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Gerd Lüdersdorf
Der Köpenicker Blutsonntag vom 21. März 1920

Am 12. März 1920 gegen 22 Uhr formierte sich die Marinebrigade Ehrhardt vor dem Lager Döberitz zum Marsch auf Berlin. Um eventuellen Widerstand rücksichtslos brechen zu können, teilte Korvettenkapitän Ehrhardt der an der Spitze marschierenden Sturmkompanie eine 10,5 cm Haubitzenbatterie zu.1) Zur selben Stunde druckte der »Vorwärts« die Titelzeile für die Ausgabe des 13. März: »Die Republik ist in Gefahr!« Als diese Ausgabe ihre Leser erreichen sollte, standen Ehrhardts Truppen unter der kaiserlichen Reichskriegsflagge schon am Brandenburger Tor. Die Regierung der »Weimarer Koalition« unter Reichskanzler Gustav Bauer (SPD; 1870-1944) war geflohen. Mit dem Spruch »Truppe schießt nicht auf Truppe!« verweigerte General v.Seeckt (1866-1936) den Einsatz der Reichswehr zur Niederschlagung des Putsches. Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp (1858-1922) übernahm die Spitze der Putsch- Regierung. Die geflohene Regierung und die SPD riefen zum Generalstreik auf.

Es folgten die anderen Arbeiterparteien und die Gewerkschaften. Bei den seinerzeit geringen Kommunikationsmitteln erreichten diese Aufrufe die breiten Massen sehr unterschiedlich und verspätet. Erst am 14. und 15. März hatte der Generalstreik gegen die Putschisten- Regierung eine soziale Breite erreicht, wie sie in Deutschland noch nicht erlebt worden war.
     Auch die Stadt Köpenick vor den Toren Berlins wurde von den Ereignissen gepackt. Zunächst war man auch hier verwirrt. Erhoffte Weisungen, wie es denn nun weitergehen solle, blieben sowohl von der Regierung als auch von den Parteien aus. In dieser Situation griffen die Arbeiter und Angestellten zur Selbsthilfe und bewaffneten sich. Am 15. März wurde z. B. gegen 13.30 Uhr von ca. 20 bewaffneten Arbeitern die Albatros- Werft in Hirschgarten angegriffen und die dort stationierten Soldaten entwaffnet. Die alarmierte Polizei konnte durch Verhandlungen mit dem Stadtverordneten Otto Nickel (SPD) nur erreichen, daß dieser zusagte, die Waffen in der 1. Gemeindeschule in der Amtstraße einzulagern. Auf Grund des Druckes der Arbeiterschaft wurden schließlich diese Waffen unter Kontrolle des Stadtverordneten Alfred Rebe (KPD) an Arbeiter ausgegeben.
     Parallel zu den spontanen Aktionen der Arbeiter liefen im Köpenicker Magistrat Verhandlungen über die Schaffung einer Einwohnerwehr.
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Da der Streit um die paritätische Verteilung der Waffen zwischen Anhängern der Arbeiterparteien und solchen der bürgerlichen Parteien nicht beigelegt werden konnte, kam es nicht zur Bildung einer Einwohnerwehr. Als sich aber die Gerüchte über in der Umgebung plündernde Truppen verstärkten, stimmte der Magistrat der Verstärkung der Wachen an den Lebensmitteldepots durch bewaffnete Arbeiter zu. Und am 16. März wurde dann am Alten Markt 3, im Lokal Fuchs, von Vertretern der Arbeiterparteien USPD und KPD das »Sozialistische Verteidigungskomitee« gegründet. Vorsitzender wurde der Stadtverordnete Alexander Futran (USPD). Militärischer Führer war der Stadtverordnete Alfred Rebe (KPD). Der Wirkungsbereich des Komitees ging über Köpenick hinaus - er betraf den Südosten im Vorfeld von Berlin. Es wurden Kampfgruppen gebildet und Barrikaden zur Verteidigung der Stadtzugänge errichtet.
     Als Führer dieser Kampfgruppen sind überliefert: für Grünau Otto Pfeiffer; für Friedrichshagen Willy Mundt; für Erkner Göring; für Woltersdorf Eikendorf; für Kietzer und Köllnische Vorstadt Alfred Rebe; für Köpenick- Nord Karl Fischer.
     Der Zustrom zu den bewaffneten Kräften war so groß, daß in der Gaststätte Scheer am Köllnischen Platz (dort befindet sich heute ein Parkplatz) ein Rekrutierungsbüro unter Leitung von Richard Schulz (USPD) eingerichtet wurde. Von dort aus wurden die Kämpfer auf die einzelnen Wachen verteilt.
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Eine befand sich in der Schule in der Glienicker Straße, die u. a. die Bewachung der Getreidemühle Bion in der Grünauer Straße zur Aufgabe hatte. Eine weitere Wache befand sich in der Schule in der Borgmannstraße. Insgesamt bestand Futrans Streitmacht aus ca. 1000 Bewaffneten. An Bewaffnung standen zur Verfügung ca. 15 leichte Maschinengewehre, 10 schwere Maschinengewehre, 1050 Karabiner, ca. 100 Pistolen, 2 Flammenwerfer und zwei Minenwerfer. Die unruhigen Tage waren begleitet von Kundgebungen auf dem Friedrich-Wilhelm- Platz (heute Futranplatz). Wenn Alexander Futran sprach, zog es zwischen 1918 und 1920 die Arbeiter in Scharen ins am Friedrich-Wilhelm- Platz gelegene Stadttheater (Klein's Hotel). Da sich dies oftmals als zu klein erwies, standen Tausende (in Köpenick lebten damals etwa 20000 Handwerker und Industriearbeiter) davor und lauschten Futran. Der 1877 in Odessa geborene Alexander Futran war ein glänzender Redner und ein vielseitig gebildeter Mensch. Unter seiner Führung war die USPD, obwohl sie mit ihren ca. 800 Mitgliedern wahrscheinlich nicht größer war als die SPD, die kampfstärkste Partei in Köpenick. (Die am 15. Juni 1919 gegründete Ortsgruppe der KPD hatte in den Tagen des Kapp-Putsches wenig mehr als 80 Mitglieder.)
     Es gab auch einzelne Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Angehörigen

