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Frank Eberhardt
Fünfhundert Knaben auf Matte und Gerät

Die erste städtische Turnhalle in Berlin

Am 19. Oktober 1864 berichtete die Vossische Zeitung: »Die Einweihung der ersten städtischen Turnhalle, welche auf dem Grundstück Prinzenstraße No.56. (nach Umnummerierung Nr.70, F.E.) errichtet ist, fand gestern Vormittag 10 Uhr unter großer Betheiligung statt.
     Die schöne umfangreiche Halle war mit städtischen Bannern und Fahnen, sowie mit Guirlanden und Kränzen reich geschmückt. Auf dem südlichen Giebel war eine Tribüne errichtet, vor welcher die geladenen Ehrengäste, die Räthe der Ministerien, der Magistrat und die Stadtverordneten, sowie die übrigen städtischen Beamten Platz genommen hatten, während der übrige Theil der Halle zur Aufnahme der Deputationen der städtischen Schulen bestimmt war. Auf den Tribünen und Logen hatte sich ein zahlreiches Damenpublikum eingefunden, während auf der am südlichen Giebel eingelassenen befindlichen Tribüne ein Musikcorps und die erste Gesangsklasse des Gymnasiums zum Grauen Kloster Platz genommen hatte.«1)

Für die Stadt Berlin war es eine Einweihung großen Stils. Doch sie hinkte anderen Städten hinterher. Bereits am 7. Februar 1844, also zwanzig Jahre früher, hatte ein preußischer Ministerial- Erlaß in den größeren Städten für jede Schule einen besonderen Turnplatz und Turnsaal verlangt. Ausgehend von der vollkommen unzulänglichen Situation in Berlin hatte noch im gleichen Jahr eine Direktorenkonferenz der Schulleiter gefordert, derartige Plätze und Turnsäle anzulegen, darunter »ein besonderes Gebäude, etwa in der Sebastianstraße«.2) Die Stadtverordnetenversammlung ging damals auf diesen Vorschlag nicht ein. 1846 wurden endlich zwei öffentliche städtische Turnplätze am Unterbaum eröffnet, aber für eine Turnhalle gab es kein Geld.
     Die herschenden Kreise, insbesondere das Militär, legten jedoch zunehmend Wert auf sportlich ausgebildete und damit leistungsfähigere junge Männer. Das Turnen war nach dem Sandschen Attentat auf den Dichter Kotzebue 1819 in Preußen, 1820 in den meisten anderen deutschen Staaten verboten worden. Nun aber, anfangs der vierziger Jahre, setzte sich immer stärker der Gedanke durch, daß gymnastische Übungen zur Erhaltung und Kräftigung der körperlichen Gesundheit unbedingt erforderlich seien. So wurde auf der Grundlage einer Kabinettsorder von 1842 ein »Central- Institut für den gymnastischen Unterricht in der Armee« gegründet, allerdings erst 1847 mit dem Unterricht begonnen.
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Straßenfront der Turnhalle in der Prinzenstraße 70
Dieses »Institut« erhielt immerhin schon 1851 ein eigenes Gebäude in der heutigen Scharnhorststraße mit Rüst- und Fechtsaal, Vortragssaal, Bibliothekszimmer und zwei »Erholungszimmern«. Auf dem hinter dem Gebäude liegenden Platz gab es eine Laufbahn und eine Hindernisbahn. Ausgebildet wurden Lehrer für den Turnunterricht sowohl in der Armee als auch für den zivilen Bereich.3) Kochhann setzt sich ein

Für den Bereich der Berliner Schulen tat sich immer noch wenig. Bei einzelnen höheren Stadtschulen gab es zwar schon Turnplätze in ihrer Nähe, doch das reichte bei weitem nicht aus. Städtische Turnhallen gab es nicht. Eine private Turnhalle ließ Hermann Otto Kluge (1818-1882) 1856 in der Lindenstraße, nahe dem Dönhoffplatz, errichten.

