straße errichtete Alte Stadthaus trägt diesen Namen, um es vom benachbarten, zwischen 1936 und 1938 errichteten und 1945 als Sitz des ersten Nachkriegsmagistrats so benanntem Neuen Stadthaus zu unterscheiden.


Der Turm des Alten Stadthauses erhält die überlebensgroßen »Bürgertugenden« und Steinvasen zurück.

Der vielbeschäftigte Architekt war, wie er sagte, ein Freund klarer, ungezwungener und den Bedürfnissen in einfacher Weise Rechnung tragender Grundrißdispositionen, ein Gegner »gefälliger Formen« und planloser Kombination bekannter und unbekannter Motive.

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Auf Fernwirkung berechnet

Das Alte Stadthaus diente der Berliner Verwaltung als Bürogebäude und war mit einer Serie repräsentativer Festsäle ausgestattet. In DDR-Zeiten saß hier der Vorsitzende des Ministerrates mit seinem Stab. Ein dunkler Fleck über dem Eingang bezeichnete lange nach 1990 noch die Stelle, an dem Hammer und Zirkel im Ährenkranz eingelassen waren. Der letzte Hausherr vor der Wiedervereinigung, DDR- Ministerpräsident Lothar de Maizière, der 1990 hier den Einigungsvertrag vorbereiten half, erinnert sich an rote Läufer auf allen Gängen, Tapeten mit großen Mustern, holzgetäfelte Paneele, gewichtige Panzerschränke, geheimnisvolle, mit Verschlüsselungstechnik versehene Telefone, an Reißwölfe in jedem Zimmer und die obligatorischen Siegel an jeder Tür, dazu an den »typischen DDR- Geruch, einer Mischung aus Staub, Braunkohlenabgasen, kaltem Zigarettenrauch und einer Überdosis Desinfektionsmittel«.
     Ludwig Hoffmann hatte sich beim Alten Stadthaus von den spätfriderizianischen Türmen der Deutschen und der Französischen Kirche auf dem Gendarmenmarkt inspirieren lassen, die ähnlich geformt sind und jeweils von einer vergoldeten Figur bekrönt werden. Die Fortuna soll als Nachbildung anhand von Fotos neu geschaffen werden, ein Sponsor will die Kosten übernehmen.

Wie der für den Bezirk Mitte zuständige Konservator vom Landesdenkmalamt, Norbert Heuler, erläutert, sollen auch die leeren Podeste rund um den Turm ihren plastischen Schmuck zurückbekommen, weil das für die stadträumliche Wirkung des Turms von herausragender Bedeutung sei. »Von den ehemals 29 überlebensgroßen Figuren, den sogenannten Bürgertugenden, und acht Vasen sind 19 mehr oder weniger gut erhalten. Der marode Zustand dieser von den Bildhauern Wilhelm Wiedemann und Josef Rauch aus hochempfindlichen Muschelkalk gefertigten Kolossalfiguren, die Treue, Gemeinsinn, Stärke, Hilfsbereitschaft und andere "bürgerliche" Eigenschaften symbolisieren, läßt nicht zu, daß die Originale auf die alten Podeste gestellt werden. Daher wird daran gedacht, von den am besten erhaltenen Plastiken Abgüsse anzufertigen und diese dann auf den Turm zu hieven.« Die Fernwirkung dieses plastischen Schmucks wäre dann wiederhergestellt, so Heuler.
     Weitgehend abgeschlossen ist die Instandsetzung und Restaurierung der Innenräume des Alten Stadthauses. Prunkstück sind der zentral gelegene Bärensaal sowie die beiden Foyers an der Parochialstraße und an der Klosterstraße, deren Wände aus dem gleichen Material wie die Außenfassade bestehen, wirken darum wie Außenwände im Inneren. In DDR-Zeiten diente der Bärensaal als Sitzungssal des Ministerates.
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Die ursprünglichen Wände und Decken des Saals sowie der Foyers waren jedoch nach damaligen Zeitgeschmack hinter glattflächigen Verkleidungen und Einbauten verschwunden, so daß der Sitzungssaal bei der Demontage wie ein in den ursprünglichen Raum gestellter Container erschien. Es zeigte sich, daß die Gesimse und der plastische Schmuck nicht beseitigt waren, aber doch beschädigt, weil sie den Einbauten im Wege standen. Verloren sind im Bärensaal auch prunkvolle Kandelaber, bronzene Portalgitter und der edle Marmorfußboden, während ein von dem Bildhauer Georg Wrba geschaffene Bär aus Bronze in den Tierpark Friedrichsfelde kam.

Zeugnischarakter bewahrt

Da zum Glück mehr versteckt als vernichtet wurde, können Besucher heute nach Entfernung von Zwischendecken und Wandverkleidungen wieder die ursprüngliche Feierlichkeit und Würde dieser Räume erleben, ja auch die seinerzeit nicht abgeschlagenen, sondern nur verbretterten Spruchweisheiten an den Wänden wie »Mancher ist arm bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut« oder »Es ist besser ein Gericht Kraut mit Liebe, denn ein gemästeter Ochse mit Haß« nachlesen.

Das Ergebnis der Restaurierung der Innenräume gilt als besonders gut gelungenes Beispiel für den behutsamen und angemessenen Umgang mit diesem bedeutenden und vielfach geschundenen Baudenkmal. Die Originalsubstanz ist mit ihren Beschädigungen erhalten, die Spuren der Geschichte bleiben sichtbar. So strahlen die Räume auf den Besucher eine Authentizität aus, die beeindruckt. Sichtbar bleiben die Löcher für die Träger der ehemaligen Zwischendecke, und auch die Köpfe über einzelnen Türen, denen man die Gesichter abgeschlagen hatte, um Wandverkleidungen senkrecht aufstellen zu können, behalten in ihrem demolierten Zustand ihren Zeugnischarakter. Die Restaurierung des Bärensaals ist beispielhaft für den Umgang mit beschädigten Baudenkmalen und damit der oft geforderten vollständigen Rückgewinnung beziehungsweise Rekonstruktion ursprünglicher Zustände weit überlegen.

Bildquelle: Archiv Autor

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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