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Wat, Se ham een Radierjummi?

Max Liebermann (1847-1935), der Meister des deutschen Impressionismus, war ein erklärter Gegner der kaiserlichen Kunst, Wilhelm II. hielt Liebermann für einen Anarchisten. Das Haus des für seine Schlagfertigkeit und seinen Mutterwitz berühmten Malers am Pariser Platz war bis 1933 ein geistiges Zentrum Berlins.

Ausstellungseröffnung
Leicht gebückt, gelb, hager sah man Liebermann im Juli 1917 kurz vor Eröffnung der Jubiläumsausstellung durch die Säle gehen. Er begrüßte Freunde, unterhielt sich lebhaft. Als aber die ersten Besucher kamen und ihn neugierig anstaunten, verabschiedete er sich. Professor Fritz Klimsch bat ihn zu bleiben. Ich bin doch kein wildes Tier, sagte Max Liebermann und verließ die Ausstellung.

Die Judenfrage
Mit Professor Einstein habe ich oft über die Judenfrage gesprochen. lch habe es mein Leben lang so gehalten, daß ich immer zuerst gefragt hab: Was ist das für ein Mensch? Niemals danach, ob einer Jude, Christ oder Heide war. Ich bin als Jude geboren und werde als Jude sterben.

Ein Irrtum
Der Grund, warum ich Maler geworden bin? Ich dachte, da könnte man immer hübsch faulenzen. Ich hatte mich aber geirrt!

Laster
Eine Bewunderin sagte: Ein Talent wie Ihres entschuldigt auch viele Fehler. Desto erstaunlicher finde ich es, daß Sie, lieber Meister, nie von einer solchen Entschuldigung Gebrauch machen mußten!
Also, det laß ick mir nich nachsagen, Gnädigste! protestierte Liebermann. Ick hatte in meiner Jugend alle Laster!

Spaß
Zu festlichen Empfängen ging Liebermann nur ungern. Er meinte, man käme eigentlich mit keinem Menschen richtig zusammen, verliere nur Zeit und Nerven. Auf den Einwand eines Kollegen, es gebe dabei doch auch eine Menge Spaß, erwiderte er:
Können Sie arbeiten, wenn Sie sich abends rumtreiben? Na sehn Sie. Und mir macht die Arbeit am meisten Spaß. Den laß ich mir durch Gesellschaftstratsch nicht verderben.

Verwandte
Der Landschaftsmaler Julius Bodenstein ging Unter den Linden spazieren, als ihm ein mit Liebermann verwandter Gerichtsassessor begegnete. Nachdem sie gemeinsam ein Stück des Wegs gegangen waren, fragte der Assessor, wen Bodenstein als guten Porträtisten empfehlen könne; er möchte seine Frau malen lassen. Da fragen Sie noch? entrüstete sich Bodenstein. Sie haben doch in Ihrer Familie den größten Maler Deutschlands!
Sie meinen Max Liebermann? fragte der Gerichtsassessor. Als das bejaht wurde, machte er Püh! und tat einen burlesken Sprung von der Bordschwelle auf den Damm.

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Immer taktvoll
In einer Gesellschaft erzählte die Gattin eines Malers von einem französischen Herrensitz. Sie beschrieb den weitläufigen Park, lobte die vornehme Architektur des Schlosses und erging sich zum Schluß über den feinsinnigen Spruch im Hauswappen. Als alles beeindruckt schwieg, sagte Max Liebermann mit sehr lauter Stimme: Det is jrade wie im Jrunewald. Da warn Haus mitn Spruch: Klein, aber mein. Und davor een Schild: Diese Villa ist zu verkaufen!

Immer dasselbe
Zeigen Sie mir mal lhr Profil, Fräuleinchen, verlangte Liebermann, als sich ein neues Modell bei ihm vorstellte.
Prompt kam die Antwort: Aber, Herr Professor, ich bin ein anständiges Mädchen!

Vetternwirtschaft
Ich hab im Salon Cassirer einen Ihrer Vettern getroffen, berichtete ein Journalist Max Liebermann. Den müssen Se mir schon näher benamsen, war die Antwort. Seit ich Präsident der Sezession bin, hab ich viele Vettern.

