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Heimatmuseum Köpenick
Köpenick. Von den Anfängen bis zur Gegenwart.

1999, 124 S.

Pünktlich zur Neueröffnung des Heimatmuseums Köpenick in seinem ihm 1991 zugewiesenen Domizil Am Alten Markt 1 - das historische, auf das Jahr 1665 zurückgehende Gebäude wurde 1995-1999 im Rahmen des Programms »Städtebaulicher Denkmalschutz« von Grund auf restauriert - lag am 2. Oktober 1999 die Begleitveröffentlichung zu der dort präsentierten ständigen Ausstellung vor. Wenn man aber von den Mitteilungen im Impressum absieht, ist der Charakter des Vorliegenden als Katalog keineswegs auf den ersten Blick auszumachen: das Büchlein gleicht viel eher einer bestens illustrierten Geschichte Köpenicks, die in vorbildlicher grafischer Aufmachung (Gestalter: Peter Schulz, seit Jahrzehnten in Ausstellungs- und Kataloggestaltung bewährt) einen Spaziergang durch die lokale bzw. regionale Vergangenheit seit der Jungsteinzeit ermöglicht. Dabei braucht man nicht die Füße zu bewegen, kann sich jedoch eine erhebliche Anzahl von Anregungen zu Streifzügen holen, die im Zentrum des heutigen Verwaltungsbezirks und seinen ihn darüber hinaus konstituierenden einstigen Gemeinden - heute Ortsteilen - noch immer an Vergangenes erinnern - aber eben nur dann, wenn man etwas von der Vergangenheit weiß ...
     Und dazu leistet das Büchlein, das einen Katalog zu nennen wir uns eigentlich weigern möchten, treffliche Beihilfe. In neun Kapiteln (die den neun Ausstellungsabschnitten entsprechen) wird ein mehr kulturgeschichtlicher als geschichtlicher Überblick über Vorgeschichte und Geschichte Köpenicks und seiner heutigen Ortsteile geliefert, der infolge der gut ausgewählten und in bester Qualität