Stadtverordneter Alexander Futran (USPD)
 

der Reichswehr und Booten des noch vom Kriege her militärisch organisierten Wasserschutzes. Da nicht ersichtlich war, ob die Uniformierten zu Kapp standen oder nicht, wurden sie entwaffnet und ins Polizeigefängnis gebracht, welches sich damals noch im Rathaus befand. Später wurden dann die mittlerweile 35 Gefangenen ins Amtsgerichtsgefängnis überführt.

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Dabei mußten die Gefangenen besonders vor den Übergriffen aufgebrachter Frauen geschützt werden.
     Als aus Adlershof die Nachricht kam, daß sich Putschisten im Großtanklager Johannisthal verschanzt hätten, eilten den Adlershofern Köpenicker, Grünauer und Bohnsdorfer Kämpfer in ihrer bewaffneten Auseinandersetzung mit Teilen des Freikorps Lützow2) zu Hilfe. Bei dem Gefecht am 19. März kam der 37jährige Arbeiter Paul Seelisch aus der Grünauer Jägerstraße (heute Schlierseestraße) ums Leben. Der Wäschereibesitzer Karl Breschke aus der Parrisiusstr. 16 erlag 42jährig am 20. März seinen bei dieser Auseinandersetzung erlittenen Schußverletzungen. Auf der Seite des Militärs soll bei einer Schießerei am Bahnhof Spindlersfeld ein Oberjäger getötet worden sein.
     Neben diesen Aktivitäten der bewaffneten Gruppen, die - schon bedingt durch fehlende Nachrichtenmittel - nicht abgestimmt erfolgten, gab es immer wieder Bemühungen vom Magistrat und dem Verteidigungskomitee, aus Berlin Auskünfte über die politische Lage zu erhalten. Da in der Umgebung Köpenicks immer wieder Schießereien zu hören waren, stand zur Debatte, ob es sich bei dem Militär um auf eigene Faust handelnde Freikorps oder um Regierungstruppen handele. Futran und seine Leute tendierten bei ihrer Beurteilung in Richtung irreguläre Truppen, der 1. Bürgermeister Köpenicks,
Behnke, war jedoch der Auffassung, Regierungstruppen seien im Anmarsch. Um eine bewaffnete Konfrontation zwischen den Kämpfern des Verteidigungskomitees und den Regierungstruppen zu vermeiden, beschwor Behnke Futran, seine Kampfgruppen anzuweisen, die Waffen niederzulegen. Diese Haltung wurde noch durch den Stadtverordneten Emil Lampe (USPD) bestärkt, der zur Sondierung der Lage nach Berlin geschickt worden war und nun mitteilte, daß der Putsch zusammengebrochen sei und der Generalstreik daher ausgesetzt werde. Futran, der im Innersten seines Herzens gegen jede Gewalt war, befahl daraufhin, gegen den Willen Rebes und anderer Mitkämpfer, die Waffen niederzulegen und davon auszugehen, daß sich Truppen der rechtmäßigen Regierung der Stadt näherten. So marschierte am Sonntag, dem 21. März 1920, die 2. Kompanie des Reichswehr- Schützenbataillons Nr. 15 aus Lichterfelde, verstärkt durch sogenannte Zeitfreiwillige (zumeist Studenten), kampflos in Köpenick ein. Ebenso wie die am 13. März zum Sturz der rechtmäßigen Regierung in Berlin einrückenden Putschisten trugen sie ein mit weißer Farbe aufgemaltes Hakenkreuz am Stahlhelm - das war kein Wunder, denn die Kompanie hatte sich der Putschistenregierung unterstellt. Auf Befragen, ob sie für die rechtmäßige Regierung seien, entgegneten die Soldaten, sie seien nur für ihre Offiziere.
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Die fragenden Köpenicker hatten nicht begriffen - und wie sollten sie auch? -, daß sich innerhalb weniger Stunden die politische Situation grundlegend gewendet hatte: nach dem Zusammenbruch des Putsches am Abend des 17. März war vom Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1871-1925) (SPD) und dem neuen Reichswehrminister Otto Geßler (1875-1955) (DVP) der große Belagerungszustand verkündet worden. Demzufolge konnte jeder, der mit der Waffe in der Hand angetroffen wurde, standrechtlich erschossen werden: Das richtete sich eindeutig nicht mehr gegen die Kappisten, sondern gegen die bewaffneten Arbeiter, die sich zur Verteidigung der Regierung Bauer und des Reichspräsidenten Ebert zusammengefunden hatten! Da schwenkten die Putschisten von gestern schnell um, wurden von einer Stunde zur anderen wieder verfassungstreu und nahmen begeistert Rache für die beim Putsch erlittene Niederlage. Sie behielten sogar die vom Putschisten-General v. Lüttwitz (1859-1942) zugebilligte Zulage zum Wehrsold in Höhe von 7 Mark pro Tag bei, die ihnen die Regierung der »Weimarer Kopalition« prompt auszahlte.
Der Stadtverordnete Alfred Rebe (KPD) auf einem Erinnerungsfoto (mit Sonnenschirm)
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   42   Probleme/Projekte/Prozesse Köpenicker Blutsonntag  Voriges BlattNächstes Blatt

Hingerichtet: Friedrich Kegel
Die Geisteshaltung der Befehlshaber dieser Truppen läßt ein Schreiben an die Brigade Ehrhardt erkennen:
     An das Wehrkreiskommando III, die II. Marinebrigade.
     Ich habe die Maßnahmen der Marinebrigade und der mit ihr gegangenen Truppen nicht billigen können.
     Ich erkenne aber an, daß diese Truppen geglaubt haben, vaterländischen Interessen zu dienen, und daß sie nur von ihrer politischen Führung mißleitet waren.
     Ich erkenne die ausgezeichnete Disziplin in der Marinebrigade und der mit ihr gegangenen Truppen an und danke ihnen, daß sie sich mir unterstellt haben.
     Ich erwarte, daß alle Truppen jetzt nur von dem Gedanken erfüllt sind, die Ordnung zu schützen, und daß sie in kameradschaftlichem Geiste darin zusammenstehen.
     Der Oberbefehlshaber gez. von Seeckt3)

Soldaten solcher Couleur - »von dem Gedanken erfüllt ..., die Ordnung zu schützen« - durchkämmten nun auch in Köpenick mit äußerster Brutalität, nicht selten durch Denunzianten informiert, Häuser und Wohnungen und nahmen Verhaftungen vor. Hier verdiente sich auch Erich Haller, 1933 dann einer der mitwirkenden SA-Schläger der Köpenicker Blutwoche, als mieser Denunziant seine Sporen als haßerfüllter Kämpfer gegen »Links«. In der Gaststätte »Zu den drei Linden«, Grünauer Straße/ Ecke Schönerlinder Straße, etablierte sich ein Standgericht unter Hauptmann Egon von Loebell.