Das Ende der Linden
Kaiser Wilhelm II. hatte den leidenschaftlichen Wunsch, die beiden rechts und links neben dem Brandenburger Tor stehenden Häuser in seinen Besitz zu bringen und sie abreißen zu lassen, weil er glaubte, so vereinzelt werde das Brandenburger Tor der Monumentalität des Arc de Triomphe in Paris gleichkommen. Als der Besitzer des einen Hauses, ein Graf von Redern, starb und die Familie dem Kaiser das Redernsche Palais zum Kauf anbot, hielt Wilhelm II. die Zeit für gekommen, auch an Liebermann heranzutreten, und schickte eine in Geschäften erfahrene alte Hofexzellenz zu ihm. Max Liebermann hörte dem Vortrag des kaiserlichen Abgesandten geduldig zu und sagte dann, mit seinem Zeigefinger bekräftigend auf den Tisch tippend: Nu will ick Ihnen mal wat sagen, Exzellenz: Bestellen Se dem Kaiser, der Liebermann hätte gesagt, der Kaiser wohne uff det eene Ende von de Linden und der Liebermann uff det andere. Un ebenso, wie der Kaiser nich von det eene Ende der Linden rausgeht, jeht der Liebermann nich von det andere Ende der Linden raus. Als die Hofexzellenz, ihre Empörung mühsam beherrschend, zum Wagen eilte, rief Liebermann hinterher: Sagen Se seiner Majestät ruhig, nur mit den Füßen voran verließe der Liebermann sein Haus!
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Notwendiger Vorbehalt
AIs auch Kaiser Wilhelm II. bekennen mußte, Liebermann sei ein großer Maler, fügte er hinzu: Aber een Anarchist is der Kerl doch!

Werkzeug
Ein Kollege nahm sich eine Zeichnung von Liebermann vor und fragte, ob er mit einem harten oder weichen Bleistift zeichne. Mit Talent, sagte Liebermann.

Die Grenze
Als der Maler Lesser Ury bei Liebermann im Atelier zu Besuch war, bemängelte er einiges in einem neuen Bilde. Liebermann drückte ihm einen Pinsel in die Hand und bat anzudeuten, was er meine. Mit einigen Strichen tat das sein Kritiker.
Bald darauf erfuhr Liebermann, Lesser Ury erzähle überall, des Meisters letztes Bild gemalt zu haben. Det darf er, sagte Liebermann. Aber wenn er behauptet, daß seine Bilder von mir sind, dann verklag ich ihn!

Ein Kriterium
Cezannes »Junger Mann mit roter Weste« sollte von der Düsseldorfer Kunsthalle angekauft werden. Daraus wurde nichts, weil der Kritiker Eduard von Gebhardt protestierte; ihm gefiel nicht, daß der rechte Arm des jungen Mannes länger geraten war, als die Anatomielehre gestattete.
Das Bild wurde trotzdem ausgestellt, und eines Tages trafen sich vor ihm Eduard von Gebhardt und Max Liebermann. Ein Meinungsstreit entbrannte, in dem Liebermann die Komposition und Farbstimmung des Gemäldes lobte. Darauf erwiderte Gebhardt erregt: Und was sagen Sie zu dem unendlich langen Arm?
Der Arm ist so schön gemalt, sagte Max Liebermann, der kann gar nicht lang genug sein.

Karl May
Was sei schon an einem Schriftsteller, der wegen Eigentumsvergehen im Zuchthaus gesessen habe. Wissense wat, bemerkte Liebermann, alle jroßen Leute sind unanständige Menschen jewesen.