reproduzierten (was bei Katalogen von Heimatmuseen leider nicht selbstverständlich zu sein sich zunehmend einbürgert) Illustrationen sich einerseits beim Lesen und Betrachten einprägt, andererseits aber auch auf den Besuch der Exposition neugierig macht: Daß nicht alle Exponate der Museumsaustellung aufgeführt, geschweige denn abgebildet sind, trägt dazu bei, dem Vorliegenden die Qualität eines klassischen Katalogs im eigentlichen Sinne abzusprechen, verleitet aber hoffentlich auch viele Leser, sich zu einem Besuch des Museums anregen zu lassen. Museumsleiter Claus-Dieter Sprink und seinem Team ist zu der musealen Ausstellung wie zu der diese begleitenden Publikation jedenfalls zu gratulieren.
     Die in letzterer in Kapitel gefaßten Themen sind »Mehr als Spuren im Sand« (Einblick in archäologische Befunde und die daraus zu ziehenden Schlüsse); »Ritter, Kaufmann, Fischer« (Köpenick im Mittelalter); »Ämter und Fischerdörfer« (die durch Bauern und Fischer geprägte Umgebung des alten Köpenick); »Jagdschlösser und Einwanderer« (Baugeschichte von Schloß und Schloßkirche wie auch Geschichte ihrer Nutzer); »Postwege, Manufakturen und Kriege« (Wirtschaftsgeschichte bis zum Anfang des 19. Jhs.); »Stadt, Waschküche und Erholungsort« (Köpenick in der Industriellen Revolution und im wilhelminischen Kaiserreich); »Kriegsjahre und Eingemeindung« (Erster Weltkrieg und Nachkriegskrise als Wegbegleiter nach Groß-Berlin); »Köpenick unter dem Hakenkreuz« (NS-Zeit/ Zweiter Weltkrieg); »Ende, Neubeginn und Mauerfall« (SBZ/ DDR und Herbstumschwung 1989). Zur Einführung gibt es darüber hinaus kurze Abrisse zum Köpenicker Wappen, zur Geschichte des Bauwerks und zur Genesis eines Köpenicker Heimatmuseums. (Es geht auf ein 1929 ins Leben getretenes Heimatschulmuseum zurück, an dessen Gründung Otto Heinrich /vgl. BM 1/1993/ wesentlichen Anteil hatte.) 20 Seiten klug ausgewählter Chronologie zur Lokalbzw. Regionalgeschichte nimmt man gern zur Kenntnis.
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Wenn man bei J. Uhligs Standardwerk »Köpenick. Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke, Bd. 16« (Stapp-Verlag 1997) eine Liste der Köpenicker Bürgermeister, der Ehrenbürger und Stadtältesten vermißte - im Vorliegenden finden wir sie dankenswerterweise als Anhang. Daß bei den kurzen, aber instruktiven Literaturhinweisen Gerd Lüdersdorf mit seinem verdienstvollen Buch »Es war ihr Zuhause. Juden in Köpenick« (Edition Roots Kondziele, Berlin 1998) fehlt, ist nicht hinzunehmen und wird hoffentlich an bestimmter Stelle nicht als Affront verstanden werden, selbst wenn man dieser von der Seite der Herausgeber Erklärungen liefern wollte.
     Minimale Fehler, die sich überall einzuschleichen pflegen, sollen nicht beckmesserisch angekreidet werden (Großbeeren und Dennewitz sind z. B. nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich getrennte Schlachtorte: letzteres ging am 6. 9. 1813 in die Geschichte ein /S. 52/). Aber eines muß doch festgehalten werden: Die seit 1749 als Schloßherrin fungierende Henriette Marie (1702-1782) war keineswegs eine Prinzessin von Preußen (S. 41), denn sie entstammte der hohenzollernschen Nebenlinie Brandenburg-Schwedt (aus der zweiten Ehe des Großen Kurfürsten), die sich auch nach der Annahme des Königstitels in der Hauptlinie mit dem Titel »Markgraf« zufriedengeben mußte, und die als verwitwete Herzogin zu Württemberg-Teck zur Skandalnudel des preußischen Hofes Gewordene und deshalb nach Köpenick Verbannte war damit eine geborene Markgräfin von Brandenburg-Schwedt!
Kurt Wernicke
Deutsch- Niederländische Gesellschaft e.V. Berlin
Spuren der Niederländer in Brandenburg und Berlin - Ein Wegweiser

1999, Schutzgebühr 5,- DM

Es gehört zum Grundwissen um Berlin und seine Umgebung, daß der hier lebende »verwegene Menschenschlag« (Goethe) zu einer früh multikulturell geprägten Landschaft gehört. Wohl kaum wäre diese Mischung nieder- und oberdeutschen Charakters entstanden ohne die Einflüsse, die mit Hugenotten aus Frankreich, westfälischen Bauern, Pfälzer Siedlern oder Salzburger Exulanten einwanderten. »Echte Berliner stammen aus Schlesien«, sagt man auch nicht zu Unrecht. Protestantische Flüchtlinge aus dem nach der Schlacht am Weißen Berg rekatholisierten Böhmen jedoch waren ebenso beteiligt wie jüdische Zuwanderer, die neue Freiheiten in Brandenburg zu nutzen verstanden. Nicht zu übersehen die vielen Juden aus Osteuropa, die erst um die Jahrhundertwende hierherkamen, bis sie vierzig Jahre später wieder »nach Osten« geschickt wurden. Sie alle brachten ihre Vergangenheit, ihre Kenntnisse und Fertigkeiten und ihre Sprache mit. Das Berlinische (das, wie man oft feststellen muß, rund um die Stadt noch stärker als in ihr selbst ausgeprägt ist) wurde so nur möglich, weil eben die Vielfalt der Quellen belebend und bereichernd wirken konnte.

