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Herbert Schwenk
»Nichts los« in Berlin vor 100 Jahren?

Die Reichshauptstadt im Spiegel der Statistik des Jahres 1900

Der Publizist und Schriftsteller Maximilian Harden (1861-1927) zeigte sich an einem heißen Sommertag an der Schwelle zum 20. Jahrhundert wenig berauscht von Berlin, wenn er in einem Brief (An Rina, 26. Juni 1897) stöhnte: Hier findest Du nichts als Hitze, Staub, Bierkonzerte, Buddelei und eklige Demokratenentrüstung ... Es ist wirklich nichts los, und keine vernünftige Christenseele bliebe bei dem Thermometerstand hier in dem Affenkäfig ...
     Was in Berlin zu jener Zeit aber alles »los« war, verrät zum Beispiel ein Blick auf die Statistik des Jahres 1900.

Eine dichtbevölkerte Stadt mit hoher Mobilität, ...

Am 1. Dezember 1900 wurden in Berlin 1 888 848 Einwohner (985 807 Frauen und 903 041 Männer) auf einer Stadtfläche von 6 349,5 ha gezählt. Damit betrug die Einwohnerdichte 297,5 Einwohner pro ha und fast das Achtfache der heutigen. Berlin war hinsichtlich seiner Einwohnerzahl an die vierte Stelle der Welt vorgerückt:

New York zählte zu jener Zeit 7,629 Mill., London 4,536 Mill. und Paris 2,714 Mill. Einwohner; Wien hatte vergleichsweise »nur« 1,648 Mill. und St. Petersburg 1,249 Mill. Einwohner. In 23 Nachbargemeinden Berlins mit einer Fläche von zusammen 21 184 ha wurden am 1. Dezember 1900 2 481 084 Einwohner gezählt.
     Die Zahl aller Neugeborenen betrug 1900 in Berlin 51 673, das entsprach 27,7 Promille der Bevölkerung; 43 945 wurden ehelich und 7 728 außerehelich geboren, letzteres entsprach 4,14 Promille der Bevölkerung und 15 Prozent aller Geburten.
     Die Zahl der Gestorbenen betrug 1900 in Berlin 37250, 20 Promille der Bevölkerung. Darunter waren 15499 Kinder unter fünf Jahren, 3433 von ihnen waren außerehelich geborene Kinder. Und auch dies geschah 1900 in Berlin: 120mal heirateten Blutsverwandte, darunter 113mal Geschwisterkinder, sechsmal Onkel und Nichte und einmal Tante und Neffe. Die Statistik hielt auch fest, daß zwölf über 70jährige Männer Frauen heirateten, die über 30Jahre jünger waren.
     Während heute anhaltender Fortzugsüberschuß für Berlin typisch ist, war es zu Jahrhundertbeginn umgekehrt: Die Überschüsse bei Zuzügen beliefen sich seit 1891 auf jährlich mehrere zehntausend Personen. 1900 zogen 250881 Personen nach Berlin, darunter 141359 (56,3 Prozent) männlichen Geschlechts.
     Ihnen standen im gleichen Jahr nur 191 366 Fortzüge gegenüber, darunter 102 802 männlichen Geschlechts (53,7 Prozent).
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Von den im Jahre 1900 Zugezogenen waren 151 845 (60,5 Prozent) unter 25 und nur 11 118 (4,4 Prozent) über 50 Jahre alt; von den im Jahre 1900 Fortgezogenen waren 108 023 (56,4 Prozent) unter 25 Jahre und nur 10 774 (5,6 Prozent) über 50 Jahre alt.

... mit umfangreichem Konsum, ...

Die große Stadt verbrauchte große Mengen an Nahrungs- und Genußmitteln. Der Fleischkonsum in Berlin und seinen Nachbargemeinden im Acht-Kilometer- Umkreis lag 1900 bei 81 kg pro Kopf der Bevölkerung. Ferner wurden in Berlin mit Vororten (1900: 2,137 Mill. Einwohner) pro Kopf verbraucht: 13,8 kg Fisch, 74,1 kg Kartoffeln, 63 kg Obst, Gemüse und Pflanzen, 14,8 kg Petroleum, 1 474,2 kg Steinkohle, Koks und Braunkohle, 5,6 kg Torf und Holzkohle, 10,2 kg Wein, 14,8 kg Spiritus, Branntwein und Essig sowie sieben kg Kaffee bzw. -surrogate, Tee und Kakao. Bei einer speziellen Erhebung zum Milchverbrauch in den Städten Berlin, Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf ergab sich für das Jahr 1902 ein Verbrauch von 250,298 Mill. Liter Milch, das waren pro Tag 685 748 Liter, pro Tag und Kopf der Bevölkerung allerdings nur 0,297 Liter. Nur knapp 18 Prozent der erforderlichen Milchmenge wurde noch in den vier Städten selbst produziert, 72 Prozent erfolgten per Eisenbahnzufuhr und 10 Prozent auf dem Wege der Landzufuhr.