Sitzungsgespräche
Der Grafiker Hans Meid, der den Auftrag erhalten hatte, von Max Liebermann eine Porträtradierung zu machen, erzählt von dieser Arbeit: Ich kam mir vor, als ob ich Caruso etwas vorsingen sollte. Das Porträt ist auch eine meine schwächsten Arbeiten geworden, doch um so besser waren die Witze und Lehren, die Liebermann während der Sitzung von sich gab.
     »Wissense, jeder Mensch hat Ähnlichkeit mit irgendeinem Tier; ick sehe aus wie ein Aasgeier.« Wobei er konstatierte, daß ich seine Nase nicht lang genug gemacht hatte. Dann erzählte er, wie oft er als junger Mann gemalt worden sei, sogar von Nathanael Sichel, dem Maler der »Bettlerin vom Pont des Arts«. In späteren Jahren habe der Sohn Sichels ihm das Porträt im Auftrag seiner Mutter als Geschenk angeboten: Liebermann lehnte gerührt ab, da das Bild ein zu großes Wertobjekt sei, das er nicht annehmen könne. Das Gespräch kam auch auf meinen Landsmann Hans Thoma. Auf den war er nicht gut zu sprechen. »Ick gloobe, der hat een Privattelefon zum lieben Gott.«

Shocking
Max Liebermann war bei Lovis Corinth zu Besuch. Neugierig wanderten seine Augen über den Zeichentisch des Kollegen. Plötzlich rief er entsetzt: Wat - Se ham een Radierjummi?!

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Diagnose
Sie ahnen nicht, wie schwer es mit den Jahren in der Kunst wird, erklärte Liebermann einem Besucher. Jedes Bild is ne Viechsarbeit; dazu die Gicht in den Fingern ...
     Sicher haben Sie zuviel bei Wind und Wetter im Freien gearbeitet.
     Liebermann grinste verschmitzt und bemerkte: Nee, nee; det kommt vom Saufen!

Wettlauf
Auf den Spaziergängen wurde Liebermann meist von seinem Dackel Männe begleitet. Gewöhnt, sich in freier Wildbahn auszutoben, war der Hund auch bei Besuchen in Gärten schwer zu bändigen, zumal Liebermann kein gestrenger Herr war. So geschah es, daß der Dackel im Garten des Malers Philipp Franck einen Wettlauf mit einem Kaninchen begann und danach das Kaninchen zu Tode beutelte.
     Nun war aber das arme Tier nicht irgendein Wildkaninchen, sondern ein zahmer Stallhase, der Liebling des Malersohnes.
     Der Vater versuchte, die Geschichte dem berühmten Gast zuliebe herunterzuspielen, aber Liebermann war sichtlich geknickt. Am nächsten Tag erhielt Franck eine hübsche Handzeichnung und einen Entschuldigungsbrief:

Verehrter Herr Kollege, um die greuliche Szene, die mein Hund bei Ihnen produziert hat, etwas zu verwischen, erlaube ich mir, mit beifolgenden paar Strichen eine etwas liebenswürdigere Situation zu übersenden. Wollen Sie die Zeichnung behalten und verzeihen, was Männe in seiner Hundenatur getan.
     Bei einem späteren Besuch versicherte er Franck, die Wannsee-Skizze sei kein Entgelt für den Karnickelbock, sondern Ersatz für die ausgestandenen Schrecken von Vater und Sohn.

Ähnlichkeit
Gerhart Hauptmann, der mit der Ähnlichkeit seines Porträts nicht zufrieden war, entgegnete Liebermann ärgerlich: Ich habe Sie ähnlicher gemalt, als Sie sind!

Kunsthistoriker
Einem Kollegen, der Kunsthistoriker für überflüssig erklärte, widersprach Liebermann: Wenn die nicht wären, wer soll denn sonst nach unserem Tode unsere schlechten Bilder für unecht erklären?

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Expertise
Eines Tages war Liebermann zum Diner eingeladen, und der Hausherr zeigte ihm, mit der Bitte um Begutachtung, ein soeben erworbenes »altes« Bild. Liebermann warf einen Blick darauf und sagte ausweichend: Hör'n Se mal - wenn ick Hunger habe, halte ick keen Bild für echt! Das Gemälde wurde schleunigst weggeräumt und nach dem Essen nochmals vorgeführt. Liebermann machte ein verzweifeltes Gesicht und äußerte: Tja, wissen Se, nach dem Essen is det bei mir noch schlimmer!