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In kaum einem Beitrag über diese Entwicklung läßt sich dagegen etwas über die Einflüsse finden, die den Niederlanden entstammten und die, kaum weniger als die bisher genannten, Land und Menschen mitgestalteten. Allenfalls weiß man, daß der Fläming seinen Namen von den Flamen hat, die als Kolonisten hierher kamen. Daß jedoch noch vor 100 Jahren rund 200 Wörter aus dem Niederländischen abzuleiten waren, ist sicherlich nur wenigen bekannt: Neben dem täglich unzählige Male gebrauchten »det« auch Pelle, polken, Kramme, spack, Else (für Erle), Pede (für Quecke). Das wohl nur noch selten hörbare »kiesätich« wie das gerade noch von einem Claire-Waldoff- Couplet erinnerliche »Schmackeduzchen« für die Rohrkolben. Die meisten Begriffe sind inzwischen verschwunden wie die in der Frühzeit der Feuerwehren noch allgemein bekannte Feuertiene.
     Da kommt ein kleines Büchlein, sicherlich zielbewußt im Vorfeld der großen brandenburgischen Feierlichkeiten zu Ehren der Oranier herausgegeben, gerade recht, um die Lücken im Kenntnisstand der Berliner - und bestimmt auch der mit dem Regierungsumzug seßhaft werdenden Neubürger - schließen zu können. Das erscheint um so dringlicher, als ja nicht nur inzwischen überholte Sprachbegriffe, sondern auch so viele materielle Zeugnisse des Wirkens niederländischer Zuwanderer oder Gäste nicht mehr vorhanden sind und das Wissen um sie im Begriff steht, ebenfalls verlorenzugehen. Das Buch enthält einen Überblick über die Arbeiten der Memhardt, Ryckwaert, Nering, Boumann und Smids, die im 17. und 18. Jahrhundert hier wirkten und das Gesicht der Stadt maßgeblich bestimmen halfen. Von ihren Bauwerken sind nur noch wenige vorhanden. Von den bis in unsere Zeit überkommenen, weil dem Fortschritt der Kriegstechnik oder der Stadtentwicklung nicht im Wege stehenden Bauten fielen viele dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Überreste einzelner wurden später als Relikte der Hohenzollern-Ära entsorgt. Wie das Berliner Schloß, dessen älterer Teil auf Johann Arnold Nering zurückging. Andere dagegen auch wieder aufgebaut oder restauriert, so daß das Zeughaus (Nering), der Marstall (Smids),
das Schloß Charlottenburg (Nering), Schloß Köpenick (Langervelt) und andere bedeutende Zeugnisse dieser Einflüsse heute das Stadtbild mitprägen können. In Brandenburg, wo das Schloß Oranienburg (Memhardt/ Smids) die Kulisse für die opulenten Feierlichkeiten in Anwesenheit der niederländischen Königin abgeben konnte, in Frankfurt (Oder), in Caputh, dessen Schloß unter Mitwirkung von Nering entstand, stehen weitere Ergebnisse niederländischer Tätigkeit. Unter diesen auch mehrere, die sich nicht allein in steinernen Zeugnissen zeigen: Die Gemeinden Kreuzbruch und Neuholland im Landkreis Oberhavel bewahren noch immer das Flair niederländischer Bauernlandschaft. Hier wie auch in den den meisten Berlinern nur vom Durchfahren bekannten Orten wie Nassenheide, Borgsdorf, Bergfelde, Birkenwerder oder Stolpe wurden schon früh durch Luise Henriette, die Frau des Großen Kurfürsten, Musterwirtschaften angelegt, in denen niederländische Fachleute und Siedler Schäfereien, Brauereien und Molkenwirtschaften anlegten und die fachlich kompetente und von hoher Produktivität zeugende Arbeitsweise ihrer Herkunftsgebiete in das unterentwickelte oder auch durch den Dreißigjährigen Krieg zerrüttete Brandenburg einbrachten. Die Residenzstadt Potsdam erfuhr natürlich besondere Fürsorge seitens der kurfürstlichen und königlichen Bauherren. Erhalten blieben oder wiederhergestellt wurden von den Ergebnissen niederländischer Einflüsse nach der Zerstörung der Stadt noch so viele, daß man heute an ihnen einiges von dem ablesen kann, was Potsdam vor dem 14. April 1945 ausgemacht hatte: Marstall (Nering), ehemaliges Rathaus (Boumann), Französische Kirche (Boumann). Von diesem Architekten stammten auch die Entwürfe für das Holländische Viertel.
     Über diese hinaus erfährt man aus dem Buch, das trotz der nur rund 100 Seiten im Oktavformat eine Fülle von Informationen bereithält, sehr viel Interessantes, was Niederländern oder niederländischem Einfluß zu verdanken ist. So, daß die ersten Linden Unter den Linden 1647 durch den in den Niederlanden ausgebildeten Gärtner Michael Hanff gepflanzt wurden,