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   43   Probleme/Projekte/Prozesse Köpenicker Blutsonntag  Voriges BlattNächstes Blatt
Schon in den Morgenstunden des 21. März wurde Alexander Futran ins Rathaus bestellt. Wohlmeinende Freunde versuchten ihn zurückzuhalten. Aber Futran, im vollen Bewußtsein seines verfassungstreuen Handelns, ging hin.
     Alfred Rebe, der schon als Teilnehmer des Flottenaufstandes von 1917 neben den Hingerichteten Reichpietsch und Köbis knapp dem Tod entkommen war, hatte keine Illusionen hinsichtlich des weiteren Ablaufs der Dinge. Er flüchtete nach Mecklenburg. (Rebe, Jahrgang 1893, wurde später Redakteur der »Roten Fahne«. 1933 wurde er inhaftiert, gelangte aber später in die Sowjetunion. Dort wurde er ein Opfer des stalinistischen Terrors und kam nach dem 9. Oktober 1938 ums Leben.) Alexander Futran dagegen wurde sofort dem Standgericht überstellt. Als Jude und Sozialist hatte er vor diesem Gericht, das aus v. Loebell, Leutnant Kubich, Unteroffizier Hedal und dem Zeitfreiwilligem Jacks bestand, keine Chance. Leutnant Kubich war es, der auf dem Hof der damaligen Niederlassung der Bötzow-Brauerei in der Grünauer Str. 74 (heute Nr. 21) die Erschießung Futrans kommandierte. Der standrechtlich kaschierte Mord fand dann seinen geistigen Niederschlag in einem Gedicht des Jägerbataillons im Potsdamer Infanterie- Regiment (Nr. 9), in das Loebells Kompanie noch 1920 aufging. Es gipfelte in dem Vers: »Neben Futran auf dem Mist, lag so mancher Bolschewist.«

Standrechtlich erschossen: Otto Gutsche

Die Mörder schreckten auch nicht davor zurück, Futran auszurauben und seiner Ehefrau, Mutter von drei Kindern, unter dem Vorwand, ihr Mann sei ins Gefängnis nach Moabit überführt worden, noch 200 Mark abzugaunern.
     Vorher wurden bereits erschossen: der geistig etwas beschränkte Karl Wienicke,