Immerhin gab es 1900 in Berlin noch 8086 Stück Rindvieh sowie 45 532 Pferde und Esel.
     Der Auftrieb auf den städtischen und polizeilichen Schlachthof umfaßte im Jahre 1900: 182 361 Rinder, 161 023 Kälber, 44 0870 Schafe und 830 537 Schweine; die Pferdeschlachtung auf dem polizeilichen Viehhof betrug 10 185 Stück.
     Der Berliner Bierverbrauch war seit jeher legendär. Er lag 1900 in der Stadt mit Vororten (2,137 Mill. Einwohner) bei 242 Litern pro Kopf. 121 Brauereien gab es im Haupt-Steueramts- Bezirk Berlin im Rechnungsjahr 1900/1901, davon 119 in Betrieb. Sie erzeugten 1,657 Mill. hl obergäriges Bier und 3,560 hl untergäriges Bier, wofür insgesamt 1,970 Mill. Ztr. Getreide und 25 416 Ztr. Malzsurrogate verarbeitet wurden. Entsprechend hoch war die Zahl der Ausschänke. Ende 1900 gab es davon in Berlin 14 247: 3 218 Kleinhandlungen mit Branntwein, 446 Gastwirtschaften (184 »für gebildete Stände« und 262 »für niedere Stände«), 89 Ausschänke für Selterswasser sowie 10 494 »sonstige Schankwirtschaften«, darunter auch für Kaffee, Tee und Schokolade.
     Im Jahre 1900 gingen im Postbezirk Berlin (119 Post-Anstalten, 114 Telegraphen- Anstalten, 62 Paket-Annahmestellen, 1 555 Briefkästen, 47 586 Fernsprechstellen, darunter 150 öffentliche, 7 479 Postbeamte) 292,122 Mill. Briefe, Postkarten, Drucksachen und Warenproben ein und 436,817 Mill. wurden aufgegeben.
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Pferdedroschke und Schleusenwärterhaus auf dem Mühlendamm, um 1900
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Hinzu kamen der Eingang von 9,815 Mill. und die Aufgabe von 20,228 Mill. Paketen. Ferner wurden 699 851 Rohrpostbriefe und 4,204 Mill. Telegramme aufgegeben sowie 105,305 Mill. Telephonate mit 34 236 Teilnehmern geführt.
     Die Nahrungsmittelpreise betrugen im Dezember 1900 (jeweils Durchschnittspreise pro kg): Rindfleisch (Keule) 1,40 M, Schweinefleisch 1,35 M, Zucker 0,65 M, Eßbutter 2,40 M, Roggenmehl 0,31 M, Weizenmehl 0,35 M, Schwarz- und Graubrot 0,17-0,27 M, Semmel 0,27-0,45 M, Eßkartoffeln (100 kg, Kleinhandel) 5-7 M, Backäpfel (100 kg) 80-90 M, eine Zitrone 0,05 M.
     Die stark differenzierten Lohnverhältnisse erschweren Vergleiche zwischen Löhnen und Preisen. Als Anhaltspunkte können diese Angaben dienen: 78 Prozent der Berliner Droschkenkutscher, 46 Prozent der Omnibuskutscher, 52 Prozent der Omnibusschaffner, 30 Prozent der Motorführer und 28 Prozent der »Arbeiter aller Art« in den Berliner Fuhrwerks-Betrieben hatten im Jahre 1900 Tagelöhne zwischen 3 und 3,50 M; 53 Prozent der Stall-Leute, 45 Prozent der Müll-Kutscher und 38 Prozent der Omnibus- Schaffner verdienten jedoch nur 2,50-3 M am Tage.
... mit einer ausgebauten städtischen Infrastruktur ...