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wer an den ersten Kanalbauten im Land Anfang des 17. Jh. beteiligt war, daß die Überseeflotte des Großen Kurfürsten von einem Niederländer befehligt wurde. Wichtig zu wissen ist, daß die Trockenlegung des Oderbruchs nicht erst durch Friedrich II. begonnen, sondern bereits 1717 mit Deichbauten und später durch die Begradigung des Flußlaufes in diesem Bereich eingeleitet wurde. Die Generalplanung lag dann bei dem zum Kriegs- und Domänenrat bestellten Simon Leonhard von Haerlem, einem in den Niederlanden ausgebildeten Sohn von Einwanderern. An seiner Seite Isaak Jakob von Petri, der sich seine Kenntnisse ebenfalls in den Niederlanden erworben hatte und sie dann auch bei der Trockenlegung der Gebiete an Netze, Warthe, Rhin und Dosse anzuwenden wußte. Die Besiedlung solcherart gewonnener Gebiete wurde eigens angeworbenen Landwirten aus Holland und Neufriesland übergeben, die als »Neu-Brandenburger« zur Bevölkerungsvielfalt beitrugen. Die meisten der bereits erwähnten Schloßanlagen erfuhren ihre Ergänzungen durch Parks, so sind die in Buch und Niederschönhausen wie in Friedrichsfelde, wo sich heute der Tierpark befindet, ursprünglich von niederländischen Fachkräften geschaffen worden.
     Das Buch gliedert sich auch in Abschnitte, die sich mit Spuren in Deutschland, auch mit der dynastischen Verbindung zwischen den Oraniern und deutschen Fürstenhäusern, besonders natürlich den Hohenzollern, befassen. Daß in die Nähe des Anfangs das Kapitel »Den Toten zum Gedenken - den Lebenden zur Mahnung« gesetzt ist, kennzeichnet die Bedeutung, die die durch den Faschimus verursachte Zäsur in den jahrhundertelang guten Beziehungen zwischen dem Land am Ysselmeer und Preußen-Deutschland noch heute besitzt. Auch die Gedenkstätten und Gräber für verschleppte Niederländer, Juden und politische Häftlinge in Plötzensee, Sachsenhausen, Großbeeren oder Berlin- Hohenschönhausen gehören zur deutschen und niederländischen Geschichte, zu Spuren in unserer Region.
Die Handlichkeit des kleinen und mit vielen meist farbigen Fotos versehenen Bandes erleichtert sehr, es bei dem Besuch der übersichtlich aufgeführten und in jedem Falle ausführlich mit Informationen versehenen Orte mitgeführt zu werden. Mehr noch, es reizt sehr dazu, eigens eine solche Reise zu unternehmen. Der geringe Preis tut ein übriges, den Erwerb zu erleichtern. Man mag wünschen, daß das Fehlen einer ISBN-Registrierung den Vertrieb über den Buchhandel nicht erschweren mag. Verbesserungen möchte man natürlich auch wünschen: Es ist nicht verständlich, weshalb in allen Fällen bei dem Namen Luise die vor hundert Jahren übliche, aber doch wohl historisch unkorrekte Form mit ou angewendet wird. Korrekt würde es sich auch bei dem hier wie so oft fälschlicherweise Deutscher Dom genannten Gotteshaus um eine Kirche handeln; die Bezeichnung »Dom« wurde erst später mit Blick auf den Gontardschen Turm entwickelt. Etwas über den Einfluß der Niederländer auf das Berlinische über die Erwähnung des Umstandes hinaus würde bereichernd sein. Man vermißt auch Hinweise auf Archive in der Region, die Dokumente des Wirkens niederländischer Einwanderer bewahren. Und dem Besucher, den auch die Straßen mit auf holländische Quellen hindeutenden Namen interessieren, könnte zusätzlich zu den Bezirksnamen die Angabe der Ortsteile hilfreich sein, denn sie werden nur im Falle von Britz genannt. Es wäre jedoch besser, die Memlingstraße in Lichterfelde, die Oranienburger nicht in Tempelhof, sondern in Lichtenrade oder die Rubensstraße in Friedenau, die Spinolastraße in Karow und nicht in Weißensee zu suchen. Gegenwärtig mag das noch angehen, mit den neuen Großbezirken jedoch dürften nicht nur Berlin-Fremde vollends überfordert sein. Bis 2001 wird sicherlich eine Nachauflage davor bewahren können.
Joachim Bennewitz
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Peter Pragal/ Eckart D. Stratenschulte:
Der Monolog der Lautsprecher und andere Geschichten aus dem geteilten Berlin.

