4   Probleme/Projekte/Prozesse   
Zu diesem Heft

Jahrhundertwechsel waren immer ein Anlaß, Rückschau zu halten, Urteile zu fällen und über die Zukunft zu spekulieren. Dies war zur letzten Jahrhundertwende nicht anders, wenn man der Auffassung folgt, das Jahrhundert habe 2000 begonnen. Wir sind dagegen der offensichtlich nicht mehrheitsfähigen Auffassung, das 21. Jahrhundert beginnt erst 2001. Der Rückblick auf das zu Ende gehende Jahrhundert ist für uns nicht abgeschlossen, es hält uns noch in seinem Bann. Zwar ist der Streit darüber, welches Ereignis, welches Land dem vergangenen Jahrhundert seinen Stempel aufgedrückt hat, noch nicht entschieden, doch die herausragende Stellung, die Berlin symbolhaft und real in den letzten hundert Jahren eingenommen hat, ist unbestritten. Vielleicht trotz oder auch wegen seiner Gesichter.
     In nur einhundert Jahren trug die Stadt acht Gesichter, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Berlin mutierte während des Kaiserreiches zur Metropole von Weltrang. Hier wurde 1918 die erste Deutsche Republik ausgerufen, die in Weimar 1919 ihre Verfassung erhielt, deren Hauptstadt Berlin blieb, in den folgenden Jahren zum Brennpunkt politischer und sozialer Konflikte wurde und sich als kulturelles, wissenschaftliches und wirtschaftliches Zentrum von Weltrang behauptete, bis die Stadt ab 1933

zum Synonym für Weltmachtstreben, Intoleranz,Verfolgung, Holocaust, Krieg und Völkervernichtung wurde und 1945 von Berlin nur eine Wüste blieb. 1945 bis 1949, das sind die Jahre des Wiedererwachens einer Großstadt, die in diesen Jahren nicht nur ihren Hauptstadtstatus verlor, sondern auch als einheitliche Kommune aufhörte zu existieren. Berlin war fortan die Frontstadt, der Seismograph an der Trennlinie zwischen den Blöcken, bis mit der Errichtung der Mauer im Jahr 1961 scheinbar der status quo zwischen den Blöcken festgeschrieben schien, Ost-Berlin nun vor aller Welt als Hauptstadt der DDR fungierte und West-Berlin ebenso vor aller Welt als Insel allen Gefährdungen standhielt, bis 1989/90 die Mauer fiel. Berlin wurde, was noch vor 1989 nur in Festtagsreden beschworen und ansonsten für das auslaufende Jahrhundert weder in Ost noch in West für realisierbar gehalten wurde: Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands und zur Jahrtausendwende Regierungssitz der deutschen Republik, deren Grundgesetz im idyllischen Bonn verabschiedet worden war.
     An diese acht Gesichter wollen wir erinnern. Dabei geht es uns weniger um die großen Staatsaktionen, sondern vor allem um Details, um Bekanntes und Unbekanntes aus der Geschichte unserer Stadt, natürlich bei Beibehaltung unserer inhaltlichen Struktur.
     Die Redaktion

© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2000
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