Mit der Mobilität der Bevölkerung korrellierte ein leistungsfähiges Berliner Verkehrswesen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Jahre 1900 beförderten die Große Berliner Straßenbahn A.G. 280,349 Mill., die Stadt- und Ringbahn 97,528 Mill. und die Berliner Omnibus- Gesellschaften 80,569 Mill. Personen - zusammen 558,446 Mill. 1900 gab es 2 868 Fuhrunternehmer, 5555 Droschken I. Klasse mit und 872 ohne Fahrpreisanzeiger, 153 Gepäckdroschken, 601 Omnibusse und 2387 Straßenbahnwagen. Im Verkehrswesen waren 22 527 Pferde im Einsatz, davon 12985 bei Droschken und 5368 bei Pferdebahnwagen und 3864 bei -omnibussen. Für das Rechnungsjahr 1900/1901 gab die Eisenbahn- Direktion an, daß am Bahnhof Friedrichstraße 7,680 Mill. beförderter Personen gezählt wurden, am Schlesischen Bahnhof 6,588 Mill., am Bahnhof Alexanderplatz 6,163 Mill., am Bahnhof Bellevue 4,937 und am Bahnhof Zoologischer Garten 4,852 Mill. Fahrgäste.
     Im Jahre 1900 gab es in Berlin 1968 durch Straßenfahrzeuge aller Art verursachte Unfälle, bei denen 47 Menschen ums Leben kamen und 529 schwer verletzt wurden.

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An der Spitze standen 104 Droschken- Unfälle (zwei Todesopfer, 96 Schwerverletzte), 377 von »schweren Lastfuhrwerken« verursachte Unfälle (18 Todesopfer, 162 Schwerverletzte), 356 von »leichten Lastfuhrwerken« verursachte Unfälle (10 Todesopfer, 83 Schwerverletzte) und 332 Fahrrad- Unfälle (drei Todesopfer, 53 Schwerverletzte).
     Das Gemeinwesen Berlin besaß um 1900 auch eine ausgebaute Infrastruktur. Wasserversorgung und Abwasserentsorgung waren gut entwickelt. Zwei städtische Wasserwerke am Müggelsee und am Tegeler See versorgten mit ihren Hebestationen die Stadt und die Vororte Neu-Weißensee, Stralau, Treptow und Nieder-Schöneweide. Der Gesamt-Wasserverbrauch in der Stadt und den genannten Vororten betrug 1900/1901 54,983 Mill. m3. Ohne Vororte lag der durchschnittliche Tages-Wasserverbrauch 1900 in Berlin bei 147 559 m3 (pro Kopf 78,5 Liter), das Maximum am 21. Juli bei 227 316 m3 (pro Kopf 121,2 Liter) und das Minimum am 26. Dezember bei 100 289 m3 (53,2 Liter).
     Das System der städtischen Kanalisation war 1873-1893 unter Leitung von James Hobrecht (1825-1902) geschaffen worden, nach dem das Abwasser über ein Rohrleitungssystem (Radialsystem I-XII) mittels Pumpwerken auf Rieselfelder der Umgebung abgeleitet wurde. 1900/1901 wurden 26639 Grundstücke entwässert, und die Gesamtmenge des nach den Rieselfeldern bewegten Klosett-, Wirtschafts- und Regenwassers betrug 80,908 Mill. m3, das waren täglich 221 666 m3.
Für die Kanalisation fielen 1900/1901 insgesamt 1,254 Mill. M Betriebskosten an. Die Berliner Elektrizitätswerke gaben im Betriebsjahr Juli 1900/Juni 1901 69,677 Mill. Kilowattstunden nutzbare Energie ab, davon 34,111 Mill. (49 Prozent) für den Betrieb der Straßenbahnen, 22,250 Mill. (32 Prozent) für gewerbliche Anlagen, 11,875 Mill. (17 Prozent) für die Privatbeleuchtung und 1,441 Mill. (2 Prozent) für die Straßenbeleuchtung. Innerhalb des städtischen Weichbildes wurden am 30. Juni 1900 gespeist: 303304 Glühlampen (davon nur 112 für die öffentliche Beleuchtung), 12396 Bogenlampen (davon 495 für die öffentliche Beleuchtung) und 4964 Motoren. Hinzu kam die Gasversorgung durch die städtischen und englischen Gaswerke. 1901 wurden von den städtischen Gaswerken 28646 Gasflammen für die öffentliche Beleuchtung gespeist, von den englischen 1 016. Außerdem existierten bei der öffentlichen Beleuchtung noch 608 Petroleumflammen. Demnach verfügte die öffentliche Beleuchtung in Berlin im Jahre 1901 über insgesamt 30877 »Flammen«.
     Apropos Flammen. Das Berliner Feuerlöschwesen bekämpfte 1900/1901 88 Groß-Feuer, 177 Mittel-Feuer, 1 624 Klein-Feuer und 48 Schornstein-Feuer. Hinzu kamen 348 mal »blinder« und 36 mal »böswilliger« Alarm sowie 25 mal »Feuer außerhalb« und 301 mal »sonstiges Eingreifen«. Demgegenüber steht die Zahl der Feuer 1900/1901: 1937 mit und 9123 ohne Alarmierung. In beiden Kategorien dominierten mit Abstand Brände von Wohnhäusern mit Zubehör: 1 212 mit und 8064 ohne Alarmierung.
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Am 31. März 1900 waren in Berlin Straßen mit einer addierten Fläche von rund 577 ha gepflastert, davon 397 ha Stein-, 172 ha Asphalt- und acht ha Holzpflaster. Das städtische Straßenreinigungswesen vermerkte im Rechnungsjahr 1900/1901 968,5 ha »regelmäßig zu reinigende Straßenfläche«, davon 585,3 ha Fahrdamm.
     Als »täglich zu reinigende Straßenfläche« galten 479,3 ha. 1900/1901 fielen 137 791 Fuhren Straßen- Kehricht und 106130 Fuhren Schnee an. 216 Sprengwagen versprühten 1,286 Mill. m3 Wasser bei der Straßen- Besprengung. Täglich waren 63 Kehr- und Kratzmaschinen »in Gebrauch«, 12 »in Reserve«.
     Die städtische Park- und Garten-Verwaltung vermeldete für den 31. März 1900 eine Gesamtfläche der städtischen Park- und Gartenanlagen von 379,2 ha, davon 196,2 ha Parkanlagen (im städtischen Weichbild lagen 127 Parks, von denen sieben dem Staat gehörten), 96,9 ha Baumschulen, 67,7 ha Schmuckplätze und 18,4 ha Anlagen bei Krankenhäusern usw. Zur Ausschmückung städtischer Anlagen wurden 128090 Stück Blumen und Blattpflanzen zum Wert von 31225 M verwendet.
... und einem beachtlichen Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen