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999, 185 S.

»West-Berlin ist eine Absurdität«, schrieb Peter Bender vor Jahren in seinem scharfsinnigen Essay »Wenn es West-Berlin nicht gäbe« (Wolf Jobst Siedler Verlag, Berlin 1987). Er fügte hinzu: »Aber die Geschichte ist voll von Absurditäten, die aus den merkwürdigsten Gründen zustande kamen; entscheidend war am Ende immer, was daraus gemacht wurde.« Von der Absurdität des geteilten Berlin berichten der Journalist Peter Pragal und der Soziologe Eckardt D. Stratenschulte in 26 Geschichten. Es werden dramatische und skurrile Begebenheiten - zumeist verbergen sich dahinter tragische Einzelschicksale - erzählt, wie sie nur in dieser Stadt vorkommen konnten. Zum Beispiel Westberliner Kleingärten-Exklaven im »Grenzstreifen«, Passierscheine zum Betreten der DDR-Hauptstadt, Abwasserbeseitigung zwischen den »Doppelstädten«, Unglücksfälle mit Kindern in Grenzgewässern, genehmigter »Mauerdurchbruch« für eine Gasleitung aus der Sowjetunion, Fluchtversuche nach dem Westen, Scheinhochzeiten für Ausreisen aus der DDR, Devisengeschäfte mit der »Überführung von Verstorbenen im grenzüberschreitenden Verkehr« und anderes mehr. Die Ereignisse trugen sich zwischen Mauerbau und Mauerfall zu, nur zwei oder drei blasse Geschichten liegen davor. Dabei waren die fünfziger Jahre mit der »offenen Grenze« erst recht voller Dramatik und Absurdität.

Eine Normalisierung des Lebens verhinderte damals der von Ost wie von West vehement geführte Kalte Krieg; am Ende stand die Mauer.
     Die Autoren, die die Zeitzeugen befragten und ihre Schilderungen in Storys mit anekdotenhaftem Charakter umsetzten, lassen keine Zweifel aufkommen: Das Übel lag immer und überall im Osten.
     Der aufmerksame Leser vermerkt indes, daß viele der geschilderten Absurditäten hausgemacht waren. Das Beharren der Westalliierten auf Rechten aus der Besatzungszeit und die bis in die 70er Jahre reichende Verweigerung offizieller Kontakte und Verhandlungen des West-Berliner Senats zu den DDR-Organen schufen zwangsläufig vertrackte Situationen. So den »Platz vier auf dem Teppich«; diese Episode schildert die protokollarischen Verwicklungen, wenn ausländische Gäste Westberlin, das von den drei Schutzmächten in vielerlei Hinsicht »als Kolonie« (S. 143) behandelt wurde, besuchten. Dann stand der Regierende Bürgermeister des Bundeslandes Berlin am Ende der Reihe hinter den drei westalliierten Stadtkommandanten. Zur Absurdität West-Berlins gehörte auch, daß seine Einwohner und erst recht die alliierten Soldaten und akkreditierten Diplomaten den Teilungszustand mit seinem Ost-West- Gefälle weidlich nutzten. Die Geschichte »Ausverkauf am Alex« erzählt schmunzelnd, wie man in Militärbussen zum Alex fuhr und dort für das in Westberliner Wechselstuben günstig eingetauschte DDR-Geld einsammelte, »was die sozialistische Volkswirtschaft an attraktiven Waren zu bieten hatte: Fotoapparate und Campingausrüstungen, Werkzeug und Musikinstrumente, Uhren und Sportartikel, Steppdecken und Nachthemden«. Viele haben damals »kräftig abgesahnt« und »ihre Wohnungen mit Ost-Waren ausstaffiert ... So günstig wie zu seiner Soldatenzeit hat Yves nie wieder eingekauft« (S. 103 ff.). Gewiß, Stasi- Genosse
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   116   Berichte und Rezensionen   Voriges BlattNächstes Blatt
Schalk-Golodkowski, heute Pensionär am bayerischen Tegernsee, versuchte mit den »Versina«-Läden - so eine andere Anekdote - die volkswirtschaftlichen Verluste wieder einzuspielen. Ob die Ostberliner, die den heldenhaften Sprung über die Mauer nicht wagten, und die DDR-Bürger, die mit großer Kauferwartung im »Trabi« von weither anreisten, über den »Ausverkauf am Alex« auch begeistert waren, erfährt der Leser nicht. Denn - wie Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister von 1967-1977, im Vorwort hervorhebt - die Geschichten erinnern nur daran, »was einmal der Status quo war in und um West-Berlin« (S. 8). Da müßte sich doch ein Fortsetzungsband lohnen, der auch nach den Befindlichkeiten und Erfahrungen der ehemaligen DDR-Bürger fragt.
Gerhard Keiderling
An die Redaktion

