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Neue Preußische Zeitung Nr. 1, Dienstag, d. 2. Januar 1900

Eine Extra-Ausgabe des »Militär- Wochenblattes« vom 1. Januar veröffentlicht nachstehende Ansprache Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. an die Offiziere der Garnison Berlin bei der Jahrhundertfeier im Jahre 1900 im Zeughause

Der erste Tag des neuen Jahrhundert sieht unsere Armee, d. h. unser Volk in Waffen um seine Feldzeichen geschaart, vor dem Herrn der Heeresschaaren knieen. Und wahrlich, wenn irgend wer besonderen Grund hat, sich heute vor Gott zu beugen, so ist es unser Heer. Ein Blick auf unsere Fahnen genügt als Erklärung, denn sie verkörpern unsere Geschichte. Wie fand das vergangene Jahrhundert bei seinem Anbruch unser Heer? - Die glorreiche Armee Friedrichs des Großen war auf ihren Lorbeeren eingeschlafen. In kleinlichem Detail des Gamaschendienstes verknöchert, von altersschwachen, kriegsuntüchtigen Generalen geführt; ihr Offizierskorps fördernder Arbeit entwöhnt, in Luxus und Wohlleben und thörichter Selbstüberhebung verkommen. Mit einem Wort: die Armee war ihrer Aufgabe nicht nur entwachsen, sie hatte sie vergessen. Schwer war die Strafe des Himmels, die sie ereilte und die unser Volk traf. In den Staub ward sie geworfen, Friedrichs Ruhm verblich, ihre Feldzeichen waren zerbrochen. In den sieben langen Jahren schwerster Knechtschaft lehrte Gott unser Volk sich auf sich selbst besinnen, und unter dem Druck des Fußes eines übermüthigen Eroberers gebar unser Volk aus sich heraus den hehrsten Gedanken, daß es die höchste Ehre sei, im Waffendienste seinem Vaterlande Gut und Blut zu weihen:
Die allgemeine Dienstpflicht

Mein Urgroßvater gab ihr Form und Leben, und neuer Lorbeer krönte die neuerstandene Armee und ihre jungen Fahnen. Ihre eigentliche Bedeutung jedoch gewann die allgemeine Dienstpflicht erst durch unseren großen, dahingegangenen Kaiser. In stiller Arbeit entwarf Er Seine Reorganisation unserer Armee, trotz des Widerstandes, den der Unverstand Ihm setzte. Die siegreichen Feldzüge krönten jedoch Sein Werk in nie geahnter Weise. Sein Geist erfüllte die Reihen Seines Heeres ebenso wie Sein Gottvertrauen dasselbe zu unerhörten Siegen hinriß. Mit dieser Seiner eigenen Schöpfung führte Er die Deutschen Stämme wieder zusammen und gab uns die langersehnte Deutsche Einheit wieder. Ihm danken wir es, daß Kraft dieser Armee das Deutsche Reich achtunggebietend seine ihm bestimmte Stellung im Rath der Völker wieder einnimmt. An Ihnen ist es nun, meine Herren, auch im neuen Jahrhundert die alten Eigenschaften zu bewähren und zu bethätigen, durch welche unsere Vorfahren die Armee groß gemacht haben: Einfachheit und Anspruchlosigkeit im täglichen Leben, unbedingte Hingabe an den Königlichen Dienst, volles Einsetzen aller Kräfte des Leibes und der Seele, in rastloser Arbeit an der Ausbildung und Fortentwicklung unserer Truppen. Und wie mein Großvater für Sein Landheer, so werde auch Ich für Meine Marine unbeirrt in gleicher Weise das Werk der Reorganisation fort- und durchführen, damit auch sie gleichberechtigt an der Seite Meiner Streitkräfte zu Lande stehen möge und durch sie das Deutsche Reich auch im Auslande in der Lage sei, den noch nicht erreichten Platz zu erringen. Mit beiden vereint hoffe Ich in der Lage zu sein, mit festem Vertrauen auf Gottes Führung den Spruch Friedrich Wilhelms I. wahr zu machen: Wenn man in der Welt etwas will decidiren, will es die Feder nicht machen, wenn sie nicht von der Force des Schwertes souteniret wird.
     Wilhelm R.
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Der Fähnrich.
Wenn man eijentlich so überlegt, wie unsereins alljemein jefeiert wird und was man sich jetzt schon alles erlauben darf, so kommt man doch zu der Uberzeugung: die sozialen Zustände unseres teuren Vaterlandes können immerhin noch als janz jesunde bezeichnet werden.«
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 4/2000
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