In Berlin besuchten Ende 1900 255133 Schüler(innen) (129 315 Jungen und 125 818 Mädchen) die unterschiedlichsten Schulen. Rückgrat der »königlichen und städtischen Unterrichtsanstalten niederen Grades« waren die Gemeindeschulen. Am 21. Dezember 1900 wurden, nachdem die Einführung der acht Stufen in den Schulen begonnen hatte, insgesamt 241 Gemeindeschulen gezählt, an denen 210098 Kinder (105692 Mädchen und 104406 Jungen) lernten. Im gleichen Jahr wurden 20997 Schüler(innen) nach vollendeter Schulpflicht entlassen. Hinzu kamen mehrere Anstaltsschulen wie die Vorschulen der städtischen (zehn Schulen mit 1479 Schülern, davon 413 jüdischen) und der Kgl. Gymnasien (vier Vorschulen mit 1039 Schülern, davon 265 jüdischen) sowie der Realgymnasien und Ober- Realgymnasien (acht Vorschulen mit 1 137 Schülern, davon 249 jüdischen), ferner die Kgl. Seminarschule (312 Schüler), die Kgl. Präparanden- Anstalt (101 Schüler), die Kgl. Taubstummen- Schule (82 Schüler) usw. Zu den »Mittleren Unterrichts- Anstalten des Staates und der Stadt« gehörten vier kgl. und elf städtische Gymnasien, an denen (1900) 416 Lehrer(innen) in 239 Klassen 7264 Schüler lehrten, von denen 4 934 evangelischer, 355 katholischer und 1 962 jüdischer Konfession waren.