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17 Jahre alt, von Beruf Kutscher, wohnhaft Grünauer Str. 44; Friedrich Kegel, 24 Jahre, Tapezierer, Rudower Str. 29. Letzterer wurde vom Klavier weggerissen, wo er für eine am selben Tag vorgesehene Jugendweihefeier probte, und zur Hinrichtung geschleift. Albert (Willi) Dürre, 19 Jahre, Arbeiter, Grünauer Str. 3, und Karl Gratzke, 41 Jahre, Kutscher, Grünauer Str. 38. Allerdings führten die Erschießungen doch zu energischen Protesten der Bevölkerung. Der Wäschereibesitzer Landrock z.B., der in der Grünauer Straße seine Wäscherei hatte (in Köpenick die zweitgrößte nach Spindler), setzte sich für die Freilassung seiner beiden Kutscher Gratzke und Wienicke ein. Aber vergeblich - sie wurden erschossen. Der Reichstagsabgeordnete Hermann Silberschmidt (SPD) rief persönlich beim Reichspräsidenten Ebert an, um ihn zum Einlenken zu bewegen. Ob das etwas gebracht hat, entzieht sich unserer Kenntnis.
     In Adlershof verliefen die Ereignisse noch viel blutiger als in Köpenick. Dort rückten die Einheiten der Reichswehr mit ihren Zeitfreiwilligen bereits am 20. März ein.
     Die bewaffnete Volkswehr versuchte, Widerstand zu leisten. Aus Sorge um Repressalien gegenüber ihren Familien zog sie sich zurück. Bei diesen Kämpfen fielen aus Köpenick Alfred Lawin, 24 Jahre, Maurer, Schönerlinder Str. 13; Alexander Böhme, 27 Jahre, Arbeiter, Wilhelmstr. 6 (heute: Katzengraben).
Standrechtlich erschossen wurden in Adlershof die Köpenicker Otto Gutsche, 24 Jahre, Schlosser, Grünauer Str. 46; Fritz Purrmann, 22 Jahre, Bäcker, Grünauer Str. 43 und Georg Schütz, 35 Jahre, Bürohilfsarbeiter, Flemmingstr. 31. Von den Adlershofern fielen : Otto Saeger, 35 Jahre, Schlosser, Radickestr. 37 a; Peter Kujawa, 23 Jahre, Arbeiter, Sedanstr. 29 (heute: Florian-Geyer- Str.). Standrechtlich erschossen wurden: Max Gurth, 18 Jahre, Arbeiter, Friedenstr. 16; Max Bugiel, 19 Jahre, Sedanstr. 3; Karl Nelte (sein Bruder wurde später von den Nationalsozialisten hingerichtet) 29 Jahre, Dreher, Hoffmannstr. 10; Wilhelm Bölke, 19 Jahre, Arbeiter, Sedanstr. 30; Karl Strube, 25 Jahre, Arbeiter, Sedanstr. 31; und Otto Netzeband, 28 Jahre, Arbeiter, Roonstr. 18 (heute: Moissistr.). An den Folgen ihrer Verwundungen starben der Adlershofer Otto Müller, 36 Jahre, Arbeiter, und der Köpenicker Adolf Schön, 20 Jahre, Arbeiter, Parrisiusstr. 24. Tote gab es auch auf der Seite des Militärs. Als regulärer Soldat ließ sein Leben nur ein einziger: der Schütze Walter Thien vom Schützenbataillon. Höher fiel der Blutzoll bei den Zeitfreiwilligen aus - Studenten, die zumeist keine oder nur unzureichende militärische Ausbildung genossen hatten. Das waren Johannes Noack, 20 Jahre, Ingenieur- Student; Werner Strotzek, 20 Jahre, Student der Philologie, und Hans Schröder, 23 Jahre, Student der Volkswirtschaft.