Heckmann-Villen

Zu Frank Eberhardt: »Vom Handwerker zum Großindustriellen«, Heft 12/1999 über den Kupferschmied und Industriellen Carl Justus Heckmann (1786-1868), seine Destillier-Apparate- Firma und das Heckmann-Familien- Imperium:
     Sehr geehrte Damen und Herren, im Heft 12/99 findet sich auf Seite 8 ein Fehler beider Beschriftung des Fotos. Dieses dürfte um 1880 aufgenommen sein, denn um 1875 hat Rückwardt die gleiche Ecke aufgenommen mit der ehemaligen Gastwirtschaft meines Urgroßvaters Carl Foerder Schlesische Straße 17, die Mai 1875 abgerissen wurde. Daneben noch sichtbar die alte Heckmann-Villa Schlesische Straße 18/19.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Karl Foerder

Das Grundstück Schlesische Straße 18/19 um 1875
Bildnachweis:
Privat, Archiv Autor
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Wege über den Potsdamer Platz

Zu »Erster Verkehrsturm am Potsdamer Platz« von Maria Curter
Heft 10, Oktober 1999, S. 77

Zwei Jahre vor der Aufstellung des Verkehrsturms am Potsdamer Platz wurde ich in Berlin geboren, so daß er in meinen Kindheitserinnerungen mit Besuchen bei Wertheim und in der Leipziger Straße präsent blieb. Warum er schon 1935 abgerissen wurde, ist nicht vermerkt. Ich vermute, weil der Kreisverkehr mit den Straßenbahnschienen wegen des noch größeren Verkehrsaufkommens geändert wurde.
     Ab 1941 benutzte ich während meines Medizinstudiums von unserem Haus am Botanischen Garten aus die Wannseebahn zum Bahnhof Friedrichstraße oder zum S-Bahnhof Unter den Linden. Nach 1946 fuhr die Wannseebahn nur noch zum Potsdamer Bahnhof. Sie war meist überfüllt wegen der fehlenden anderen Verkehrsmittel. Zum Krankenhaus Moabit, wo ich eine Famulaturstelle bekommen hatte, um danach endlich mein unterbrochenes Studium beenden zu können, mußte ich am Potsdamer Platz in eine überfüllte Straßenbahn umsteigen, die vorbei am Brandenburger Tor und einigen verstümmelten Bäumen des ehemaligen Tiergartens zur Moltkebrücke fuhr. Dort hörten die Gleise auf, denn die notdürftige Brücke bestand nur aus Bohlen. Sie wurde zu Fuß überquert, um auf der anderen Seite in eine dort wartende Straßenbahn einzusteigen, die durch die Straße Alt-Moabit fuhr, von wo wir das Moabiter Krankenhaus zu Fuß erreichten. Dieser umständliche Weg vom amerikanischen über den russischen zum englischen Sektor dauerte auch ohne Kontrollen fast zwei Stunden.
     Als ich nach dem Staatsexamen 1947 Pflichtassistentin auf der chirurgischen Abteilung wurde und pünktlich um 6 Uhr 30 erscheinen mußte, verließ ich unsere Ruine lieber am Abend vorher,

wenn ich auch den S-Bahnhof Botanischer Garten nur durch die Mädchen erreichte, die sich den amerikanischen Soldaten aus der Kaserne am Gardeschützenweg für Zigaretten und Lebensmittel anboten. Ich übernachtete dann mit einer Kollegin zusammen in einer Mansarde über der chirurgischen Abteilung.
Prof. Dr. med. Irene Boll
Berlin-Dahlem