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Vom 10.bis 12.August 1861 fand in Berlin das Zweite deutsche Turnfest statt. Aus diesem Anlaß wurde in der Hasenheide der Grundstein für das Jahn-Denkmal gelegt, und es wurde auch der Grundstein zur Organisation der deutschen Turnerschaft geschaffen. In der Folge entstanden zahlreiche Turnvereine, die bestehenden nahmen an Mitgliederzahl zu. Jetzt fanden sich auch in der Stadtverordnetenversammlung Männer, die das Turnen unterstützten. Insbesondere der angesehene Stadtverordnete Heinrich Kochhann (1805-1890) (BM 5/92), der 1863 zum Vorsteher gewählt wurde, setzte sich sehr für das Turnen ein. So beschloß am 15.Mai 1862 in einer öffentlichen Sitzung die Stadtverordnetenversammlung, »behufs der Herstellung einer städtischen Turnhalle nebst Turnplatz ein Grundstück an der Ecke der Prinzen(heute Heinrich-Heine-) und Dresdener Straße« in der Luisenstadt anzukaufen. Am 2.Mai 1863 wurde der Grundstein zu einer großen Halle gelegt. Das Projekt war von Stadtbaurat Adolph Gerstenberg (1826-1896) erarbeitet worden. Dabei hatte er die in anderen Städten schon vorhandenen Anlagen wie auch die sehr sinnvoll eingerichtete Klugesche Privatturnanstalt berücksichtigt.
     Die in der Mitte der Baulichkeit vorhandene eigentliche Turnhalle wurde zur Feier der 50.Wiederkehr der Völkerschlacht bei Leipzig am 18.Oktober 1863 bereits in Betrieb genommen,
obwohl das Gesamtgebäude und der Sportplatz noch nicht fertig waren. Der Architekt Gerstenberg gab 1864 in der Zeitschrift für Bauwesen eine Beschreibung der Berliner Turnhalle (4). Die Anlage sollte sowohl einen geräumigen Turnplatz als auch eine Halle von solcher Ausdehnung und Einrichtung umfassen, daß vier städtische Schulen gleichzeitig jede für sich ihre Turnübungen vornehmen könnten. Beim Vereinsturnen sollte die Halle ca. 200 bis 600 Turnern für gemeinsame Übungen Platz bieten.
     Das Grundstück hatte eine unregelmäßige Form mit vier unterschiedlich langen Seiten, seine Gesamtgröße betrug ca. 2 Morgen. An der Straßenfront von fast 80 Metern wurde das Gebäude errichtet. Es bestand aus dem etwas vorspringenden Mittelbau mit der eigentlichen Turnhalle, daran zwei seitlichen Anbauten, die zurückgesetzt waren, und zwei wiederum vorspringenden Flügelbauten.
     Die Turnhalle war das Kernstück der Anlage. Sie war 50 Meter lang und 23 Meter breit. An den Längsseiten verliefen von Konsolen getragene schmale Zuschauergalerien, an den Giebelseiten waren im Erdgeschoß Gerätekammern und Garderoben untergebracht, darüber befanden sich breite Logen für Zuschauer. In den zwei seitlichen Anbauten befanden sich abermals Gerätekammern sowie die zu den Galerien führenden Treppen.
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Innenansicht der Turnhalle
Die das Gebäude begrenzenden Flügelbauten, die bis an die Straße heranreichten, enthielten vier Wohnungen, einen Fechtsaal, Garderoben sowie ein Bibliothekszimmer. Der gesamte Bau war unterkellert. Dort wurden abermals Geräte sowie das Feuerungsmaterial aufbewahrt.

Für Schüler und Vereine

Ursprünglich turnten hier die Schüler von fünf höheren Schulen. Der Turnunterricht verlief damals von dem übrigen Unterricht der Schulen vollkommen getrennt.

So gehörten auch die acht Turnlehrer zu keiner Schule, sie bildeten selbst ein Kollegium.
     In der Halle und auf dem Platz sollten etwa 500 Schüler gleichzeitig Übungsmöglichkeit haben. Jedes Gerät war deshalb achtmal vorhanden.
     Der hinter der Halle gelegene große Sportplatz bot mannigfaltige Übungsmöglichkeiten im Geräteturnen, in Lauf, Sprung und Wurf. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde der reiche Baumbestand des Platzes reduziert, um für die modern gewordenen Feldspiele Freiraum zu schaffen.
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     Neben den Schulen nutzten auch Turnvereine diese Halle. Insbesondere der Verein »Berliner Turnerschaft« hatte hier Heimatrecht. So turnten hier Männer-, Jugend- und Schülerabteilungen an allen Wochentagen. Weiterhin wurden in der städtischen Turnhalle Ausbildungskurse für Turnlehrer abgehalten, bis diese Ausbildung von den Hochschulen übernommen wurde. Es fanden aber auch Ausscheidungskämpfe und andere große Schauveranstaltungen statt. Die rundum laufenden Galerien boten Platz für 800 bis 1000 Zuschauer, davon 400 Sitzplätze.
     Nachdem im Ersten Weltkrieg die Turnhalle als Lazarett dienen mußte, konnte sie anschließend wieder für den Sport genutzt werden. Sie bestand bis zum Zweiten Weltkrieg, dann fiel sie den Bomben zum Opfer. Nach dem Abräumen der Ruinen gehörte diese Fläche während der Zeit der Mauer zum Grenzübergang Prinzenstraße/ Heinrich-Heine- Straße. Seit zehn Jahren gibt es hier nur eine trostlose Öde, wo einst Berlins Turner ihre Kräfte maßen. Obwohl ein städtebaulicher Wettbewerb, der eine Bebauung auch dieses Geländes mit Wohnungen vorsieht, seit Jahren abgeschlossen ist, tut sich bis heute nichts. Ab und zu schlägt ein Zirkus sein Zelt auf, Pferde weiden mitten in der Stadt.
So markiert sich hier wie an anderen Stellen der ehemaligen Luisenstadt die Narbe der geschundenen Stadt.

Quellen:
1 Vossische Zeitung von 19.Oktober 1864, 1.Beilage, S. 3
2 Schumann, Alfred: Von Eiselen zu Angerstein. Die Entstehung des Schulturnens in Berlin mit Ausblick auf das Vereinsturnwesen. Berlin 1937, S.219
3 Nebel, F.: Die Königliche Militär- Turnanstalt, Berlin 1902
4 Adolph Gerstenberg: Die erste städtische Turnhalle zu Berlin. Zeitschrift für Bauwesen, Berlin 1864, S.324-327

Bildquelle:
Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Berliner Turnerschaft, Berlin 1913

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 5/2000
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