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Hinzu kamen acht Realgymnasien und zwei Ober- Realschulen mit insgesamt 5 018 Schülern. Darüber hinaus bestanden acht »sonstige mittlere und niedere Unterrichts- Anstalten unter Aufsicht von Vereinen, Kirchen, Instituten usw.« sowie rund 60 Privatschulen. So besuchten 598 Jungen in 13 Klassen bei 16 Lehrern die Knabenschule der Jüdischen Gemeinde und 424 Mädchen in 10 Klassen bei 11 Lehrern die Mädchenschule der Jüdischen Gemeinde; auf die St.-Hedwigs- Pfarrschule gingen 179 Jungen und 210 Mädchen katholischer Konfession; die Wadzeck- Anstalt besuchten 50 Knaben und 35 Mädchen evangelischer Konfession.
     Unter den Privatschulen hatten die 43 höheren Privat- Mädchenschulen mit zusammen 11 367 Schülerinnen in 450 Klassen bei 602 Lehrern/ Lehrerinnen den größten Anteil; dagegen besuchten die sechs höheren Privat- Knabenschulen nur 1590 Schüler bei 75 Lehrern.
     Bemerkenswert war auch die Zahl der Kindergärten und Kinderbewahranstalten. Dazu gehörten Vereins- Kindergärten wie die fünf des Berliner Fröbel-Vereins, der Fichte- Kindergarten (1900: 256 Kinder) und die fünf Kindergärten des Vereins für Volkskindergärten in Berlin; ferner sechs Privat- Kindergärten und etwa drei Dutzend Kleinkinder- Bewahranstalten wie die 19 Anstalten des Vereins zur Beförderung der Klein-Kinder-Bewahr- Anstalten (1900: 1945 Kinder) und die sechs Goßner'schen Klein-Kinder-Bewahr- Anstalten (1900: 460 Kinder).
     Unter den höheren Unterrichts- Anstalten nahm die Kgl. Friedrich-Wilhelms- Universität zu Berlin den wichtigsten Rang ein.
Im Sommer- Semester 1900 waren dort 4890 Studierende immatrikuliert, davon 1 445 in der juristischen, 1 022 in der medizinischen, 266 in der theologischen und 2 157 in der philosophischen Fakultät (dabei 779 in Mathematik und Naturwissenschaften).
     An den vier Fakultäten wirkten insgesamt 86 ordentliche Professoren. In jenem Semester wurden 848 Vorlesungen registriert. Im Sommer-Semester 1900 waren an der Technischen Hochschule in Charlottenburg 2 686 Studierende immatrikuliert, an der Landwirtschaftlichen Hochschule 499, an der Tierärztlichen Hochschule ca. 500, an der Königliche Bergakademie 199, am Seminar für orientalische Sprachen 111 und an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums 26.
     Auch das Berliner Gesundheits- und Sozialwesen hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen relativ guten Stand erreicht. Es gab im Weichbild der Stadt insgesamt 19 öffentliche und 50 private Krankenhäuser sowie sechs Gefängnis- Lazarette.
     Zu den 19 öffentlichen Krankenhäusern gehörten die fünf städtischen Krankenhäuser (Friedrichshain, Moabit, Am Urban, Frauen-Hospital für innere Krankheiten Gitschiner Straße und Hilfs-Station für geschlechtskranke Personen), die königlichen Anstalten Charité, Klinikum und Gynäkologische Klinik sowie einige Gefängnis- Lazarette (darunter Stadtvogtei, Barnimstraße und Alt-Moabit) sowie mehrere Diakonissenhäuser (darunter Augusta- Hospital, Bethanien, Elisabeth- Krankenhaus, Hedwig- Krankenhaus, Lazarus- Krankenhaus, Kaiser Friedrich- Kinder-Krankenhaus).
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Die öffentlichen Krankenhäuser verfügten zusammen über 6 585 Betten und hatten am 1. Januar 1900 einen Bestand von 5477 Patienten, im Verlaufe des Jahres einen Zugang von 71059 Patienten und einen Abgang von 71352 (darunter 37 473 Geheilte und 19 238 Gebesserte); der Bestand zum Jahresschluß lag demzufolge bei 5 184 Patienten. Größte der Kgl. Anstalten war die Charité mit 1331 Betten bei 1 263 Patienten zu Beginn des Jahres 1900; größte städtische Krankenhäuser waren Moabit und Friedrichshain mit 995 bzw. 753 Betten bei 810 bzw. 665 Patienten Anfang 1900.