Nicht doch
Eine Dame, die Max Liebermann in seinem Atelier besucht hatte, verabschiedete sich von ihm mit den Worten: Herr Professor, das war die schönste Stunde meines Lebens! Liebermann klopfte ihr freundlich auf die Schulter und meinte: Junge Frau, das wollen wir doch nicht hoffen!

Großzügig
Auf einem Empfang, den ein berühmter Komponist gibt, der gerade zum fünften Male geheiratet hat, wird Liebermann vom Hausherren gefragt, ob er der neuen Gattin vorgestellt zu werden wünsche. Nee, danke, erwiderte Liebermann. Die Dame überspring ick.

Ein Witz
Anton von Werner war gestorben, und es mußte ein neuer Direktor für die Hochschule für Bildende Kunst ernannt werden. Der Kaiser führte Beratungen durch, unter anderem auch mit Generaldirektor Wilhelm von Bode. Der Direktor empfing den Kaiser am Eingang des Museums, beide fuhren im Fahrstuhl nach oben, und Majestät fragte beiläufig, wer an Anton von Werners Stelle kommen solle. Bodes Antwort lautete: Natürlich Max Liebermann! Famoser Witz! krähte der Kaiser und bekam einen Lachanfall.

Beunruhigung
AIs er nach langem Sommeraufenthalt im Wannsee- Landhaus in die Wohnung am Pariser Platz zurückkehrte, fragte ihn ein Freund nach seinem Befinden. Nich jut, lautete die Antwort. In diesem Sommer habense mir fünfzehn Bilder bezahlt. Ick hab aber bloß dreizehn gemalt.

Film
Als Liebermann zum ersten Mal im Atelier gefilmt wurde, arbeitete er mit der gewohnten Ruhe. Dann ließ er sich einige Streifen vorführen, die andere Künstler bei ihrer Tätigkeit zeigten, und er bemerkte, daß sie schneller arbeiteten. Donnerwetter, ham die een Tempo drauf, sagte er kopfschüttelnd und verlangte nach einer neuen Aufnahme seiner eigenen Arbeit. Als der neue Film gedreht wurde, zeigte sich ein verwandelter Liebermann. Ein umfassender Blick auf das Modell, rasch über das Papier zuckende Hände, ein zusammengepreßter Mund, schließlich eine befriedigte Miene und der erleichterte Seufzer: Na bitte, det kann ick ooch!

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Jury
Jurysitzung. Alle Säle stehen voll von Bildern, mit der »Butterseite« gegen die Wand gekehrt. Die Diener nehmen Bild um Bild, tragen es zur Jury, und die meisten wandern in die Totenkammer. Während dieser Prozedur rast der Dackel des Akademiepräsidenten Max Liebermann durch die Säle und kommt alle zwei Minuten an der Jury vorüber. Das geschieht auch, als das Monumentalgemälde Liebermanns »Samson und Delila« hereingebracht wird. Es ist zwar von vornherein angenommen, aber alle Jurymitglieder stehen davor, die meisten sehen es zum ersten Mal. Der Dackel hält in seinem Lauf inne, schnuppert an der frischen Ölfarbe, hebt das Bein und pißt an den Goldrahmen. Gelächter setzt ein, Hausdiener Kulicke verscheucht das Tier und jammert: Also nee - so wat muß mir passieren! Max Liebermann sagt: Lassense man, Kulicke, wer weeß, ob die Kritiker det Bild besser behandeln werden.
Ortsbestimmung
Das noble Haus am Pariser Platz Numero sieben, gleich neben dem Brandenburger Tor, gehörte der Familie Liebermann seit dem Jahre 1859. Nachdem Max Liebermann berühmt geworden war, hatte der Berliner Volksmund auf die Frage, wo der Maler Liebermann wohne, die Antwort parat: Wenn man nach Berlin reinkommt, gleich links!

 
Entnommen »Anekdoten von Max Liebermann«, mit freundlicher Genehmigung des Eulenspiegel Verlags

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2000
www.berlinische-monatsschrift.de