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Im Krankenhaus Köpenick starb an seinen Verletzungen der Reserveleutnant und Zeitfreiwillige Hans Seidel, 24 Jahre, Student.
     Am 25. März rückten die Truppen ab. Zwei Tage später nahmen Tausende auf dem Friedrich-Wilhelm-Platz in einer Trauerkundgebung Abschied von drei Standrechtsopfern und dem seinen Wunden erlegenen Adolf Schön. In einem großen Trauerzug wurden die Toten zum Friedhof in der Rudower Straße geleitet, wo eine Ehrengrabstätte für Kegel, Purrmann, Schön, Schütz, Wienicke, Gratzke und Gutsche eingerichtet wurde. Die Gedenkfeier für Alexander Futran wurde am 29. März im Krematorium Baumschulenweg durchgeführt. Seine Urne wurde Monate später auf dem Friedhof Friedrichsfelde beigesetzt. Dabei sprachen der als »Zehn-Gebote- Hoffmann« bekannte Adolf Hoffmann (1858-1930, langjähriger Reichstagsabgeordneter der SPD, kurzzeitig Mitglied der KPD, 1920 USPD- Mitglied), Dr. Kriesche von der Freireligiösen Gemeinde und Otto Lehmann- Rußbült (1873 - 1964) vom Bund Freies Vaterland (aus dem 1922 die »Deutsche Liga für Menschenrechte« hervorging).
     Zum ersten Jahrestag des »Blutsonntags« hielt Adolf Hoffmann an den Gräbern auf dem Friedhof in der Rudower Straße, wieder unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, eine Gedenkrede. Die Veranstaltung fand dann ihre Fortsetzung auf dem Friedhof Adlershof mit der Einweihung eines Gedenksteins, der nach 1933 von den Nazis geraubt wurde.
Der Köpenicker Blutsonntag, wie überhaupt die Metzeleien der Regierungstruppen nach dem Kapp-Putsch, reihte sich ein in den schon damals üblichen Terror von Rechts. Der Nationalökonom Julius Emil Gumbel (1891-1966) analysierte 1921 in seinem Buch »Zwei Jahre Mord« die politischen Morde in Deutschland von 1919 bis zum 30. März 1921. Während dieser Zeit gab es 13 - dreizehn - politische Morde von Links und 314 - dreihundertvierzehn! - von Rechts.
     Ist diese offene Gewaltbereitschaft und das bewußte Beiseiteschieben von Grundsätzen eines Rechtsstaats auf der Seite der politischen Rechten schon erschütternd, so war die juristische Ahndung dieser Morde für die Entwicklung der politischen Kultur in der Weimarer Republik geradezu katastrophal: Für die 13 Morde von Links erkannte die Weimarer Rechtsprechung auf 8 Todesurteile und 176 Jahre, 10 Monate Haft. Die 314 Morde von Rechts wurden insgesamt mit 31 Jahren, 3 Monaten Haft und einer lebenslänglichen Festungsstrafe »gesühnt«.

Quellen:
1 Kapitän Ehrhardt. Abenteuer und Schicksal.
Herausgegeben von Friedrich Frecksa. August Scherl GmbH. Berlin SW 68. 1924. S. 175
2 Ebenda S. 191
3 Ebenda S. 191

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© Edition Luisenstadt, Berlinische Monatsschrift Heft 3/2000
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