     Die 50 privaten Krankenhäuser zählten 1 112 Betten, die am 1. Januar 1900 nur einen Bestand von 371 Patienten und im Verlaufe des Jahres einen Zugang von 10903 Patienten sowie einen Abgang von 10843 (darunter 7232 Geheilte und 2806 Gebesserte) hatten; ihr Bestand am Jahresende 1900 lag demzufolge bei 431 Patienten.
     Die sechs Gefängnis- Lazarette verfügten über 239 Betten, darunter allein Alt-Moabit über 72. Im Jahre 1900 wurden in den öffentlichen Krankenhäusern Berlins 72933 Personen behandelt, in den privaten Heilanstalten 10515 Personen.
     Zu den häufigsten der insgesamt 89967 Erkrankungen (nach der Zahl der Zugänge in den öffentlichen Krankenhäusern und privaten Heilanstalten) gehörten: Syphilis (4828), Lungenschwindsucht (4637),
Geisteskrankheiten, Rückenmark- und andere Krankheiten des Nervensystems (4 362), Krankheiten der Gebärmutter (3748), bösartige Neubildungen (2925), Krankheiten der Gelenke (2813), Knochenbrüche (2387), Krankheiten der Nieren und Blase (2205), Gonorrhöe (2201), Magenerkrankungen (2183), Herzkrankheiten (2048), Darmkatarrh (1625), Bauchfellentzündung (1746), chronischer Alkoholismus und Säuferwahnsinn (1341). Die Zahl der chirurgischen Operationen betrug im Jahre 1900 im Lazarus-Krankenhaus 1924, im städtischen Krankenhaus Friedrichshain 1411, im städtischen Krankenhaus am Urban 1402, im städtischen Krankenhaus Moabit 841, im Elisabeth- Krankenhaus 436, im Augusta- Hospital 378 und im Diakonissenhaus Bethanien 309.
     In den öffentlichen Irrenanstalten gab es im Jahre 1900 in Berlin einen Zugang von 1337 Personen und in den städtischen Irrenanstalten außerhalb von Berlin einen Zugang von 3465 Personen.
     Berlin zählte 1900/1901 30 297 Almosen- Empfänger, darunter 95 im Alter bis 20 Jahre, 1555 waren 20-40 Jahre alt, 2115 40-50 Jahre, 4396 50-60 Jahre, 10 803 60-70 Jahre, 9171 70-80 Jahre und 2 161 über 80 Jahre alt. An sie wurden im monatlichen Durchschnitt 358423 Almosen- Portionen, 118878 Pflegekinder- Portionen und 89392 Extra- Unterstützungs- Portionen verabreicht.
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Insgesamt beliefen sich die Zahlungen an Almosen-, Pflege- und Extra- Unterstützungs- Geldern im Rechnungsjahr 1900/01 auf 6,937 Mill. M. 1900 wurden 45534 Kranke von Armenärzten behandelt; 1530 der Behandelten verstarben. 1900/01 wurden 3059 Waisenkinder aufgenommen und durchschnittlich 5200 verpflegt.
     Schließlich war auch das Kriminalitäts-Problem seit jeher eng mit den sozialen Problemen verbunden. 1900 vermeldete das Königliche Polizei- Präsidium 67608 Anzeigen über vorgekommene Verbrechen und Vergehen. Es gab 5644 Verhaftete. Von ihnen waren 80 12-15 Jahre alt, 987 15-20 Jahre, 1447 20-25 Jahre, 1055 25-30 Jahre, 1201 30-40 Jahre alt, aber nur 608 40-50 Jahre, 225 50-60 Jahre, 34 60-70 Jahre und sieben über 70 Jahre alt.
     An der Spitze der Ursachen der Verhaftungen standen: einfacher Diebstahl (2 675, darunter 23 Kinder), schwerer Diebstahl (604, darunter 25 Kinder), Unterschlagung (525), Betrug (482), Urkundenfälschung (173), Unzucht mit Kindern (159), Widerstand etc. gegen Beamte (137), Körperverletzung (119), Hehlerei (115), Hausfriedensbruch (106), Kuppelei (97).
Das »Verbrecher-Album« von Berlin enthielt 1900 (Jahresschluß) 20 577 Photographien, u.a. von 78 Mördern, 110 Räubern, 158 Abtreibern, 3442 Einbrechern, 1579 Taschendieben, 1713 Prostituierten, 1656 Zuhältern, 525 Päderasten, 65 Sittlichkeitsverbrechern, 416 Bauernfängern, 434 Landstreichern, 168 Fahrraddieben ...
     Und da sage jemand, daß in Berlin »nichts los« war - vor 100 Jahren.

Datengrundlage:
Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. 27. Jahrgang (1900-1902, zum Teil 1903). Im Auftrage des Magistrats herausgegeben von Prof. Dr. E. Hirschberger, Direktor des Statistischen Amts der Stadt Berlin, Berlin 1903

Bildquelle:
Michael Bienert/ Erhard Senf, Berlin wird Metropole; be.bra verlag berlin. brandenburg 2000

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2000
www.berlinische-monatsschrift.de