 

Zum Grundstück der russischen Botschaft

Vor der Russischen Botschaft, rechts, steht ziemlich an Straßenrand eine Informationsstele der »Geschichtsmeile Wilhelmstraße« mit Fotos und Texten zu »Unter den Linden 7«. Foto oben. »Sowjetische (jetzt Russische) Botschaft« (Gebäude mit Turm).
     Foto darunter »Russische (später Sowjetische) Botschaft vor 1945« (Ehe. Nr. 7).
     Weiterer Text: »Die Angehörigen der Botschaft verließen nach 1945 das Haus, das 1942 von Bomben zerstört wurde. Im Jahr 1949 begann die Errichtung eines Neubaus, der 1951 fertiggestellt war«.
     Der aufmerksame Betrachter ist verwirrt. Was war/ ist die Russische Botschaft an dieser Stelle? Irgend etwas kann mit der Nr. 7 nicht stimmen.
     Nun muß man wissen, daß 1936 die Numerierung der Häuser Unter den Linden neugefaßt wurde. So ist aus der Nr. 7 heute die Nr. 55-61 geworden mit Sitz der Handelsvertretung der Russischen Föderation. Die eigentliche Botschaft ist Nr. 63-65. Sehr vereinfachend heißt es in dem Buch »Unter den Linden« von Winfried Löschburg (Buchverlag Der Morgen 1972) auf S. 301: »Bauarbeiter errichteten in den Jahren 1950-1952 (!) als ersten Neubau Unter den Linden an der Stelle der im Krieg zerstörten Botschaft das repräsentative Gebäude der Botschaft der UdSSR mit der sowjetischen Handelsvertretung.«

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So entsteht der Eindruck, daß an der Stelle der heutigen Botschaft + Handelsvertretung immer die Russische Botschaft stand. Aber so war es eben nicht. Aufklärung schafft Ex-Botschafter P. Abrassimow in seinem Buch »Das Haus Unter den Linden« (Dresden 1978) auf den Seiten 109-110: »Die Wahl der Sowjetregierung fiel (1949) auf die Stelle, an der das alte Gebäude der russischen und der Sowjetische Botschaft gestanden hatte. Das Botschaftsgebäude Unter den Linden wurde 1951 fertiggestellt und ist dreimal so groß wie das Gebäude der sowjetischen Botschaft vor dem Krieg.«
     Also dreimal größer. Welche Flächen sind also hinzugekommen? Rechts neben der ehemaligen Nr.7 war das Hotel Bristol mit den Nr. 5-6. Beleg ist der Bildband »Unter den Linden - Photographien« (Argon Verlag Berlin 1991).
Dort gibt es auf der Seite 105 - Unter den Linden 5/6 - ein Foto mit dem Text: »Die repräsentative kuppelbekrönte Fassade des Hotels Bristol ist eingermaßen zu erkennen. Links daneben die Russische Botschaft Nr. 7.« Bemerkenswert sind weiter die Tatsachen, daß der Komplex links neben der heutigen Russischen Handelsvertretung bis hin zur Glinkastraße die Russian International Airlines beherbergt und daß die gesamte Fläche ab heutiger Nr. 51-67 bis hin zur Behrenstraße Eigentum der Russischen Föderation ist. Ganz offensichtlich gibt es saubere Grundbucheintragungen und keine Restitutionsansprüche.
     Wäre abschließend eine Korrektur - oder Erweiterung - der genannten Info-Stele der Geschichtsmeile Wilhelmstraße zu wünschen.
Franz Rump
nach Baedecker
Berlin, 1921, S. 50

Skizze: Autor
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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2000
www.berlinische-monatsschrift.de